OGH vom 19.10.2010, 10ObS94/10m
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten Dr. Schinko als Vorsitzenden, die Hofräte Dr. Fellinger und Dr. Hoch sowie die fachkundigen Laienrichter ADir. Brigitte Augustin und Dr. Reinhard Drössler (beide aus dem Kreis der Arbeitgeber) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei W*****, vertreten durch Sauerzopf Partner Rechtsanwälte in Eisenstadt, gegen die beklagte Partei Sozialversicherungsanstalt der gewerblichen Wirtschaft, Wiedner Hauptstraße 84-86, 1051 Wien, wegen Höhe der Alterspension, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom , GZ 8 Rs 140/09f 10, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichts Eisenstadt als Arbeits- und Sozialgericht vom , GZ 17 Cgs 354/08g 6, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Spruch
Der Revision wird teilweise Folge gegeben.
Die Urteile der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, dass sie lauten wie folgt:
„Die beklagte Partei ist schuldig, dem Kläger eine Alterspension samt Zuschlag gemäß § 143a GSVG von monatlich 1.541,53 EUR brutto ab zu gewähren.
Das auf Leistung einer höheren Pension gerichtete Mehrbegehren wird abgewiesen.
Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 917,81 EUR (davon 152,97 EUR Umsatzsteuer) bestimmten Kosten des Rechtsmittelverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.“
Text
Entscheidungsgründe:
Mit Bescheid vom gewährte die beklagte Partei dem am geborenen Kläger ab (also genau zwei Jahre nach Erreichen des Regelpensionsalters von 65 Jahren gemäß § 130 Abs 1 GSVG) eine Alterspension in Höhe von 1.541,53 EUR brutto. Da er insgesamt 200 Beitragsmonate der Pflichtversicherung nach dem ASVG, 414 Beitragsmonate der Pflichtversicherung nach dem GSVG und neun Monate einer Ersatzzeit für Präsenzdienst erworben hatte, lagen (bereits) zum die Voraussetzungen für eine vorzeitige Alterspension bei langer Versicherungsdauer gemäß § 131 GSVG vor. Deshalb berechnete die beklagte Partei die Alterspension des Klägers im bekämpften Bescheid nach der für ihn günstigeren Rechtslage bis zum (§ 298 Abs 7 GSVG).
Die dagegen erhobene Klage ist auf Gewährung einer höheren Alterspension gerichtet. Die in § 139 Abs 6 GSVG (idaF) vorgesehene Begrenzung des Steigerungsbetrags mit 80 % der (unstrittigen) Bemessungsgrundlage erhöhe sich gemäß § 143a Abs 1 GSVG (idaF) für je sechs volle Monate des Pensionsantritts nach dem Regelpensionsalter um 1 % bis maximal 90 %. Zusätzlich gebühre gemäß § 143a Abs 1 GSVG für je 12 Monate der späteren Inanspruchnahme der Alterspension eine Erhöhung von 4 % der Gesamtbemessungsgrundlage, somit insgesamt von 8 %. Daraus ergebe sich eine Pensionshöhe von 1.579,97 EUR.
Die beklagte Partei beantragte Klagsabweisung. Für je 12 Monate der späteren Inanspruchnahme der Alterspension gebühre dem Kläger zum Steigerungsbetrag des § 139 Abs 1 und 2 GSVG zwar eine Erhöhung um 4 % der Gesamtbemessungsgrundlage; dies allerdings nur bis zum Erreichen von 80 % der Bemessungsgrundlage gemäß § 139 Abs 6 GSVG. Ab Erreichen von 80 % der Bemessungsgrundlage erhöhe sich dieser höchstzulässige Prozentsatz für je sechs volle Monate der späteren Inanspruchnahme der Alterspension lediglich um 1 % bis zum Höchstmaß von 90 % (143a Abs 1 letzter Satz GSVG idaF).
Das Erstgericht wies das Klagebegehren - ohne Bescheidwiederholung - ab und folgte der Argumentation der beklagten Partei, wobei es von dem (unstrittigen) Umstand ausging, dass die Rechtslage bis zum für den Kläger günstiger und daher maßgeblich sei (§ 298 Abs 7 GSVG).
