OGH vom 05.03.2015, 12Os17/15i
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat am durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon. Prof. Dr. Schroll als Vorsitzenden sowie den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Oshidari und die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Dr. Michel Kwapinski als weitere Richter in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Kaltenbrunner als Schriftführerin in der Strafsache gegen Lorik C***** und andere Beschuldigte wegen des Verbrechens der terroristischen Vereinigung nach § 278b Abs 2 StGB und weiterer strafbarer Handlungen, AZ 16 St 130/13d der Staatsanwaltschaft Graz, über die Grundrechtsbeschwerde des Selman T***** gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Graz vom , AZ 10 Bs 440/14b, 10 Bs 446/14k (ON 515 des Ermittlungsakts AZ 20 Hr 201/13k), nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Die Grundrechtsbeschwerde wird zurückgewiesen.
Text
Gründe:
In dem (unter anderem) gegen Lorik C***** wegen des Verbrechens der terroristischen Vereinigung nach § 278b Abs 2 StGB und weiterer strafbarer Handlungen geführten Ermittlungsverfahren (AZ 16 St 130/13d der Staatsanwaltschaft Graz) verhängte der Einzelrichter des Landesgerichts für Strafsachen Graz mit Beschluss vom über Selman T***** die Untersuchungshaft aus den Haftgründen der Flucht , Verdunkelungs und Tatbegehungsgefahr nach § 173 Abs 2 Z 1, 2 und 3 lit a und b StPO (ON 285). Mit Beschluss vom hob dieses Gericht die Haft jedoch im Hinblick auf die nicht mehr als dringlich erachtete Verdachtslage auf (ON 387).
Mit dem nunmehr angefochtenen Beschluss gab das Oberlandesgericht der gegen die Haftverhängung gerichteten Beschwerde des Selman T***** nicht Folge. Hingegen hob es in Stattgebung der von der Staatsanwaltschaft ergriffenen Beschwerde den Enthaftungsbeschluss des Erstgerichts auf, ordnete die neuerliche Festnahme des Beschuldigten aus den Haftgründen der Flucht- und Tatbegehungsgefahr nach § 170 Abs 1 Z 2 und 4 StPO an und „setzte die über Selman T***** am verhängte Untersuchungshaft aus den Haftgründen der Flucht und Tatbegehungsgefahr nach § 173 Abs 1 und 2 Z 1 und Z 3 lit a StPO fort“.
Dabei erachtete das Oberlandesgericht Selman T***** dringend verdächtig, er habe sich in G***** als Mitglied (§ 278 Abs 3 StGB) an den terroristischen Vereinigungen „Jaish Al Muhajireen Wal Ansar“, „Jabath Al Nusra“, „Islamischer Staat“ (IS) und/oder „Islamischer Staat im Irak und Großsyrien“ (ISIS), somit an auf längere Zeit angelegten Zusammenschlüssen von mehr als zwei Personen, die darauf ausgerichtet sind, dass von einem oder mehreren Mitgliedern dieser Vereinigungen eine oder mehrere terroristische Straftaten (§ 278c StGB), und zwar Morde (§ 75 StGB), Körperverletzungen (§§ 84 bis 87 StGB) und schwere Sachbeschädigungen (§ 126 StGB), durch die eine Gefahr für das Leben eines anderen und für fremdes Eigentum in großem Ausmaß entstehen können, die geeignet sind, eine schwere oder länger anhaltende Störung des öffentlichen Lebens oder eine schwere Schädigung des Wirtschaftslebens herbeizuführen, und mit dem Vorsatz begangen werden, die Bevölkerung auf schwerwiegende Weise einzuschüchtern und die politischen, verfassungsrechtlichen, wirtschaftlichen und sozialen Grundstrukturen des Staates Syrien ernsthaft zu erschüttern oder zu zerstören, beteiligt, indem er als Verantwortlicher des Vereins „F*****“ diese Vereinigungen durch die „islamische“ Radikalisierung junger Muslime im Rahmen von Vorträgen, deren Anwerbung für die Beteiligung an Kampfeinsätzen der Terrororganisationen und die Organisation ihrer körperlichen Ausbildung für die „weitere militärische Ausbildung in Syrien dienender Kampfsporttrainings“ unterstützte, wobei er sich zumindest an der Rekrutierung des Sevket G***** für die „Jaish Al Mhajireen Wal Ansar“ unmittelbar beteiligte.
