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OGH vom 28.08.2012, 12Os15/12s

OGH vom 28.08.2012, 12Os15/12s

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon. Prof. Dr. Schroll als Vorsitzenden sowie durch den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. T. Solé und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Bachner Foregger, Dr. Michel Kwapinski und Mag. Fürnkranz als weitere Richter in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Lindenbauer als Schriftführer in der Strafsache gegen Uros L***** wegen des Verbrechens des sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 207 Abs 1 und Abs 3 erster Fall StGB idF BGBl I 1998/153 und weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichts Wels als Schöffengericht vom , GZ 13 Hv 185/08x 73, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufung werden die Akten dem Oberlandesgericht Linz zugeleitet.

Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen (im dritten Rechtsgang gefällten; vgl die Erkenntnisse des Obersten Gerichtshofs vom , AZ 12 Os 4/10w, und vom , AZ 12 Os 209/10t) Urteil wurde Uros L***** des Verbrechens des sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 207 Abs 1 und Abs 3 erster Fall StGB idF BGBl I 1998/153 und einer unbestimmten Anzahl von Verbrechen des sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 207 Abs 1 StGB idF BGBl I 1998/153 (I./) sowie (richtig:) mehrerer Vergehen des Missbrauchs eines Autoritätsverhältnisses nach § 212 Abs 1 (richtig:) Z 1 StGB (II./) schuldig erkannt.

Danach hat er in T*****

I./ in der Zeit vom bis an seiner am geborenen Stieftochter Natascha T*****, somit an einer unmündigen Person, ca zwei Mal monatlich eine geschlechtliche Handlung vorgenommen, indem er sie entkleidete, sodann an der Brust streichelte und ihre Vagina mit der Zunge stimulierte, wobei diese Taten eine schwere Körperverletzung (§ 84 Abs 1 StGB), nämlich eine anhaltende schwere Depression mit Angstzuständen zur Folge hatten;

II./ durch die zu I./ geschilderten Tathandlungen mit seinem minderjährigen Stiefkind jeweils eine geschlechtliche Handlung vorgenommen.

Rechtliche Beurteilung

Die gegen den Schuldspruch gerichtete und auf § 281 Abs 1 Z 3, 5, 5a, 9 lit a und 10 StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten verfehlt ihr Ziel.

Die Verfahrensrüge (Z 3) behauptet einen Verstoß gegen das Individualisierungsgebot des § 260 Abs 1 Z 1 StPO, weil betreffend Punkt II./ des Schuldspruchs durch die Unterlassung der Anführung des Tatzeitraums für die Zeit vom bis Anfang September 2006 (vgl dazu den rechtskräftigen Teil des im ersten Rechtsgang gefällten Urteils des Schöffengerichts) gegen das ne bis in idem Gebot verstoßen worden wäre. Dieses Vorbringen vernachlässigt jedoch, dass durch den Verweis auf Schuldspruch I./ der Tatzeitraum mit bis eingegrenzt wird.

Soweit die Mängelrüge (Z 5 erster und zweiter Fall) sich auf die Feststellungen zum Tatort und zur „Schlafsituation“ der Familie des Angeklagten bezieht, spricht sie keine entscheidenden Tatsachen an (RIS Justiz RS0117499; Ratz , WK StPO § 281 Rz 399).

Weshalb für die Lösung der Schuld- und Subsumtionsfrage Feststellungen zu den „allfälligen Schlafmöglichkeiten“ des Angeklagten und seiner drei Söhne „in einem Raum mehrere Jahre hindurch“ relevant sein sollten, legt der Nichtigkeitswerber (nominell aus Z 5, inhaltlich jedoch Z 9 lit a) nicht dar.

