OGH vom 30.06.1993, 10ObS87/93
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Kropfitsch als Vorsitzenden und die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Mag.Engelmaier und Dr.Bauer als weitere Richter sowie die fachkundigen Laienrichter Norbert Schweitzer (AG) und Gerhard Bock (AN) in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Dr.J***** E*****, ***** vertreten durch Dr.Gerd Tschernitz, Rechtsanwalt in Klagenfurt, wider die beklagte Partei Versicherungsanstalt öffentlich Bediensteter, Josefstädterstraße 80, 1081 Wien, vertreten durch Dr.Hans Houska, Rechtsanwalt in Wien, wegen Versehrtenrente, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Linz als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom , GZ 12 Rs 106/92-17, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichtes Klagenfurt als Arbeits- und Sozialgericht vom , GZ 31 Cgs 17/92-8, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Spruch
Der Revision wird teilweise Folge gegeben.
Das angefochtene Urteil wird teilweise dahin abgeändert, daß es einschließlich des bestätigenden Teiles zu lauten hat:
"Die beklagte Partei ist schuldig, dem Kläger ab für die Folgen des Dienstunfalles vom eine Versehrtenrente im Ausmaß von 20 vH der Vollrente als Dauerrente zu gewähren.
Das weitere Begehren des Inhalts, die beklagte Partei sei schuldig, dem Kläger eine Versehrtenrente im gesetzlichen Ausmaß für die Zeit vom bis zu gewähren, wird abgewiesen."
Die beklagte Partei ist schuldig, dem Kläger die mit 3.019 S bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens (darin enthalten 503,80 S USt) binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.
Text
Entscheidungsgründe:
Der Kläger erlitt am einen Dienstunfall. Mit einem am zur Post gegebenen Antrag, der am bei der beklagten Partei einlangte, begehrte er die Gewährung einer Versehrtenrente im Ausmaß von 20 vH der Vollrente. Mit Bescheid vom gewährte die beklagte Partei dem Kläger für die Folgen des Dienstunfalles vom ab eine Dauerrente im Ausmaß von 20 vH der Vollrente. Die beklagte Partei verwies dabei auf die Bestimmung des § 32 Abs 3 B-KUVG, wonach Leistungen aus der Unfallversicherung, wenn innerhalb von zwei Jahren nach Eintritt des Versicherungsfalles weder der Anspruch von Amts wegen festgestellt noch ein Antrag auf Feststellung des Anspruches gestellt wurde, erst mit dem Tag der späteren Antragstellung, im Fall des Klägers mit dem Zeitpunkt des Einlangens seines Antrages bei der beklagten Partei am anfielen.
Mit seiner gegen diesen Bescheid gerichteten Klage begehrt der Kläger, die beklagte Partei zu verpflichten, die Versehrtenrente bereits ab zu gewähren. Bei der Frist des § 32 Abs 3 B-KUVG handle es sich um eine verfahrensrechtliche und nicht um eine materiellrechtliche Frist. Für das Verfahren vor der beklagten Partei hätten gemäß § 129 B-KUVG die Bestimmung des Siebenten Teiles des ASVG Anwendung zu finden. Unter Leistungssachen seien dabei alle Angelegenheiten zu verstehen, in denen es sich um die Feststellung des Bestandes, des Umfanges oder das Ruhen eines Anspruches auf eine Versicherungsleistung handle. Im § 357 Abs 1 ASVG seien die Vorschriften des AVG, darunter auch ausdrücklich dessen §§ 32 und 33 über Fristen übernommen worden. Nach § 33 Abs 3 AVG seien jedoch die Tage des Postenlaufes nicht in die Frist einzurechnen. Daraus ergebe sich, daß der vom Kläger am zur Post gegebene Antrag mit diesem Tag und daher noch innerhalb der zweijährigen Frist des § 32 Abs 3 B-KUVG als gestellt anzusehen sei; daher sei auch von einem Leistungsanfall mit auszugehen.
