OGH vom 30.01.2007, 10ObS9/07g
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Schinko als Vorsitzenden, die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Fellinger und Dr. Hoch sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Manfred Engelmann (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Franz Boindl (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Herbert W*****, vertreten durch Mag. German Storch und Mag. Rainer Storch, Rechtsanwälte in Linz, gegen die beklagte Partei Oberösterreichische Gebietskrankenkasse, 4020 Linz, Gruberstraße 77, im Revisionsverfahren nicht vertreten, wegen Kinderbetreuungsgeld, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Linz als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom , GZ 12 Rs 115/05a-9, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichtes Ried im Innkreis als Arbeits- und Sozialgericht vom , GZ 14 Cgs 69/05i-5, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen und zu Recht erkannt:
Spruch
Das Revisionsverfahren wird von Amts wegen fortgesetzt. Der Revision wird nicht Folge gegeben.
Die klagende Partei hat die Kosten des Revisionsverfahrens selbst zu tragen.
Text
Entscheidungsgründe:
Am wurde Tamara W***** als erstes Kind des Klägers und seiner Gattin Bettina W***** geboren. Die Gattin des Klägers war im Anschluss an die Schutzfrist bis in Karenz und hat ab ihre Berufstätigkeit wieder aufgenommen.
Über Antrag des Klägers, der sich vom bis in Karenz befunden hat, wurde ihm von der beklagten Partei für die Zeit vom bis Kinderbetreuungsgeld zuerkannt. Seit ist der Kläger ohne Arbeitsverhältnis.
Am wurde die gemeinsame Tochter Anika geboren. Für dieses Kind bezieht die Gattin des Klägers seit dem Ende der Schutzfrist () Kinderbetreuungsgeld.
Mit Bescheid vom hat die beklagte Oberösterreichische Gebietskrankenkasse ausgesprochen, dass der Anspruch des Klägers auf Kinderbetreuungsgeld für Tamara W***** mit ende, weil am die jüngere Tochter Anika geboren worden sei und gemäß § 5 Abs 5 KBGG der Anspruch auf Kinderbetreuungsgeld spätestens mit einem neuen Anspruch für ein weiteres Kind ende.
Gegen diesen Bescheid erhob der Kläger rechtzeitig Klage mit dem Begehren auf Gewährung von Kinderbetreuungsgeld (für die am geborene Tamara) für den Zeitraum vom bis im gesetzlichen Ausmaß.
Das Erstgericht wies die Klage ab. Gemäß § 5 Abs 5 KBGG ende der Anspruch auf Kinderbetreuungsgeld spätestens mit einem neuen Anspruch für ein weiteres Kind. Für die vom Kläger vertretene teleologische Reduktion dieser Bestimmung dahin, dass sie nur in jenen Fällen zur Anwendung gelangen solle, in welchen ein und dieselbe Person die Kinderbetreuung vornehme bzw das Kinderbetreuungsgeld beanspruche, bestehe kein Anlass. Auch die Bestimmung des § 3a KBGG vermöge den Rechtsstandpunkt des Klägers nicht zu stützen, da diese eine genau umgrenzte und ausschließlich an das Vorliegen einer Mehrlingsgeburt anknüpfende Sonderregelung darstelle, welche nicht analogiefähig sei. Das Berufungsgericht gab der Berufung des Klägers keine Folge. Es verwies in seiner ausführlichen rechtlichen Begründung insbesondere auf § 5 Abs 5 Satz 1 KBGG, wonach für den Fall der Geburt eines weiteren Kindes der Anspruch auf Kinderbetreuungsgeld mit