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OGH vom 24.01.2017, 14Os98/16t

OGH vom 24.01.2017, 14Os98/16t

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Philipp als Vorsitzenden, die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Mag. Hetlinger, die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Nordmeyer und Dr. Oshidari sowie die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Dr. Mann in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Oeljeschläger als Schriftführerin in der Strafsache gegen Daniel R***** wegen des Verbrechens der Vergewaltigung nach § 201 Abs 1 StGB und einer weiteren strafbaren Handlung über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten sowie die Berufung der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Graz als Schöffengericht vom , GZ 16 Hv 150/15d-43, und weiters über die Beschwerden des Angeklagten und der Staatsanwaltschaft gegen den unter einem gefassten Beschluss auf Widerruf einer bedingten Entlassung sowie auf Absehen vom Widerruf bedingter Strafnachsichten nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

In teilweiser Stattgebung der Nichtigkeitsbeschwerde werden das angefochtene Urteil, das im Übrigen unberührt bleibt, im Schuldspruch II, demzufolge auch im Strafausspruch (einschließlich der Vorhaftanrechnung) sowie der Beschluss auf Widerruf einer bedingten Entlassung und auf Absehen vom Widerruf bedingter Strafnachsichten aufgehoben, in diesem Umfang eine neue Hauptverhandlung angeordnet und die Sache an das Landesgericht für Strafsachen Graz

verwiesen.

Im Übrigen wird die Nichtigkeitsbeschwerde zurückgewiesen.

Mit ihren Berufungen und Beschwerden werden der Angeklagte und die Staatsanwaltschaft auf diese Entscheidung verwiesen.

Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde Daniel R***** des Verbrechens der Vergewaltigung nach § 201 Abs 1 StGB (I) und des Vergehens der gefährlichen Drohung nach § 107 Abs 1 StGB (II) schuldig erkannt.

Danach hat er am in V*****

(I) Beate K***** „nach vorheriger Einschüchterung“ mit Gewalt zur Duldung des Beischlafs und einer diesem gleichzusetzenden geschlechtlichen Handlung genötigt, indem er sie am Verlassen der Kirchenbank hinderte, an ihrem Rock zerrte, sie unter den Achseln erfasste, in den Vorraum der Sakristei zerrte, zu Boden drückte, ihr am Rücken liegend ihren Rock sowie die Unterhose auszog, sie mit den Fingern vaginal penetrierte, sich auf sie legte und anschließend unter Ausnützung seiner körperlichen Überlegenheit gegen ihren Willen und trotz ihrer Aufforderungen aufzuhören den vaginalen Geschlechtsverkehr vollzog;

(II) Engelbert A***** gefährlich mit zumindest einer Verletzung am Körper bedroht, indem er mit geballter Faust zu ihm sagte: „Ich leg dir eine auf!“.

Rechtliche Beurteilung

Dagegen richtet sich die auf § 281 Abs 1 Z 3 und 5 StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten, der zum Schuldspruch II Berechtigung zukommt.

Die Mängelrüge (Z 5 zweiter Fall) zeigt insoweit zutreffend auf, dass die Tatrichter die Feststellungen zu einer (auch) verbalen Drohung mit einer Verletzung am Körper ausschließlich auf das „Geständnis“ des Angeklagten stützten (der im Übrigen – nach anfänglich gänzlich leugnender Verantwortung – lediglich die Möglichkeit einer entsprechenden Äußerung eingeräumt hatte; ON 35 S 3, 6), dabei aber die – in der gemäß § 276a StPO wiederholten Hauptverhandlung einverständlich verlesene (ON 42 S 2) – Aussage des Tatopfers Engelbert A***** unberücksichtigt ließen, wonach er nicht sagen könne, dass der Beschwerdeführer ihn mit den Worten „Ich leg dir eine auf!“ bedroht habe, ein „solcher Wortlaut“ nach seiner Erinnerung vielmehr „nicht gefallen“ sei (ON 35 S 9 f).

Diese Angaben des einzigen Belastungszeugen stellen ein mit Blick auf den Bedeutungsinhalt der (ansonsten nur durch Gesten geäußerten) Drohung wesentliches Verfahrensergebnis dar, welches das Erstgericht unter dem Aspekt der Urteilsvollständigkeit hätte erörtern müssen (RIS-Justiz RS0098646).

Der Begründungsmangel erfordert die Aufhebung des Urteils im aus dem im Spruch ersichtlichen Umfang sowie demzufolge auch des nach § 494a StPO gefassten Beschlusses bereits bei der nichtöffentlichen Beratung (§ 285e StPO) samt Anordnung einer neuen Hauptverhandlung

und Verweisung der Sache an das Erstgericht.