Die beklagte Partei beantragt die Abweisung der Klage. Nach ständiger Judikatur seien die Bestimmungen des ASVG über Fristen nur für verfahrensrechtliche, nicht jedoch für materiellrechtliche Fristen anzuwenden. Aus § 357 Abs 1 ASVG lasse sich keine generelle Anwendbarkeit der §§ 32 und 33 AVG ableiten. Bei der Frist nach § 32 Abs 3 B-KUVG handle es sich um eine materiellrechtliche Frist. Die Bestimmung der §§ 32 und 33 AVG hätten daher keine Anwendung zu finden. Für die Wahrung dieser Frist sei vielmehr der Zeitpunkt des Einlangens des Antrages maßgebend. Da der Antrag des Klägers erst am bei der beklagten Partei eingelangt sei, die Zweijahresfrist jedoch am geendet habe, gebühre dem Kläger die Leistung erst ab dem Tag der Antragstellung.
Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab, wobei es im wesentlichen dem Rechtsstandpunkt der beklagten Partei folgte. Die §§ 32 und 33 AVG hätten nur auf verfahrensrechtliche Fristen Anwendung zu finden. Da es sich bei der Frist des § 32 Abs 3 B-KUVG um eine materiellrechtliche Frist handle, sei sie nur gewahrt, wenn der Antrag am letzten Tag der Frist beim Sozialversicherungsträger einlange. Da der Antrag des Klägers auf Gewährung einer Versehrtenrente aufgrund des Dienstunfalles vom jedoch am und damit zwei Tage nach Ablauf der Zweijahresfrist des § 32 Abs 3 B-KUVG bei der beklagten Partei eingelangt sei, gelte dieser Tag als Anfallstag. Der vom Kläger geltend gemachte Anspruch auf Versehrtenrente für die Zeit vom bis bestehe daher nicht zu Recht.
Gegen dieses Urteil erhob der Kläger Berufung.
Das zuständige Oberlandesgericht Graz konnte über die Berufung nicht entscheiden, weil bis auf zwei Richter alle Richter dieses Gerichtes befangen waren. Mit Beschluß des Obersten Gerichtshofes vom wurde das Oberlandesgericht Linz als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen zur Entscheidung über die Berufung bestimmt.
Das Berufungsgericht gab der Berufung des Klägers nicht Folge. Dem vom Berufungswerber in seiner Rechtsmittelschrift vertretenen, schon im Verfahren erster Instanz eingenommenen Standpunkt, daß es sich bei der Frist des § 32 Abs 3 B-KUVG um eine verfahrensrechtliche Frist handle, für deren Wahrung die Postaufgabe des Antrages innerhalb der Frist ausreiche, könne nicht gefolgt werden. Nach § 32 Abs 3 B-KUVG bzw der gleichlautenden Bestimmung des § 86 Abs 4 ASVG fielen Leistungen aus der Unfallversicherung, wenn innerhalb von zwei Jahren nach Eintritt des Versicherungsfalles weder der Anspruch von Amts wegen festgestellt, noch ein Antrag auf Feststellung des Anspruches gestellt würde, mit dem Tag der späteren Antragstellung bzw mit dem Tag der Einleitung des Verfahrens an, das zur Feststellung des Anspruches führe. Der Kläger stelle nicht in Abrede, daß die beklagte Partei erst durch den bei ihr am eingelangten Antrag auf Gewährung einer Versehrtenrente vom Dienstunfall des Klägers erfahren habe und daher eine amtswegige Feststellung des Leistungsanspruches innerhalb der Zweijahresfrist nicht habe erfolgen können. Dem Berufungswerber sei beizupflichten, daß in der Lehre bezüglich der Voraussetzungen für die Gewährung einer Sozialversicherungsleistung zwischen materiellen und formellen Leistungsvoraussetzungen unterschieden werde, wobei die Verfahrensschritte, die zu setzen seien, grundsätzlich zu den formellen Voraussetzungen gezählt würden. Die formellen Voraussetzungen bezögen sich auf die Einleitung des Verfahrens vor dem Sozialversicherungsträger zur Erbringung von Sozialversicherungsleistungen. Die Sozialversicherungsgesetze