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OGH vom 27.02.2020, 12Os7/20a

OGH vom 27.02.2020, 12Os7/20a

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Solé als Vorsitzenden sowie den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Oshidari und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Michel-Kwapinski, Dr. Brenner und Dr. Setz-Hummel in Gegenwart der Schriftführerin Maurer in der Strafsache gegen Fabian S***** und einen weiteren Angeklagten wegen Verbrechen der schweren Erpressung nach § 144 Abs 1, 145 Abs 2 Z 1 und 2 StGB und einer weiteren strafbaren Handlung über die Nichtigkeitsbeschwerde der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien als Schöffengericht vom , GZ 13 Hv 79/19h-29, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters der Generalprokuratur, Generalanwalt Mag. Holzleithner, der Angeklagten und ihrer Verteidiger Mag. Canigiani de Cerchi und Mag. Augendoppler zu Recht erkannt:

In Stattgebung der Nichtigkeitsbeschwerde werden das angefochtene Urteil, das im Übrigen unberührt bleibt, in den Strafaussprüchen sowie der zugleich mit dem Urteil ergangene Beschluss auf Widerruf bedingter Strafnachsicht aufgehoben und in diesem Umfang

1) in der Sache selbst erkannt:

Für die den beiden Angeklagten zur Last liegenden strafbaren Handlungen, nämlich jeweils das Verbrechen der schweren Erpressung nach § 144 Abs 1, 145 Abs 2 Z 2 StGB und das Vergehen des Diebstahls nach § 15, 127 StGB werden unter Anwendung des § 28 Abs 1 StGB nach dem Strafsatz des § 145 Abs 1 StGB

Fabian S***** gemäß § 31 Abs 1 StGB unter Bedachtnahme auf das Urteil des Bezirksgerichts Innere Stadt Wien vom , AZ 18 U 87/19v, zu einer Zusatzfreiheitsstrafe von

vier Jahren

und Andreas F***** zu einer Freiheitsstrafe von

vier Jahren

verurteilt.

Den Angeklagten fallen auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.

2) den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die Fabian S***** mit Urteil des Bezirksgerichts Innere Stadt Wien vom , AZ 15 U 85/14w, gewährte bedingte Strafnachsicht wird widerrufen.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurden Fabian S***** und Andreas F***** jeweils des Verbrechens der schweren Erpressung nach § 144 Abs 1, 145 Abs 2 Z 1 und 2 StGB (I./a./) und des Vergehens des Diebstahls nach § 15, 127 StGB (I./b./, Andreas F***** auch zu II./) schuldig erkannt.

Danach haben in W*****

I./ Fabian S***** und Andreas F***** im bewussten und gewollten Zusammenwirken als Mittäter

a/ zwischen März 2018 und dem mit dem Vorsatz, sich durch das Verhalten des Genötigten unrechtmäßig zu bereichern, Dominik G***** gewerbsmäßig und gegen dieselbe Person längere Zeit hindurch fortgesetzt in einer Vielzahl von Angriffen zu Handlungen, nämlich zur Bezahlung von dreistelligen Beträgen genötigt, wobei insgesamt ein Betrag von 10.000 Euro erreicht wurde, und zwar durch wiederholte gefährliche Drohungen mit einer Verletzung

1./ der Freiheit, indem sie behaupteten, dass Andreas F***** Polizist sei und sie Dominik G***** einsperren lassen würden,

2./ des Vermögens, indem sie drohten, die HIV- und die HepatitisCErkrankungen von Dominik G***** bei seinem Arbeitgeber bekannt zu machen und ihn dort von Polizisten abholen zu lassen, und

3./ des höchstpersönlichen Lebensbereichs, indem sie drohten, die sexuellen Beziehungen und die HIV- und HepatitisCErkrankungen des Dominik G***** bei dessen Eltern bekanntzumachen,

b/ am mit auf unrechtmäßige Bereicherung gerichtetem Vorsatz Gewahrsamsträgern der B***** AG fremde bewegliche Sachen wegzunehmen versucht, indem sie Lebensmittel im Wert von 15,35 Euro einsteckten und den Kassabereich ohne zu bezahlen passierten, wobei es nur deswegen beim Versuch blieb, weil sie von Nicole E***** angehalten wurden,

II./ Andreas F***** am am Hauptbahnhof Hedwig K***** fremde bewegliche Sachen, nämlich eine Geldbörse im Wert von 70 Euro und 160 Euro Bargeld, mit auf unrechtmäßige Bereicherung gerichtetem Vorsatz wegzunehmen versucht, indem er ihr die (locker gehaltene) Geldbörse aus der Hand nahm, wobei es nur deswegen beim Versuch blieb, weil Hedwig K***** zu schreien begann und ein Mitarbeiter eines Sicherheitsunternehmens ihn anhielt.

