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OGH vom 08.11.2011, 10ObS90/11z

OGH vom 08.11.2011, 10ObS90/11z

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten Dr. Hradil als Vorsitzenden, die Hofräte Dr. Fellinger und Dr. Hoch sowie die fachkundigen Laienrichter KR Mag. Paul Kunsky (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Dr. Andrea Eisler (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Rosa A*****, vertreten durch Mag. Sonja Fragner, Rechtsanwältin in Krems an der Donau, gegen die beklagte Partei Niederösterreichische Gebietskrankenkasse, 3100 St. Pölten, Kremser Landstraße 3, vertreten durch Urbanek Lind Schmied Reisch Rechtsanwälte OG in St. Pölten, wegen Rückforderung von Krankengeld (Streitwert 8.139,04 EUR), infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom , GZ 10 Rs 56/11w 32, womit infolge Berufung beider Parteien das Urteil des Landesgerichts Krems an der Donau als Arbeits und Sozialgericht vom , GZ 7 Cgs 123/09k 26, teilweise bestätigt und teilweise abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die Klägerin hat die Kosten ihrer Revisionsbeantwortung selbst zu tragen.

Text

Begründung:

Die Klägerin hat von der beklagten Partei für den Zeitraum vom bis zum Krankengeld in Höhe von insgesamt 8.139,04 EUR erhalten. Strittig ist, ob es sich dabei um eine zu Unrecht erbrachte Versicherungsleistung handelt und ob die beklagte Partei berechtigt ist, diese Geldleistung von der Klägerin zurückzufordern.

Die beklagte Partei sprach mit Bescheid vom aus, dass die Klägerin verpflichtet sei, ihr diesen Betrag binnen vier Wochen nach Zustellung des Bescheids rückzuerstatten.

Das Erstgericht gab dem von der Klägerin dagegen erhobenen Klagebegehren insoweit statt, als es die beklagte Partei schuldig erkannte, der Klägerin für die Zeit vom bis ein Krankengeld von 4.874,48 EUR zu bezahlen und auf die Rückforderung dieses Krankengeldes zu verzichten. Das Mehrbegehren, die beklagte Partei sei schuldig, der Klägerin auch für die Zeit vom bis ein Krankengeld von 3.264,56 EUR zu zahlen und auf die Rückforderung dieses Krankengeldes zu verzichten, wies es ab. Das Erstgericht erkannte die Klägerin daher schuldig, der beklagten Partei dieses für die Zeit vom bis bezogene Krankengeld von 3.264,56 EUR in monatlichen Raten zurückzuzahlen.

Es stellte im Wesentlichen fest, dass die Klägerin, die keinen Beruf erlernt hat, von 1984 bis Februar 2006 im Fliesenhandel, im Büro und im Lager tätig war. Ab März 2006 war sie arbeitslos und bezog Arbeitslosengeld. Daneben war sie ab in Heimarbeit durchschnittlich 30 Stunden monatlich für einen Fliesenleger und Hafnermeister tätig, wofür sie ein monatliches Entgelt von 341 EUR erhielt.

Die Klägerin war vom bis wegen Krankheit arbeitsunfähig. Ab Mai 2007 hätte sie aufgrund ihres näher festgestellten medizinischen Leistungskalküls unter anderem als CAD Zeichnerin, Bürohilfskraft und Informationsangestellte tätig sein können. Sie bezog für die Zeit vom bis Krankengeld in Höhe von insgesamt 8.139,04 EUR.

