VfGH vom 25.09.1987, b92/85

VfGH vom 25.09.1987, b92/85

Sammlungsnummer

11422

Leitsatz

Versetzen von Schlägen mit dem Gummiknüppel und mit der Faust gegen den Bf., der kein Versammlungsteilnehmer war; Vorgehen der (an sich zur Versammlungsauflösung befugten) Beamten diente nicht dem Zweck der Amtshandlung (Versammlungsauflösung) - Mißhandlungsabsicht; Verstoß gegen Art 3 MRK

Spruch

Der Bf. ist dadurch, daß ihm Organe der Sicherheitsdirektion für Niederösterreich am in der Stopfenreuther Au Schläge mit dem Gummiknüppel und mit der Faust versetzt haben, im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht, keiner unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung unterworfen zu werden, verletzt worden.

Der Bund (Bundesminister für Inneres) ist schuldig, dem Bf. zu Handen seines Vertreters die mit S 55.000,-- bestimmten Kosten des Verfahrens binnen vierzehn Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. In der auf Art 144 B-VG gestützten Beschwerde wird vorgebracht, der Bf. habe sich in den Morgenstunden des als Berichterstatter für eine Tageszeitung in der Stopfenreuther Au aufgehalten.

An diesem Morgen, einige Minuten nach 8.00 Uhr, habe ein Gendarmeriebeamter am Rande des Rodungsgebietes dem Bf. einen Faustschlag gegen die rechte Schulter versetzt und versucht, dem Bf. die Kamera zu entreißen.

Als der Bf. gegen 8.15 Uhr fotografiert habe, wie Gendarmeriebeamte Demonstranten weggezerrt und mit Gummiknüppeln "verprügelt" hätten, sei ein Gendarmeriebeamter, der sich mit dem Knüppel besonders eifrig hervorgetan habe, auf den Bf. zugesprungen, habe ihm fünf Hiebe auf den Kopf, den Nacken und die linke Schulter versetzt und versucht, dem Bf. die Kamera "am Riemen vom Hals" zu reißen. Der laute Ruf des Bf. "Presse" habe den Gendarmeriebeamten nicht an seinen Tätlichkeiten gehindert. Zugleich mit der Beschwerde legte der Bf. zwei Fotos vor, die er unmittelbar vor dem "tätlichen Angriff" des Gendarmeriebeamten von diesem gemacht habe.

Als der Bf. wieder einige Minuten später Polizeibeamte fotografiert habe, welche ihre Gummiknüppel einsetzten, habe einer der Beamten den Bf. daran hindern wollen, habe versucht, die Kamera zu ergreifen, den Bf. zu Boden gestoßen und habe mit dem Knüppel auf den Rücken des Bf. eingeschlagen.

Der Bf. erachtet sich durch dieses behördliche Vorgehen gegen seine Person in den durch Art 3 MRK sowie in mehreren anderen, näher bezeichneten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten verletzt und beantragt, der VfGH wolle dies kostenpflichtig feststellen.

2. Die Sicherheitsdirektion für Niederösterreich hat in einer Gegenschrift zunächst darauf hingewiesen, daß über die in der Beschwerde dargestellten Geschehnisse keinerlei Akten oder sonstigen Unterlagen zur Verfügung stünden, zumal mit Rücksicht auf die turbulenten Geschehnisse am alle Kräfte der Exekutive gebunden gewesen seien und die bezughabenden Geschehnisse nicht festgehalten hätten werden können. Die Sicherheitsdirektion sehe sich demnach verhalten, die Darstellung der Beschwerde generell zu bestreiten. Der Bf. gebe selbst an, sich im unmittelbaren Einsatzgebiet und - offenbar aus Gründen der Aktualität - unter den Demonstranten bzw. in deren unmittelbaren Nähe befunden zu haben. Auf Grund der besonderen Umstände sei es damals praktisch unmöglich gewesen, Amtshandlungen auf einzelne Personen abzustellen. Der Bf. habe sich dadurch, daß er sich in den unmittelbaren Bereich der Auseinandersetzungen zwischen den Demonstranten und der Exekutive begeben habe, bewußt der Gefahr ausgesetzt, Schläge und andere Unannehmlichkeiten abzubekommen, obwohl er jedenfalls rechtzeitig aufgefordert worden sei, das Einsatzgebiet zu verlassen.