einem neuen Anspruch für ein weiteres Kind ende. Nach den Gesetzesmaterialien (RV 620 BlgNR XXI. GP 60) ende bei nachfolgenden Geburten während des Kinderbetreuungsgeld-Bezugzeitraumes der Anspruch für das zuerst geborene Kind mit dem Tag, der der Geburt des nachfolgenden Kindes vorangehe. Ab dem Tag der Geburt des nachfolgenden Kindes beginne ein neuer Anspruch für dieses weitere Kind. Damit sei klargestellt, dass der Gesetzgeber eine Anspruchskumulation für den Fall einer weiteren Geburt unterbinden wolle. Für die Intention des Gesetzgebers, dass immer nur ein Elternteil Kinderbetreuungsgeld beziehen solle und nicht beide gleichzeitig für je ein Kind, spreche insbesondere auch, dass der Gesetzgeber grundsätzlich die abwechselnde Betreuung durch beide Elternteile fördern wolle (Verlängerung der Anspruchsdauer gemäß § 5 Abs 2 KBGG über 30 Monate hinaus auf maximal 36 Monate, wenn auch der zweite Elternteil Kinderbetreuungsgeld in Anspruch nehme). Dies zeige, dass es sich beim Kinderbetreuungsgeld um einen von der Betreuung eines Kindes im gemeinsamen Haushalt abhängigen, einheitlichen Anspruch handle, den die Eltern wahlweise ausüben könnten, und nicht um getrennte Ansprüche des Vaters und der Mutter. Da der Wortlaut des § 5 Abs 5 KBGG nicht unterscheide, ob ein Elternteil für beide Kinder Kinderbetreuungsgeld beanspruche oder je ein Elternteil für jeweils ein Kind, und auch eine „ratio legis" in dem Sinne, dass § 5 Abs 5 KBGG nur jene Fälle betreffen solle, in denen ein und derselbe Antragsteller Kinderbetreuungsgeld für ein weiteres Kind beanspruche, nicht ersichtlich sei, sei auch der gegenständliche Fall unter § 5 Abs 5 KBGG zu subsumieren. Gegen diese Bestimmung bestünden ebenso wenig verfassungsrechtliche Bedenken wie gegen die Bestimmung des § 6 Abs 1 letzter Satz KBGG idF BGBl I 2002/20, wonach der Anspruch auf Kinderbetreuungsgeld nur während Wochengeldansprüchen vor der Geburt eines weiteren Kindes nicht ruhe. Die beklagte Partei sei gemäß § 30 Abs 2 KBGG, der den Widerruf und eine rückwirkende Berichtigung von Amts wegen zulasse, wenn sich die Zuerkennung oder die Bemessung des Kinderbetreuungsgeldes nachträglich als gesetzlich nicht begründet herausstelle, zur Erlassung des gegenständlichen Bescheides berechtigt gewesen. Ein unzulässiger Eingriff in einen rechtskräftigen Bescheid liege daher nicht vor.
Das Berufungsgericht sprach aus, dass die ordentliche Revision zulässig sei, weil eine Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes zur Frage des gleichzeitigen Bezuges von Kinderbetreuungsgeld durch beide Elternteile für je ein Kind fehle.
Gegen diese Entscheidung richtet sich die Revision des Klägers wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit den Antrag, das Berufungsurteil im Sinne einer Klagsstattgebung abzuändern; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.
Die beklagte Partei hat keine Revisionsbeantwortung erstattet.
Rechtliche Beurteilung
Der Oberste Gerichtshof hat mit seinem Beschluss vom , 10 ObS 68/06g, die Revision der Klägerin aus dem vom Berufungsgericht genannten Grund und auch deshalb, weil Bedenken gegen die Verfassungskonformität der präjudiziellen Bestimmung des § 5 Abs 5 KBGG bestehen, für zulässig angesehen.