In rechtlicher Hinsicht verwies das Erstgericht auf die ständige Rechtsprechung, wonach während der Dauer des Arbeitslosengeldbezugs der Eintritt der Arbeitsunfähigkeit nach den Verweisungsbestimmungen des pensionsrechtlichen Invaliditäts bzw Berufsunfähigkeitsbegriffs zu bestimmen sei. Es vertrat weiters die Ansicht, die geringfügige Beschäftigung der Klägerin während ihres Krankenstands sei für den Bezug des Krankengeldes nicht schädlich. Da die Klägerin bis zum erwerbsunfähig im pensionsrechtlichen Sinn gewesen sei, habe sie das Krankengeld in dieser Zeit zu Recht bezogen. In der Zeit vom bis sei die Klägerin pensionsrechtlich verweisbar gewesen, weshalb sie in diesem Zeitraum zu Unrecht Krankengeld bezogen habe. Sie sei daher zur Rückzahlung des für diesen Zeitraum bezogenen Krankengeldes verpflichtet.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der beklagten Partei keine Folge und änderte über Berufung der Klägerin das Ersturteil dahin ab, dass es feststellte, dass die Klägerin nicht zum Rückersatz des im Zeitraum vom bis bezogenen Krankengeldes in Höhe von 8.139,04 EUR verpflichtet sei. Es vertrat in rechtlicher Hinsicht zusammengefasst die Ansicht, dass die Klägerin deshalb nicht zur Rückzahlung des von ihr bezogenen Krankengeldes verpflichtet sei, weil sie vom bis infolge Krankheit arbeitsunfähig gewesen sei, die Voraussetzungen für den Eintritt der Arbeitsunfähigkeit nach den Verweisungsbestimmungen des pensionsrechtlichen Invaliditäts bzw Berufsunfähigkeitsbegriffs gegeben gewesen seien und die während des gesamten Bezugszeitraums des Kankengeldes vorliegende geringfügige Beschäftigung der Klägerin daran nichts ändere. Ab dem sei die Klägerin zwar nicht mehr erwerbsunfähig im pensionsrechtlichen Sinn gewesen und habe Krankengeld zu Unrecht bezogen, die Rückforderbarkeit des Krankengeldes gemäß § 107 Abs 1 ASVG sei aber deshalb zu verneinen, weil die Klägerin diesbezüglich maßgebende Tatsachen nicht bewusst verschwiegen habe und sie darüber hinaus auch nicht erkennen habe müssen, dass ihr ab das Krankengeld nicht mehr gebühre, weil ihre geringfügige Beschäftigung nicht gegen eine Arbeitsunfähigkeit im pensionsrechtlichen Sinn spreche. Eine Invalidität bzw Berufsunfähigkeit sei nämlich nur dann zu bejahen, wenn der Versicherte nur mehr in der Lage sei, einer Tätigkeit nachzugehen, mit der er unter der Lohnhälfte liege. Aufgrund der geringfügigen Tätigkeit der Klägerin mit 30 Stunden im Monat sei sie daher wesentlich geringer als 20 Stunden in der Woche beschäftigt gewesen, sodass diese Tätigkeit eine Arbeitsunfähigkeit nach den Verweisungsbestimmungen des pensionsrechtlichen Invaliditäts bzw Berufsunfähigkeitsbegriffs nicht ausschließe.

Das Berufungsgericht sprach aus, dass die ordentliche Revision zulässig sei, weil soweit überblickbar eine Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zur Frage, ob bzw inwieweit eine geringfügige Beschäftigung gemäß § 5 Abs 2 ASVG den Bezug von Krankengeld ausschließe, nicht vorliege. Sollte der Oberste Gerichtshof die Ansicht vertreten, dass dadurch der Bezug des Krankengeldes zu Unrecht erfolgt sei, käme allenfalls eine Rückzahlungsverpflichtung der Klägerin iSd § 107 Abs 1 ASVG in Betracht.

Gegen diese Entscheidung richtet sich die Revision der beklagten Partei wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag, das angefochtene Urteil dahin abzuändern, dass das Klagebegehren vollinhaltlich abgewiesen und festgestellt werde, dass die Klägerin zum Rückersatz des gesamten von ihr für die Zeit vom bis bezogenen Krankengeldes in Höhe von 8.139,04 EUR verpflichtet sei. Hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Die Klägerin beantragt in ihrer Revisionsbeantwortung, der Revision keine Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist entgegen dem das Revisionsgericht nicht bindenden (§ 508a ZPO) Zulässigkeitausspruch des Berufungsgerichts nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung der vom Berufungsgericht in der Begründung seines Zulässigkeitsausspruchs und von der beklagten Partei in ihrer Revision als erheblich bezeichneten Rechtsfrage, inwieweit eine geringfügige Beschäftigung gemäß § 5 Abs 2 ASVG den Bezug von Krankengeld ausschließe, abhängt.