unterscheiden dabei zwei Arten der Verfahrenseinleitung: die amtswegige Einleitung und die Einleitung aufgrund eines Antrages. In der Krankenversicherung und Pensionsversicherung herrsche die antragsbedürftige Einleitung vor, in der Unfallversicherung die amtswegige. Subsidiär komme allerdings auch in der Unfallversicherung die Einleitung auf Antrag in Frage (Schrammel in Tomandl, Grundriß des österreichischen Sozialversicherungsrechtes 5. ErgLfg 137 und 145). Nach § 361 Abs 1 Z 2 ASVG - diese Bestimmung habe kraft der Verweisungsnorm des § 129 B-KUVG auch im vorliegenden Fall Anwendung zu finden - seien Leistungsansprüche in der Unfallversicherung von Amts wegen oder, sofern das Verfahren nicht auf diese Weise eingeleitet wurde, auf Antrag festzustellen. Anträge auf Leistungen der Unfall- und Pensionsversicherung seien gemäß § 361 Abs 4 ASVG bei dem örtlich und sachlich zuständigen Versicherungsträger einzubringen. Werde der Antrag bei einem anderen Versicherungsträger oder bei einer Behörde der allgemeinen staatlichen Verwaltung eingebracht, so sei er ohne unnötigen Aufschub an den zuständigen Versicherungsträger weiterzuleiten. Er gelte mit dem Tage des Einlangens bei der anderen Stelle als bei dem zuständigen Versicherungsträger rechtswirksam eingebracht. Werde der Antrag bei einer Gemeinde eingebracht, sei er je nach dem Begehren ohne unnötigen Aufschub an einen Träger der Unfallversicherung oder Pensionsversicherung weiterzuleiten und gelte, wenn zwischen der Einbringung bei der Gemeinde und dem Einlangen bei einem Versicherungsträger nicht mehr als zwei Monate verstrichen seien, mit dem Tag des Einlangens bei der Gemeinde als beim zuständigen Versicherungsträger eingebracht. Nach § 364 ASVG habe der Unfallversicherungsträger nach Einlangen einer Unfallsanzeige unverzüglich die Tatsachen festzustellen, welche für die Ermittlung, ob und in welcher Höhe eine Entschädigung in Betracht komme, erforderlich seien. Nach § 368 Abs 1 ASVG seien Bescheide über die Feststellung von Leistungen aus der Unfallversicherung binnen 6 Monaten nach dem Einlangen der Unfallsanzeige (nach dem Einlangen des Antrages) zu erlassen. Ausgehend von dieser Rechtslage habe das Oberlandesgericht Wien als bis zum Inkrafttreten des ASGG für Sozialrechtssachen zuständiges Höchstgericht die Ansicht vertreten, in der Unfallversicherung stehe es dem Versicherungsträger frei, einen Rentenanspruch entweder amtswegig festzustellen oder einen Antrag des Rentenwerbers abzuwarten, da das Gesetz keine Verpflichtung zur amtswegigen Rentengewährung vorsehe; die Erstattung der Unfallsanzeige oder Berufskrankheitsanzeige unter Benützung des vom Versicherungsträger aufgelegten Vordruckes, sei kein Antrag auf die Gewährung von Leistungen aus der Unfallversicherung. Selbst wenn man dieser Ansicht nicht folge und im Hinblick auf die in der Unfallversicherung vorgesehene amtswegige Feststellung von Ansprüchen eine Verpflichtung des Sozialversicherungsträgers bejahe, von Amts wegen tätig zu werden, wenn er von einem Ereignis erfahre, das möglicherweise als Arbeitsunfall zu qualifizieren sei, sei doch Voraussetzung für ein amtswegiges Vorgehen des Sozialversicherungsträgers, daß er auf irgendeine Weise (durch Meldungen der Leistungsempfänger, Unfallsanzeigen der Dienstgeber, Anzeigen von Berufskrankheiten durch Ärzte etc) Kenntnis von einem solchen Ereignis erhalte. Diese Kenntnis des Sozialversicherungsträgers bilde daher auch eine Voraussetzung für seine Leistungs- und Entscheidungspflicht (vgl Schrammek aaO 146 f). Werde das Verfahren