OGH vom 30.01.2014, 13Os78/13i
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat am durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Kirchbacher als Vorsitzenden, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Lässig, die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Mag. Marek sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Nordmeyer und Dr. Oshidari in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Nagl als Schriftführerin in der Finanzstrafsache gegen Mag. Erich S***** wegen Finanzvergehen der Abgabenhinterziehung nach §§ 33 Abs 1 und 13 FinStrG über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien als Schöffengericht vom , GZ 122 Hv 118/06a-333, die Beschwerde des Angeklagten gegen den Beschluss dieses Gerichts vom , GZ 122 Hv 118/06a-346, sowie den Antrag des Angeklagten auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Spruch
Aus Anlass der Nichtigkeitsbeschwerde wird das angefochtene Urteil aufgehoben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Landesgericht für Strafsachen Wien verwiesen.
Der Angeklagte wird mit seiner Nichtigkeitsbeschwerde und seiner Berufung auf diese Entscheidung verwiesen.
Text
Gründe:
Mit dem angefochtenen Urteil wurde Mag. Erich S***** mehrerer Finanzvergehen der Abgabenhinterziehung nach §§ 33 Abs 1 und 13 FinStrG schuldig erkannt.
Danach hat er als Geschäftsführer der Dr. F***** GmbH vorsätzlich unter Verletzung abgabenrechtlicher Anzeige-, Offenlegungs- oder Wahrheitspflichten Abgabenverkürzungen bewirkt, nämlich
(A) dadurch, dass „infolge Abgabe von unrichtigen Steuererklärungen samt zugehörigen Bilanzen Abgaben, die bescheidmäßig festzusetzen sind, zu niedrig festgesetzt wurden“, und zwar für das Jahr 1991 um 15.203,16 Euro an Umsatzsteuer, 16.482,20 Euro an Körperschaftsteuer und 7.418,08 Euro an Gewerbesteuer, für das Jahr 1992 um 17.610,46 Euro an Umsatzsteuer, 34.555,93 Euro an Körperschaftsteuer und 15.550,17 Euro an Gewerbesteuer sowie für das Jahr 1993 um 27.264,42 Euro an Umsatzsteuer, 27.217,25 Euro an Körperschaftsteuer und 12.242,97 Euro an Gewerbesteuer, weiters
(B) dadurch, dass „er die Einbehaltung, Anmeldung und Abfuhr unterließ, eine Verkürzung der selbst zu berechnenden Kapitalertragsteuer für verdeckte Gewinnausschüttungen bewirkt“, und zwar an Kapitalertragsteuer für die Jahre 1991 um 43.934,36 Euro, 1992 um 41.834,83 Euro und 1993 um 23.891,19 Euro,
wobei es „1993 jeweils beim Versuch geblieben ist“.
Rechtliche Beurteilung
Aus Anlass der dagegen aus Z 2, 3, 4, 5, 8, 9 lit a, 9 lit b, 9 lit c, 10 und 11 des § 281 Abs 1 StPO erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten überzeugte sich der Oberste Gerichtshof, dass - wie die Generalprokuratur zutreffend aufzeigt - zu dessen Nachteil das Strafgesetz unrichtig angewendet worden ist (§ 290 Abs 1 zweiter Satz erster Fall StPO):
Hinsichtlich zu veranlagender Abgaben (A) wird nach ständiger Rechtsprechung (RIS-Justiz RS0086590 und RS0124712) - bezogen auf ein Steuersubjekt - mit Abgabe einer unrichtigen Jahressteuererklärung je Steuerart (unabhängig von der Höhe des Hinterziehungsbetrags) ein Finanzvergehen der Abgabenhinterziehung nach § 33 Abs 1 FinStrG begründet. Solcherart bildet insoweit die Jahressteuererklärung - allenfalls als Bündel mehrerer steuerlich trennbarer Einzelaspekte - das kleinste (nicht mehr teilbare) Element des Sachverhalts, also eine selbständige Tat im materiellen Sinn (13 Os 142/08v, JBl 2010, 318; 13 Os 105/08b, SSt 2009/18). Entsprechendes gilt für das Unterlassen der Abgabe einer Jahressteuererklärung: Selbständige Tat ist mit Blick auf § 33 Abs 3 lit a zweiter Fall FinStrG die Nichtabgabe bis zum gesetzlich vorgesehenen Endzeitpunkt (Lässig in WK² FinStrG Vorbem Rz 9).
