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OGH vom 26.03.1991, 10ObS88/91

OGH vom 26.03.1991, 10ObS88/91

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Rekursgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Resch als Vorsitzenden, die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Mag.Engelmaier und Dr.Ehmayr als weitere Richter sowie die fachkundigen Laienrichter Dr.Friedrich Stefan und Dr.Dietmar Strimitzer (beide Arbeitgeber) in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Erika M*****, Pensionistin, ***** vertreten durch Dr.Andreas Foglar-Deinhardstein, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei Sozialversicherungsanstalt der gewerblichen Wirtschaft, 1051 Wien, Wiedner Hauptstraße 84-86, vertreten durch Dr.Karl Leitner, Rechtsanwalt in Wien, wegen Ausgleichszulage, infolge Rekurses der klagenden Partei gegen den Beschluß des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgerichtes in Arbeits- und Sozialrechtsachen vom , GZ 31 Rs 220/90-10, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Arbeits- und Sozialgerichtes Wien vom , GZ 3 Cgs 317/90-7, als nichtig aufgehoben wurde, folgenden

Beschluß

gefaßt:

Spruch

Dem Rekurs wird Folge gegeben.

Der angefochtene Beschluß wird aufgehoben. Dem Berufungsgericht wird die neuerliche Entscheidung über die Berufung aufgetragen. Die Rekurskosten sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung:

Die Klägerin bezieht von der beklagten Pensionsversicherungsanstalt der gewerblichen Wirtschaft seit dem eine Alterspension und eine Ausgleichszulage. Ab stellte die beklagte Partei die Zahlung dieser Ausgleichszulage ein und richtete an die Klägerin ein nicht als Bescheid bezeichnetes, mit datiertes Schreiben mit folgendem Wortlaut:

"Sehr geehrte gnädige Frau!

Die Ausgleichszulage ab ist derzeit nicht feststellbar. Die Auszahlung der Ausgleichszulage wird ab diesem Zeitpunkt daher vorsorglich eingestellt. Über den Anspruch wird nach Abschluß der laufenden Erhebungen entschieden. Da sie eine Pension aus Frankreich beziehen, fällt die Ausgleichszulage weg. Überdies bewirken die französischen Zeiten eine Änderung in der Pensionshöhe. Übersicht: monatliche Leistung ab . Pension S 1.144,70, Gesamtleistung S 1.144,70. Gegen diese Feststellung ist ein Rechtsmittel nicht zulässig".

Die Klägerin bekämpft die in diesem Schreiben ausgesprochene Entziehung der Ausgleichszulage innerhalb der gesetzlichen Frist von drei Monaten mit einer beim Erstgericht am protokollierten Klage, in der sie begehrt, die beklagte Partei schuldig zu erkennen, ihr die Ausgleichszulage zur Alterspension im gesetzlichen Ausmaß ab weiterzugewähren.

Die beklagte Partei beantragte die Zurückweisung der Klage (mangels Zulässigkeit des Rechtsweges), hilfsweise die Abweisung der Klage.

Das Erstgericht erkannte die beklagte Partei schuldig, der Klägerin auch über den hinaus die Ausgleichszulage in der gesetzlichen Höhe, das ist die sich aus der im Gewährungsbescheid vom genannten letzten Pensionshöhe und dem Richtsatz sowie aus den seither eingetretenen gesetzlichen Erhöhungen der Pension und des Richtsatzes ergebenden Höhe, weiterhin zu gewähren. Das von der beklagten Partei als Mitteilung gewertete Schreiben an die Klägerin stelle eine Bescheidausfertigung dar. Gemäß § 153 Abs 3 GSVG sei die Ausgleichszulage bei einer Änderung der für die Zuerkennung maßgebenden Sach- und Rechtslage neu festzustellen. Eine andere Grundlage für die Einstellung der Zahlung sei im Gesetz nicht zu finden. Ein allfälliger Wegfall der materiellen Voraussetzungen für die Gewährung der Ausgleichszulage bedürfe eines Vorgehens nach § 153 Abs 3 GSVG, um zur Einstellung der Zahlung zu führen. Das oben wiedergegebene Schreiben habe sowohl den Ausdruck eines Bescheidwillens wie auch den - wenngleich unrichtigen - Ausdruck der Rechtskraftfähigkeit dieser Entscheidung enthalten. Die Bescheidausfertigung enthalte überdies eine in ihren Spruch aufgenommene, wenn auch unzureichende Begründung. Damit sei aber gemäß §§ 65, 67 ASVG die Klage beim Arbeits- und Sozialgericht gegen diesen Bescheid zulässig. In materieller Hinsicht ergebe sich, daß die Grundlagen für die Entziehung der Ausgleichszulage nicht erwiesen seien. Aus den französischen Aktenauszügen seien keine aktuellen Daten zu entnehmen; das Vorbringen der Klägerin, sie beziehe keine französische Leistung ab dem , sei unwiderlegt. Für den Wegfall oder die Änderung der Voraussetzungen der Ausgleichszulage sei die beklagte Partei beweispflichtig. Eine Entziehung der Ausgleichszulage bloß "auf Verdacht hin" sei im Gesetz nicht vorgesehen. Die Entziehung der Ausgleichszulage sei daher unbegründet erfolgt. Die vor der Entziehung bestehende Rechtslage sei daher wiederherzustellen gewesen.