mangels entsprechender Kenntnis des Sozialversicherungsträgers nicht von Amts wegen eingeleitet, sei es jedenfalls auf Antrag einzuleiten. Hier stehe fest, daß die beklagte Partei erst durch den Zugang des Antrages des Klägers vom am Kenntnis von dessen Dienstunfall erhalten habe. Damit komme aber im Hinblick auf die Bestimmung des § 32 Abs 3 B-KUVG über den Zeitpunkt des Leistungsanfalles - dieser Zeitpunkt könne durchaus vom Zeitpunkt des Entstehens des Leistungsverhältnisses abweichen (Schrammel aaO 147) - der Frage, wann der Antrag auf Feststellung des Anspruches gestellt worden sei, entscheidende Bedeutung zu. Diesbezüglich werde jedoch durch die Bestimmung des § 361 Abs 4 ASVG klargestellt, daß es dabei grundsätzlich auf den Tag des Einlangens des Antrages beim zuständigen Versicherungsträger oder bei einem anderen Versicherungsträger oder einer Behörde der allgemeinen staatlichen Verwaltung oder einer Gemeinde (bei rechtzeitigem späteren Einlangen beim Versicherungsträger) ankomme. In diese Richtung weise auch der durch die 21. B-KUVG-Nov (BGBl 1991/679) eingefügte zweite Satz des § 32 Abs 3 B-KUVG. Danach gelte dann, wenn eine Unfallsanzeige innerhalb von zwei Jahren nach Eintritt des Versicherungsfalles erstattet werde, der Zeitpunkt des Einlangens der Unfallsanzeige bei der Versicherungsanstalt als Tag der Einleitung des Verfahrens. Nach einhelliger Rechtsprechung zähle ein Postamt nicht zu den im § 361 Abs 4 lit b ASVG genannten Behörden der allgemeinen staatlichen Verwaltung. Ein Leistungsantrag gelte dementsprechend nicht schon durch die Aufgabe auf dem Postamt als gestellt; die Gefahr des Postlaufes trage der Versicherte. In diesem Sinne habe das Oberlandesgericht Wien in der Entscheidung SSV 23/115 (= RdA 1984/11 mit ablehnender Besprechung von Dirschmied) ausgesprochen, daß die Vorschriften über den Anfall von Leistungen materiellrechtlicher Natur seien, für die Einhaltung der materiellrechtlichen Frist des § 86 Abs 4 ASVG der Tag des Einlangens des Antrages maßgebend sei und die Zweijahresfrist daher nur gewahrt sei, wenn der Antrag am letzten Tag der Frist eingelangt sei, dem sei beizutreten. Die Ausführungen Dirschmieds, auf die sich die Berufung stützte, ließen die Bestimmung des § 361 Abs 4 ASVG außer Betracht, wobei entgegen der Ansicht des Klägers kein sachlicher Grund dafür zu erkennen sei, warum bei einer Antragstellung beim örtlich und sachlich zuständigen Versicherungsträger der Zeitpunkt der Postaufgabe für die Wahrung der Frist maßgebend sein solle, wenn bei einer Antragstellung bei einem anderen Versicherungsträger oder bei einer Behörde der allgemeinen staatlichen Verwaltung kraft ausdrücklicher gesetzlicher Bestimmung der Zeitpunkt des Einlanges des Antrages bei dieser Stelle als maßgebend anzusehen sei. Für eine solche Differenzierung fehle auch im Gesetzestext jeder Anhaltspunkt. Auch das weitere Argument, der Ablauf der Zweijahresfrist des § 32 Abs 3 B-KUVG habe keine unmittelbare Einwirkung auf den Leistungsanspruch und es könne daher diese Frist nicht materiellrechtlicher Natur sein, vermöge nicht zu überzeugen, da bei einer Antragstellung mehr als zwei Jahre nach Eintritt des Versicherungsfalles die Gewährung einer Leistung für den Zeitraum, der vor der Antragstellung liege, ausgeschlossen sei. Es ergebe sich daher, daß der Antrag des Klägers auf Gewährung einer Versehrtenrente innerhalb von zwei Jahren ab Eintritt des Versicherungsfalles nicht rechtswirksam gestellt worden sei, so daß dem Kläger die Versehrtenrente erst ab dem Tag der Antragstellung zustehe.
Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision des Klägers aus dem Revisionsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag, die angefochtene Entscheidung dahin abzuändern, daß der Klage zur Gänze stattgegeben werde.
Die beklagte Partei beantragt, der Revision nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist teilweise berechtigt.
Strittig ist ausschließlich, ob durch die Postaufgabe am die Frist des § 32 Abs 3 B-KUVG gewahrt wurde.
Der Kläger vertritt in seinem Rechtsmittel weiterhin den Standpunkt, für die Frage, ob die Antragstellung innerhalb Zweijahresfrist des § 32 Abs 3 B-KUVG erfolgt sei, seien die Bestimmungen über die Fristen in den §§ 32 und 33 AVG anzuwenden. Dementsprechend seien die Tage des Postlaufes in die Frist nicht einzurechnen. Die auf § 361 Abs 4 ASVG gestützte Argumentation sei deshalb verfehlt, weil sie nur eine Sonderregelung für Fälle vorsehe, in denen Leistungsanträge nicht bei den örtlich und sachlich zuständigen Trägern der Unfall- und Pensionsversicherung eingebracht worden seien. Aus dem Wortlaut des § 32 Abs 3 B-KUVG, insbesondere aus der Wendung "ein Antrag ... gestellt" ergebe sich, daß es auf den Tag des Einlangens beim Versicherungsträger nicht ankomme. Dem kann nicht beigetreten werden.
Fristen des materiellen Rechtes sind Zeiträume, in oder vor denen eine bestimmte Handlung gesetzt oder ein bestimmtes Ereignis eintreten muß, woran das Gesetz oder der Rechtsträger bestimmte materielle Rechtsfolgen knüpft. Die allgemeinen Fristvorschriften der ZPO (§§ 123 bis 129) sind nur auf prozessuale Fristen anzuwenden. Dient eine solche Handlung auch der Wahrung einer materiellen Frist, dann muß sie noch am letzten Tag der Frist bei Gericht eingelangt sein (Fasching, ZPR2 Rz 548). Auch die §§ 32 f AVG regeln nur verfahrensrechtliche Fristen (Ringhofer, Verwaltungsverfahren, Anm 1 zu § 32 AVG). Bei der Bestimmung des § 32 Abs 3 B-KUVG handelt es sich jedoch nicht ausschließlich um eine verfahrensrechtliche Frist, weil an die Antragstellung innerhalb der dort bezeichneten Frist der Anspruch auf eine Leistung und damit eine Rechtsfolge des materiellen Rechtes geknüpft wird. Die nur für verfahrensrechtliche Fristen getroffene Regelung, daß die Tage des Postlaufes in die Frist nicht einzurechnen sind, ist daher in diesem Fall nicht anwendbar. Dies ergibt sich, wie das Berufungsgericht zutreffend dargestellt hat, auch deutlich aus dem gemäß § 129 B-KUVG anzuwendenden § 361 Abs 4 ASVG. Auch das Oberlandesgericht Wien ist in der vom Berufungsgericht zitierten Entscheidung zu diesem Ergebnis gelangt. Dem ist Dirschmied (DRdA 1984/11) entgegengetreten. Er vertrat die Auffassung, bei der dem § 32 Abs 3 B-KUVG