Rechtliche Beurteilung
Die allein gegen die Annahme dringenden Tatverdachts erhobene Grundrechtsbeschwerde des Selman T***** schlägt fehl.
Die Begründung dringenden Tatverdachts kann im Grundrechtsbeschwerdeverfahren in sinngemäßer Anwendung der Z 5 und 5a des § 281 Abs 1 StPO angefochten werden. Demnach hat eine am Gesetz orientierte Beschwerde einen Begründungsmangel aufzuzeigen oder anhand deutlich und bestimmt bezeichneter Aktenbestandteile erhebliche Bedenken gegen die (vorläufige) Beweiswürdigung des Oberlandesgerichts zu erwecken (vgl RIS Justiz RS0110146 [insb T 23]).
An diesen Anfechtungsvoraussetzungen scheitert der (mehrfach erhobene) Beschwerdeeinwand, die Annahme einer Mitgliedschaft an einer terroristischen Vereinigung „resultiere aus spekulativen und in keiner Weise verifizierbaren Vermutungen und Konstruktionen zu Lasten des Beschuldigten“.
Bloß unzulässige Beweiswürdigungskritik übt der Beschwerdeführer mit der die im angefochtenen Beschluss eingehend referierten Ergebnisse der durchgeführten optischen Überwachung sowie der Telefonüberwachung im Übrigen zur Gänze ausblendenden Behauptung, die dem Beschuldigten (tatverdachtsmäßig) angelasteten Maßnahmen zur Anwerbung junger Muslime sowie die Organisation ihrer körperlichen Ausbildung fänden keine Deckung in den Verfahrensergebnissen.
Der weiteren Beschwerdeargumentation zuwider begründet nur die unrichtige Wiedergabe des Inhalts von Beweismitteln Aktenwidrigkeit (Z 5 fünfter Fall). Deren Wertung erfolgt hingegen im Rahmen freier Beweiswürdigung (RIS Justiz RS0099431). Insoweit hat das Oberlandesgericht den dringenden Verdacht der Täterschaft des Beschuldigten auf Basis einer vernetzten Betrachtung einer Reihe von aus den Aktivitäten des Beschuldigten im Umfeld des islamischen Glaubensvereins „F*****“ abgeleiteten Indizien logisch und empirisch einwandfrei begründet. Soweit der Beschwerdeführer diesen Erwägungen bloß pauschale Kritik und eigenständige, isoliert aus dem Zusammenhang gerissene Beweiswerterwägungen entgegensetzt, verlässt er neuerlich den eingangs dargestellten Anfechtungsrahmen einer Grundrechtsbeschwerde. Dies gilt im Besonderen für die breit angelegte Argumentation, wonach
sich aus der Vernehmung des Beschuldigten ergäbe, dass er Terrororganisationen und deren Ideologie ablehne,
keine Verfahrensergebnisse für die Radikalisierung oder die Anwerbung von Personen für Kampfeinsätze, die Ausbildung durch Kampfsporttrainings oder einen Beitrag zur Rekrutierung des Sevket G***** existierten,
aus dem laufenden Kontakt und dem Informationsaustausch des Vereins „F*****“ mit einer Gruppierung in „Gornja Maoca“ ein Tatverdacht nicht abgeleitet werden könne,
den Verfahrensergebnissen eine Beteiligung an Schießübungen nicht zu entnehmen sei,
die „Interpretation“ des Beschwerdegerichts hinsichtlich eines zwischen dem Beschuldigten und Mirsad O***** über Sevket G***** geführten Gesprächs „absurd“ sei,
die Annahme, dass der Beschuldigte „regelmäßig“ Predigten abgehalten habe, unzutreffend sei,
kein Beweisergebnis hinsichtlich der Vorbereitung angeworbener Mudschaheddins auf den Kampfeinsatz und der Herstellung einer Verbindung nach Syrien existiere,
aus dem Umstand, dass Personen, die auch im Verein „F*****“ anwesend waren und dort gebetet haben, die Täterschaft des Angeklagten nicht abgeleitet werden könne,
Yusuf B***** und Sevket G***** keine Mitglieder im Verein „F*****“ waren.
Die Beschwerde war daher ohne Kostenausspruch (§ 8 GRBG) zurückzuweisen.
European Case Law Identifier
ECLI:AT:OGH0002:2015:0120OS00017.15I.0305.000