Im Zuge des verfassungsgerichtlichen Verfahrens teilte die Sicherheitsdirektion für Niederösterreich mit, daß der auf den beiden oben angeführten Fotos zu sehende Beamte mit großer Wahrscheinlichkeit der Gend.Bez.Insp. A K sei.

II. Der VfGH hat erwogen:

1. Die in Beschwerde gezogenen Amtshandlungen sind der Sicherheitsdirektion für Niederösterreich zuzurechnen (s. hiezu VfSlg. 10916/1986); dies gilt auch für die Amtshandlungen der am zum Einsatz gelangten Beamten der Bundespolizeidirektion Wien (die, wie sich aus den Akten ergibt, vom Bundesminister für Inneres am der Sicherheitsdirektion für Niederösterreich zur Dienstleistung zugeteilt worden waren).

Bel. Beh. ist hier daher die Sicherheitsdirektion für Niederösterreich.

2.a) Der VfGH hat Beweis erhoben durch die Vernehmung des Bf. als Partei sowie der Zeugen H E D und Gend.Bez.Insp. A K sowie durch neuerliche Vernehmung des Bf. als Partei zu den Zeugenaussagen im Rechtshilfewege.

Während der Zeuge D zu dem ersten inkriminierten Vorfall zu Protokoll gab, gesehen zu haben, daß ein Gendarmeriebeamter dem Bf. einen Faustschlag versetzt habe, nachdem der Beamte erklärt habe, es sei ihm egal, ob der Bf. von der Presse sei oder nicht, gab der Gendarmeriebeamte K an, er sei "mit großer Wahrscheinlichkeit" der auf den beiden vom Bf. vorgelegten Fotos abgebildete Beamte. Der Zeuge erklärte, er könne sich an die Person des Bf. nicht mehr erinnern und stellte in Abrede, während seines (mehrtägigen) Einsatzes in der Stopfenreuther Au vom Gummiknüppel Gebrauch gemacht zu haben; wenn er den Stock in der Hand gehabt habe, heiße dies noch lange nicht, daß er ihn auch eingesetzt habe.

Der Bf. wiederholte bei seinen Vernehmungen im wesentlichen sein Beschwerdevorbringen (s. oben unter Pkt. I.1.) und erklärte ergänzend zu den Angaben des Zeugen K, der auf den beiden Fotos abgebildete Gendarmeriebeamte sei jedenfalls jener Beamte gewesen, der ihm beim zweiten inkriminierten Vorfall die Schläge mit dem Gummiknüppel versetzt habe. Er (der Bf.) habe diesen Beamten deshalb fotografiert, weil sich der Beamte beim Schlagen mit dem Gummiknüppel besonders eifrig hervorgetan habe. Es wäre ansonsten ja keine Veranlassung gewesen, einen friedlich herumstehenden Beamten zu fotografieren. Die Aussage des Zeugen K, damals seinen Gummiknüppel überhaupt nicht eingesetzt zu haben, sei daher nicht richtig.

Der VfGH hat Einsicht genommen in die beiden bereits mehrfach angeführten Fotos. Während das eine dieser Fotos einen Gendarmeriebeamten zeigt, der (lediglich) Manifestanten nachläuft, ist auf dem anderen Foto derselbe Beamte zu sehen, wie er gerade einen auf dem Boden sitzenden Manifestanten mit der linken Hand an einem Kleidungsstück hochzuzerren versucht, während er in der rechten Hand den Gummiknüppel hält; der rechte Arm ist - zum Schlag bereit - leicht abgebogen.