entsprechenden Frist des § 86 Abs 4 ASVG handle es sich um eine formellrechtliche Frist, weil im Leistungsrecht der Unfallversicherung der Grundsatz der Amtswegigkeit herrsche; der Antrag des Versicherten sei damit, anders als bei der Pensions- und Krankenversicherung, keine Voraussetzung für den Anfall der Leistung, er spiele nur insoweit eine Rolle, als er den säumigen Versicherungsträger auf sein pflichtwidriges Verhalten aufmerksam mache. Läge eine materiellrechtliche Frist vor, dann müßte sie auf den Leistungsanspruch unmittelbar einwirken; es müßte also zum Untergang der Leistung kommen. Mit dem Ablauf der Zweijahresfrist verliere der Leistungsberechtigte aber lediglich die Möglichkeit der rückwirkenden Geldendmachung; es liege sohin eine den Verjährungsvorschriften des Privatrechtes vergleichbare Situation vor. Dem letztgenannten Argument ist entgegenzuhalten, daß sich daraus für die Ansicht, daß es sich bei der Frist des § 86 Abs 4 ASVG um eine formellrechtliche Frist handle, nichts gewinnen ließe, weil es sich auch bei den Verjährungsfristen des bürgerlichen Rechtes um materiellrechtliche Fristen handelt; maßgebend für die Wahrung der Frist ist daher der Tag des Einlangens der Klage bei Gericht (SZ 45/110, 56/157; RdW 1987, 260). Im übrigen ist darauf zu verweisen, daß zwar für das Recht der gesetzlichen Unfallversicherung der Grundsatz der Amtswegigkeit gilt, daß aber § 86 Abs 4 ASVG ausdrücklich die Stellung eines Antrages durch den Versicherten vorsieht und an die Nichteinbringung des Antrages innerhalb der Zweijahresfrist den Verlust des Anspruches knüpft, wenn die Leistungsfeststellung in dieser Zeit nicht erfolgt ist. Dirschmied läßt bei seinen Ausführungen, worauf das Berufungsgericht bereits zutreffend verwiesen hat, auch § 361 Abs 4 ASVG unbeachtet, aus dem sich, wie noch darzustellen sein wird, ableiten läßt, daß auch der Gesetzgeber des ASVG vom materiellrechtlichen Charakter der Frist des § 86 Abs 4 ASVG ausgeht. Der Argumentation des Berufungswerbers, die dieser Norm entsprechende Bestimmung des § 32 Abs 3 B-KUVG treffe nur eine Sonderregelung für Fälle, in denen der Antrag nicht an den zuständigen Versicherungsträger gerichtet worden sei, kann nicht gefolgt werden.
§ 361 Abs 4 ASVG hatte in der Stammfassung folgende Fassung: Anträge auf Leistungen der Unfall- und der Pensionsversicherung sind bei dem örtlich und sachlich zuständigen Versicherungsträger einzubringen. Wird der Antrag bei einem anderen Versicherungsträger oder bei einer Behörde der allgemeinen staatlichen Verwaltung eingebracht, so gilt er gleichwohl, und zwar mit dem Tage des Einlangens bei dieser anderen Stelle, als bei dem zuständigen Versicherungsträger eingebracht ... .
