OGH vom 04.10.2011, 14Os97/11p

OGH vom 04.10.2011, 14Os97/11p

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Philipp als Vorsitzenden, die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Mag. Hetlinger und Mag. Marek sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Nordmeyer und Dr. Oshidari in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Kopinits als Schriftführer in der Strafsache gegen Rudolf Z***** und andere Angeklagte wegen des Verbrechens des schweren sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 206 Abs 1 StGB und weiterer strafbarer Handlungen über die von der Generalprokuratur gegen den Beschluss des Landesgerichts Innsbruck als Senat von drei Richtern vom , AZ 21 Bl 240/10t (ON 38 des Ermittlungsakts AZ 18 St 118/09f der Staatsanwaltschaft Innsbruck), erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters der Generalprokuratur, Generalanwalt Mag. Bauer, sowie des Vertreters des Marcel M*****, Mag. Galla zu Recht erkannt:

Spruch

Im Ermittlungsverfahren AZ 18 St 118/09f der Staatsanwaltschaft Innsbruck verletzt der Beschluss des Landesgerichts Innsbruck als Senat von drei Richtern vom , AZ 21 Bl 240/10t (ON 38), § 66 Abs 1 Z 8 und Abs 2 StPO iVm § 196 Abs 2 StPO idF BGBl I 2009/52.

Text

Gründe:

Das bei der Staatsanwaltschaft Innsbruck zu AZ 18 St 118/09f geführte Ermittlungsverfahren gegen Rudolf Z*****, Wilfried B*****, Elmar O*****, Gerhard M***** und Daniela M***** jeweils wegen des Verdachts des schweren sexuellen Missbrauchs von Unmündigen und des sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach den §§ 206 (Abs 1), 207 (Abs 1) StGB, hinsichtlich Gerhard M***** und Daniela M***** (auch) als Beitragstäter nach § 12 dritter Fall StGB, gegen Rudolf Z***** und Wilfried B***** überdies wegen des Verdachts der pornographischen Darstellung Minderjähriger nach § 207a (Abs 1 Z 1 und Abs 3) StGB, jeweils zum Nachteil des am geborenen Marcel M***** und allfälliger weiterer minderjähriger Personen, wurde von der Staatsanwaltschaft Innsbruck am gemäß § 190 Z 2 StPO eingestellt (Anordnungs- und Bewilligungsbogen ON 1 S 23 f).

Den vom Unmündigen Marcel M***** - vertreten durch Rechtsanwalt Dr. L***** im Rahmen der dem Opfer von der Einrichtung Weißer Ring gemäß § 66 Abs 2 StPO gewährten juristischen Prozessbegleitung (ON 13) - am rechtzeitig eingebrachten Antrag auf Fortführung (ON 33) wies das Landesgericht Innsbruck als Senat von drei Richtern (§ 31 Abs 5 Z 3 StPO idF BGBl I 2009/52, nun Abs 6 Z 3) mit Beschluss vom , AZ 21 Bl 240/10t, gemäß § 196 Abs 2 StPO (idF BGBl I 2009/52) als unzulässig zurück (ON 38). Dies wurde (unter Berufung auf eine Kommentarstelle) im Wesentlichen damit begründet, dass juristische Prozessbegleitung für Opfer („im Sinn des § 65 Z 1 lit a und b [§ 66 Abs 2] StPO“) nicht die Einbringung eines Fortführungsantrags umfasse, weil sie „definitionsgemäß der Betreuung des Opfers während des Verfahrens“ diene, um „diesem die dadurch entstehenden (persönlichen) Belastungen erträglich zu machen“; einen „von einer nicht berechtigten Person“ eingebrachten Fortführungsantrag - dem im Anlassfall darüber hinaus (wie ausführlich dargelegt wurde) auch inhaltlich keine Berechtigung zukomme - habe das Gericht nach § 196 Abs 2 StPO als unzulässig zurückzuweisen (ON 38 S 6 f).

Rechtliche Beurteilung

Dieser Beschluss des Landesgerichts Innsbruck als Senat von drei Richtern steht wie die Generalprokuratur in ihrer Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes ausführt mit dem Gesetz nicht im Einklang.

Gegenständlich wurde die Fortführung (ON 33) des Verfahrens im Namen des Unmündigen Marcel M***** als Opfer im Sinn des § 65 Z 1 lit a StPO in Ausübung des ihm gemäß § 66 Abs 1 Z 8 StPO zustehenden Rechts (vgl auch § 195 Abs 1 StPO) und demnach nicht „von einer nicht berechtigten Person“ verlangt.

Ebenso wenig ist im Einschreiten des Rechtsanwalts im Rahmen der juristischen Prozessbegleitung (siehe ON 33 S 2 erster Absatz) ein Vertretungsmangel zu erblicken:

Juristische Prozessbegleitung ist Opfern im Sinn des § 65 Z 1 lit a oder b StPO auf ihr Verlangen insoweit zu gewähren, als dies zur Wahrung ihrer prozessualen Rechte unter größtmöglicher Bedachtnahme auf ihre persönliche Betroffenheit erforderlich ist und umfasst die - gesetzlich nicht beschränkte - rechtliche Beratung und Vertretung durch einen Rechtsanwalt (§ 66 Abs 2 StPO). Dessen Vertretungsmacht erstreckt sich demnach auf sämtliche Prozesshandlungen, zu deren Wahrnehmung Opfer im Sinn des § 65 Abs 1 lit a und b StPO berechtigt und die zur Wahrung ihres Beteiligungsinteresses (§ 10 Abs 1 StPO) erforderlich sind, und damit auch auf das Recht, mittels begründeten Antrags (§ 195 Abs 2 StPO) die Fortführung des Verfahrens zu verlangen (vgl Kier , WK-StPO § 66 Rz 11; Pilnacek/Pleischl , Vorverfahren Rz 272 letzter Satz), wogegen auch nicht der in den Gesetzesmaterialien enthaltene Hinweis auf juristische Prozessbegleitung „während des Verfahrens“ spricht (nach dem AB 406 BlgNR 22. GP 10 soll nämlich dem Opfer - mit Blick auf die mit einem solchen Verfahren „verbundenen Belastungen“ „die Wahrnehmung seiner prozessualen Rechte“ also [vor allem - aber nicht nur; Kier , WK-StPO § 66 Rz 3 f] jener nach § 66 Abs 1 StPO ermöglicht werden).

Das Landesgericht Innsbruck als Senat von drei Richtern wäre daher gemäß § 196 Abs 2 StPO idF BGBl I 2009/52 (nun Abs 2 erster Satz) zu einer meritorischen Erledigung des Antrags auf Fortführung verhalten gewesen.

Da sich die aufgezeigte Gesetzesverletzung nicht zum Nachteil der ehemals Beschuldigten auswirkt, hat es mit ihrer Feststellung sein Bewenden (§ 292 fünfter Satz StPO).