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OGH vom 09.07.2007, 13Os79/07b

OGH vom 09.07.2007, 13Os79/07b

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am durch den Hofrat des Obersten Gerichtshofes Dr. Lässig als Vorsitzenden sowie durch den Hofrat des Obersten Gerichtshofes Hon. Prof. Dr. Kirchbacher und die Hofrätin des Obersten Gerichtshofes Mag. Hetlinger in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Egger als Schriftführerin in dem beim Landesgericht Klagenfurt zu AZ 12 Hv 97/07i anhängigen Verfahren zur Unterbringung der Dr. Ingrid L***** in einer Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher nach § 21 Abs 1 StGB über die Grundrechtsbeschwerde der Betroffenen gegen den Beschluss des Oberlandesgerichtes Graz vom , AZ 10 Bs 176/07v (= ON 235 der Akten), nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Dr. Ingrid L***** wurde im Grundrecht auf persönliche Freiheit nicht verletzt.

Die Beschwerde wird abgewiesen.

Text

Gründe:

Dr. Ingrid L***** wird im Verfahren zu ihrer Unterbringung nach § 21 Abs 1 StGB, AZ 12 Hv 97/07i des Landesgerichtes Klagenfurt, seit gemäß § 429 Abs 4 StPO vorläufig angehalten. Mit dem angefochtenen Beschluss ordnete das Oberlandesgericht Graz anlässlich der Entscheidung über den Einspruch der Betroffenen gegen den Unterbringungsantrag der Staatsanwaltschaft (§§ 214 Abs 2 zweiter Satz iVm § 429 Abs 1 StPO) die Fortsetzung der Anhaltung aus dem Haftgrund der Tatbegehungsgefahr nach § 180 Abs 2 Z 3 lit a und b StPO an.

Das Oberlandesgericht nahm ein rechtlich als Quälen oder Vernachlässigen unmündiger, jüngerer oder wehrloser Personen nach § 92 Abs 2 und Abs 3 erster Fall StGB (I.1.) und § 92 Abs 2 StGB (I.2. und 3., II.) beurteiltes Fehlverhalten der Betroffenen gegenüber ihren drei Töchtern an: Es ging, was die Sachverhaltsannahmen zum dringenden Tatverdacht betrifft, mit höhergradiger Wahrscheinlichkeit davon aus (S 8 iVm S 2 ff der angefochtenen Entscheidung), dass Dr. Ingrid L***** in Gramastetten (Bezirk Linz-Land) unter dem Einfluss eines die Zurechnungsfähigkeit ausschließenden Zustandes (§ 11 StGB), der auf einer geistig-seelischen Abartigkeit höheren Grades, nämlich einer chronischen paranoiden Schizophrenie, beruhe,

„I. ihre Verpflichtung zur Fürsorge gegenüber ihren nachgenannten Töchtern, die das 18. Lebensjahr noch nicht vollendet hatten, gröblich vernachlässigt und dadurch, wenn auch nur fahrlässig, deren Gesundheit beträchtlich geschädigt habe, indem sie

1. in der Zeit von spätestens Anfang 2000 bis der am geborenen Elisabeth M***** jeglichen altersadäquaten und entwicklungsfördernden Sozialkontakt einschließlich Kontakte zum Kindesvater systematisch unterband, den Schulbesuch und damit den Anspruch auf Bildung und Ausbildung verweigerte sowie trotz wiederholter Aufklärung über die Gefährdung der Genannten und die Notwendigkeit, der Gefahrensituation wirksam zu begegnen, alle behördlich angebotenen und angeordneten medizinischen und therapeutischen Maßnahmen ablehnte oder nur scheinhalber annahm, wodurch neben Sprach- und Sprechauffälligkeiten überdauernde Störungen in Form einer kombinierten Persönlichkeitsstörung mit ängstlich-vermeidenden passiv-aggressiven Anteilen, einer chronisch-depressiven Verstimmung (Dysthymie) und einer induzierten wahnhaften Störung eintraten und die Tat somit eine Körperverletzung mit schweren Dauerfolgen (§ 85) zur Folge hatte;

2. in der Zeit von spätestens Anfang 2001 bis der am geborenen Katharina M***** durch die unter 1. angeführten Tathandlungen und die Verweigerung einer ärztlicherseits nahegelegten Heilgymnastik, wodurch neben Sprach- und Sprechauffälligkeiten eine nachhaltige kombinierte Persönlichkeitsentwicklungsstörung mit schizoider ängstlich-vermeidender und paranoider Symptomatik eintrat sowie die Ausbildung einer schweren, mit Buckelbildung verbundenen Skoliose beschleunigt wurde;

3. in der Zeit von spätestens Herbst 2001 bis der am geborenen V***** M***** durch die unter 1. angeführten Tathandlungen, wodurch neben Sprach- und Sprechauffälligkeiten eine Anpassungsstörung mit kurzer depressiver Reaktion (Somatisierungstendenzen) eintraten;

II. in der Zeit vom bis ihre Verpflichtung zur Fürsorge gegenüber ihrer wegen Krankheit wehrlosen Tochter Elisabeth M***** durch die Fortsetzung der unter I.l. angeführten Tathandlungen gröblich vernachlässigt und dadurch, wenn auch nur fahrlässig, deren Gesundheit beträchtlich geschädigt habe, wodurch die unter I.l. bezeichneten Auswirkungen weiter verstärkt wurden."