Hiefür wurden die Genannten unter Anwendung des § 28 Abs 1 StGB, Andreas F***** „unter Anwendung auch des § 29 StGB sowie unter Bedachtnahme gemäß § 31, 40 StGB auf das Urteil des Bezirksgerichts Innere Stadt Wien vom , AZ 18 U 87/19v“, nach § 145 Abs 1 StGB jeweils zu einer (Zusatz-)Freiheitsstrafe von vier Jahren verurteilt.

Rechtliche Beurteilung

Die gegen die Strafaussprüche gerichtete, auf § 281 Abs 1 Z 11 StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde der Staatsanwaltschaft ist im Recht.

Beide Angeklagte, die jeweils eine Vielzahl auch einschlägiger Vorstrafen aufweisen, wurden zuletzt mit Urteil des Bezirksgerichts Innere Stadt Wien vom , AZ 18 U 87/19v, des Vergehens des Diebstahls nach § 15, 127 StGB schuldig erkannt. Hiefür wurde Fabian S***** zu einer Freiheitsstrafe von zwei Monaten, Andreas F***** zu einer Freiheitsstrafe von drei Monaten verurteilt.

Nach § 31 Abs 1 erster Satz StGB ist eine Zusatzstrafe zu verhängen, wenn jemand, der bereits zu einer Strafe verurteilt worden ist, wegen einer anderen Tat verurteilt wird, die nach der Zeit ihrer Begehung schon in dem früheren Verfahren hätte abgeurteilt werden können.

Dies ist in Ansehung der Fabian S***** zur Last liegenden Taten (zu I./a./ und b./) der Fall.

In Ansehung des Angeklagten Andreas F***** steht hingegen die dem Schuldspruch II./ zugrunde liegende, nach dem genannten Urteil des Bezirksgerichts Innere Stadt Wien begangene Tat vom der Verhängung einer Zusatzstrafe entgegen. Ist nämlich im neuen Urteil über Taten zu entscheiden, die teils vor Fällung des früheren Urteils, teils danach begangen wurden, so entfällt eine Bedachtnahme auf das erste Urteil.

Solcherart bewirken die – vom Erstgericht zugestanden irrtümliche (vgl US 14) – Nichtanwendung des § 31 Abs 1 StGB in Ansehung des Fabian S***** und Anwendung dieser Norm in Ansehung des Andreas F***** Nichtigkeit aus Z 11 erster Fall des § 281 Abs 1 StPO

(RISJustiz RS0112524 [insbesondere T 13]; Ratz, WK-StPO § 281 Rz 666 f, Rz 671 jeweils mwN; Ratz in WK2 StGB § 31 Rz 2, 14).

Mit Blick auf § 290 Abs 1 zweiter Satz erster Fall StPO ist hinzuzufügen:

Neben der in § 70 Abs 1 StGB umschriebenen Absicht setzt die rechtliche Annahme gewerbsmäßiger Begehung (hier: nach § 145 Abs 2 Z 1 StGB) voraus, dass der Täter bei der Tatbegehung entweder unter Einsatz besonderer Fähigkeiten oder Mittel handelt, die eine wiederkehrende Begehung nahelegen (§ 70 Abs 1 Z 1 StGB), zwei weitere „solche Taten“ (dazu RIS-Justiz RS0130965) schon im Einzelnen geplant (§ 70 Abs 1 Z 2 StGB) oder (innerhalb der in § 70 Abs 3 StGB genannten Zeitspanne) bereits zwei solche Taten begangen hat oder einmal wegen einer solchen Tat verurteilt worden ist (§ 70 Abs 1 Z 3 StGB). Während in gleichartiger Realkonkurrenz begangene Taten (ungeachtet einer – vorliegend nicht aktuellen – durch § 29 StGB angeordneten Subsumtionseinheit) jeweils dem Tatbegriff des § 70 StGB entsprechen, stellt dagegen eine tatbestandliche Handlungseinheit iwS (dazu Ratz in WK2 StGB Vor § 28–31 Rz 83 ff [89]) nur eine Tat im Sinn des § 70 StGB dar (Jerabek/Ropper in WK2 StGB § 70 Rz 13/6).