Die beklagte Partei macht in ihrem Rechtsmittel geltend, es sei zwar richtig, dass der Eintritt der Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit während der Dauer des Arbeitslosengeldbezugs nach den Verweisungsbestimmungen des pensionsrechtlichen Invaliditäts bzw Berufsunfähigkeitsbegriffs zu bestimmen sei. Es sei dabei aber auch die Regelung über den Anfall der Leistung nach § 86 Abs 3 Z 2 dritter Satz ASVG zu berücksichtigen, wonach für den Anfall einer Pension aus den Versicherungsfällen der geminderten Arbeitsfähigkeit zusätzlich die Aufgabe der Tätigkeit, aufgrund welcher der Versicherte als invalid bzw berufsunfähig gilt, erforderlich sei. Mit dieser Bestimmung sollten Versicherte vom Leistungsbezug ausgeschlossen werden, die zwar objektiv nicht mehr in der Lage seien, ihrer versicherten Tätigkeit nachzugehen, aber auf Kosten ihrer Gesundheit oder aus Entgegenkommen ihres Dienstgebers ihre bisherige Berufstätigkeit fortsetzten. Da die Klägerin während des gesamten Krankengeldbezugszeitraums einer geringfügigen Beschäftigung als Planzeichnerin in Heimarbeit nachgegangen sei, könne nicht gleichzeitig Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit vorgelegen sein. Ein Versicherter, der Krankengeld begehre, könne somit solange nicht als arbeitsunfähig infolge Krankheit angesehen werden, als er, wenn wie im vorliegenden Fall kein Berufsschutz gegeben sei, noch irgendeine auf dem Arbeitsmarkt verwertbare Tätigkeit tatsächlich ausübe. Der Umstand, dass § 138 Abs 2 ASVG sowie die §§ 142, 143 ASVG keinen Ausschluss oder Ruhenstatbestand bei gleichzeitiger geringfügiger Beschäftigung vorsehen, schade nicht. Die Klägerin sei daher während des gesamten Zeitraums vom bis nicht arbeitsunfähig infolge Krankheit gewesen und habe daher das Krankengeld für diesen Zeitraum zu Unrecht bezogen.

Es seien auch die Voraussetzungen für eine Rückforderung dieser zu Unrecht erbrachten Leistung iSd § 107 Abs 1 ASVG erfüllt, weil die Klägerin mit der Nichtmeldung der geringfügigen Beschäftigung bei Beantragung des Krankengeldes gemäß § 107 Abs 1 zweiter Fall ASVG eine für den Bezug des Krankengeldes maßgebliche Tatsache verschwiegen habe, da sich nach Ansicht der beklagten Partei der Krankengeldbezug und die geringfügige Beschäftigung für jedermann erkennbar ausschließen. Aus diesem Grund hätte die Klägerin bereits bei Beginn des Krankengeldbezugs auch erkennen müssen, dass ihr diese Leistung nicht zustehen könne. Es müsse jedem Versicherten mit gewöhnlichen geistigen Fähigkeiten, der eine geringfügige Beschäftigung ausübe, klar sein, dass ein gleichzeitiger Bezug von Krankengeld nicht gebühren könne.

Diesen Ausführungen ist Folgendes entgegenzuhalten:

1. Nach § 107 Abs 1 erster Satz ASVG hat der Versicherungsträger zu Unrecht erbrachte Geldleistungen zurückzufordern, wenn der Zahlungsempfänger bzw der Leistungsempfänger den Bezug durch bewusst unwahre Angaben, bewusste Verschweigung maßgebender Tatsachen oder Verletzung der Meldevorschriften herbeigeführt hat oder wenn der Zahlungsempfänger bzw der Leistungsempfänger erkennen musste, dass die Leistung nicht oder nicht in dieser Höhe gebührte.

1.1 Die ersten beiden in § 107 Abs 1 erster Satz ASVG genannten Tatbestände der bewusst unwahren Angaben (erster Fall) und des bewussten Verschweigens maßgebender Tatsachen (zweiter Fall) setzen nach ständiger Rechtsprechung zumindest bedingten Vorsatz (dolus eventualis) voraus (10 ObS 149/09y, SSV NF 24/33 mwN). Das bewusste Verschweigen für Grund oder Höhe der Leistung maßgebender Tatsachen setzt also die Kenntnis eines rechtlich maßgeblichen Sachverhalts voraus. Insbesondere ist dieser Tatbestand dann erfüllt, wenn der Versicherungsträger durch die unwahren Angaben oder durch die Verschweigung maßgebender Tatsachen mit dem Ziel irregeführt wurde, die unrichtigen Angaben zur Grundlage seiner Entscheidung zu machen (vgl Schrammel , Rückforderung und Entziehung von zu Unrecht erbrachten Sozialversicherungsleistungen, ZAS 1990, 73 ff [75]). Das bewusste Verschweigen maßgebender Tatsachen enthält auch eine subjektive Komponente. Dieser Rückforderungstatbestand könnte daher nur dann erfüllt sein, wenn sich die Klägerin überhaupt bewusst gewesen wäre, dass ihrer geringfügigen Beschäftigung eine für ihren Anspruch auf Krankengeld maßgebende Bedeutung zukommt. Für eine solche Annahme ergibt sich jedoch weder aus dem Prozessvorbringen der beklagten Partei noch aus den Beweisergebnissen ein Hinweis.