In der Grundrechtsbeschwerde bringt Dr. Ingrid L***** vor, dass die „Schädigungen der Kinder" nicht auf sie zurückzuführen und nicht von ihr zu verantworten seien, weil die Taten „weder vorsätzlich noch fahrlässig begangen worden" seien; die zuständigen Behörden und seit zumindest 2001 auch das Pflegschaftsgericht informiert gewesen seien; das Gericht die „Willenskomponente überhaupt nicht ermittelt" habe, die der Vorsatz nach dem Gesetz neben der Wissenskomponente erfordere, und entsprechende Vernehmungen fehlen würden; „weit und breit keine Abartigkeit ersichtlich" sei und sie nie auf „Unzurechnungsfähigkeit plädiert" habe.

Rechtliche Beurteilung

Die Beschwerde macht mit diesem Vorbringen nichts geltend, was die vom Oberlandesgericht angenommene Sachverhaltsgrundlage des dringenden Tatverdachtes als mangelhaft dargestellt oder als mangelhaft begründet erscheinen ließe: Mängel der Darstellung der (als höhergradig wahrscheinlich) angenommenen Tatsachen im Haftfortsetzungsbeschluss wären Undeutlichkeit oder innerer Widerspruch der Sachverhaltsannahmen, Mängel der Begründung wären Undeutlichkeit, Unvollständigkeit, innerer Widerspruch, Verstöße gegen die Gesetze folgerichtigen Denkens oder gegen grundlegende Erfahrungssätze und Aktenwidrigkeit. Nichts davon wird von der Beschwerde angesprochen, auch nicht die sprachlich unvollständigen, aber dennoch hinreichend deutlichen Formulierungen des Oberlandesgerichtes zu I.2. und 3.

Ebenso wenig ist dem Oberlandesgericht eine rechtliche Fehlbeurteilung des in Rede stehenden Verhaltens unterlaufen, das nach Ansicht der Betroffenen „weder vorsätzlich noch fahrlässig begangen worden" sei. Bei den genannten Sachverhaltsannahmen ist rechtlich von einem vorsätzlichen Verhalten (§ 5 StGB) auszugehen und ein Anhaltspunkt für einen Straflosigkeitsgrund aus der behaupteten Information nicht näher genannter Behörden und des Pflegschaftsgerichtes nicht erkennbar. Entgegen der Beschwerdeansicht ist dem Gesetz auch keineswegs zu entnehmen, dass nach § 92 Abs 2 StGB tatbestandsmäßiges Verhalten davon abhängig sei, dass der Täter „andere Dinge" präferiere.

Unzutreffend ist der Einwand der Betroffenen, dass sie bisher nicht angehört worden sei; siehe dazu das Protokoll über ihre Vernehmung ON

11.

Die in der Grundrechtsbeschwerde begehrten Beweisaufnahmen haben unberücksichtigt zu bleiben, weil sich die Entscheidung über die Beschwerde auf den Zeitpunkt der angefochtenen Entscheidung zu beziehen hat (vgl § 1 Abs 1 GRBG; 13 Os 49/07s ua). Mit dem Vorbringen, Zeugenaussagen seien ihr nicht vorgehalten worden, geht die Betroffene daran vorbei, dass ihr und der Verteidigerin die Akteneinsicht offenstand.

Entgegen der Beschwerde ergab mit Blick auf die gravierenden Tatvorwürfe der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz des § 180 Abs 1 zweiter Satz StPO kein Hindernis für die weitere Anhaltung; die Verhältnismäßigkeitsprüfung hatte sich im Hinblick auf die fehlende zeitliche Beschränkung einer Maßnahme nach § 21 Abs 1 StGB nur an der Bedeutung der Sache zu orientieren.

Die rechtliche Annahme einer der von § 180 Abs 2 StPO genannten Gefahren wird vom Obersten Gerichtshof im Rahmen des Grundrechtsbeschwerdeverfahrens dahin überprüft, ob sie aus den in der angefochtenen Entscheidung angeführten bestimmten Tatsachen abgeleitet werden durfte, ohne dass die darin liegende Ermessensentscheidung als unvertretbar angesehen werden müsste (RIS-Justiz RS0117806).

Die Beschwerdeführerin zeigt jedoch keinerlei Willkür bei der Annahme der Tatbegehungsgefahr auf. Das Oberlandesgericht leitete den genannten Haftgrund mängelfrei aus dem Gutachten des psychiatrischen Sachverständigen Univ.-Prof. Dr. H***** ab (ON 155). Dieser kam im Rahmen seiner Expertise zum Ergebnis, es müsse konkret befürchtet werden, dass die Betroffene unter dem Einfluss ihrer psychischen Erkrankung auch in Hinkunft gegen Leib und Leben gerichtete Taten mit schweren Folgen begehen werde (S 207/IV). Auf dieser Basis wurde die Annahme von Tatbegehungsgefahr gesetzmäßig begründet, aber auch die aus Sicht des § 21 Abs 1 StGB erforderliche Prognose (vgl § 429 Abs 1 StPO) fundiert zum Ausdruck gebracht.

Dr. Ingrid L***** wurde daher durch den angefochtenen Beschluss in ihrem Grundrecht auf persönliche Freiheit nicht verletzt.