OGH vom 27.02.2020, 12Os14/20f
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat am durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Solé als Vorsitzenden sowie durch den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Oshidari und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Michel-Kwapinski, Dr. Brenner und Dr. Setz-Hummel in Gegenwart der Schriftführerin Maurer im Verfahren zur Unterbringung des Jürgen M***** in einer Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher nach § 21 Abs 1 StGB, AZ 9 Hv 61/19w des Landesgerichts für Strafsachen Graz, über die von der Generalprokuratur gegen das Urteil dieses Gerichts als Schöffengericht vom (ON 50) erhobene Nichtigkeits-beschwerde zur Wahrung des Gesetzes nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters der Generalprokuratur, Generalanwalt Mag. Schneider zu Recht erkannt:
Spruch
Im Verfahren AZ 9 Hv 61/19w des Landesgerichts für Strafsachen Graz verletzt das Urteil dieses Gerichts als Schöffengericht vom (ON 50) in seinem Ausspruch über die Anlasstat das Gesetz in den Bestimmungen der § 21 Abs 1 und 269 Abs 1 StGB sowie § 270 Abs 2 Z 5 StPO iVm § 430 Abs 2 StPO.
Dieses Urteil wird im Ausspruch über die Anlasstat und demzufolge in der Anordnung der Unterbringung in einer Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher nach § 21 Abs 1 StGB aufgehoben und die Sache in diesem Umfang zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Landesgericht für Strafsachen Graz verwiesen.
Text
Gründe:
Mit Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Graz als Schöffengericht vom , GZ 9 Hv 61/19w-50, wurde die Unterbringung des Jürgen M***** in einer Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher nach § 21 Abs 1 StGB angeordnet (I./).
Danach hat er am in G***** unter dem Einfluss eines die Zurechnungsfähigkeit ausschließenden Zustands (§ 11 StGB), der auf einer geistigen oder seelischen Abartigkeit von höherem Grad beruht, und zwar einer „bipolaraffektiven Störung/manische Episode“ mit psychotischen Symptomen (ICD10: F31.2), einer psychischen und „Verhaltensstörung durch Alkohol/akute Intoxikation“ im Sinn einer leichten bis mittelgradigen Berauschung (ICD10: F10.0) und einer „psychischen und Verhaltensstörung durch Alkohol/Abhängigkeitssyndrom“ (ICD10: F10.2), die Polizeibeamten Marco Z***** und Stephanie P***** durch die Äußerungen: „Das ist jetzt der Tod für euch zwei, ich werde euch umbringen und du Schwuchtel (gemeint: Z*****) schieß doch! Ihr seid jetzt tot, ihr Arschlöcher, lasst mich in Ruhe! Ich bring euch um, ihr zwei Wichser! Du Schlampe (gemeint: P*****), lass meine Hand los, bist sowieso zu schwach und du kannst sowieso nur schießen, scheiß Möchtegern-Polizisten!“, wobei er diese durch teilweises Ballen der Fäuste und sein aggressives Verhalten unterstrich, sohin durch gefährliche Drohung mit zumindest einer Verletzung am Körper, an Amtshandlungen, nämlich der Durchführung von Ermittlungen eines ihnen zur Kenntnis gelangten Verdachts einer Straftat, der Identitätsfeststellung und der anschließenden Vollziehung der Festnahme zu hindern versucht, und somit eine Tat begangen, die ihm, wäre er zurechnungsfähig gewesen, als das Vergehen des Widerstands gegen die Staatsgewalt nach § 15, 269 Abs 1 erster Fall StGB zuzurechnen wäre und die mit ein Jahr übersteigender Freiheitsstrafe bedroht ist.
Nach den Urteilsfeststellungen zur Anlasstat wurde Jürgen M***** von den Polizeibeamten Z***** und P***** auf der Fahrbahn verkehrsbehindernd mit einer Glasflasche in der Hand stehend angetroffen. Z***** forderte M***** auf, das Verhalten zu unterlassen und die Glasflasche auf den Boden zu stellen, woraufhin sich der Betroffene mit geballten Fäusten vor die uniformierten Polizeibeamten Z***** und P***** stellte und die im Referat der entscheidenden Tatsachen (vgl US 1 f) enthaltenen Äußerungen tätigte (US 4).
Im Rahmen der rechtlichen Beurteilung führte das Schöffengericht zudem aus: „An dieser [im Urteil zuvor näher beschriebenen] Amtshandlung im Sinne des § 69 Abs 3 StGB hat Jürgen M***** die Beamten gehindert, indem er ihnen gegenüber die [im Referat der entscheidenden Tatsachen zitierten] Äußerungen [tätigte], wobei er diese durch teilweises Ballen der Fäuste und sein aggressives Verhalten unterstrich. Dieses Verhalten ist nicht wirklich als 'passiver Widerstand' (der nach § 269 Abs 1 StGB nicht strafbewehrt ist), sondern vielmehr als gefährliche Drohung mit zumindest einer Verletzung am Körper, um Beamte an der Durchführung von Amtshandlungen zu hindern, zu qualifizieren“ (US 8).
