OGH vom 10.02.2004, 10ObS95/03y

OGH vom 10.02.2004, 10ObS95/03y

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Bauer als Vorsitzenden, die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Fellinger und Dr. Hoch sowie die fachkundigen Laienrichter Peter Ammer (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Gottfried Winkler (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Erich G*****, vertreten durch Dr. Ingrid Weisz, Rechtsanwältin in Wien, gegen die beklagte Partei Versicherungsanstalt der österreichischen Eisenbahnen, Linke Wienzeile 48-52, 1061 Wien, vertreten durch Dr. Vera Kremslehner ua, Rechtsanwälte in Wien, wegen Kostenerstattung, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom , GZ 10 Rs 105/02p-48, womit infolge Berufung beider Parteien das Urteil des Arbeits- und Sozialgerichtes Wien vom , GZ 27 Cgs 62/00f-38, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Der Kläger hat die Kosten seines Rechtsmittels selbst zu tragen.

Text

Entscheidungsgründe:

Mit Bescheid der beklagten Versicherungsanstalt vom wurde der Antrag des Klägers auf Übernahme der Verpflegekosten im Krankenhaus B***** betreffend seine am geborene (am verstorbene, bei der beklagten Partei sozialversicherte) Mutter, gestützt auf §§ 43, 59 und 66 B-KUVG, für die Zeit vom bis zurückgewiesen und für die Zeit ab abgelehnt.

Mit der gegen diesen Bescheid erhobenen Klage begehrte der Kläger, die beklagte Partei schuldig zu erkennen, die noch ungedeckten Kosten für die Unterbringung und Heilbehandlung der Versicherten im genannten Krankenhaus für die Zeit vom bis in der von der Behörde geforderten Höhe (S 1,897.233,20 = EUR 137.877,31) an den Magistrat der Stadt Wien zu erstatten.

Das Erstgericht verpflichtete die Beklagte, EUR 10.336,26 an den Magistrat der Stadt Wien zu erstatten und wies das Mehrbegehren ab.

Das Berufungsgericht gab der vom Kläger gegen diese Entscheidung erhobenen Berufung Folge, jener der Beklagten teilweise Folge, verpflichtete diese, die Kosten der Anstaltspflege der Versicherten für die Zeiträume bis , bis , bis , bis , bis , bis und bis zu übernehmen und wies das Mehrbegehren auf Kostenübernahme „für weitere Zeiträume vom bis " ab.

Nach Zurückstellung des Aktes zur Ergänzung des diesbezüglichen Ausspruches (mit Beschluss vom , 10 ObS 342/02w) sprach das Berufungsgericht aus, dass die Revision zulässig sei (Beschluss vom ). Die Rechtsprechung vertrete die Auffassung, dass der Versicherungsträger auch nach Eintritt des Asylierungsfalles bis zur Mitteilung, dass die weitere Tragung der Anstaltskosten abgelehnt werde, die Kosten der Anstaltsunterbringung zu übernehmen habe. Es sei jedoch - soweit überblickbar - nicht geklärt, ob eine wirksame Verständigung des Leistungsempfängers durch eine dritte Person, etwa den Träger der Krankenanstalt, möglich sei. Diese Rechtsfrage sei für eine größere Anzahl von Versicherten von Bedeutung und daher erheblich iSd § 46 Abs 1 ASGG.

Gegen den klageabweisenden Teil der Berufungsentscheidung (nicht jedoch gegen die „Abänderung des Klagebegehrens von einem Zahlungsbegehren auf einen Anspruch auf Übernahme der Kosten der Anstaltspflege [Seite 2 der Revision]) richtet sich die Revision des Klägers wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag, das angefochtene Urteil dahin abzuändern, dass dem Klagebegehren zur Gänze stattgegeben werde; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Die beklagte Partei beantragt, der Revision nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist zulässig aber nicht berechtigt.