Die Gesetzesmaterialien (599 BlgNR VII 108) führen dazu aus, die für die Einleitung des Verfahrens zur Feststellung von Leistungsansprüchen getroffenen Regelungen entsprächen der Regelung des geltenden Rechtes (vgl §§ 1538, 1545 und 1613 Abs 1 und 6 RVO). Der Abs 4 sei an die Stelle des § 350 des versendeten Entwurfes getreten. Dort sei verfügt gewesen, daß Anbringen aller Art mit Wirkung für den zuständigen Versicherungsträger auch bei einem anderen Versicherungsträger oder bei einer Behörde der allgemeinen staatlichen Verwaltung eingebracht werden könnten und daß der Tag des Einlangens bei dieser Stelle als Tag der Einbringung bei dem zuständigen Versicherungsträger gelte. Es sei jedoch den im Begutachtungsverfahren vorgebrachten Einwendungen, die diese Regelung als zu weitgehend empfunden hätten, Rechnung getragen und die Bestimmung auf Leistungsanträge der Unfall- und der Pensionsversicherung beschränkt worden. Durch die 29. ASVG-Nov (BGBl 1973/31) wurde im Zusammenhang mit der Neuregelung, die nunmehr auch die Möglichkeit der - unter den in § 361 Abs 4 ASVG bezeichneten Bedingungen - fristwahrenden Antragstellung bei den Gemeindeämtern vorsieht, diese Bestimmung neu formuliert. Eine Änderung der Regelung bzgl der Wirksamkeit der Antragstellung bei einem nichtzuständigen Sozialversicherungsträger erfolgte nicht.
Zweck der Bestimmung des § 361 Abs 4 ASVG ist es, Nachteile für Versicherte hintanzuhalten, die Leistungsanträge in den dort genannten Versicherungszweigen bei einem Sozialversicherungsträger, der zur Erledigung dieses Antrages nicht zuständig ist oder bei einer Behörde der allgemeinen staatlichen Verwaltung bzw bei einer Gemeinde einbringen, wobei im letzten Fall jedoch für den Fall der nicht umgehenden Weiterleitung Einschränkungen bestehen. Dafür, daß Anträge die bei einem unzuständigen Sozialversicherungsträger oder einer anderen der in § 361 Abs 4 ASVG genannten Stellen eingebracht werden, bezüglich ihrer Rechtzeitigkeit anders zu beurteilen wären, als solche die beim zuständigen Versicherungsträger eingebracht werden, besteht kein Anhaltspunkt. Dies würde für Anspruchswerber, die Anträge nicht an den zuständigen Versicherungsträger richten, wieder die Gefahr von Fristversäumnissen mit sich bringen. Ein solches Verständnis würde der Teleologie des Gesetzes widersprechen, das derartige Nachteile verhindern will. Durch § 361 Abs 4 ASVG wurde vielmehr die Möglichkeit geschaffen, Anträge mit gleicher fristwahrender Wirkung wie beim zuständigen Sozialversicherungsträger auch bei anderen Versicherungsträgern bzw den dort genannten Behörden anzubringen. Daß in der Gesetzesstelle ausdrücklich normiert wird, daß der nicht beim zuständigen Sozialversicherungsträger, sondern bei einer der anderen in Frage kommenden Stellen eingebrachte Antrag, mit dem Tag des Einlangens bei dieser anderen Stelle als beim zuständigen Versicherungsträger rechtswirksam eingebracht gilt, bezeichnet keinen Unterschied der Wirkungen gegenüber der Einbringung beim zuständigen Versicherungsträger, sondern soll im Gegenteil die Identität der Wirkung hervorheben. Da es sich um eine materiellrechtliche Frist handelt, wäre grundsätzlich der Zeitpunkt des Einlangens beim zuständigen Versicherungsträger maßgebend. In § 361 Abs 4 Satz 2 ASVG wird nun angeordnet, daß der Zeitpunkt des Einlangens bei einem anderen Versicherungsträger oder bei einer anderen dort genannten Behörde dem Einlangen beim zuständigen