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VfGH vom 08.12.2010, b87/10

VfGH vom 08.12.2010, b87/10

Sammlungsnummer

19254

Leitsatz

Verletzung des beschwerdeführenden Rechtsanwaltsanwärters im Gleichheitsrecht durch Verhängung einer Disziplinarstrafe wegen beleidigender Formulierungen in einem Schriftsatz; Äußerungen in Schriftsätzen an Gerichte oder Behörden dem (ausbildenden) Rechtsanwalt zuzurechnen

Spruch

Der Beschwerdeführer ist durch den angefochtenen Bescheid im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz verletzt worden.

Der Bescheid wird aufgehoben.

Die Vorarlberger Rechtsanwaltskammer ist schuldig, dem Beschwerdeführer zuhanden seines Rechtsvertreters die mit € 2.620,-- bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu bezahlen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. Der Beschwerdeführer war Rechtsanwaltsanwärter in Vorarlberg. Mit Erkenntnis des Disziplinarrates der Vorarlberger Rechtsanwaltskammer vom wurde er schuldig befunden,

"dadurch, dass er im aufgetragenen Schriftsatz vom

an das LG Feldkirch zu Z ... durch das Vorbringen zu

Punkt 12. 'dass es vielleicht in der Kanzlei des Klagsvertreters üblich sein mag, dass Mandanten bei Schriftsätzen behilflich sind oder diese sogar selbst erstellen' gegen die Bestimmung des § 18 RL-BA bzw. § 1 DST und dadurch gegen Berufspflichten verstoßen sowie Ehre und Ansehen des Rechtsanwaltsstandes beeinträchtigt [zu haben]."

Es wurde dem Beschwerdeführer ein Verweis erteilt und ausgesprochen, dass er gemäß § 38 Abs 2 des Disziplinarstatutes für Rechtsanwälte und Rechtsanwaltsanwärter, BGBl. 474/1990, (im Folgenden: DSt) die Kosten des Verfahrens zu ersetzen habe.

2. Die dagegen erhobene Berufung wurde mit Erkenntnis der Obersten Berufungs- und Disziplinarkommission (im Folgenden: OBDK) vom abgewiesen. Die OBDK führte begründend aus:

"... Auch die Wertung des Disziplinarrats, mit diesem

Vorbringen sei [dem Beschwerdeführer] ein Disziplinarverstoß anzulasten, begegnet keinen Bedenken. Die [vom Beschwerdeführer] gewählte Formulierung unterstellt, dass es in der Kanzlei Dris. ... üblich sei, dass Klienten selbst Schriftsätze erstellen oder hiebei behilflich seien. Diese Formulierung hat den Beigeschmack, dass der dermaßen angegriffene Anwalt nicht in der Lage sei, ordnungsgemäß Schriftsätze zu verfassen, und ist als persönlicher Angriff gegenüber

Dr. ... zu werten. Dass die verwendete Formulierung im Interesse des

Mandanten, für den [der Beschwerdeführer] tätig war, notwendig gewesen wäre (im Sinne des § 9 RAO), ist nicht nachvollziehbar. Dadurch, dass [der Beschwerdeführer] im Schriftsatz vom im Anschluss an die inkriminierte Formulierung betonte, eine derartige Vorgangsweise sei in der Kanzlei, in der er tätig sei, nicht der Fall, und hätten seine Mandanten keinen Einfluss auf die Formulierung bzw. Wortwahl in Schriftsätzen, zeigt der Disziplinarbeschuldigte, dass er mit der gewählten Ausdrucksweise besonders betonen wollte, dass es ihm nicht um die

Informationserteilung an Dr. ... ging, sondern darum, diesen insofern

herabzuwürdigen, als er bei der Formulierung von Schriftsätzen auf die Hilfe seiner Mandanten angewiesen sei. Wenngleich grundsätzlich gegen eine 'Hilfe' durch Mandanten beim Verfassen von Schriftsätzen kein Einwand besteht, stellt diese Formulierung eine Herabwürdigung des gegnerischen Anwalts, also einen persönlichen Angriff auf diesen und ein unnötiges 'In den Streit-Ziehen' dar.

