OGH vom 03.09.2019, 14Os96/19b (14Os97/19z)
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat am durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Prof. Dr. Danek als Vorsitzenden, die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Mag. Hetlinger, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Nordmeyer sowie die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Michel-Kwapinski und Dr. Setz-Hummel in Gegenwart der Schriftführerin Mag. Leitner in der Strafsache gegen Maria F***** wegen des Vergehens des schweren Diebstahls nach § 127, 128 Abs 1 Z 5 StGB, AZ 318 HR 254/17p des Landesgerichts für Strafsachen Wien (AZ 69 St 246/17z der Staatsanwaltschaft Wien), über die von der Generalprokuratur gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Wien vom , AZ 23 Bs 1/18t, erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters der Generalprokuratur, Generalanwalt Mag. Schneider, zu Recht erkannt:
Spruch
Der Beschluss des Oberlandesgerichts Wien vom , AZ 23 Bs 1/18t, verletzt § 124 Abs 2 StPO.
Gründe:
Rechtliche Beurteilung
In dem von der Staatsanwaltschaft Wien zum AZ 69 St 246/17z gegen Maria F***** wegen des Vergehens des schweren Diebstahls nach § 127, 128 Abs 1 Z 5 StGB geführten Ermittlungsverfahren steht die Genannte im Verdacht, sie habe zwischen 30. April und in W***** dem Bernhard W***** dessen in einer Schatulle verwahrte Armbanduhr im Wert von etwa 20.000 Euro mit auf unrechtmäßige Bereicherung gerichtetem Vorsatz weggenommen (ON 3 S 1).
Am beantragte die Anklagebehörde die gerichtliche Bewilligung der Anordnung der molekulargenetischen Untersuchung „von biologischen Tatortspuren“ (ON 1 S 1), nämlich (soweit hier wesentlich) der durch Tupferabrieb von der Außenseite des Uhrenetuis gewonnenen DNA-Spur (ON 3 iVm ON 2 S 32 f, 36).
Das Landesgericht für Strafsachen Wien wies diesen Antrag mit Beschluss vom , GZ 318 HR 254/17p-9, mit der wesentlichen Begründung ab, dass die Ermittlungsmaßnahme aufgrund des lediglich äußerst geringen Tatverdachts gegen Maria F***** nicht verhältnismäßig sei.
Mit dem angefochtenen Beschluss hob das Oberlandesgericht Wien diese Entscheidung aus Anlass der dagegen erhobenen Beschwerde der Staatsanwaltschaft (ON 10) auf und wies deren auf gerichtliche Bewilligung der Anordnung der molekulargenetischen Untersuchung gerichteten Antrag zurück (ON 12).
In der Begründung verwies das Beschwerdegericht auf die von der Anklagebehörde angenommene Verdachtslage der Wegnahme einer in der betreffenden Schatulle verwahrten Uhr des Geschädigten durch die Beschuldigte (BS 1) sowie den Antrag der Staatsanwaltschaft auf „Untersuchung biologischer Tatortspuren (vgl Birklbauer, WK-StPO § 124 Rz 9), nämlich der – im Zuge kriminalpolizeilicher Tatortarbeit – mittels befeuchteten Stieltupfers von der Außenseite der Schatulle abgeriebenen, damit Tatort- bzw. Tatobjektbezug habenden DNA-Spur ..., als deren Verursacher mehrere Personen, nämlich der mutmaßliche Täter (wobei von Maria F***** noch gar kein MHA-Barcode vorliegt), aber auch die Gelegenheitsperson Bernhard W***** (von dem bereits Vergleichsmaterial vorliegt) in Frage kommen“, und vertrat in der Folge den Standpunkt, dass „solch eine Untersuchung ... in erster Linie von der Kriminalpolizei, aber auch mittels Anordnung von der Staatsanwaltschaft veranlasst werden“ könne, „wobei im letzteren Fall keine gerichtliche Bewilligung für die Vornahme einer DNA-Analyse erforderlich“ sei, sodass „es dem Erstgericht an der Kompetenz für die Bewilligung der molekulargenetischen Untersuchung der biologischen Tatortspur ... fehlte“.
