OGH vom 11.09.2007, 10ObS88/07z
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Schinko als Vorsitzenden, die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Fellinger und Hon. Prof. Dr. Neumayr sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Markus Kaspar (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Monika Kemperle (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Johannes Z*****, vertreten durch Mag. Dr. Andreas Mauhart, Rechtsanwalt in Linz, gegen die beklagte Partei Pensionsversicherungsanstalt, Friedrich Hillegeist-Straße 1, 1021 Wien, vertreten durch Dr. Vera Kremslehner und andere Rechtsanwälte in Wien, wegen Invaliditätspension, infolge außerordentlicher Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Linz als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom , GZ 12 Rs 36/07m-30, den Beschluss
gefasst:
Spruch
Die außerordentliche Revision der beklagten Partei wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.
Text
Begründung:
Dem am geborenen, nach § 255 Abs 3 ASVG verweisbaren Kläger ist seit spätestens September 2005 die Behandlungsbedürftigkeit seiner Alkoholkrankheit bekannt. Eine Entzugsbehandlung war und ist ihm zumutbar und es hätte auch Möglichkeiten dazu gegeben; der Kläger hat sich jedoch keiner Entwöhnungsbehandlung unterzogen und auch nicht versucht, in einer geeigneten Einrichtung aufgenommen zu werden. Ab Herbst 2005 hat der Kläger den Alkohol- und Drogenkonsum gesteigert, sodass er seit Anfang des Jahres 2006 auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt nicht mehr einsetzbar ist. Bei Durchführung einer Therapie in Form einer achtbis zwölfwöchigen stationären Behandlung samt zehnmonatiger ambulanter Nachsorge hätte die Chance bestanden, dass der Kläger sein Alkohol- und Suchtproblem in den Griff bekommt. Jedenfalls hätte sich sein Zustand nicht weiter verschlechtert.
Das Erstgericht hat das auf Zuspruch der Invaliditätspension ab gerichtete Klagebegehren abgewiesen. Das Berufungsgericht sprach aus, dass dem Kläger die Invaliditätspension für den Zeitraum von bis dem Grunde nach zusteht und trug der beklagten Partei bis zur Erlassung des die Höhe der Leistung festsetzenden Bescheides die Erbringung einer vorläufigen Zahlung auf.
Die außerordentliche Revision der beklagten Partei ist nicht zulässig.
Rechtliche Beurteilung
Eine schuldhafte, also zumindest leicht fahrlässige Verletzung der Mitwirkungspflicht eines Versicherten, sich einer zumutbaren Heilbehandlung zu unterziehen, durch die seine - herabgesunkene - Arbeitsfähigkeit soweit gebessert werden könnte, dass Invalidität oder Berufsunfähigkeit nicht mehr vorliegt, führt nach ständiger Rechtsprechung dazu, dass ein Anspruch auf eine Pension aus dem Versicherungsfall der geminderten Arbeitsfähigkeit ab dem Zeitpunkt nicht besteht, zu dem die Heilbehandlung, wäre sie durchgeführt worden, zu einer Besserung des Zustandes geführt hätte (zB 10 ObS 213/00x = SSV-NF 14/100 mwN). Zwischen Gewährung und Entziehung wird dabei nicht differenziert (RIS-Justiz RS0084370). Die schuldhafte Verletzung der Mitwirkungspflicht ist vom beklagten Pensionsversicherungsträger zu behaupten und zu beweisen (10 ObS 121/01v = SSV-NF 15/69 ua).
Eine Mitwirkungspflicht zur Durchführung der Entzugsbehandlung ist allerdings im vorliegenden Fall nicht rechtzeitig entstanden. Wie der Oberste Gerichtshof in der Entscheidung 10 ObS 188/04a (EvBl 2006/90 = ARD 5685/9/2006 = RdW 2006/421, 457) unter Berufung auf Schrammel (Anmerkung zu 10 ObS 90/91, DRdA 1992/8, 120) ausführlich dargestellt hat, hängt eine Pflicht des Versicherten zur Heilbehandlung generell (und nicht nur im Fall des Entzuges einer Leistung) von einem entsprechenden Verlangen des Versicherungsträgers ab. Stellt sich im gerichtlichen Verfahren aufgrund eines Sachverständigenbeweises heraus, dass ein Leidenszustand durch eine Heilbehandlung verbessert werden könnte, ist der Versicherte vom Versicherungsträger zur Mitwirkung aufzufordern (siehe Schrammel, DRdA 1992, 123). Dass sie mit einem derartigen Verlangen an den Kläger herangetreten wäre, behauptet die beklagte Partei nicht, sondern beruft sich unter Hinweis auf die Entscheidung 10 ObS 253/99z(SSV-NF 13/122) darauf, dass der Versicherte verpflichtet gewesen wäre, von sich aus tätig zu werden und die notwendige Behandlung in Anspruch zu nehmen. Diese Rechtsansicht steht jedoch nicht in Einklang mit der aktuellen höchstgerichtlichen Judikatur, der das Berufungsgericht gefolgt ist. Demnach besteht der Leistungsanspruch dann nicht, wenn der Leistungsberechtigte trotz ausdrücklichen Hinweises auf die Folgen seines (Fehl-)Verhaltens, nämlich den Verlust des geltend gemachten Anspruchs, die Aufforderung des zuständigen Versicherungsträgers, sich einer zumutbaren Behandlung zu unterziehen, nicht befolgt. Mangels eines entsprechenden Verlangens ist eine Mitwirkungspflicht des Klägers nicht entstanden, sodass ihm die begehrte Leistung für den zweijährigen Zeitraum von bis zusteht. Wie bereits angeführt besteht bei den Mitwirkungspflichten kein grundsätzlicher Unterschied zwischen Gewährung und Entziehung einer Leistung.
Mangels einer erheblichen Rechtsfrage iSd § 502 ZPO ist die außerordentliche Revision der beklagten Partei zurückzuweisen.