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OGH vom 27.03.2003, 12Os18/03

OGH vom 27.03.2003, 12Os18/03

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Schindler als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Habl, Dr. Philipp, Dr. Schroll und Dr. Schwab als weitere Richter, in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Trauner als Schriftführer, in der Strafsache gegen Dr. Günther F***** wegen des Vergehens der versuchten Nötigung nach §§ 15, 105 Abs 1 StGB, über die vom Generalprokurator zur Wahrung des Gesetzes gegen den Beschluss des Einzelrichters des Landesgerichtes Klagenfurt vom , GZ 12 Hv 88/02h-16, erhobene Nichtigkeitsbeschwerde nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters des Generalprokurators, Generalanwalt Dr. Seidl, sowie des seinerzeitigen Beschuldigten zu Recht erkannt:

Spruch

Im Verfahren AZ 12 Hv 88/02h des Landesgerichtes Klagenfurt verletzt der Beschluss des Einzelrichters dieses Gerichtes vom , ON 16, das Gesetz in der gemäß § 90b StPO sinngemäß anzuwendenden Bestimmung des § 90a Abs 1 und Abs 2 Z 2 StPO.

Text

Gründe:

Mit Straferkenntnis des Disziplinarrates der Kärntner Rechtsanwaltskammer vom , D 27/01-31, wurde Rechtsanwalt Dr. Günther F***** schuldig erkannt, durch sein Einwirken auf Heide C***** anlässlich des rechtsfreundlichen Einschreitens für seinen Mandanten Johann N***** bei der Bauverhandlung am in Klagenfurt gegen die Verpflichtungen des § 9 Abs 1 RAO und § 2 RL-BA verstoßen und sich dadurch einer Berufspflichtenverletzung und eines die Ehre und das Ansehen des Standes beeinträchtigen Verhaltens schuldig gemacht zu haben. Im Hinblick darauf beantragte die Staatsanwaltschaft Klagenfurt am beim Untersuchungsrichter des Landesgerichtes Klagenfurt Vorerhebungen gegen Dr. Günther F***** wegen des Verdachts der versuchten Nötigung nach §§ 15, 105 Abs 1 StGB.

Mit Strafantrag vom legte die Staatsanwaltschaft Klagenfurt dem Genannten zur Last, er habe am in Klagenfurt versucht, Heide C***** durch gefährliche Drohung, nämlich dadurch, dass er ihr am Beginn der an Ort und Stelle durchgeführten Bauverhandlung namens des von ihm rechtsfreundlich vertretenen Bauwerbers Johann N***** ein Schreiben überreichte, in dem er ihr als Anrainerin für den Fall, dass sie in der Bauverhandlung Einwendungen erheben sollte, ankündigte, im Auftrag seines Mandanten "Beschwerde wegen Amtsmissbrauches beim Landesschulrat für Kärnten (ihrem Dienstgeber) wegen Durchführung von privaten Angelegenheiten während ihrer Arbeitszeit und Nutzung von technischen Einrichtungen ihres Arbeitgebers zu erheben, gegen sie eine Sachverhaltsdarstellung wegen Täuschung bzw Betruges bei der Staatsanwaltschaft Klagenfurt einzubringen, Anzeige bei der Baupolizei Klagenfurt wegen konsensloser Bauführung zu erstatten und eine am von seinem Mandanten abgegebene Verpflichtungserklärung im Bauverfahren zu widerrufen", zur Unterlassung von Einwendungen im Bauverfahren zu nötigen und hiedurch das Vergehen der versuchten Nötigung nach §§ 15, 105 Abs 1 StGB begangen (ON 11).

Mit Schreiben vom stellte Dr. Günther F***** den Antrag "auf Durchführung einer Diversion" und ersuchte um Festsetzung eines seinem Einkommen und seinen Sorgepflichten entsprechenden Geldbetrages (ON 15).

Die Staatsanwaltschaft Klagenfurt stimmte einem diversionellen Vorgehen gemäß § 90c Abs 4 StPO bei Bezahlung einer Geldbuße von

2.500 EUR zu (AS 3a).

Nach Einlagen dieses (am eingezahlten) Betrages am Konto des Landesgerichtes Klagenfurt stellte der Einzelrichter am das Strafverfahren gegen Dr. Günther F***** gemäß § 90c Abs 5 iVm § 90b StPO endgültig ein (ON 16). Dieser Beschluss erwuchs in Rechtskraft.