Im Übrigen verfehlt die Beschwerde ihr Ziel.

Entgegen dem Einwand der Verfahrensrüge (Z 3) wurde durch die kurzfristige Verlegung der Hauptverhandlung in einen anderen Verhandlungssaal der Grundsatz der Öffentlichkeit (§ 228 Abs 1 StPO) schon deshalb nicht verletzt, weil der Saalwechsel – insoweit von der Beschwerde nicht bestritten – kurz vor Beginn der Verhandlung am der Ausschreibung entsprechenden Ort mündlich bekannt gegeben wurde.

Abgesehen davon, dass nach der vom Obersten Gerichtshof eingeholten Stellungnahme des Vorsitzenden des Schöffengerichts ohnehin die Anbringung eines Zettels mit der entsprechenden Information am ursprünglich vorgesehenen Saal veranlasst wurde (ON 57), lässt sich weder aus der von der Beschwerde zitierten Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs noch aus jener des EGMR ableiten, dass zur Sicherstellung der Öffentlichkeit ein schriftlicher Hinweis auf den Ort einer Verhandlung erforderlich wäre, sofern diese – wie hier – in einem Verhandlungssaal des Gerichts zur Zeit der Öffnung des Gerichtsgebäudes stattfindet (vgl zum Ganzen Danek/Mann, WKStPO § 228 Rz 10 ff; Ratz, WKStPO § 281 Rz 252).

Ein (temporärer) Ausschluss der Öffentlichkeit nach § 229 Abs 1 StPO erfolgte vorliegend nicht, womit es unter dem Aspekt des in Anspruch genommenen Nichtigkeitsgrundes auch deren

Wiederherstellung anlässlich der Verkündung des Urteils (durch – im Übrigen nach der bereits angesprochenen Stellungnahme des Vorsitzenden gar wohl erfolgten – neuerlichen Aufruf der Sache) nicht bedurfte (Danek/Mann, WKStPO § 239 Rz 8/1).

Dass die im Zuschauerraum befindliche Großmutter des Angeklagten in den ersten zehn Minuten der Abspielung des Videos über die kontradiktorische Vernehmung des Tatopfers „die Einvernahme der Zeugin visuell und akustisch (nicht) verfolgen konnte“, bewirkt schon mit Blick auf die wörtliche Verlesung des darüber aufgenommenen Protokolls (ON 42 S 6 f) gleichfalls keinen nichtigkeitsbegründenden Verstoß gegen § 228 Abs 1 StPO. Dass das Publikum die Aussagen von (hier) Zeugen akustisch einwandfrei wahrnehmen oder deren Mienenspiel beobachten kann, ist für die Wahrung der Volksöffentlichkeit nicht erforderlich (vgl dazu RISJustiz RS0121979; Danek/Mann, WKStPO § 228 Rz 6).

Der zum Schuldspruch I erhobene Einwand von Unvollständigkeit (Z 5 zweiter Fall) trifft nicht zu:

Die Tatrichter gingen davon aus, dass der Beschwerdeführer nur zu Beginn des sexuellen Übergriffs Gewalt gegen das Opfer einsetzte, Beate K***** den vaginalen Geschlechtsverkehr aber aufgrund vorangegangener „Einschüchterung“ und ihrer körperlichen Unterlegenheit zuletzt („irgendwann ab einem Zeitpunkt, ab dem sie erkannt hatte, dass ihre Gegenwehr und Beteuerungen sinnlos seien“)„über sich ergehen ließ“ (US 4). Diesen Konstatierungen entsprechende Angaben der Genannten bedurften daher unter dem Aspekt des geltend gemachten Nichtigkeitsgrundes keiner gesonderten Auseinandersetzung im Urteil.

Dies trifft noch mehr auf Passagen aus der Aussage des Engelbert A***** zu fehlenden Wahrnehmungen von Gewaltanwendung und zur Position des Opfers bei seinem Eintreffen zu, weil der Zeuge die Sakristei – seinen Bekundungen zufolge – erst nach Beendigung des Geschlechtsverkehrs betrat (ON 35 S 9).

Inwiefern eine Berücksichtigung des „Zeit-Weg-Diagramms“, aus dem sich ergeben soll, dass Beate K***** und der Angeklagte etwa eine halbe Stunde vor dem Vorfall „zeitgleich … vor dem Europlay waren“, zu einer für ihren Prozessstandpunkt günstigeren Feststellung führen sollte, ist nicht erkennbar und wird auch von der Rüge, die sich insoweit in bloßen Spekulationen ergeht, nicht erklärt.