Indem der Beschwerdeführer unter verschiedenen Gesichtspunkten der Mängelrüge (Z 5 erster, zweiter und dritter Fall) Begründungsdefizite in Bezug auf die Konstatierungen zur Tatzeit einwendet, lässt er außer Acht, dass die Mängelrüge nur dann gesetzmäßig ausgeführt ist, wenn sie die Gesamtheit der Entscheidungsgründe berücksichtigt (RIS Justiz RS0119370). Der Tatzeitraum ergibt sich soweit er hier (mit Blick auf das Alter des Opfers) rechtlich entscheidend ist (vgl Lendl , WK StPO § 260 Rz 14) unzweifelhaft und widerspruchsfrei aus US 2 letzter Absatz bis zum 14. Geburtstag der am geborenen Natascha T*****). Die Feststellung „für den gesamten Tatzeitraum (bis schlussendlich September 2006)“ bezieht sich auf den bereits rechtskräftigen Schuldspruch aus dem ersten Rechtsgang.

Den weiteren Beschwerdebehauptungen (Z 5 zweiter Fall) zuwider hat sich das Schöffengericht zur Frage des Kausalzusammenhangs zwischen den Tathandlungen laut Schuldspruch I./ und der beim Opfer eingetretenen schweren Körperverletzung (in Form einer anhaltenden schweren Depression mit Angstzuständen) hinreichend mit dem Gutachten des Sachverständigen Mag. G***** insbesondere auch mit den seine Erstaussage relativierenden Ausführungen auseinandergesetzt und die in Kritik gezogenen Feststellungen mängelfrei mit dem (differenziert gewürdigten) Sachverständigengutachten in Zusammenschau mit den Depositionen des Zeugen Daniel E***** begründet (US 8).

Im Hinblick auf das Gebot der gedrängten Darstellung der Entscheidungsgründe (§ 270 Abs 2 Z 5 StPO) ist ein unter dem Aspekt der Z 5 relevanter Begründungsmangel im Übrigen nicht schon dann gegeben, wenn das Gericht nicht den vollständigen Inhalt sämtlicher Aussagen des Sachverständigen erörtert und darauf untersucht, inwieweit sie für oder gegen diese oder jene Darstellung sprechen (RIS Justiz RS0098778, RS0106642).

Dass die Tatrichter die Feststellungen zur „inneren Einstellung“ des Angeklagten und damit erkennbar auch zur subjektiven Zurechenbarkeit des Erfolgs (§ 7 Abs 2 StGB) auf die „missbrauchende Vorgangsweise“ stützten, ist unter dem Aspekt der Begründungstauglichkeit (Z 5 vierter Fall) nicht zu beanstanden (vgl RIS Justiz RS0116882, RS0098671). Irgendwelche Verfahrensergebnisse, dass gerade der Angeklagte (was für die subjektive Voraussehbarkeit entscheidend ist; vgl Burgstaller in WK² § 6 Rz 93, 98) aufgrund besonderer persönlicher Verhältnisse den eingetretenen Erfolg und in den wesentlichen Zügen den zu ihm führenden Kausalverlauf nicht hätte vorhersehen können, wurden von der Nichtigkeitsbeschwerde nicht behauptet.

Z 5a will als Tatsachenrüge nur geradezu unerträgliche Feststellungen zu entscheidenden Tatsachen (das sind schuld oder subsumtionserhebliche Tatumstände, nicht aber im Urteil geschilderte Begleitumstände oder im Rahmen der Beweiswürdigung angestellte Erwägungen) und völlig lebensfremde Ergebnisse der Beweiswürdigung durch konkreten Verweis auf aktenkundige Beweismittel (bei gleichzeitiger Bedachtnahme auf die Gesamtheit der tatrichterlichen Beweiswerterwägungen) verhindern. Tatsachenrügen, die außerhalb solcher Sonderfälle auf eine Überprüfung der Beweiswürdigung abzielen, beantwortet der Oberste Gerichtshof ohne eingehende eigene Erwägungen, um über den Umfang seiner Eingriffsbefugnisse keine Missverständnisse aufkommen zu lassen (RIS Justiz RS0118780). Indem der Nichtigkeitswerber vorbringt, der Zeuge Daniel E***** habe entgegen den Angaben der Zeugin T*****, wonach die Missbrauchshandlungen in ihrem Zimmer stattgefunden hätten, ausgesagt, sie hätte ihm zuvor mitgeteilt, der Stiefvater habe sie jeweils in sein Zimmer geholt, gelingt es ebensowenig, qualifizierte Bedenken beim Obersten Gerichtshof hervorzurufen, wie mit dem Hinweis auf die Aussage des Sachverständigen Mag. G***** in der Hauptverhandlung am , wonach die „Widersprüchlichkeit hinsichtlich der Aussagen des Deliktsgeschehens, was die Zimmer betrifft, einem normalen gedächtnispsychologischen Phänomen zuzuordnen“ sein könnten, andererseits aber auch auf eine tendenzielle Falschaussage hinweisen könnten (ON 72 S 22).