Gegen dieses Urteil hat der Betroffene (nur) Berufung angemeldet (ON 49 S 21, ON 53) und ausgeführt (ON 52, vgl ON 55), sodass der Ausspruch über die Begehung und Subsumtion der Anlasstat einschließlich der Zurechnungsfähigkeit (§ 430 Abs 2 StPO iVm § 260 Abs 1 Z 1 und 2 StPO; vgl Ratz in WK2 StGB Vor § 21–25 Rz 8) in Rechtskraft erwachsen ist. Über die Berufung des Betroffenen hat das Oberlandesgericht Graz (AZ 9 Bs 457/19b) bisher nicht entschieden.
Wie die Generalprokuratur in ihrer zur Wahrung des Gesetzes erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde zutreffend ausführt, steht das obangeführte Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Graz mit dem Gesetz nicht in Einklang.
Rechtliche Beurteilung
Gemäß § 270 Abs 2 Z 5 StPO iVm § 430 Abs 2 StPO muss das Schöffengericht in den Entscheidungsgründen der Urteilsausfertigung in gedrängter Darstellung, aber mit voller Bestimmtheit (soweit hier von Relevanz) angeben, welche Tatsachen es als erwiesen oder als nicht erwiesen angenommen hat (Konstatierungen zur objektiven und zur subjektiven Tatseite; vgl Danek, WK-StPO § 270 Rz 30 f und 35). Die Anordnung der Unterbringung in einer Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher nach § 21 Abs 1 StGB setzt (unter anderem) die Begehung einer mit (ein Jahr übersteigender Freiheits-)Strafe bedrohten Handlung (Anlasstat) voraus, die nur vorliegt, wenn sowohl der objektive als auch der subjektive Tatbestand erfüllt sind (RISJustiz RS0119623, RS0090295; Ratz in WK2 StGB § 21 Rz 14).
In der hier vorliegenden Konstellation setzt der Tatbestand des Widerstands gegen die Staatsgewalt gemäß § 269 Abs 1 erster Fall StGB in objektiver Hinsicht die Hinderung eines Beamten an einer Amtshandlung iSd Abs 3 leg cit durch gefährliche Drohung (§ 74 Abs 1 Z 5 StGB – vgl Danek/Mann in WK2 StGB § 269 Rz 61; Jerabek/Ropper in WK2 StGB § 74 Rz 22 ff; Schwaighofer in WK2 StGB § 105 Rz 43 ff) und in subjektiver Hinsicht einen auf sämtliche Tatbildmerkmale bezogenen zumindest bedingten Vorsatz des Täters (Danek/Mann in WK2 StGB § 269 Rz 67) voraus.
Bezugspunkt der rechtlichen Beurteilung eines Sachverhalts als gefährliche Drohung (§ 74 Abs 1 Z 5 StGB) sind Feststellungen zum Bedeutungsinhalt der drohenden Äußerung (oder der sonstigen Täterhandlung) sowie der darauf bezogenen subjektiven Tatseite.
Den Entscheidungsgründen sind (im Sinn der obigen Ausführungen) weder Feststellungen zum Bedeutungsinhalt noch zur Ernstlichkeit der Äußerungen und der unterstützenden Gesten zu entnehmen. Des Weiteren fehlen Konstatierungen, dass sich der (zumindest bedingte) Vorsatz des Betroffenen auf die Hinderung von Polizeibeamten an einer Amtshandlung bezog.
Dass M***** nach dem Referat der entscheidenden Tatsachen (§ 260 Abs 1 Z 1 StPO) die Polizeibeamten durch die zitierten Äußerungen, die er „durch teilweises Ballen der Fäuste und sein aggressives Verhalten unterstrich, somit durch gefährliche Drohung mit zumindest einer Verletzung am Körper, an Amtshandlungen ... zu hindern versucht“ hat (US 1 f), vermag die gebotenen Feststellungen des wesentlichen Sachverhalts in den Entscheidungsgründen nicht zu ersetzen (RISJustiz RS0099791). Auch die im Rahmen der rechtlichen Beurteilung getroffene und im Wesentlichen auf die substanziierte Wiedergabe [der] verba legalia beschränkte – solcherart ohne Sachverhaltsbezug gebliebene – Urteilsannahme, wonach das „Verhalten“ des Betroffenen „als gefährliche Drohung mit zumindest einer Verletzung am Körper, um die Beamten an der Durchführung von Amtshandlungen zu hindern, zu qualifizieren“ sei (US 8), vermag das Feststellungsdefizit nicht zu beseitigen.
Das Urteil enthält somit keine hinreichende Sachverhaltsgrundlage für die Subsumtion unter § 15, 269 Abs 1 StGB (als Anlasstat iSd § 21 Abs 1 StGB).
Dieser Rechtsfehler mangels Feststellungen wirkt zum Nachteil des Betroffenen. Der Oberste Gerichtshof sah sich veranlasst, die Feststellung der daraus resultierenden Gesetzesverletzungen auf die im Spruch ersichtliche Weise mit konkreter Wirkung zu verbinden (§ 292 letzter Satz StPO).
Die Berufung des Betroffenen ist damit gegenstandslos.
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ECLI: | ECLI:AT:OGH0002:2020:0120OS00014.20F.0227.000 |
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