Das Berufungsgericht gab der von der beklagten Partei unter anderem wegen Nichtigkeit erhobenen Berufung Folge, es hob das angefochtene Urteil und das diesem vorangegangene Verfahren als nichtig auf und wies die Klage zurück. Das Schreiben der beklagten Partei vom sei zwar - entgegen ihrer Ansicht - als Bescheid zu werten, doch lasse sich daraus für den Standpunkt der Klägerin nichts gewinnen, weil nicht jeder Bescheid mit Klage iS des § 67 ASGG bekämpfbar sei. Streitigkeiten über die Auszahlung von Versicherungsleistungen seien im § 65 ASGG nicht aufgezählt. Insbesondere liege keine Sozialrechtssache gemäß § 65 Abs 1 Z 1 ASGG vor, weil die beklagte Partei über den Bestand, den Umfang oder das Ruhen der Leistung nicht entschieden, sondern zum Ausdruck gebracht habe, daß der Anspruch auf diese Leistung derzeit nicht feststellbar sei und daß über diesen Anspruch nach Abschluß der laufenden Erhebungen entschieden werde. Für die vorsorgliche Einstellung der Auszahlung der Ausgleichszulage bestehe angesichts der gesetzlichen Regel des § 72 Abs 2 GSVG keine Grundlage. Offenbar im Hinblick auf die klaren gesetzlichen Regelungen über die Auszahlung der Leistungen und im Vertrauen auf die gesetzmäßige Vollziehung dieser Normen durch die Versicherungsträger habe der Gesetzgeber Streitigkeiten über die Auszahlung von Leistungen nicht in die den Gegenstand von Sozialrechtssachen nach § 65 ASGG bildenden Rechtsstreitigkeiten eingeordnet. Damit sei der Rechtsweg unzulässig.

Der gegen diesen Beschluß von der Klägerin erhobene Rekurs ist gemäß § 519 Abs 1 Z 1 ZPO iVm § 2 Abs 1 ASGG zulässig; er ist auch berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

Ein Bescheid ist anzunehmen, wenn der zu beurteilende Akt von einer Behörde stammt, die Bescheide erlassen darf, und wenn sich aus seinem Inhalt der Wille der Behörde ergibt, eine Verwaltungsangelegenheit gegenüber einer bestimmten Person normativ zu regeln, d.h. bindende Rechtsverhältnisse zu gestalten oder festzustellen (Antoniolli/Koja, Allgemeines Verwaltungsrecht 471 und 474; Walter/Mayer, Verwaltungsverfahren4 Rz 384 und 396 je mit weiteren Nachweisen; Kuderna ASGG 369 Erl. 4 zu § 67; SSV-NF 1/3). Im Licht dieser Rechtslage muß der Ansicht der Vorinstanzen, das Schreiben der beklagten Partei vom 2.3. sei ein Bescheid, beigestimmt werden. Es ist eindeutig, daß die beklagte Partei mit diesem Schreiben gegenüber der Klägerin bindend zum Ausdruck bringen wollte, sie werde ihr die Ausgleichszulage ab nicht mehr auszahlen. Zur Begründung wurde ausdrücklich angeführt, daß die Klägerin eine Pension aus Frankreich beziehe und daß daher die Ausgleichszulage wegfalle. Dies bedeutet aber eine Gestaltung oder zumindest Feststellung des Rechtsverhältnisses zur Klägerin in einem bestimmten Punkt, nämlich in der Frage der Einstellung der Zahlung der Ausgleichszulage wegen eines weiteren Pensionsbezuges und damit auch der Ablehnung einer Bevorschussung der Leistung iSd § 368 Abs 2 ASVG (vgl. SSV-NF 3/9, 4/1), bis zur Klärung des weiteren Anspruches der Klägerin auf Augleichszulage. Daß die beklagte Partei dabei das Wort "vorsorglich" verwendete, ändert daran nichts. Nicht entscheidend ist ferner, daß das Schreiben "in höflicher Form" abgefaßt wurde, weil dies nicht ausschließt, daß Rechtswirkungen - nämlich die Einstellung der Ausgleichszulagenzahlungen - festgelegt oder festgestellt wurden. In diesem Punkt unterscheidet sich der hier zu beurteilende Fall von jenem, welcher der Entscheidung der Verwaltungsgerichtshofs vom , Zl 87/11/0168 (= ZfVB 1989/614) zugrunde lag und in der aus den angeführten Umständen auf das Fehlen der Bescheidqualität geschlossen wurde. Damals wurde nämlich in die Rechte der Partei nicht unmittelbar eingegriffen. Auch die Rechtsprechung des VwGH (Slg. 9.458 A/1977; ZfVB 1989/614; ZfVB 1989/1309), wonach es bei Zweifeln auf die Bezeichnung als "Bescheid" ankommt, schlägt hier nicht durch; daß diese Bezeichnung in anderen Fällen nicht wesentlich ist, entspricht der ständigen Lehre und Rechtsprechung (Antoniolli/Koja aaO 476 f und Walter/Mayer aaO Rz 387 je mwN; Kuderna aaO; jüngst S. Pesendorfer in JBl 1991, 152 (153 ff) mit Hinweisen auf die Judikatur des VfGH).