Im Bereich der Kapitalertragsteuer (B) ist selbständige Tat das Unterlassen der auf einen bestimmten Ertragszufluss bezogenen Kapitalertragsteuer-Abfuhr (§ 96 Abs 1 EStG) unter Verletzung der korrespondierenden (§ 96 Abs 3 EStG) Anmeldungspflicht (13 Os 104/10h, AnwBl 2011, 448).
Da das Erstgericht hiezu keine Konstatierungen trifft, also nicht feststellt, ob der Angeklagte für die Dr. F***** GmbH Jahressteuererklärungen abgegeben hat, gegebenenfalls welche Unrichtigkeiten diese aufwiesen (A), und für welche Ertragszuflüsse er gegen die Bestimmungen des § 96 EStG verstoßen hat (B), schafft es keine hinreichende Basis für die vorgenommene Subsumtion.
Der einzige Ansatz diesbezüglicher Feststellungen findet sich in folgender Urteilspassage:
„Hinsichtlich des Jahres 1993 unterließ der Angeklagte bewusst und gewollt die rechtzeitige Einreichung einer inhaltlich zutreffenden Steuererklärung. Er wollte dadurch Abgaben verkürzen, wobei er die Höhe der Verkürzung wie festgestellt billigend in Kauf nahm“ (US 6).
Auch hieraus wird aber nicht einmal klar, ob das Erstgericht insoweit vom gänzlichen Unterlassen der Abgabe einer Jahressteuererklärung oder vom Unterlassen der Abgabe einer inhaltlich richtigen Erklärung, also von der Erstattung einer unrichtigen, ausging. Hinzu kommt, dass auch diesbezüglich Konstatierungen zu konkreten Unrichtigkeiten fehlen und solcherart der unter dem Aspekt rechtsrichtiger Subsumtion erforderliche (RIS-Justiz RS0119090) Sachverhaltsbezug nicht hergestellt wird.
Die Urteilsannahmen zu verschiedenen „Sachverhaltskomplexen“ - mit denen sich das Erstgericht im Übrigen großteils darauf beschränkt, Teile des Gutachtens des Sachverständigen Prof. Dr. K***** wiederzugeben (US 7 bis 14) - vermögen konkrete Feststellungen zu den dargelegten, für die korrekte Subsumtion nötigen Tatsachengrundlagen nicht zu ersetzen.
In diesem Zusammenhang sei ergänzt, dass es wohl zulässig ist, Konstatierungen mittels Verweises auf bestimmte Aktenteile zu treffen. Auch diesfalls muss aber der Wille der Tatrichter, konkrete (entscheidende) Tatsachen festzustellen (RIS-Justiz RS0117228), klar erkennbar sein. Diesem Erfordernis werden der hier vorgenommene pauschale Verweis auf drei schriftliche Sachverständigengutachten und deren Erörterung im Rahmen der Hauptverhandlung (US 5) sowie die Erklärung, sich „die Ausführungen des Sachverständigen zu eigen“ zu machen (US 6), in keiner Weise gerecht.
Aufgrund der aufgezeigten Rechtsfehler (Z 9 lit a) war - in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur - der Schuldspruch und demzufolge auch der Strafausspruch schon bei der nichtöffentlichen Beratung von Amts wegen sofort aufzuheben (§ 290 Abs 1 zweiter Satz StPO iVm § 285e StPO).
Der Angeklagte war mit seiner Nichtigkeitsbeschwerde und seiner Berufung auf diese Entscheidung zu verweisen.
Da somit auf die vom Angeklagten geltend gemachten Urteilsanfechtungsgründe nicht einzugehen war, ist seine Beschwerde (ON 349) gegen den Beschluss des Landesgerichts für Strafsachen Wien, mit dem über Anträge auf Berichtigung des Protokolls über die Hauptverhandlung entschieden wurde (ON 346), durch die amtswegige Maßnahme miterledigt (vgl 14 Os 10/10t, EvBl 2010/99, 675 sowie RIS-Justiz RS0126057).
