OGH vom 13.11.2019, 13Os82/19m
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat am durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Prof. Dr. Lässig als Vorsitzenden sowie die Hofräte und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Nordmeyer, Mag. Michel, Dr. Oberressl und Dr. Brenner in Gegenwart der Schriftführerin Richteramtsanwärterin Mag. Schrott in der Strafsache gegen Armend G***** und andere Angeklagte wegen des Verbrechens des schweren gewerbsmäßig durch Einbruch begangenen Diebstahls nach § 127, 128 Abs 1 Z 5, 129 Abs 1 Z 1 und Abs 2 Z 1, 130 Abs 2 zweiter Fall und Abs 3 (jeweils iVm Abs 1 erster Fall) und 15 StGB sowie weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten Armend G***** und die Berufung der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landesgerichts St. Pölten als Schöffengericht vom , GZ 39 Hv 30/19v-129, sowie die Beschwerde des Genannten gegen den zugleich ergangenen Beschluss auf Verlängerung einer Probezeit nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Spruch
In Stattgebung der Nichtigkeitsbeschwerde und aus deren Anlass werden das angefochtene Urteil, das im Übrigen unberührt bleibt, in den Schuldsprüchen und demzufolge auch in den Aussprüchen über die Strafe (einschließlich der Vorhaftanrechnungen), über den Verfall und über die zivilrechtlichen Ansprüche gemäß § 369 Abs 1 StPO sowie die zugleich ergangenen Beschlüsse nach § 494a StPO und nach § 265 Abs 1 StPO aufgehoben, eine neue Hauptverhandlung angeordnet und die Sache im Umfang der Aufhebung an das Landesgericht St. Pölten verwiesen.
Mit ihren Berufungen werden der Angeklagte Armend G***** und die Staatsanwaltschaft, Ersterer auch mit seiner Beschwerde, auf diese Entscheidung verwiesen.
Gründe:
Rechtliche Beurteilung
Mit dem angefochtenen Urteil, das auch unbekämpft gebliebene Freisprüche und den Ausspruch eines Verfolgungsvorbehalts (§ 263 Abs 2 StPO) enthält, wurden Armend G*****, Muhammed B***** und Besim Bi***** jeweils eines Verbrechens des schweren gewerbsmäßig durch Einbruch begangenen Diebstahls nach § 127, 128 Abs 1 Z 5, 129 Abs 1 Z 1 und Abs 2 Z 1, 130 Abs 2 zweiter Fall und Abs 3 (jeweils iVm Abs 1 erster Fall) und 15 StGB (II) sowie Ljutfulla B***** eines Verbrechens des schweren Diebstahls durch Einbruch nach § 127, 128 Abs 1 Z 5, 129 Abs 1 Z 1 und Abs 2 Z 1 StGB (III), G***** darüber hinaus mehrerer Verbrechen des Suchtgifthandels nach § 28a Abs 1 vierter und fünfter Fall SMG (I A und B) schuldig erkannt.
Gegen den ihn betreffenden Schuldspruch richtet sich die aus § 281 Abs 1 Z 3 StPO erhobene Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten G*****.
Wie sie zutreffend aufzeigt, wurde ein Nichtigkeit begründender Ausschluss der Öffentlichkeit von der Hauptverhandlung (§ 281 Abs 1 Z 3 StPO iVm § 228 Abs 1 StPO) bewirkt:
Nach dem ungerügten Protokoll über die Hauptverhandlung vom erklärte die Vorsitzende die Verhandlung kurz vor 14:55 Uhr für geschlossen, worauf sich das Schöffengericht zur Urteilsfällung in das Beratungszimmer zurückzog (§ 257 StPO; ON 128 S 97).
Laut der vom Obersten Gerichtshof eingeholten Auskunft der Vorsitzenden (§ 285f StPO) war das Gerichtsgebäude an diesem Tag bis 15:30 Uhr allgemein zugänglich. Das Erstgericht hatte jedoch keine Vorkehrungen getroffen, um potentiellen Zuhörern auch noch nach 15:30 Uhr den Zutritt zum Verhandlungssaal zu ermöglichen (vgl RIS-Justiz RS0117048 [insbesondere T 2], 13 Os 102/11s). Ab 16:35 Uhr verkündete die Vorsitzende das Urteil (ON 128 S 97 ff).
Der Oberste Gerichtshof bezieht die auf die Hauptverhandlung zielenden nichtigkeitsbewehrten Verfahrensgarantien – in verfassungskonformer (Art 6 Abs 1 MRK) Interpretation – auch auf die Urteilsverkündung. Demgemäß ist die zwingende gesetzliche Anordnung des § 229 Abs 4 StPO dahin zu verstehen, dass deren Verletzung als Verstoß gegen den Grundsatz der Öffentlichkeit der „Hauptverhandlung“ zu sehen ist und solcherart Urteilsnichtigkeit nach § 228 Abs 1 StPO zur Folge hat (RIS-Justiz RS0098132 [T4], jüngst 13 Os 20/17s; zum Ganzen Wittmann, Hauptverhandlung trotz Schließung des Gerichtsgebäudes Verstoß gegen den Grundsatz der Öffentlichkeit? ÖJZ 2019, 588).
Dieselben (vom Beschwerdeführer erfolgreich geltend gemachten) Gründe kommen auch den Mitangeklagten Muhammed B*****, Besim Bi***** und Ljutfulla B*****, welche die Nichtigkeitsbeschwerde nicht ergriffen haben, zustatten. Es war daher von Amts wegen so vorzugehen, als wäre der Nichtigkeitsgrund (auch zu ihren Gunsten) geltend gemacht worden (§ 290 Abs 1 zweiter Satz zweiter Fall StPO).
Dies führte – in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur – zur Aufhebung des Urteils wie aus dem Spruch ersichtlich bereits bei der nichtöffentlichen Beratung (§ 285e StPO, teils iVm § 290 Abs 1 zweiter Satz StPO).
Mit seiner Berufung und seiner (impliziten) Beschwerde war der Angeklagte Armend G***** ebenso hierauf zu verweisen wie die Staatsanwaltschaft mit ihrer Berufung.
Zusatzinformationen
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ECLI: | ECLI:AT:OGH0002:2019:0130OS00082.19M.1113.000 |
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