Die in der Berufung erhobene Behauptung, der Schriftsatz vom stamme nicht [vom Beschwerdeführer], sondern vom zuständigen Ausbildungsanwalt ..., verblüfft. Der Disziplinarbeschuldigte hat in der Disziplinarverhandlung vom zwar die Auffassung vertreten, die Sache betreffe ihn nicht und er sei sich keiner Schuld bewusst, hat aber bezüglich der inkriminierten Formulierungen zugestanden, dass diese von ihm stammten. Auch in der Verteidigungsschrift vom , auf die er sich in der Disziplinarverhandlung ausdrücklich berief, führt er lediglich zur Formulierung von grammatikalischen Mängeln im Schriftsatz an, diese seien über Ersuchen [des Ausbildungsanwaltes] [vom Beschwerdeführer] in den Schriftsatz aufgenommen worden, bekennt sich aber im Übrigen zu den hier inkriminierten Vorwürfen. Der Einwand, [der Ausbildungsanwalt] habe diese Passagen zu verantworten, ist daher unbegründet. Ob [der Ausbildungsanwalt] verpflichtet gewesen wäre, die [vom Beschwerdeführer] gewählte sprachliche Formulierung rechtzeitig zu verhindern, ist nicht maßgeblich. Auch einem Rechtsanwaltsanwärter mit kleiner Legitimationsurkunde ist zuzumuten, dass er die Standeswidrigkeit eines derartigen Vorgehens erkennt und schon nach dem normalen Sprachgebrauch wahrnimmt, dass das inkriminierte Vorbringen eine Herabsetzung und Verhöhnung bedeutet. ..."

3. Gegen dieses als Bescheid zu wertende Erkenntnis der OBDK richtet sich die vorliegende auf Art 144 B-VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung in den verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten gemäß Art 7 B-VG, Art 83 Abs 2 B-VG, Art 5 StGG und Art 6 EMRK sowie des Legalitätsprinzips behauptet wird.

Begründend wird ausgeführt, die belangte Behörde habe sich nicht mit der Frage auseinandergesetzt, ob die inkriminierte Formulierung im Schriftsatz ausschließlich dem Beschwerdeführer, nicht aber dem Ausbildungsanwalt, zurechenbar sei, weil dieser die Ausführungen im Schriftsatz zu verantworten habe. Da der Beschwerdeführer durch den angefochtenen Bescheid zur Tragung der Kosten des Berufungsverfahrens verpflichtet werde, verletze der Bescheid den Beschwerdeführer im verfassungesetzlich gewährleisteten Recht auf Unversehrtheit des Eigentums gemäß Art 5 StGG. Weiters setze sich der Disziplinarrat ausschließlich aus Rechtsanwälten zusammen, nicht aber auch aus Rechtsanwaltsanwärtern. Der Beschwerdeführer sei daher in seinem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz verletzt.

4. Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet, in der sie den Beschwerdeausführungen entgegentritt und die Abweisung der Beschwerde beantragt.

II. Zur Rechtslage:

Die §§9 und 15 der Rechtsanwaltsordnung, RGBl. 96/1868 idF BGBl. I 111/2007, (im Folgenden: RAO) lauten auszugsweise:

"§9. (1) Der Rechtsanwalt ist verpflichtet, die übernommenen Vertretungen dem Gesetz gemäß zu führen und die Rechte seiner Partei gegen jedermann mit Eifer, Treue und Gewissenhaftigkeit zu vertreten. Er ist befugt, alles, was er nach dem Gesetz zur Vertretung seiner Partei für dienlich erachtet, unumwunden vorzubringen, ihre Angriffs- und Verteidigungsmittel in jeder Weise zu gebrauchen, welche seinem Auftrag, seinem Gewissen und den Gesetzen nicht widerstreiten.

(1a)-(5) ...

§15. (1) Ist die Beiziehung eines Rechtsanwalts gesetzlich vorgeschrieben, so kann sich der Rechtsanwalt vor allen Gerichten und Behörden auch durch einen bei ihm in Verwendung stehenden, substitutionsberechtigten Rechtsanwaltsanwärter unter seiner Verantwortung vertreten lassen; die Unterfertigung von Eingaben an Gerichte und Behörden durch einen Rechtsanwaltsanwärter ist jedoch unzulässig.