Wie die Generalprokuratur zu Punkt 1 ihrer dagegen erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes zutreffend ausführt, steht dieser Beschluss mit dem Gesetz nicht im Einklang:
Unter einer biologischen Spur im Sinn des § 124 Abs 1 erster Fall StPO sind Körperteilchen zu verstehen, welche (zunächst) keiner bestimmten Person zugeordnet werden können, ihrer Art nach aber stets einer bestimmten Person zuordenbar sind. Der Ort ihrer Auffindung ist für die rechtliche Beurteilung solcher Körperteilchen als „Spur“ zunächst ohne Belang (EBRV 25 BlgNR 22. GP 174; Birklbauer, WK-StPO § 124 Rz 9). Um von einer solchen sprechen zu können, ist aber – anders als bei (biologischem) „Material, das einer bestimmten Person zugehört oder zugehören dürfte“ (§ 124 Abs 1 zweiter Fall StPO) – jedenfalls ein Tatbezug erforderlich (vgl dazu Birklbauer, WK-StPO § 124 Rz 10 sowie Hinterhofer/Oshidari, Strafverfahren Rz 7.340, welche allerdings „Tatort- oder Tatobjektbezug“ für notwendig erachten).
Nach § 124 Abs 2 StPO ist eine molekulargenetische Untersuchung von der Staatsanwaltschaft auf Grund einer gerichtlichen Bewilligung anzuordnen, sofern es sich nicht bloß um eine „biologische Tatortspur“ handelt; eine solche kann die Kriminalpolizei von sich aus untersuchen lassen.
Nicht zulässig ist somit die autonome Beauftragung eines Sachverständigen mit der molekulargenetischen Analyse durch die Kriminalpolizei (oder die Staatsanwaltschaft) in Ansehung von Material, das einer bestimmten Person zugehört oder zugehören dürfte (§ 124 Abs 1 zweiter Fall StPO), aber auch von biologischen Spuren, die bloß allgemein Tatbezug aufweisen, weil es sich dabei zwar um Spuren im Sinn von § 124 Abs 1 erster Fall StPO, aber nicht um „Tatortspuren“ handelt.
Unter „Tatortspuren“ sind wiederum nur solche Spuren zu verstehen, die behördlich – etwa im Rahmen kriminalpolizeilicher Tatortarbeit – am Tatort aufgefunden und gesichert wurden (EBRV 25 BlgNR 22. GP 175), nicht aber solche, derer die Behörde außerhalb des Tatorts habhaft wird, mögen sie auch ursprünglich dort entstanden sein (etwa Spuren an der Kleidung des Verdächtigen, am Opfer, im Fluchtwagen oder an anderen vom Tatort verbrachten Objekten; vgl Nimmervoll, Strafverfahren2, Kapitel III, Rz 204; Bertel/Venier, Komm StPO § 124 Rz 3).
Dies ergibt sich nicht nur aus einer rein semantischen Auslegung des Begriffs Tatortspur, sondern auch aus dem Zweck der Ausnahmeregelung, die ersichtlich dem Umstand Rechnung trägt, dass im Fall der behördlichen Auffindung und Sicherung der Spur am Tatort (bei insoweit typischer Konstellation) der Zusammenhang mit der zu ermittelnden Tat und der Untersuchungsbedarf zu deren Aufklärung naheliegt (vgl auch § 110 Abs 3 Z 1 lit c StPO, wonach die autonome Sicherstellung von solchen Gegenständen durch die Kriminalpolizei zulässig ist, die am Tatort „aufgefunden“ wurden; dazu Tipold/Zerbes, WK-StPO § 110 Rz 60).
Davon ausgehend zeigt die Beschwerde zutreffend auf, dass der vom Beschwerdegericht vorgenommenen rechtlichen Beurteilung des verfahrengegenständlichen Spurenmaterials als „Tatortspur“ mangels Konstatierungen zu dessen Auffindungs- und Sicherstellungsort sowie zum (mutmaßlichen) Tatort die Sachverhaltsgrundlage fehlt (vgl dazu auch ON 2 S 29 [Tatort] und ON 2 S 36 [Sicherstellungsort]), womit der angefochtene Beschluss schon aus diesem Grund § 124 Abs 2 StPO verletzt.
Der von der Generalprokuratur überdies zu Punkt 2 geltend gemachte Rechtsfehler mangels Feststellungen zur konkreten Verdachtslage haftet ihm allerdings nicht an.
