VfGH vom 03.12.1986, B90/85

VfGH vom 03.12.1986, B90/85

Sammlungsnummer

11144

Leitsatz

MRK; Verstoß gegen Art 3 durch das absichtliche Versetzen eines Fußtrittes in das Gesicht (mit Verletzungsfolgen)

Spruch

Der Bf. ist dadurch, daß ihm am in der Stopfenreuther Au ein Organ der Sicherheitsdirektion für NÖ einen Tritt in das Gesicht versetzt hat, im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht, keiner unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung unterworfen zu werden, verletzt worden.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. In der auf Art 144 B-VG gestützten Beschwerde wird vorgebracht, der Bf. habe am in der Stopfenreuther Au an der Versammlung zahlreicher Menschen teilgenommen, welche versucht hätten, die Vorarbeiten für das Donaukraftwerk Hainburg zu verhindern.

Der Bf. habe am nördlichen Fuß des Hubertusdammes zusammen mit etwa sieben oder acht anderen Personen eine Kette gebildet. Diese Gruppe hätte sich gegenseitig mit den Händen eingehakt, wobei der Bf. am nördlichen Ende der Kette gestanden sei. In der Folge seien etwa acht bis zehn Gendarmeriebeamte auf die Personengruppe zugekommen. Zwei Beamte hätten den Bf. aus der Menschenkette herausgerissen und zu Sturz gebracht. Als der Bf. gestürzt sei, hätte ihn ein dritter Gendarmeriebeamter mit dem Stiefel in das Gesicht getreten, wodurch der Bf. einen Nasenbeinbruch erlitten habe. Der Bf. sei sodann mit der Rettung in das Krankenhaus Hainburg gebracht worden.

Der Bf. erachtet sich - wie sein Vorbringen insgesamt ergibt - durch den Tritt mit dem Stiefel in das Gesicht im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht, keiner unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung unterworfen zu werden, sowie in anderen - näher bezeichneten - verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten verletzt und beantragt, der VfGH wolle dies kostenpflichtig feststellen.

2. Die Sicherheitsdirektion für NÖ (vertreten durch die Finanzprokuratur) hat in einer Gegenschrift zu dem in Beschwerde gezogenen Sachverhalt nicht konkret Stellung genommen, sondern allgemein ausgeführt, selbst wenn die Maßnahmen der Exekutivbeamten für den Bf. Härten (Prellungen, Schmerzen) nach sich gezogen hätten, wäre der Bf. nicht in einem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht verletzt worden (Hinweis auf die ständige Rechtsprechung des VfGH zu Art 3 MRK, zB VfSlg. 8146/1977). Das persönliche Verhalten des von der Amtshandlung Betroffenen sei sowohl aus der Sicht seines spezifischen Verhaltens als auch jener des Verhaltens der Gruppe nicht ohne Bedeutung. Es sei auch zu prüfen, ob das Gesamtgeschehen (der gesamte Einsatz der Exekutive) noch im Zuge war und der Wille des einzelnen Organes dem (rechtmäßigen) Ziel des Einsatzes noch vertretbar untergeordnet gewesen sei. Auf der Grundlage dieser Kriterien lägen der Sicherheitsdirektion für NÖ keine Anhaltspunkte dafür vor, daß Organe der Exekutive den ihnen durch Art 3 MRK gesetzten Rahmen überschritten hätten. Es werde daher die Abweisung der Beschwerde beantragt.

II. Der VfGH hat über die - zulässige - Beschwerde erwogen:

1. Belangte Behörde ist hier die Sicherheitsdirektion für NÖ (s. hiezu die Ausführungen im Erk. des VfGH VfSlg. 10916/1986 und andere Zahlen, betreffend ebenfalls Gewaltanwendung durch die Exekutive am in der Stopfenreuther Au).

2. a) Der VfGH hat Beweis erhoben durch die Einvernahme des Bf. als Partei im Rechtshilfeweg und durch Einsichtnahme in die Verletzungsanzeige des öffentlichen Krankenhauses Hainburg vom . Der Bf. hat bei seiner Aussage seine Beschwerdebehauptung wiederholt, wonach er von zwei Gendarmeriebeamten aus der Kette der Demonstranten weggerissen und auf den Boden geworfen worden sei. Als er auf dem Boden gelegen sei, habe er einen Gendarmeriebeamten auf sich zukommen sehen; der Beamte habe ihn dann ohne Grund mit dem Stiefel ins Gesicht getreten und dabei verletzt. Er (der Bf.) könne ausschließen, daß der Tritt aufgrund eines Ausrutschens des Beamten erfolgt sei; es sei eindeutig eine absichtliche Handlung gewesen.

Diese Angaben werden bestärkt durch den Inhalt der Verletzungsanzeige des öffentlichen Krankenhauses Hainburg, wonach beim Bf. tatsächlich Verletzungen, und zwar ein Nasenbeinbruch mit Seitenverschiebung nach links, eine Schädelprellung und Nasenbluten diagnostiziert wurden.

b) Der VfGH nimmt aufgrund dieser Beweise als erwiesen an, daß ein (unbekannt gebliebener) Gendarmeriebeamter dem Bf. einen Fußtritt in das Gesicht versetzt hat. Der Gerichtshof hat unter den hier gegebenen Umständen keinen Anlaß, an der Richtigkeit der Angaben des Bf. zu zweifeln, denen auch die bel. Beh. in der mündlichen Verhandlung vor dem VfGH nicht entgegengetreten ist. Die Art der festgestellten Verletzungen deutet darauf hin, daß die Gewalteinwirkung zumindest mit einiger Wucht erfolgt ist. Es gibt auch keinen Hinweis, daß diese Verletzungen auf andere Weise entstanden sein könnten.

Es steht außer Frage, daß eine derartige behördliche Vorgangsweise als eine Mißhandlung iS des Art 3 MRK zu qualifizieren ist (vgl. in diesem Zusammenhang etwa VfSlg. 10250/1984 betreffend das Versetzen von Faustschlägen und Fußtritten).

3. Es ist daher auszusprechen, daß der Bf. durch den in Beschwerde gezogenen Fußtritt im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht nach Art 3 MRK verletzt worden ist. Bei diesem Ergebnis erübrigt es sich, auf die Behauptung einzugehen, der Bf. sei durch die inkriminierte Amtshandlung auch in einem anderen verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht verletzt worden.