Der erkennende Senat hat deshalb mit dem erwähnten Beschluss vom beim Verfassungsgerichtshof gemäß Art 89 Abs 2 B-VG den Antrag gestellt, § 5 Abs 5 KBGG, BGBl I 2001/103, als verfassungswidrig aufzuheben. Mit der Fortführung des Revisionsverfahrens wurde gemäß § 62 Abs 3 VfGG bis zur Zustellung des Erkenntnisses des Verfassungsgerichtshofes innegehalten. Der Verfassungsgerichtshof wies mit seinem Erkenntnis vom , G 43/06-6, G 44/06-6, gleichlautende Gesetzesprüfungsanträge des Obersten Gerichtshofes in Paralellverfahren ab, weil er die in diesen Gesetzesprüfungsanträgen vorgebrachten verfassungsrechtlichen Bedenken, die inhaltlich den auch vom Kläger im gegenständlichen Verfahren geltend gemachten verfassungsrechtlichen Bedenken entsprechen, nicht teilte. Der Oberste Gerichtshof hat mit Beschluss vom , 10 ObS 68/06g, den im vorliegenden Verfahren gestellten inhaltsgleichen Gesetzesprüfungsantrag zurückgezogen. Der Verfassungsgerichtshof hat daraufhin mit Beschluss vom , G 105/06-5, G 114/06-5, das Verfahren eingestellt, sodass nunmehr das Revisionsverfahren von Amts wegen fortzusetzen und über die Revision des Klägers zu entscheiden ist.
Die vom Kläger in seiner Revision gegen die hier maßgebende Bestimmung des § 5 Abs 5 KBGG vorgetragenen verfassungsrechtlichen Bedenken sind im Hinblick auf das erwähnte Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom nicht berechtigt. Im Übrigen kann gemäß § 510 Abs 3 zweiter Satz ZPO auf die zutreffende rechtliche Beurteilung des Berufungsgerichtes verwiesen werden. Es wurde auch vom Obersten Gerichtshof bereits in seinem Beschluss vom , 10 ObS 68/06g, näher begründet, warum die vom Kläger angestrebte teleologische Reduktion der Bestimmung des § 5 Abs 5 KBGG dahin, dass der Anspruch auf Kinderbetreuungsgeld mit einem neuen Anspruch für ein weiteres Kind nur in jenen Fällen ende, in denen ein und dieselbe Person die Kinderbetreuung vornehme bzw das Kinderbetreuungsgeld durch Antragstellung beanspruche, nicht in Betracht kommt.
Nach § 6 Abs 1 KBGG ruht der Anspruch auf Kinderbetreuungsgeld, sofern ein Anspruch auf Wochengeld oder eine andere gleichartige Leistung besteht. Nach der durch die Bestimmung des § 6 Abs 1 letzter Satz KBGG idF BGBl I 2002/20 (nunmehr § 6 Abs 2 KBGG idF BGBl I 2005/100) erfolgten Klarstellung bezieht sich das Ruhen des Kinderbetreuungsgeldes bei Wochengeldbezug ausschließlich auf den Wochengeldbezug für das Kind, für welches Kinderbetreuungsgeld bezogen wird. Entsteht daher während des Kinderbetreuungsgeldbezuges ein Anspruch auf Wochengeld anlässlich der Geburt eines weiteren (jüngeren) Kindes, so gebührt das Kinderbetreuungsgeld weiter bis zu dem der Geburt des jüngeren Kindes vorangehenden Tag. Die in § 6 Abs 1 letzter Satz KBGG normierte Ausnahme vom Ruhen des Anspruches auf Kinderbetreuungsgeld bezieht sich daher nur auf Wochengeldansprüche vor der Geburt eines Kindes (vgl RV 828 BlgNR XXI. GP 4). Der Anspruch des Klägers auf Kinderbetreuungsgeld für die ältere Tochter Tamara endete daher nach zutreffender Rechtsansicht der Vorinstanzen mit dem der Geburt der jüngeren Tochter Anika vorangehenden Tag (). Gegen dieses Ergebnis bestehen auch beim erkennenden Senat unter Berücksichtigung des nunmehr vorliegenden Erkenntnisses des Verfassungsgerichtshofes vom , G 43/06-6, G 44/06-6, und des grundsätzlich weiten Gestaltungsspielraumes des Gesetzgebers bei der Gewährung von Familienleistungen keine verfassungsrechtlichen Bedenken.
Der Revision war daher ein Erfolg zu versagen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 77 Abs 1 Z 2 lit b ASGG. Gründe, die einen ausnahmsweisen Kostenzuspruch aus Billigkeit rechtfertigen könnten, wurden nicht geltend gemacht und sind aus der Aktenlage nicht ersichtlich.