Vorweg ist festzuhalten, dass die Änderung der Fassung des Spruches durch das Berufungsgericht (wonach die beklagte Partei ohne betragsmäßige Festsetzung zur Kostenübernahme verpflichtet wird) mangels Anfechtung nicht mehr Gegenstand der Überprüfung im Revisionsverfahren ist.

Der Anspruch auf Anstaltspflege setzt die Notwendigkeit ärztlicher Behandlung voraus; besteht diese nicht mehr („Asylierung"), so wird sie nicht gewährt (§ 66 Abs 3 B-KUVG bzw § 144 Abs 3 ASVG). Der erkennende Senat hat nicht nur in den vom Berufungsgericht zitierten (SSV-NF 5/134 = SZ 64/173 und SSV-NF 9/65), sondern auch in den weiteren, nicht in der SSV-NF veröffentlichten Entscheidungen 10 ObS 311/91 und 10 ObS 49/92 sowie zuletzt in SSV-NF 10/119 ausgesprochen, dass, sobald der Asylierungsfall eingetreten ist, der Anspruch des Versicherten auf Gewährung der Anstaltspflege durch den Versicherungsträger gemäß § 100 Abs 1 lit a ASVG iVm § 144 Abs 3 ASVG ohne weiteres Verfahren erlischt (im Bereich des B-KUVG gilt dies analog [Schrammel in Tomandl, System 7. Erg-Lfg Kapitel 2.1.6.3. Seite 182]), dem Versicherten jedoch in eindeutiger Form, wenn auch nicht durch Bescheid, bekanntgegeben werden muss, dass der Versicherungsträger die Weitergewährung der Anstaltspflege ablehnt (stRsp; RIS-Justiz RS0083982).

Auch nach Eintritt des Asylierungsfalles hat der Versicherungsträger bis zur Mitteilung, dass die weitere Tragung der Kosten für den Anstaltsaufenthalt und damit die Erbringung der Sachleistung abgelehnt wird, die Kosten der Anstaltspflege zu übernehmen (RIS-Justiz RS0083982 [T3]); ein Rückforderungsanspruch gegenüber dem Versicherten besteht dann nämlich nur unter den Voraussetzungen des § 107 ASVG, der auf den - hier vorliegenden - Fall, in dem die Pflegeaufwendungen noch nicht entrichtet wurden und dem Versicherungsträger daher Aufwendungen noch nicht entstanden sind, sinngemäß anzuwenden ist (RIS-Justiz RS0083968; SSV-NF 5/134 = SZ 64/173; SSV-NF 9/65 mwN; SSV-NF 10/119 = DRdA 1997/41 [zust M. Binder - unter Ablehnung der krit Stellungnahme R. Müllers, Richterliche Rechtsfortbildung im Leistungsrecht der Sozialversicherung, DRdA 1995, 465 {469 ff}]).

Eine entsprechende Mitteilung, dass die Voraussetzungen für die Gewährung der Anstaltspflege nicht (mehr) vorliegen, reicht auch dann, wenn dem Leistungsempfänger abweichende ärztliche Meinungen bekannt sind, oder wenn die Frage, ob der Anspruch erloschen ist, vom Gutachten eines Sachverständigen abhängt und möglicherweise auch im Rahmen der rechtlichen Beurteilung einen Grenzfall bildet (RIS-Justiz RS0083982 [T1]); unter Berücksichtigung des Zwecks der Regelung des § 107 ASVG muss es bei einer laufenden Leistung nämlich genügen, wenn der Leistungsempfänger die Möglichkeit ernstlich in Betracht ziehen musste, dass ihm die Leistung zu Unrecht gewährt wird (SSV-NF 5/134; 10 ObS 311/91 = ARD 4361/12/92 = DRdA 1992, 226 und 392 [Flemmich]; 10 ObS 49/92 = ARD 4452/12/93).