Das Berufungsgericht bestätigte die Entscheidung des Erstgerichts und sprach aus, dass die ordentliche Revision zulässig sei. Es schloss sich der erstgerichtlichen Beurteilung an und gestand dem Kläger lediglich zu, dass diese Rechtslage die Möglichkeit von Versicherten mit langen Versicherungszeiten, eine höhere Pension zu erhalten, beschränke. Habe ein Versicherter bei Erreichen des Regelpensionsalters bereits 80 Steigerungspunkte erworben, könne er nur mehr zwei Steigerungspunkte pro Jahr bis maximal 90 Steigerungspunkte erwerben. Nach dem Berechnungsmodell des Klägers stünde ihm hingegen bei Pensionsantritt nach Erreichen des Regelpensionsalters eine allgemeine Steigerung (für 24 Monate) von vier Prozentpunkten sowie eine erhöhte Steigerung (für 24 Monate) von acht Prozentpunkten zu, womit er 92 % der Bemessungsgrundlage erreichen würde. Ein Hinausschieben der Pension um fünf Jahre würde somit eine Erhöhung der Bemessungsgrundlage von 80 % auf 110 % mit sich bringen (10 % infolge Erhöhung des allgemeinen Steigerungsbetrags für fünf Jahre und 20 % infolge des erhöhten Steigerungsbetrags von je 4 % pro Jahr); dadurch wäre die Pension um 10 % höher als die höchste zur Anwendung gelangende Bemessungsgrundlage. Aus diesem Grund erachte der Berufungssenat die Auslegung des Klägers für nicht zutreffend, auch wenn sich möglicherweise selbst bei dieser Auslegung versicherungsmathematisch immer noch ein Vorteil der Pensionsversicherung aus dem späteren Pensionsantritt ergeben sollte.
Die ordentliche Revision sei zulässig, weil noch keine Entscheidung des Höchstgerichts zur Auslegung des § 143a GSVG oder des vergleichbaren § 261c ASVG ergangen sei.
Gegen die Entscheidung des Berufungsgerichts richtet sich die Revision des Klägers wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag, das angefochtene Urteil im klagestattgebenden Sinn abzuändern; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.
Die beklagte Partei hat die Revision des Klägers nicht beantwortet.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist aus dem vom Berufungsgericht genannten Grund zulässig und teilweise auch berechtigt.
Die Revision hält an der bereits in der Berufung vorgetragenen Argumentation fest: Wenn § 143a GSVG (in der zum geltenden Fassung) vorsehe, dass für je zwölf Monate der späteren Inanspruchnahme der Alterspension frühestens ab dem Zeitpunkt der Erfüllung der Wartezeit „zum“ Steigerungsbetrag nach § 139 GSVG eine Erhöhung um 4 % der Gesamtbemessungsgrundlage gebühre, bedeute dies, dass jedenfalls „zusätzlich zum“ Steigerungsbetrag nach § 139 GSVG noch eine Bonifikation von 4 % vorzunehmen sei. Im Fall des Klägers, der die Pension 24 Monate später in Anspruch genommen habe, ergebe sich daher eine zusätzliche Bonifikation von 8 % der Gesamtbemessungsgrundlage. Der letzte Satz im ersten Absatz des § 143a GSVG, wonach § 139 Abs 6 GSVG so anzuwenden sei, dass sich der Prozentsatz von 80 für je sechs volle Monate der späteren Inanspruchnahme der Alterspension um 1 bis zum Höchstmaß von 90 erhöhe, beziehe sich nicht auf die erwähnten 4 % (führe also nicht zu einer Verringerung dieser 4 %) sondern „ausschließlich auf § 139 GSVG und die dort enthaltene Regelung“.
Hiezu wurde erwogen:
1. Die hier maßgebende, bis zum geltende (für den Kläger günstigere [Vergleichspension nach § 298 Abs 7 GSVG; vgl 10 ObS 29/09a]) Rechtslage des SRÄG 2000, BGBl I 2000/92, sah einen Ausbau des Bonus/Malus Systems vor. Danach gebührte Versicherten, die die Geltendmachung ihres Anspruchs auf Alterspension über das Regelpensionsalter hinausschoben, ein Zuschlag zur Pension ( Teschner/Widlar , GSVG, 75. Erg Lfg, § 143a GSVG Anm 1.4; Rudda/Ficzko , Praxiskommentar zum GSVG 1. Lfg § 143a S 2). Wie bereits das Berufungsgericht festhält, ist eine ausdrückliche Antwort auf die hier zu lösende Rechtsfrage weder der Regierungsvorlage (181 BlgNR 21. GP 32 f) noch dem Bericht des Ausschusses für Arbeit und Soziales (254 BlgNR 21. GP 33) zum SRÄG 2000 zu entnehmen.