Indem die Rechtsrüge (Z 9 lit a) aus den räumlichen Verhältnissen im Haus des Angeklagten den Schluss zieht, dass dieser die Tathandlungen „gar nicht begehen hätte können“, fehlt es ihr am prozessual erforderlichen Vergleich des zur Anwendung gebrachten materiellen Rechts mit dem im Urteil festgestellten Sachverhalt (RIS Justiz RS0099810; Ratz , WK StPO § 281 Rz 581) und kritisiert sie solcherart in unzulässiger Weise die schöffengerichtliche Beweiswürdigung.

Mit dem pauschalen Einwand (teils sowohl aus Z 5, als auch [richtig] aus Z 9 lit a), das Erstgericht habe „keine konkreten Feststellungen zu den jeweiligen subjektiven Tatbestandsmerkmalen der dem Angeklagten zur Last gelegten Handlungen getroffen“, vielmehr würden sich die Ausführungen des Erstgerichts im Gebrauch „substanzloser verba legalia“ und somit in einer Scheinbegründung erschöpfen, macht der Rechtsmittelwerber nicht deutlich, aus welchem Grund den keineswegs bloß den Gesetzestext wiedergebenden Urteilsannahmen zur subjektiven Tatseite (vgl US 3 und 9) der erforderliche Sachverhaltsbezug (RIS Justiz RS0119090; Ratz , WK StPO § 281 Rz 8) fehlen sollte, womit er den Anfechtungsrahmen des beanspruchten Nichtigkeitsgrundes verlässt.

Die gegen die Annahme der Qualifikation nach § 207 Abs 3 erster Fall StGB gerichtete Subsumtionsrüge (Z 10) bekämpft ebenfalls nach Art einer im kollegialgerichtlichen Verfahren unzulässigen Schuldberufung die Konstatierungen der Tatrichter zur Körperverletzung der Natascha T***** (in Form einer anhaltend schweren Depression) sowie zur Kausalität der Tathandlungen des Angeklagten für deren Eintritt (US 3) und orientiert sich solcherart prozessordnungswidrig nicht an den tatrichterlichen Konstatierungen.

Soweit der Beschwerdeführer nominell aus Z 9 lit a, inhaltlich jedoch aus Z 10 das Fehlen „jeglicher Feststellungen, aus welchen Tatumständen sich diese Vorhersehbarkeit [der Tatfolgen des § 207 Abs 3 StGB] für den Angeklagten ergeben haben soll“, sowie von Sachverhaltsannahmen „zum Verhalten der Zeugin Natascha T*****, aus denen diese schweren Folgen für den Angeklagten erkennbar und damit vorhersehbar gewesen wären“, moniert, leitet er nicht aus dem Gesetz ab, weshalb die im Übrigen nicht hinreichend deutlich bezeichneten (vgl RIS Justiz RS0118342) vermissten Konstatierungen für die rechtliche Kategorisierung entscheidend sein sollten, sodass die Subsumtionsrüge nicht zur prozessordnungskonformen Darstellung gelangt (RIS Justiz RS0118429).

Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur, jedoch entgegen der Äußerung des Angeklagten bereits bei der nichtöffentlichen Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO), woraus die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts Linz zur Entscheidung über die Berufung folgt (§ 285i StPO).

Die Kostenersatzpflicht des Angeklagten beruht auf § 390a Abs 1 StPO.