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OGH vom 15.10.2019, 10ObS96/19v

OGH vom 15.10.2019, 10ObS96/19v

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Vizepräsidenten Univ.Prof. Dr. Neumayr als Vorsitzenden, die Hofrätinnen Dr. Fichtenau und Dr. Grohmann sowie die fachkundigen Laienrichter Mag. Martin Lotz (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Mag. Werner Pletzenauer (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Mag. O*****, Rechtsanwalt, *****, gegen die beklagte Partei Oberösterreichische Gebietskrankenkasse, 4021 Linz, Gruberstraße 77, wegen Kostenerstattung, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom , GZ 11 Rs 36/19a-20, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

Text

Begründung:

1. Mit Bescheid vom lehnte die beklagte Gebietskrankenkasse einen Kostenzuschuss für den Heilkostenplan des Zahnarztes Dr. T***** über einen festsitzenden Zahnersatz (Zirkonbrücke) für die Zähne 12, 11/2 und 21 über 2.670 EUR ab.

Das Erstgericht wies die auf Kostenerstattung im gesetzlichen Ausmaß gerichtete Klage ab.

Es legte seiner Entscheidung zusammengefasst zugrunde, dass der Kläger von Juli 1994 bis Juli 1996 einen freiwilligen Dienst in Deutschland absolvierte. Bei einem Fahrradunfall am brach sein linker oberer Schneidezahn vollständig und der rechte obere Schneidezahn zum Teil ab. Im Frühjahr 1996 wurde ihm von einem in Deutschland niedergelassenen Zahnarzt ein festsitzender Zahnersatz (Brücke) eingesetzt. Die Kosten der Behandlung wurden gemäß der VO (EWG) 1408/71 von der AOK Düsseldorf erstattet und dieser von der beklagten Partei (bei der der Kläger damals über seinen Vater mitversichert war) refundiert. Im Jahr 2015 beabsichtigte der Kläger einen Austausch dieses Zahnersatzes in Österreich vornehmen zu lassen. Der vom (österreichischen) Zahnarzt Dr. T***** am erstellte Heilkostenplan sieht ein Honorar von 2.670 EUR für eine Zirkonbrücke für die Zähne 12, 11/2 und 21 vor. Beim Kläger liegt keine Indikation vor, die eine prothetische Versorgung mit abnehmbarem Zahnersatz nicht zulassen würde. Aus zahnmedizinischer Sicht ist es möglich und lege artis, eine abnehmbare Prothese in der Form herzustellen, dass die Zähne 21 und 12 als Klammerzahnkronen verwendet werden und der fehlende Zahn 11 als Prothese ersetzt wird. Der abnehmbare Zahnersatz ist (finanziell) günstiger als eine festsitzende Brücke.

Rechtlich ging das Erstgericht davon aus, § 31 der Satzung 2016 der Oö Gebietskrankenkasse unterscheide zwischen abnehmbarem und festsitzendem Zahnersatz. Festsitzender Zahnersatz (wie eine Brücke) sei nur zu erbringen, wenn ein abnehmbarer Zahnersatz aus medizinischen Gründen nicht möglich sei. Dass derartige medizinische Gründe beim Kläger vorlägen, stehe nicht fest. Bei mehreren gleichermaßen zweckmäßigen Behandlungsmethoden müsse jene Methode gewählt werden, die die geringsten Kosten verursachte. Der abnehmbare Zahnersatz wäre zweckmäßig, weil er nach dem anerkannten Stand der medizinischen Wissenschaft objektiv geeignet sei, die beeinträchtigten Funktionen (des Beißens, Kauens und Sprechens) wiederherzustellen.

Das gab der Berufung des Klägers nicht Folge und ließ die Revision nicht zu. Rechtlich führte es (soweit für das Revisionsverfahren wesentlich) aus, der Anspruch auf Kostenerstattung für festsitzenden Zahnersatz lasse sich auch nicht aus dem in § 35 Abs 3 der Satzung der Oö Gebietskrankenkasse 2016, avsv Nr 173/2016, verankerten Anspruch auf Neuherstellung eines Zahnersatzstücks (frühestens nach sechs Jahren) ableiten, weil die ursprüngliche Leistung in Deutschland von der AOK Düsseldorf nach deren Leistungsspektrum erbracht worden sei. Die damals anzuwendende Satzung der Beklagten habe– wie heute – einen festsitzenden Zahnersatz nur dann vorgesehen, wenn ein abnehmbarer Zahnersatz aus medizinischen Gründen nicht möglich gewesen sei (vgl § 32 der Satzung 1995, Amtliche Verlautbarung Nr 9/1995, Soziale Sicherheit Nr 2/1995). Soweit eine schikanöse und rechtsmissbräuchliche Ablehnung geltend gemacht werde, entferne sich die Rechtsrüge von den getroffenen Feststellungen, weil das Erstgericht – wenngleich disloziert im Rahmen der rechtlichen Beurteilung – festgestellt habe, dass der abnehmbare Zahnersatz (finanziell) günstiger sei.