2. Nach dem ersten Absatz des § 143a GSVG idaF bestand der Bonusanspruch der Versicherten für den späteren Pensionsantritt nach Erreichen des Regelpensionsalters (sofern die Wartezeit erfüllt war) darin, dass ab
- für je 12 Monate der späteren Inanspruchnahme der Alterspension „ zum Steigerungsbetrag nach § 139 GSVG eine Erhöhung von 4 % der Gesamtbemessungsgrundlage “ gebührte (zweiter Satz) und
- § 139 Abs 6 GSVG „ so anzuwenden “ war, dass sich „ der Prozentsatz von 80 für je sechs Monate der späteren Inanspruchnahme der Alterspension um 1 bis zum Höchstmaß von 90 erhöht “ (letzter Satz).
3. Hatte ein Versicherter bei Erreichen des Regelpensionsalters von 65 Jahren gerade die Wartezeit von 180 Versicherungsmonaten (§ 120 Abs 3 Z 2 GSVG) erfüllt, erwarb er dadurch gemäß § 139 Abs 2 GSVG idaF pro 12 Monate zwei Prozent (der Gesamtbemessungsgrundlage) als Steigerungsbetrag, also insgesamt 30 %. Die Pension hatte daher eine Höhe von 30 % der Gesamtbemessungsgrundlage. Arbeitete er bis zur Vollendung des 66. Lebensjahrs weiter, so verfügte er über 192 Versicherungsmonate. Der allgemeine Steigerungsbetrag machte gemäß § 139 Abs 2 GSVG idaF 32 % aus. Zusätzlich gebührte ihm gemäß § 143a GSVG idaF ein Bonus von 4 %, weil er die Alterspension erst ein Jahr später in Anspruch nahm. Insgesamt erhielt er daher 36 % der Gesamtbemessungsgrundlage, somit für ein zusätzliches Jahr um 6 % mehr ( Gründler , Die Pension 4 [2003] 185 ff, Beispiel 92).
4. Gemäß § 139 Abs 6 GSVG idaF durfte der Steigerungsbetrag 80 % der höchsten zur Anwendung kommenden Bemessungsgrundlage „ nicht übersteigen “. Ein Versicherter, der nach 480 Versicherungsmonaten bereits 80 % Steigerungspunkte erworben, das Regelpensionsalter aber noch nicht erreicht hatte, konnte demnach keine weitere Steigerung erwerben. Sein Pensionsanspruch blieb also prozentuell unverändert, lediglich die Bemessungsgrundlage konnte sich noch erhöhen.
5. Um Langzeitversicherten einen Anreiz zu bieten, länger zu arbeiten, wurde - wie bereits dargelegt - in § 143a Abs 1 letzter Satz GSVG idaF normiert, dass § 139 Abs 6 GSVG „ so anzuwenden “ sei, dass sich „ der Prozentsatz von 80 für je sechs Monate der späteren Inanspruchnahme der Alterspension um 1 bis zum Höchstmaß von 90 erhöht “ (so bereits 10 ObS 29/09a zum Zweck der Bonifikation nach dem gleichlautenden § 261c ASVG). Der Steigerungsbetrag war somit in diesen Schritten bis auf maximal 90 % zu erhöhen. Ein Versicherter, der im Zeitpunkt der Erreichung des Regelpensionsalters bereits 480 Versicherungsmonate (= 80 Steigerungspunkte) erworben hatte, konnte durch ein Hinausschieben der Alterspension um genau fünf Jahre seine Pension somit auf höchstens 90 % anheben.
5.1. Eine weitere Erhöhung, wie vom Kläger angestrebt, war hingegen aufgrund der (weiter bestehenden) Grenzen gemäß § 143a Abs 1 letzter Satz iVm § 139 Abs 6 GSVG idaF nicht zulässig; legte letztere Bestimmung doch eindeutig fest, dass der Steigerungsbetrag die normierten Prozentsätze „ nicht übersteigen darf “.