Vom Versicherten darf aber nicht erwartet werden, dass er die Diagnosen des Vertragsarztes und der Anstaltsärzte, also die Einweisung in eine Krankenanstalt (hier: aufgrund einer Spitalsparere), in Frage stellt. Er ist daher darauf angewiesen, dass ihm von kompetenter Seite mitgeteilt wird, sein Zustand erfordere ab einem bestimmten Zeitpunkt keine Anstaltspflege mehr. Diese Mitteilung hat der Versicherungsträger zu veranlassen (Schrammel aaO Seite 182/1).

Im vorliegenden Fall litt die Versicherte seit dem Jahr 1983 an schwerer Altersdemenz mit progressivem Abbau der kognitiven Leistungen, am an einer transitorischen Hirndurchblutungsstörung ohne dauernde Ausfälle; es traten mehrere Stürze mit Schädelprellungen und Rissquetschwunden auf. Ab dem konnte eine Besserung des nervenärztlichen Leidenszustandes nicht mehr erhofft werden; ab diesem Zeitpunkt bis zu ihrem Tod lag aus neuropsychiatrischer Sicht kein Behandlungsfall vor. Trotz Asylierung benötigte sie jedoch in den vom Berufungsgericht - unbekämpft (bereits rechtskräftig) - zuerkannten Zeiträumen jeweils stationäre stationäre Heilbehandlungen, um "behandlungsbedürftige Zustände" (Erkrankungen bzw Sturzverletzungen) zu bessern.

Nachdem die Versicherte am bereits zum dritten Mal aufgrund eines Spitalsparere im psychiatrischen Krankenhaus der Stadt Wien, B***** aufgenommen worden war, hatte der beklagte Sozialversicherungsträger dem genannten Krankenhaus mit Schreiben vom (eingelangt am ) mitgeteilt, dass aufgrund des § 66 Abs 3 B-KUVG die Kosten des stationären Aufenthaltes der Versicherten ab dem nicht mehr übernommen würden, und damit veranlasst, dass der Kläger, als ihr Sohn (Sachwalter und nunmehriger Alleinerbe), mit Schreiben des Krankenhauses vom (expediert am ) ua darüber informiert wurde, die Krankenkasse habe ab dem die Kostenübernahme der Pflegegebühren für den Aufenthalt der Versicherten wegen Asylierung abgelehnt (Seite 7 f des Ersturteils bzw Seite 8 f der Berufungsentscheidung).

Die Revision hält dazu auf Seite 3 selbst fest, dass (nach den dort zitierten Entscheidungen des Obersten Gerichtshofes) die Verständigung von der Asylierung „durch wen immer" sofern sie nur "eindeutig" ist, ausreichend sei, und dass sie nicht in Form eines Bescheides erfolgen müsse, vertritt jedoch weiterhin die Auffassung, ein kurzer Brief des Krankenhauses über die ausgesprochene Asylierung könne keine "Leistungsfreiheit" der beklagten Partei begründen.

Wie bereits die Revisionsbeantwortung zutreffend aufzeigt, ist der Versicherten bzw dem Kläger mit dem angesprochenen Schreiben aber ohnehin „von kompetenter Seite" mitgeteilt worden, dass die Beklagte eine weitere Übernahme der Kosten für die Anstaltspflege der Versicherten ablehne. Von der behaupteten „Rechtsunsicherheit" zur Frage, was unter einer eindeutigen Mitteilung iSd zitierten Rsp und Lehre zu verstehen sei, kann daher keine Rede sein. Damit besteht kein Anlass, von der bisherigen Judikatur, wonach diese Verständigung nicht in Form eines Bescheides erfolgen muss (so auch Schrammel aaO 182), abzugehen.

Aber auch die bekämpfte Beurteilung des Berufungsgerichtes, dass für eine derartige Mitteilung ein "kurzer Brief des Krankenhauses über die ausgesprochene Asylierung" ausreiche (Seite 3 der Revision) und "für den Rest des Lebens der Versicherten" weiterwirke (Seite 5 der Revision), ist nicht zu beanstanden.