Gegen diese Entscheidung richtet sich das als „I. Abänderungsantrag, II. Revision“ bezeichnete Rechtsmittel des Klägers.

Rechtliche Beurteilung

I. Der an das Berufungsgericht gerichtete Antrag des Klägers auf Abänderung des Zulässigkeitsausspruchs dahin, dass die ordentliche Revision doch für zulässig erklärt werde, ist verfehlt, weil in Streitigkeiten in Arbeits- und Sozialrechtssachen (§ 502 Abs 5 Z 4 ZPO) gemäß § 505 Abs 4 ZPO eine außerordentliche Revision erhoben werden kann, wenn das Berufungsgericht im Berufungsurteil nach § 500 Abs 2 Z 3 ZPO ausgesprochen hat, dass die (ordentliche) Revision nicht nach § 502 Abs 1 ZPO zulässig ist. Der Abänderungsantrag des Klägers samt Revision ist daher in eine außerordentliche Revision umzudeuten (RS0123405).

II. Diese ist aber mangels einer Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung nicht zulässig:

Der Revisionswerber macht im Wesentlichen geltend, es widerspreche dem Prinzip des Vertrauensschutzes, wenn eine Behandlung mit festsitzendem Zahnersatz in Deutschland begonnen wurde (bei der er sogar den Nachteil des Abschleifens eines Zahns in Kauf genommen habe), diese Behandlung aber in der Folge in Österreich nicht weitergeführt werde. Eine Unterscheidung, ob die ursprüngliche Leistungserbringung im Inland oder im EUAusland erfolge, stehe nicht im Einklang mit dem Zweck der VO (EWG) 1408/71, die Freizügigkeit, Gleichbehandlung und soziale Sicherheit von im EUAusland aufhältigen Personen zu gewährleisten.

Mit diesen Ausführungen wird keine Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung aufgezeigt:

II.1. Die Parteien gehen übereinstimmend davon aus, dass der Kläger im Jahr 1996 in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union aufhältig war und dort die Notwendigkeit einer Leistungsgewährung entstand. In diesem Fall hatte der Träger des Wohnorts nach den für diesen geltenden Rechtsvorschriften gegen Kostenerstattung durch den zuständigen Träger Sachleistungen für den Versicherten zu erbringen, als ob er bei diesem versichert wäre (Art 19 Abs 1 lit a der VO [EWG] 1408/71; Zaglmayer in Spiegel, Zwischenstaatliches Sozialversicherungsrecht, Art 19 VO 883/2004 Rz 2). Die Herstellung des festsitzenden Zahnersatzes im Jahr 1996 erfolgte demnach durch die AOK Düsseldorf als Krankenversicherungsträger am damaligen Wohnort des Klägers nach dessen Leistungsspektrum. Die beklagte Partei hatte die Kosten im Wege der Verrechnung der erbrachten Leistungen zwischen den beteiligten Krankenversicherungsträgern zu erstatten (Art 36 der VO [EWG] 1408/71).