War aber das strittige Schreiben ein Bescheid, so ist die von der Klägerin eingebrachte Klage gemäß § 65 Abs 1 Z 1 und § 67 Abs 1 Z 1 ASGG zulässig. Sozialrechtssachen sind demnach Rechtsstreitigkeiten über den Bestand, den Umfang oder das Ruhen eines Anspruchs auf Versicherungsleistungen. In einer solchen Leistungssache darf vom Versicherten eine Klage erhoben werden, wenn der Versicherungsträger darüber bereits mit Bescheid entschieden hat. Richtig ist, daß ein Streit über die Überprüfung der Auszahlung zuerkannter Leistungen keine Sozialrechtssache in diesem Sinne ist (Kuderna aaO 358 in Erl. 3 zu § 65 unter Hinweis auf OLG Wien SSV 12/14). Ist etwa nur strittig, wem eine dem Grund und der Höhe nach unbestrittene Pension auszuzahlen ist, etwa der Sachwalterin des Pensionisten oder dem Zessionar, liegt keine Leistungssache vor (SSV-NF 1/42). Ebenso ist die Überprüfung der Auszahlung einer zuerkannten, dem Grund und der Höhe nach unbestrittenen Leistung weder eine Leistungssache noch eine bürgerliche Rechtssache iS des § 1 JN und daher den ordentlichen Gerichten entzogen (SSV-NF 1/55). In allen diesen Fällen wurde aber betont, daß es nicht um den Bestand, den Umfang oder das Ruhen, sondern ausschließlich um die Auszahlung der dem Grunde und der Höhe nach unbestrittenen Pensionsleistungen ging. Wie die Klägerin zutreffend darlegt, kann in ihrem Fall gerade davon, nämlich daß ihr Anspruch auf Ausgleichszulage dem Grunde und der Höhe nach unbestritten sei, keine Rede sein. Wie sich aus dem Wortlaut des als Bescheid zu qualifizierenden Schreibens ergibt, erklärte die beklagte Partei die Ausgleichszulage als "weggefallen", weil die Klägerin eine Pension aus Frankreich beziehe und sprach aus, daß die Auszahlung der Ausgleichszulage ab "eingestellt" werde. Gemäß § 153 Abs 1 GSVG gebührt die Ausgleichszulage in der Höhe des Unterschiedes zwischen der Summe aus Pension, Nettoeinkommen und den gemäß § 151 GSVG zu berücksichtigenden Beiträgen einerseits und dem Richtsatz andererseits. Bei einer Änderung der für die Zuerkennung der Ausgleichszulage maßgebenden Sach- und Rechtslage hat der Träger der Pensionsversicherung die Ausgleichszulage auf Antrag des Berechtigten oder von Amts wegen neu festzustellen (§ 153 Abs 3 GSVG). Da die Klägerin den Rechtsstandpunkt vertritt, für eine Einstellung der Zahlung bestehe kein Anlaß, liegt hier eine Rechtsstreitigkeit über den Bestand und den Umfang des Anspruchs auf Ausgleichszulage vor. Die Ankündigung der beklagten Partei, über den Anspruch nach Abschluß der laufenden Erhebungen zu entscheiden, ist unbeachtlich.

Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichtes liegen daher die im § 67 Abs 1 ASGG genannten Verfahrensvoraussetzungen vor. Eine Nichtigkeit nach § 477 Abs 1 Z 6 ZPO ist ebensowenig ersichtlich wie ein Grund für die Zurückweisung der Klage nach § 73 ASGG. Dem Rekurs der Klägerin war daher Folge zu geben. Ihrem Rechtsmittelantrag, zugleich das Urteil des Erstgerichtes "zu bestätigen", gemeint wiederherzustellen, kann allerdings nicht nähergetreten werden. Wenngleich das Berufungsgericht deutlich zum Ausdruck gebracht hat, daß seiner Auffassung nach für die vorsorgliche Einstellung der Auszahlung der Ausgleichszulage keine gesetzliche Grundlage bestand, so hat es doch über die Berufung, die außer der Nichtigkeit auch unrichtige rechtliche Beurteilung, unrichtige Beweiswürdigung und Mangelhaftigkeit des Verfahrens geltend machte, nicht meriotorisch, sondern formell im Sinne einer Nichtigerklärung und Zurückweisung der Klage entschieden. Der von der Klägerin erhobene Rekurs ist ein solcher nach § 519 Abs 1 Z 1 ZPO; nur über einen Rekurs nach § 519 Abs 1 Z 2 ZPO kann der Oberste Gerichtshof durch Urteil in der Sache selbst erkennen, wenn die Streitsache zur Entscheidung reif ist (Abs 2 letzter Satz leg.cit.). Daher war dem Berufungsgericht die neuerliche (meritorische) Entscheidung über die Berufung aufzutragen.

Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 Abs 1 ZPO.