Die Judikatur leitet die gegenständliche Mitteilungspflicht nämlich - wie bereits ausgeführt - aus § 107 ASVG ab. Ein Leistungsemfänger ist danach zum Ersatz von Aufwendungen für Anstaltspflege, die nach dem Erlöschen seines Anspruches auf diese Leistung erbracht werden, ua nur (dann) verpflichtet, wenn er die Unrechtmäßigkeit der Leistungserbringung erkennen konnte (Schrammel aaO 182; SSV-NF 5/134 = SZ 64/173 [mit ausführlicher Begründung]; SSV-NF 10/119 = DRdA 1997/41 [zust M. Binder]; RIS-Justiz RS0083982 [T1]). Davon ausgehend kann aber weder die in der Revision monierte Ungleichbehandlung gegenüber Formerfordernissen für "Mitteilungen über Leistungsfreiheit" (die von einer privaten Versicherung "mit eingeschriebenem Brief gemeinsam mit einem gesetzlich vorgeschriebenen Hinweis auf die Klagemöglichkeit zuzustellen" wären) erblickt werden; noch stellt sich infolge Wiederauflebens der Leistungspflicht (während der rechtskräftig zuerkannten Zeiträume, in denen - trotz Asylierung der Versicherten - notwendige stationäre Heilbehandlungen erfolgten) die Frage, ob der Versicherungsträger nicht jeweils "erneut Asylierung geltend machen müsste" (Seite 3 ff der Revision):

Geht es doch weder um die Voraussetzungen einer "Leistungsfreiheit", noch um die Wirksamkeit einer "Deckungsablehnung" eines privaten Versicherers, sondern darum, dass ein Sozialversicherungsträger nach der zitierten Rechtsprechung und Lehre dann weiterhin (unabhängig davon, ob der Leistungsanspruch infolge Eintritts des Asylierungsfalles schon erloschen ist, und ob die Pflegegebühren bereits bezahlt wurden oder nicht) zur Entrichtung der Pflegegebühren verpflichtet bleibt, wenn - mangels eindeutiger Verständigung von der Asylierung - die entsprechenden Voraussetzungen für die Rückforderung bereits entstandener Aufwendungen nach § 107 Abs 1 ASVG (hier: § 49 Abs 1 B-KUVG) nicht gegeben wären (10 ObS 311/91; 10 ObS 49/92 mit Hinweis auf SSV-NF 5/134 = SZ 64/173; RIS-Justiz RS0083968; aA: R. Müller aaO).

Es kommt somit lediglich darauf an, dass sich der Kläger nach der formlosen Mitteilung der Krankenanstalt (dass die Krankenkasse die Kostenübernahme der Pflegegebühren unter Hinweis auf das Vorliegen eines Asylierungsfalles abgelehnt habe) nicht mehr mit Erfolg darauf berufen kann, er hätte das Erlöschen des Anspruches auf Anstaltspflege nicht iSd § 107 Abs 1 ASVG bzw § 49 Abs 1 B-KUVG erkennen können (RIS-Justiz RS0083982 [T1]). An dieser (durch die eindeutige Verständigung erlangten) Kenntnis des Klägers von der Asylierung der Versicherten hat sich aber auch durch die bis zu ihrem Tod durchgeführten Heilbehandlungen nichts geändert, sodass die vermisste "neuerliche Deckungsablehnung" nicht erforderlich war:

Da sich das Grundleiden der Versicherten (das keine Anstaltspflege mehr erforderte) bis zu ihrem Tod nicht verändert hat, musste nämlich von vornherein klar sein, dass die Beklagte nach dem jeweiligen Abklingen der Akuterkrankungen (also nach Ende der dadurch erforderlichen stationären Behandlungen) die Anstaltspflege nach § 66 Abs 3 B-KUVG nicht mehr zu gewähren hatte. Das Begehren, den Versicherungsträger - ohne Rücksicht auf das Erlöschen des Leistungsanspruches - zur weiteren Übernahme der Kosten der Anstaltspflege zu verpflichten, wurde somit zu Recht abgewiesen.

Der Revision ist daher ein Erfolg zu versagen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 77 Abs 1 Z 2 lit b ASGG.