Gleiches gilt auch für die Kritik an unterbliebener Erörterung von Depositionen der Zeugin K*****, nach denen „ihre Mama“ nichts von dem Vorfall wisse und auch nichts erfahren möge, sie dem Angeklagten immer wieder gesagt habe, dass sie „das nicht will“ und er sie in Ruhe lassen solle, sowie dass weitere Kirchenbesucher den Vorfall gesehen haben müssten.

Das Ergebnis der molekularbiologischen Untersuchung, wonach der in der Kirche sichergestellte Kot dem Angeklagten zugeordnet werden konnte (ON 10 S 7, ON 11 S 11), wurde von den Tatrichtern berücksichtigt (US 5). Dass die weitere spurenkundliche Untersuchung der Genitalabstriche des Opfers keinen Nachweis einer DNA des Beschwerdeführers und nur einen sehr schwachen Nachweis männlicher Genitalflüssigkeit im äußeren Genitalbereich erbrachte (ON 10 S 7, ON 11 S 11), steht – auch mit Blick auf die zu einem (wenn auch freiwilligen) Geschlechtsverkehr geständige Verantwortung des Angeklagten – einem § 201 Abs 1 StGB subsumierbaren Geschehen nicht entgegen.

Vollzug von Analverkehr wurde ihm nicht angelastet.

Bisherige sexuelle Kontakte oder Erfahrungen des Opfers sind für die Lösung der Schuld- und der Subsumtionsfrage gleichfalls ohne Relevanz.

Mit dem Einwand unterlassener Erörterung auf die vorstehend angeführten Umstände bezogener Verfahrensergebnisse und Divergenzen innerhalb der Aussagen der Beate K***** mangelt es der Rüge demnach an der erforderlichen Beschwer (Ratz, WKStPO § 281 Rz 424).

Unter dem Aspekt solcherart unternommener Infragestellung der – unter Berücksichtigung ihrer geistigen Beeinträchtigung auf Basis des Gutachtens des Sachverständigen Dr. B***** und ihres persönlichen Eindrucks anlässlich der kontradiktorischen Vernehmung bejahten (US 3, 6) – Glaubwürdigkeit der Genannten wird keine entscheidende Tatsache angesprochen. Ausschließlich eine solche wäre aber tauglicher Bezugspunkt des Einwands der Unvollständigkeit bei der Beurteilung der Überzeugungskraft dieser Aussage (RISJustiz RS0119422 [T4]).

Dass der Angeklagte alkoholisiert, aber nicht voll berauscht, sondern zeitlich und örtlich „voll orientiert“ war, hat das Erstgericht – seiner Verantwortung entsprechend (ON 35 S 3) – festgestellt (US 3) und musste sich daher nicht gesondert mit seinen Angaben zu den konkret konsumierten Alkoholmengen auseinandersetzen. Indem die Beschwerde daraus eigene Schlüsse zur subjektiven Tatseite zieht, bekämpft sie bloß unzulässig die Beweiswürdigung nach Art einer im kollegialgerichtlichen Verfahren nicht vorgesehenen Schuldberufung.

Dass Daniel R***** die geistige Behinderung der Beate K***** nach Ansicht der Tatrichter erkannte, ist unter Berücksichtigung deren konstatierter ausdrücklicher Willenserklärung, keinen Geschlechtsverkehr zu wollen (US 4), dem Beschwerdestandpunkt zuwider keineswegs „bezüglich der subjektiven Tatseite schuldrelevant“. Im Übrigen steht die in diesem Zusammenhang als unberücksichtigt geblieben monierte Aussage des Zeugen Erwin Re*****, wonach er nicht wisse, „ob man das bemerken muss, wenn man sie das erste Mal sieht“, der entsprechenden Feststellung nicht erörterungsbedürftig entgegen.

Die Gläubigkeit des Tatopfers bildet erkennbar keine notwendige Bedingung für die Verneinung einvernehmlichen Geschlechtsverkehrs durch das erkennende Gericht (US 5 f) und ist daher nicht Gegenstand der Mängelrüge (vgl Ratz, WK-StPO § 281 Rz 410).

In diesem Umfang war die Nichtigkeitsbeschwerde daher schon bei der nichtöffentlichen Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d StPO).

Mit ihren Berufungen und Beschwerden (in Bezug auf den Angeklagten nach § 498 Abs 3 dritter Satz StPO impliziert) waren der Angeklagte und die Staatsanwaltschaft auf die Kassation des Strafausspruchs und der bekämpften Beschlüsse zu verweisen.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 390a Abs 1 StPO.

Zusatzinformationen


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ECLI:
ECLI:AT:OGH0002:2017:0140OS00098.16T.0124.000
Schlagworte:
Strafrecht

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