II.2. Ein Versicherter darf durch Ausübung des Rechts auf Freizügigkeit nicht Ansprüche auf Leistungen der sozialen Sicherheit verlieren. Der Gerichtshof der Europäischen Union hat aber auch in seiner jüngeren Rechtsprechung daran festgehalten, dass Art 48 AEUV nur eine Koordinierung, nicht aber eine Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten vorsieht. Jeder Mitgliedstaat bleibt dafür zuständig, im Einklang mit dem Unionsrecht in seinen Rechtsvorschriften festzulegen, unter welchen Voraussetzungen die Leistungen eines Systems der sozialen Sicherheit gewährt werden (EuGH C611/10 und C612/10 und Hudzinski und Wawrzyniak, Rz 42 mwH; VO [EG] 883/2004 Erwägungsgrund 4). Die materiellen und formellen Unterschiede zwischen den Systemen der sozialen Sicherheit der einzelnen Mitgliedstaaten und folglich zwischen den Ansprüchen der dort Versicherten werden von der sekundärrechtlichen Sozialrechtskoordinierung nicht berührt. Ein Umzug in einen anderen Mitgliedstaat kann hinsichtlich der Auswirkungen auf Leistungen der sozialen Sicherheit für die betroffene Person daher Vor- und Nachteile haben. Einem Versicherten kann nicht garantiert werden, dass ein Umzug in einen anderen Mitgliedstaat aufgrund der Unterschiede, die in diesem Bereich zwischen den Systemen und den Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten bestehen, insbesondere in Bezug auf Leistungen bei Krankheit, neutral ist (EuGH C208/07, Chamier-Glisczinski, Rz 85; EuGH C134/18, Vester, Rz 32; Schuler in Fuchs, Europäisches Sozialrecht7 Art 5 VO [EG] 883/2004 Rz 1).

II.3.1 Die österreichische Rechtslage wurde von den Vorinstanzen bereits zutreffend dahin wiedergegeben, dass nach § 153 Abs 1 ASVG eine Zahnbehandlung nach Maßgabe der Bestimmungen der Satzung zu gewähren ist. Sowohl nach § 32 der Satzung 1995 als auch nach § 35 Abs 2 der hier anzuwendenden Satzung 2016, erbringt die Oberösterreichische Gebietskrankenkasse den unentbehrlichen Zahnersatz, der notwendig ist, um eine Gesundheitsstörung zu vermeiden oder zu beseitigen. Als unentbehrlicher Zahnersatz wird im Allgemeinen der abnehmbare Zahnersatz angesehen. Festsitzender Zahnersatz wird nur erbracht, wenn ein abnehmbarer Zahnersatz aus medizinischen Gründen nicht möglich ist. Hat die Kasse für ein Zahnersatzstück eine Leistung erbracht, wird eine Neuherstellung grundsätzlich frühestens nach sechs Jahren geleistet (§ 35 Abs 3 der Satzung 2016).

II.3.2 Ging das Berufungsgericht davon aus, aus dieser Bestimmung sei kein Anspruch auf die vom Kläger aus Gründen des Vertrauensschutzes gewünschte „Fortführung“ der in Deutschland im Jahr 1996 vom dortigen Krankenversicherungsträger erfolgten Behandlung mit festsitzendem Zahnersatz abzuleiten, weicht dies von der zitierten Rechtsprechung des EuGH nicht ab. Im Hinblick darauf, dass ein Vertrauen auf ein gleiches Niveau an sozialer Sicherheit in verschiedenen Mitgliedstaaten nicht geschützt ist, liegt in der Auslegung des § 35 Abs 3 der Satzung 2016 durch das Berufungsgericht keine vom Obersten Gerichtshof aufzugreifende Fehlbeurteilung.

II.4 Die Zuordnung einzelner Teile eines Urteils zu den Feststellungen hängt nicht vom Aufbau des Urteils ab (RS0043110). Im Rahmen dieser Rechtsprechung bewegt sich die Ansicht des Berufungsgerichts, die – wenngleich in der rechtlichen Beurteilung enthaltene, aber dem Tatsachenbereich zuzuordnende – Ausführung, der abnehmbare Zahnersatz sei (finanziell) günstiger, stelle eine dislozierte Tatsachenfeststellung dar.

II.5 Die Ansicht, der abnehmbare Zahnersatz sei im vorliegenden Fall zweckmäßig, weicht von den zu diesem Kriterium entwickelten Grundsätzen der Rechtsprechung nicht ab (RS0083804; RS0085831). Ausgehend von den getroffenen Feststellungen liegen auch keine Anhaltspunkte dafür vor, dass die Gewährung (bloß) des abnehmbaren Zahnersatzes eine Schikane oder einen Rechtsmissbrauch darstellen könnte.

Die außerordentliche Revision ist daher mangels einer Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung iSd § 502 Abs 1 ZPO als unzulässig zurückzuweisen.

Zusatzinformationen


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ECLI:
ECLI:AT:OGH0002:2019:010OBS00096.19V.1015.000

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