(2) ...

(3) Ist die Beiziehung eines Rechtsanwalts gesetzlich nicht vorgeschrieben, so kann sich der Rechtsanwalt vor allen Gerichten und Behörden auch durch einen anderen bei ihm in Verwendung stehenden Rechtsanwaltsanwärter unter seiner Verantwortung vertreten lassen; die Unterfertigung von Eingaben an Gerichte und Behörden durch einen Rechtsanwaltsanwärter ist jedoch unzulässig.

(4) ..."

III. Der Verfassungsgerichtshof hat über die - zulässige - Beschwerde erwogen:

1. Eine Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz kann nach der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (zB VfSlg. 10.413/1985, 14.842/1997, 15.326/1998 und 16.488/2002) nur vorliegen, wenn der angefochtene Bescheid auf einer dem Gleichheitsgebot widersprechenden Rechtsgrundlage beruht, wenn die Behörde der angewendeten Rechtsvorschrift fälschlicherweise einen gleichheitswidrigen Inhalt unterstellt oder wenn sie bei Erlassung des Bescheides Willkür geübt hat.

Ein willkürliches Verhalten kann der Behörde unter anderem dann vorgeworfen werden, wenn sie den Beschwerdeführer aus unsachlichen Gründen benachteiligt hat oder aber, wenn der angefochtene Bescheid wegen gehäuften Verkennens der Rechtslage in einem besonderen Maße mit den Rechtsvorschriften in Widerspruch steht (zB VfSlg. 10.065/1984, 14.776/1997, 16.273/2001).

2. Dieser Vorwurf ist der belangten Behörde aus folgenden Gründen zu machen:

Gemäß § 15 Abs 1 und Abs 3 RAO ist die Unterfertigung von Eingaben an Gerichte und Behörden durch einen Rechtsanwaltsanwärter unzulässig, woraus folgt, dass jeder an ein Gericht oder eine Behörde gerichtete Schriftsatz von einem Rechtsanwalt unterschrieben werden muss. Allenfalls von einem Rechtsanwaltsanwärter konzipierte Schriftsätze können erst mit der Unterschrift eines Rechtsanwaltes nach außen treten.

Der Beschwerdeführer befand sich zum Zeitpunkt des ihm vorgeworfenen Disziplinarvergehens in einem Ausbildungsverhältnis (er war Rechtsanwaltsanwärter mit sog. "kleiner Legitimationsurkunde" gemäß § 15 RAO) und durfte gemäß § 15 RAO keine Eingaben an Gerichte oder Behörden unterfertigen. Äußerungen in solchen Schriftsätzen sind dem Rechtsanwaltsanwärter daher auch nicht zurechenbar.

Die OBDK stützt die Verurteilung des Beschwerdeführers darauf, dass es "nicht maßgeblich" sei, ob der Ausbildungsanwalt verpflichtet gewesen wäre, die gewählte Formulierung "rechtzeitig zu verhindern". Diese Annahme der OBDK ist verfehlt: Wie bereits ausgeführt, darf ein Rechtsanwaltsanwärter ohne Unterfertigung durch einen Rechtsanwalt keinen Schriftsatz bei einem Gericht oder einer Behörde einbringen. Enthält ein Schriftsatz beleidigende Äußerungen, so sind diese dem Rechtsanwalt und nicht jener Person zuzurechnen, die diesen Schriftsatz für den Rechtsanwalt im Innenverhältnis vorbereitet hat.

3. Die belangte Behörde hat daher bei Erlassung des angefochtenen Bescheides durch Verkennen der Rechtslage Willkür geübt. Der Beschwerdeführer ist durch den angefochtenen Bescheid im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz verletzt worden.

Der angefochtene Bescheid war daher aufzuheben, ohne dass auf das weitere Beschwerdevorbringen einzugehen war.

4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in der Höhe von € 400,-- sowie eine Eingabengebühr gemäß § 17a VfGG in der Höhe von € 220,-- enthalten.

5. Diese Entscheidung konnte gemäß § 19 Abs 4 erster Satz VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.