Rechtliche Beurteilung

Der Beschluss des Landesgerichtes Klagenfurt vom (ON 16) steht - wie der Generalprokurator in seiner deshalb zur Wahrung des Gesetzes erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde zutreffend ausführt - mit dem Gesetz nicht im Einklang:

Die Anwendung des IXa. Hauptstücks der StPO (Diversion) setzt gemäß §§ 90a, 90b StPO neben einem hinreichend geklärten Sachverhalt voraus, dass eine Bestrafung aus spezial- oder generalpräventiven Gründen nicht geboten erscheint und dass die Schuld des Verdächtigen nicht als schwer anzusehen wäre (§ 90a Abs 2 Z 2 ZPO). Das Korrektiv einer schweren Schuld im Sinne dieser Gesetzesstelle orientiert sich an jenem Schuldbegriff, der in den §§ 32 ff StGB als Grundlage für die Bemessung der Strafe dient (vgl Schroll in WK2 Nachbemerkungen zu § 42 Rz 17), wobei stets nach Lage des konkreten Falles eine ganzheitliche Abwägung aller unrechts- und schuldrelevanten Tatumstände vorzunehmen ist. Erreichen Handlungs- und Erfolgsunrecht sowie der Gesinnungsunwert insgesamt ein Ausmaß, welches im Wege einer überprüfenden Gesamtbewertung als auffallend und ungewöhnlich zu beurteilen ist, liegt ein schweres Verschulden vor, wobei hiefür keineswegs ein Überwiegen der Erschwerungsumstände vorausgesetzt wird (14 Os 38, 39/02 mwN; Schroll aaO Nachbemerkungen zu § 42 Rz 21).

Im vorliegenden Fall manifestiert die Einschüchterung der am Baurechtsverfahren beteiligten Nachbarin durch die Androhung mehrere Anzeigen, insbesondere jener wegen des (angesichts der vorgeworfenen mehrfachen privaten Nutzung eines Faxgeräts ihres Dienstgebers nicht haltbaren - vgl SSt 47/83) Verdachts des Verbrechens des Missbrauchs der Amtsgewalt, um Heide C***** solcherart zur Unterlassung von Einwendungen zu nötigen, ein erhebliches Handlungsunrecht des seinerzeitigen Beschuldigten. Diese von Dr. Günther F***** unter Missbrauch seiner Stellung als Rechtsanwalt, der im Hinblick auf sein rechtliches Fachwissen, verbunden mit der Verpflichtung, die Gesetze unverbrüchlich zu beobachten und übernommene Vertretungen dem Gesetz gemäß zu führen (§§ 7, 9 Abs 1 RAO), eine besondere, noch dazu gefestigte Standesauffassung angestrebte Vertrauensstellung in der Öffentlichkeit genießt und unter eklatanter, weil selbst vor strafgesetzwidrigen Handlungen nicht zurückscheuender Missachtung seiner Berufs- und Standespflichten (§ 9 Abs 1 RAO; § 2 RL-BA) gewählte Vorgangsweise signalisiert darüber hinaus einen deutlich überdurchschnittlichen Gesinnungsunwert. Selbst unter mildernder Berücksichtigung allfälliger disziplinarrechtlicher Folgen dieser Tat (§ 34 Abs 1 Z 19 StGB; vgl RV StRÄG 1996 33 BlgNR XX.GP, 36) wäre somit unter Abwägung aller schuldrelevanten Strafzumessungsfaktoren - von der aktuellen Aktenlage ausgehend - die Schuld des Verdächtigten als schwer einzustufen.

Im Übrigen widerspricht fallbezogen eine diversionelle Erledigung des Strafverfahrens auch generalpräventiven Erfordernissen (§ 90a Abs 1 StPO). Der Stand der Rechtsanwälte genießt in der Bevölkerung ein hohes Maß an Vertrauen und Wertschätzung. Versucht ein Rechtsanwalt dieses Vertrauen, insbesondere in die Normentreue seines Verhaltens, auf die in Rede stehende Weise, wenn auch im Interesse seines Auftraggebers, auszunutzen oder zu missbrauchen, bedarf es einer - auf diversionellem Weg nicht ausreichend erzielbaren - in generalpräventiver Hinsicht entsprechend wirksamen Reaktion. Das vor der diversionellen Erledigung des Strafverfahrens geführte Disziplinarverfahren vermag auch unter Berücksichtigung der damit einhergehenden Normverdeutlichung den Belangen der Generalprävention schon deshalb nicht gerecht zu werden, weil dessen Ergebnis - mit Ausnahme der im konkreten Fall nicht Platz greifenden Streichung von der Liste oder die Untersagung der Ausübung der Rechtsanwaltschaft - öffentlich nicht bekannt gemacht werden darf (§ 79 DSt 1990; vgl 15 Os 128, 129/98).

Weil die aufgezeigte, schon im Hinblick auf den Nichtigkeitsgrund des § 281 Abs 1 Z 10a StPO - entgegen dem Vorbringen des seinerzeitigen Beschuldigten in seiner Äußerung zur Nichtigkeitsbeschwerde - nicht bloß eine Ermessensfrage betreffende Vorgangsweise des Landesgerichtes Klagenfurt eine im Verfahren nach § 33 Abs 2 StPO wahrzunehmende Gesetzesverletzung bewirkte, die dem Beschuldigten zum Vorteil gereichte, hat ihre Feststellung ohne konkrete Wirkung zu bleiben.