1.2 Der von der beklagten Partei weiters geltend gemachte Rückforderungstatbestand des § 107 Abs 1 vierter Fall ASVG (Erkennenmüssen eines unberechtigten Bezugs) ist nach ständiger Rechtsprechung dann erfüllt, wenn dem Leistungsempfänger bei einer ihm nach den Umständen des Einzelfalls zumutbaren Aufmerksamkeit auffallen musste, dass die Leistung nicht oder nicht in dieser Höhe gebührte (RIS Justiz RS0084334), wobei weder der Grad der pflichtgemäßen Aufmerksamkeit überspannt (arg „erkennen musste“) noch ganz allgemein überdurchschnittliche geistige Fähigkeiten (arg „er erkennen musste“) verlangt werden dürfen (10 ObS 333/90, SSV NF 4/141 mwN; RIS Justiz RS0050739). Bei Gewährung einer laufenden Leistung wird es in der Regel genügen, wenn der Empfänger ernstlich die Möglichkeit in Betracht ziehen hätte müssen, dass ihm die Leistung zu Unrecht gewährt wird (10 ObS 149/09y, SSV NF 24/33 mwN).

Der Oberste Gerichtshof hat bereits mehrfach ausgesprochen, dass die Frage, ob der Versicherte den Bezug einer Leistung durch bewusst unwahre Angaben, bewusste Verschweigung maßgebender Tatsachen oder Verletzung der Meldevorschriften herbeigeführt hat oder er jedenfalls erkennen musste, dass die Leistung nicht oder nicht in dieser Höhe gebührte, nur nach den besonderen Umständen des Einzelfalls beantwortet werden kann (vgl RIS Justiz RS0109340).

Ohne besondere Belehrung kann von einem juristischen Laien nicht erwartet werden, dass er die nach Rechtsansicht der beklagten Partei bestehende Ungebührlichkeit eines Krankengeldbezugs bei gleichzeitiger Ausübung einer geringfügigen Beschäftigung erkennt, zumal auch die entsprechenden Bestimmungen des ASVG (§§ 138, 142 f ASVG) keinen diesbezüglichen Ausschluss oder Ruhenstatbestand vorsehen und die von der beklagten Partei vertretene Rechtsansicht auch von den Vorinstanzen nicht geteilt wurde.

2. Die Beurteilung des Berufungsgerichts, im vorliegenden Fall seien (auch) die Voraussetzungen für eine Rückforderung des von der Klägerin bezogenen Krankengeldes nach § 107 Abs 1 ASVG nicht erfüllt, ist daher nicht zu beanstanden. Damit erübrigt sich aber ein Eingehen auf die vom Berufungsgericht als erheblich angesehene Rechtsfrage, ob das Krankengeld von der Klägerin im Hinblick auf ihre gleichzeitig ausgeübte geringfügige Beschäftigung (§ 5 Abs 2 ASVG) überhaupt zu Unrecht bezogen wurde. Selbst wenn man in dieser Frage der Rechtsansicht der beklagten Partei folgt, kommt eine Rückforderung des an die Klägerin bereits ausbezahlten Krankengeldes mangels Vorliegens eines Rückforderungstatbestands nach § 107 Abs 1 ASVG nicht in Betracht.

Die Revision war daher mangels erheblicher für die Entscheidung des Verfahrens relevanter Rechtsfragen iSd § 502 Abs 1 ZPO zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 77 Abs 1 ASGG iVm §§ 50, 40 ZPO. Die Klägerin, die auf die Unzulässigkeit der Revision nicht hingewiesen hat, hat die Kosten ihrer Revisionsbeantwortung selbst zu tragen (vgl 8 ObS 25/07w ua).