Nach den Konstatierungen des Erstgerichts (US 8, 10) handelte es sich zu I./a./ um ein gegen dieselbe Person längere Zeit hindurch fortgesetztes, von einem einheitlichen Erpressungsvorsatz getragenes Tatgeschehen, weshalb von einer tatbestandlichen Handlungseinheit auszugehen ist (RIS-Justiz RS0094062 [T1] und RS0130965 [T6]; Eder-Rieder in WK2 StGB § 145 Rz 14).

Dementsprechend vermögen die vom Erstgericht getroffenen Feststellungen, wonach Andreas F***** dem Opfer Ende März 2018 mitteilte, dass dieses ab nun 700 Euro monatlich zuzüglich etwaiger weiterer Kosten für die Krankenbehandlung des Fabian S***** zu bezahlen habe, widrigenfalls das Vergewaltigungsverfahren gegen das Opfer neu aufgerollt sowie dieses von der Polizei eingesperrt werde und beide Angeklagten die Eltern des Opfers und dessen Arbeitgeber von seinen Krankheiten, insbesondere seiner HIV- und Hepatitis-C-Erkrankung, die Eltern auch über seine homosexuellen Neigungen informieren würden (US 8) und wonach Fabian S***** und Andreas F*****, die beide keine Vorverurteilung wegen Erpressung aufweisen, in der Absicht handelten, sich durch die wiederholte Abgabe solcher Drohungen eine durch einige Monate wirkende fortlaufende Einnahmequelle in einem bei jährlicher Durchschnittsbetrachtung einen monatlichen Betrag von 400 Euro übersteigenden Ausmaß für sich zu erschließen (US 10), weder die Annahme der Voraussetzungen der Z 2 noch jener der Z 3 des § 70 Abs 1 StGB zu tragen.

Dieser Subsumtionsfehler (§ 281 Abs 1 Z 10 StPO) blieb jedoch angesichts der zutreffend erfolgten Strafrahmenbildung nach § 145 Abs 1 StGB für die Angeklagten per se ohne Nachteil im Sinn des § 290 Abs 1 StPO (Ratz, WK-StPO § 290 Rz 22 f). Daher sah sich der Oberste Gerichtshof insoweit nicht zu amtswegigem Vorgehen bestimmt. Angesichts dieser Klarstellung besteht bei der Entscheidung über die Straffrage ohnedies keine Bindung an den verfehlten Schuldspruch (vgl RIS-Justiz RS0118870, RS0129614 [T1]); ebenso wenig bei der Ausstellung der Endverfügung und der Strafkarte durch das Erstgericht (RIS-Justiz RS0129614).

Die den Strafaussprüchen anhaftende Nichtigkeit erforderte – wie auch die Generalprokuratur in ihrer Stellungnahme zutreffend darlegt – die Aufhebung wie aus dem Spruch ersichtlich.

Zur Strafneubemessung:

Gegenständlich war in Ansehung beider Angeklagter mildernd das umfassend reumütige Geständnis zu den Diebstahlsfakten (§ 34 Abs 1 Z 17 StGB) sowie der Umstand, dass es diesbezüglich beim Versuch geblieben ist (§ 34 Abs 1 Z 13 StGB). Erschwerend zu berücksichtigen waren hingegen die zahlreichen einschlägigen Vorstrafen (§ 33 Abs 1 Z 2 StGB) sowie das Zusammentreffen strafbarer Handlungen (§ 33 Abs 1 Z 1 StGB).

Ausgehend davon (§ 32 Abs 2 erster Satz StGB) erweisen sich bei einer Strafdrohung von einem bis zu zehn Jahren Freiheitsstrafe (§ 145 Abs 1 StGB) – bei Fabian S***** unter Bedachtnahme (§ 31 Abs 1 StGB) auf die dargestellte Vorverurteilung – auf der Grundlage der Schuld der Angeklagten (§ 32 Abs 1 StGB) die im Spruch genannten (Zusatz-)Freiheitsstrafen als angemessen.

Die mit Urteil des Bezirksgerichts Innere Stadt Wien vom , AZ 15 U 85/14w, gewährte bedingte Strafnachsicht war im Hinblick auf die einschlägige Vordelinquenz und die Wirkungslosigkeit der bedingten Strafnachsicht aus spezialpräventiven Erwägungen zu widerrufen (§ 53 Abs 1 StGB iVm § 494a Abs 1 Z 4 StPO).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 390a Abs 1 StPO.

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ECLI:
ECLI:AT:OGH0002:2020:0120OS00007.20A.0227.000

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