Für die an der angeführten Kommentarstelle (Tauschmann in Schmölzer/Mühlbacher, StPO1§ 124 Rz 11 unter Hinweis auf Abs 1 leg.cit: „Material, das einer bestimmten Person zugehören dürfte“) und den zitierten Erlässen des Bundesministeriums für Justiz vom , BMJ-L425.012/0008-II 3/2008, zur DNA-Auswertung von biologischen Tatortspuren; Auslegung des § 124 Abs 2 StPO und Kostentragung (S 1 f: „… eröffnet aber § 124 StPO nF nicht nur der Kriminalpolizei, sondern auch der Staatsanwaltschaft die Möglichkeit, biologische Spurenträger, die noch keiner bestimmten Person zuzurechnen sind, über Anordnung – ohne gerichtliche Bewilligung – selbständig auswerten zu lassen. … Eine gerichtliche Bewilligung ist jedenfalls … dann erforderlich, wenn es sich um keine biologische Tatortspur handelt, das Material also von einer ganz konkret bestimmten tatverdächtigen Person stammt oder dieser zugehören dürfte.“) sowie vom , BMJ-S590.000/0014-IV 3/2012, betreffend Übermittlung der Neuverlautbarung des Einführungserlasses des BM.I zum In-Kraft-Treten der Strafprozessreform vom (BMI-EE1500/0064-II/2/a/2012; S 2: „Gemäß § 124 Abs 2 StPO ist eine molekulargenetische Untersuchung … von der Staatsanwaltschaft anzuordnen, die wiederum die Bewilligung des Gerichts benötigt, wenn dieses Material einer bestimmten Person zugehört oder zugehören dürfte [Beweisführungsspuren]“), sinngemäß zum Ausdruck gebrachte Ansicht, wonach Spurenmaterial, das an sich alle Voraussetzungen für die rechtliche Beurteilung als biologische Tatortspur aufweist, zu „Material“ im Sinne von § 124 Abs 1 zweiter Fall StPO wird, sobald bereits ein konkreter Verdacht gegen eine bestimmte Person als Spurenverursacher (Tatverdächtiger) besteht, und dessen molekulargenetische Untersuchung demzufolge einer gerichtlichen Bewilligung bedarf, finden sich im Gesetz keine Anhaltspunkte.
Dagegen spricht – worauf die Generalprokuratur im Rahmen ihrer Darstellung des in der Lehre vertretenen gegenteiligen (auch von der Beschwerde als durchaus überzeugend bezeichneten) Standpunkts zutreffend hinweist – neben verfahrensökonomischen Erwägungen schon der Gesetzestext, der sich „einerseits“ auf „biologische Spuren“ (§ 124 Abs 1 erster Fall StPO) und „andererseits“ auf „Material, das einer bestimmten Person zugehört oder zugehören dürfte“ (§ 124 Abs 1 zweiter Fall StPO), bezieht und auch in § 124 Abs 4 StPO ausdrücklich zwischen dem Untersuchungsmaterial, das einer bestimmten Person zugehört oder zugehören dürfte, und den Ergebnissen dieser Untersuchung zum einen sowie der Spur (der sie – im Sinn einer Abgleichung – zugeordnet werden soll) zum anderen differenziert.
Demzufolge ist unter „Material, das einer bestimmten Person zugehört oder zugehören dürfte“ (§ 124 Abs 1 zweiter Fall StPO) – wie oben dargelegt – (nur) biologisches Material zu verstehen, das – im Gegensatz zur biologischen Spur (§ 124 Abs 1 erster Fall StPO) – keinen Tatbezug aufweist, mithin Vergleichsmaterial (Hinterhofer/Oshidari, Strafverfahren Rz 7.340 f; vgl auch Weiland, Die DNA-Analyse im Strafverfahrens- und Sicherheitspolizeirecht, 1, 21; Birklbauer, WK-StPO § 124 Rz 10), während am Tatort aufgefundenes und gesichertes Spurenmaterial unabhängig von einer (bereits) bestehenden Verdachtslage gegen eine bestimmte Person immer als biologische Tatortspur im Sinn des § 124 Abs 2 zweiter Halbsatz StPO anzusehen und als solche einer autonomen Untersuchung durch die Kriminalpolizei zugänglich ist.
Die DNAAnalyse des von einer bestimmten Person als Vergleichsmaterial gewonnenen biologischen Materials bedarf im Übrigen ohnehin einer gerichtlich bewilligten Anordnung (§ 124 Abs 2 erster Halbsatz StPO), womit insoweit auch ein Rechtsschutzdefizit nicht zu befürchten ist.
Da die mit der angefochtenen Entscheidung erfolgte Zurückweisung des Antrags der Staatsanwaltschaft auf gerichtliche Bewilligung der molekulargenetischen Untersuchung von „biologischen Tatortspuren“ zum Vorteil der Beschuldigten wirkt, die nach dem Vorgesagten im Sinne von Punkt 1 der Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes verfehlte Begründung des Beschlusses jedoch keine Rechtswirkungen erzeugt, ist ein aus der oben angeführten Gesetzesverletzung resultierender Nachteil für die Beschuldigte nicht auszumachen, weshalb es mit deren Feststellung sein Bewenden hat (§ 292 letzter Satz StPO).
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ECLI: | ECLI:AT:OGH0002:2019:0140OS00096.19B.0903.000 |
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