b) Der VfGH nimmt aufgrund dieser Beweisergebnisse als erwiesen an, daß Organe der bel. Beh. dem Bf. am in der Stopfenreuther Au mit dem Gummiknüppel und mit der Faust Schläge versetzt und versucht haben, dem Bf. die Kamera zu entreißen, nachdem die Beamten jeweils bemerkt hatten, daß der Bf. bestimmte Szenen fotografierte. Diese Feststellungen stützen sich vor allem auf die durchaus glaubwürdigen und schlüssigen Angaben des Bf., welche hinsichtlich des ersten inkriminierten Vorfalles durch die Aussage des Zeugen D untermauert werden. Es ist auch kein Anlaß zur Annahme gegeben, der Bf. bezichtige die Beamten zu Unrecht der in Beschwerde gezogenen Vorgangsweise; dies gilt insbesondere hinsichtlich jenes Beamten, den der Bf. zweimal aus nächster Nähe fotografiert hat. Die Angaben des Zeugen K sind schon deshalb nicht geeignet, die Glaubwürdigkeit des Bf. zu erschüttern, weil der Behauptung dieses Zeugen, während seines gesamten mehrtägigen Einsatzes in der Stopfenreuther Au kein einziges Mal vom Gummiknüppel Gebrauch gemacht zu haben, in Anbetracht der größeren Anzahl von Beschwerdefällen, bei denen der VfGH in seiner bisherigen Rechtsprechung zu Vorgängen in der Stopfenreuther Au am den - rechtmäßigen oder rechtswidrigen - Gebrauch des Gummiknüppels festgestellt hat, kein hoher Grad von Wahrscheinlichkeit zukommt. Auch spricht das oben näher beschriebene Foto seinem Gesamteindruck nach eher für einen Einsatz des Gummiknüppels; auch die leicht gekrümmte Körperhaltung des Beamten, dessen abgebogener rechter Arm und dessen rechte Hand, die den Gummiknüppel fest umfaßt hält, läßt eher auf einen Bewegungsablauf schließen, bei dem es zur Anwendung des Gummiknüppels gegen einen Demonstranten gekommen ist.

3. Der festgestellte Sachverhalt ist rechtlich unter dem Gesichtspunkt des Art 3 MRK wie folgt zu beurteilen:

Der Bf. war kein Versammlungsteilnehmer. Selbst wenn dies in Anbetracht der damals herrschenden tumultartigen Zustände zunächst nicht gleich erkennbar gewesen sein sollte, zeigt der gesamte Ablauf des Geschehens (das inkriminierte Vorgehen der Beamten setzte jeweils ein, als diese merkten, daß sie vom Bf. fotografiert wurden, wobei sie sodann auch versuchten, dem Bf. die Kamera zu entreißen), daß die Anwendung von Körpergewalt gegen den Bf. - auch aus der Sicht der Exekutivorgane - nicht dem Zweck der Amtshandlung, nämlich der Auflösung der Versammlung diente. Schläge mit dem Gummiknüppel und mit der Faust können unter diesen Umständen schlechthin nur als in Mißhandlungsabsicht erfolgt gewertet werden, wobei mit dieser Vorgangsweise eine die Menschenwürde beeinträchtigende gröbliche Mißachtung des Bf. als Person zum Ausdruck kam (vgl. die ständige Rechtsprechung des VfGH zu Art 3 MRK, etwa ).

Unter den hier gegebenen Begleitumständen ist es irrelevant, ob die Schläge gegen den Kopf (s. hiezu und B152/85) oder gegen andere Körperteile geführt wurden; mit anderen Worten: die Frage, ob die Anwendung von Gewalt (insbesondere der Gebrauch des Gummiknüppels) als solche maßhaltend erfolgt ist, stellt sich hier gar nicht.

Der Bf. ist daher durch die inkriminierten Schläge mit dem Gummiknüppel und der Faust im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht nach Art 3 MRK verletzt worden.

4. Bei diesem Ergebnis kann unerörtert bleiben, ob der Bf. durch die in Beschwerde gezogene Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Zwangsgewalt gegen seine Person - wie er vermeint - auch in anderen verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten verletzt worden ist.

5. Die Kostenentscheidung beruht auf § 88 VerfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in der Höhe von S 5.000,-enthalten. Die von der bel. Beh. begehrte Kostenseparation war im Hinblick auf die (damals gegebene) Beweislage nicht vorzunehmen.

Diese Entscheidung konnte in einer der Norm des § 7 Abs 2 litc VerfGG genügenden Zusammensetzung getroffen werden.