Zumal schon die Stellungnahme der Generalprokuratur Anlass gab, die dargelegten Urteilsfehler von Amts wegen aufzugreifen, hatte der Oberste Gerichtshof die Rechtzeitigkeit der Nichtigkeitsbeschwerde nicht zu prüfen (vgl 12 Os 208/71, SSt 42/53 sowie RIS-Justiz RS0100087). Auch der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Ausführung der Nichtigkeitsbeschwerde ist demnach mit Blick auf das Vorgehen im Sinn des § 290 Abs 1 zweiter Satz StPO gegenstandslos.
Im zweiten Rechtsgang werden folgende Fragen durch entsprechende Sachverhaltsfeststellungen zu klären sein:
(I) Zum Vorwurf der Verkürzung zu veranlagender Abgaben:
1) Hat der Angeklagte als Geschäftsführer der Dr. F***** GmbH Jahressteuererklärungen abgegeben?
2) Bejahendenfalls, durch welche Unrichtigkeiten in den Jahreserklärungen wurden Abgabenverkürzungen in welcher Höhe bewirkt? Dabei sind allfällige Verkürzungen getrennt nach Veranlagungsjahren und Steuerart darzustellen.
3) Zur Abgrenzung von Versuch (§ 13 FinStrG) und Vollendung: Sind in Bezug auf die in Rede stehenden Veranlagungsjahre Abgabenbescheide ergangen? Gegebenenfalls wird mit Blick auf die insoweit gemäß § 4 Abs 2 FinStrG maßgebliche Rechtslage im Tatzeitraum (vgl demgegenüber § 33 Abs 3 lit a erster Fall FinStrG idF BGBl I 2013/14) festzustellen sein, ob, wenn ja, wann diese Bescheide in Rechtskraft erwachsen sind (RIS-Justiz RS0086391, RS0086429, RS0086436, RS0086462; Lässig in WK² FinStrG § 33 Rz 34).
(II) Zum Vorwurf der Verkürzung von Kapitalertragsteuer im Zusammenhang mit verdeckten Gewinnausschüttungen (hiezu eingehend Lässig in WK² FinStrG § 33 Rz 32):
1) Hat die Dr. F***** GmbH Gewinne verdeckt an Gesellschafter ausgeschüttet?
2) Bejahendenfalls, zu welchem Zeitpunkt sind diese Gewinne in welcher Höhe zugeflossen?
3) Hat der Angeklagte diesbezüglich die in § 96 Abs 1 und 3 EStG normierten Abfuhr- und Anmeldungspflichten verletzt?
(III) Werden solcherart vom Angeklagten vorsätzlich bewirkte Abgabenverkürzungen bejaht, wird weiters festzustellen sein:
1) Zwecks Klärung der gerichtlichen Zuständigkeit: Fielen die allenfalls zusammentreffenden Finanzvergehen in die örtliche und sachliche Zuständigkeit derselben Finanzstrafbehörde (§ 53 Abs 1 erster Satz FinStrG)?
2) Mit Blick auf die durch die FinStrG-Novelle 2010 BGBl I 2010/104 vorgenommene Änderung des § 33 Abs 5 FinStrG und den diesbezüglichen Günstigkeitsvergleich (§ 4 Abs 2 FinStrG): Waren alle allenfalls festgestellten steuerlichen Unrichtigkeiten vom Vorsatz umfasst (siehe § 33 Abs 5 zweiter Satz FinStrG idF BGBl I 2010/104)?
Da dem Angeklagten nur jene Verfahrenskosten zur Last fallen, die in Erledigung seiner Rechtsmittel aufgelaufen sind, nicht aber die Kosten einer amtswegigen Maßnahme (RIS-Justiz RS0101558), trifft ihn auch im (hier vorliegenden) Fall, dass seine Nichtigkeitsbeschwerde aufgrund einer solchen Maßnahme gegenstandslos wird, keine Kostenersatzpflicht (13 Os 29/06y; Lendl, WK-StPO § 390a Rz 12).