6. Diese Begrenzung führte zu einer Verminderung des Bonus von 4 % jährlich für diejenigen Versicherten, die - wie der Kläger - bereits einen Steigerungsbetrag von 80 % erreicht hatten; sie erhielten nämlich bis zu einem Höchststeigerungsbetrag von 90 % für (je) sechs zusätzliche Monate nur noch 1 % mehr. Demgemäß erschien es schon nach der Einführung dieser Regelung fraglich, ob dadurch genügend Anreize für die Weiterarbeit geschaffen wurden ( Teschner/Widlar , GSVG, 75. Erg Lfg, § 143a GSVG Anm 1.4; vgl auch Gründler , Die Pension 4 [2003] 185 f, Beispiel 91).
7. In der Folge wurden im BBG 2003 die Zu- und Abschläge mit Wirkung ab neu geregelt. Danach gebührt für 12 Monate der späteren Inanspruchnahme nunmehr eine Erhöhung um 4,2 % der nach § 139 GSVG errechneten Leistung, wobei als Höchstgrenze 91,76 % der Bemessungsgrundlage festgesetzt wurden (§ 143a Abs 1 ASVG idgF). Die für den vorliegenden Fall maßgebende Verminderung des Bonus auf 1 % sowie die Bezugnahme auf § 139 Abs 6 GSVG (in der aufgehobenen alten Fassung) sind in dieser Neuregelung der Zu- und Abschläge mit Wirkung ab nicht mehr enthalten. Auch die neue - hier nicht anzuwendende - Bestimmung des § 143a Abs 1 letzter Satz ASVG igF lässt aber keinen Zweifel daran, dass die so erhöhte Leistung „höchstens“ 91,76 % der höchsten zur Anwendung kommenden Bemessungsgrundlage betragen darf.
8. Nach der dargelegten Entstehungsgeschichte und dem Inhalt der zitierten Bestimmungen kann der vom Kläger vertretenen Auslegung des § 143a Abs 1 letzter Satz iVm § 139 Abs 6 GSVG idaF somit nicht gefolgt werden. Es ist vielmehr davon auszugehen, dass die in § 143a Abs 1 letzter Satz GSVG idF SRÄG 2000 normierte Bonifikation eine abschließende Regelung der nur in den dort angeführten Prozentschritten (1 % für jeweils sechs volle Monate der späteren Inanspruchnahme der Alterspension) zulässigen Überschreitung des - vom Versicherten bereits erworbenen - höchsten Prozentsatzes von 80 (iSd § 139 Abs 6 GSVG idaF) bis zum Höchstmaß von 90 darstellte; weshalb die begehrte zusätzliche Erhöhung um jeweils 4 % für je 12 Monate der späteren Inanspruchnahme der Alterspension (nach § 143a Abs 1 Satz 2 GSVG idaF) - schon mangels Anwendbarkeit der zuletzt zitierten Bestimmung auf den vorliegenden Fall - nicht in Betracht kam.
9. Das auf die Zuerkennung einer höheren Alterspension gerichtete Begehren des Klägers erweist sich damit als nicht berechtigt. Da der Bescheid vom durch die Klageerhebung aber zur Gänze außer Kraft getreten ist, wäre die von der beklagten Partei gewährte Leistung in den Urteilsspruch aufzunehmen gewesen (10 ObS 288/01b). Die Berufung und die Revision sind im Ergebnis daher insoweit berechtigt, als die Vorinstanzen die im bekämpften Bescheid auch der Höhe nach zutreffend zuerkannte Leistung nicht neuerlich zugesprochen haben (10 ObS 19/03x mwN; Kuderna , ASGG² Anm 4 zu § 71; Neumayr in ZellKomm § 71 ASGG Rz 2 jeweils mwN).
10. Die Entscheidung über die Kosten des Verfahrens gründet sich auf § 77 Abs 1 Z 2 lit a ASGG. Obzwar der Kläger mit seiner Klage nicht mehr erreichte als die beklagte Partei in ihrem Bescheid festsetzte, war die Einbringung der Berufung und der Revision im Ergebnis notwendig, weil aufgrund dieser Rechtsmittel der urteilsmäßige Zuspruch der im (außer Kraft getretenen) Bescheid der beklagten Partei zuerkannten Pensionsleistungen erfolgte (10 ObS 288/01b; 10 ObS 19/03x; 10 ObS 149/03i uva).