Versicherungsträger gleichsteht. Für den materiellrechtlichen Charakter der Norm des § 32 Abs 3 spricht auch der Wortlaut des durch 21. B-KUVG-Nov BGBl 1991/679 dieser Bestimmung angefügten Satzes. Nach den Gesetzesmaterialien zur entsprechenden Bestimmung des § 86 Abs 4 ASVG (284 BlgNR XVIII 26) hat die Änderung Fälle im Auge, in denen trotz einer Unfallanzeige ein Verfahren zur Feststellung einer Leistung weder auf Antrag noch von Amts wegen eingeleitet wurde und eine amtswegige Einleitung des Verfahrens nicht erfolgt sei, weil aus der Unfallanzeige für den Versicherungsträger wesentliche Unfallfolgen nicht erkennbar gewesen seien. Die Neuregelung habe zum Ziel, Härtefälle, die durch Leistungsverluste in diesen Fällen einträten, zu vermeiden, indem sie festlege, daß der Zeitpunkt des Einlangens der Unfallanzeige beim Versicherungsträger als Tag der Einleitung des Verfahrens gelte, wenn eine Unfallanzeige innerhalb von zwei Jahren nach Eintritt des Versicherungsfalles erstattet worden sei. Auch bei dieser Regelung, die das Ziel verfolgt, Leistungen für die Vergangenheit auch dann zu gewähren, wenn nur die Unfallanzeige rechtzeitig erfolgt ist, geht der Gesetzgeber davon aus, daß die Frist nur dann gewahrt ist, wenn die Unfallanzeige innerhalb der genannten Frist beim Versicherungsträger eingelangt ist.
Da im vorliegenden Fall der Antrag des Klägers unstrittig erst nach Ablauf der Zweijahresfrist des § 32 Abs 3 B-KUVG bei der beklagten Partei einlangte - daß zuvor keine Unfallanzeige erstattet wurde, ist nicht strittig -, besteht das Begehren auf Gewährung von Leistungen für den davor liegenden Zeitraum nicht zu Recht.
Mit der Klage machte der Kläger die Zahlung der bescheidmäßig gewährten Versehrtenrente von einem früheren als dem im Bescheid genannten Zeitpunkt geltend. Durch diese Klage trat jedoch der Bescheid zur Gänze außer Kraft (Kuderna ASGG, 382 ua). Anders wäre es nur, wenn in einem Bescheid über verschiedene Leistungsansprüche entschieden worden wäre, die sich inhaltlich trennen lassen. In dem Umfang, in dem der bekämpfte Bescheid außer Kraft getreten ist, hat das Gericht über den vom Kläger beim Versicherungsträger gestellten Antrag neu abzusprechen. Dies bedeutet, daß das Erstgericht bzw das Berufungsgericht, wenn sie das Begehren des Klägers und damit den Anspruch auf die Leistung für die Zeit vor dem nicht für berechtigt erachteten, dem Kläger die Leistung in dem von der beklagten Partei gewährten Umfang hätten zuerkennen müssen, weil das Urteil an die Stelle des außer Kraft getretenen Bescheides zu treten hat.
Andernfalls bestünde keine Anspruchsgrundlage für die Rentenleistung ab . Da der Berufungsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung geltend gemacht und in zulässiger Form ausgeführt wurde, hätte das Berufungsgericht diesen Verstoß im Rahmen der allseitigen Prüfung der rechtlichen Beurteilung wahrzunehmen gehabt. Da unstrittig ist, daß dem Kläger jedenfalls ein Anspruch auf eine Rentenleistung von 20 vH der Vollrente ab zusteht, konnte der Oberste Gerichtshof die von den Vorinstanzen unterlassene Entscheidung nachholen. Nur in diesem Umfang kommt der Revision im Ergebnis Berechtigung zu.
Die Entscheidung über die Kosten des Verfahrens gründet sich auf § 77 Abs 1 Z 2 lit a ASGG. Ob zwar der Kläger mit der Klage nicht mehr erreichte als die beklagte Partei in ihrem Bescheid zuerkannte, war die Einbringung der Berufung sowie der Revision im Ergebnis notwendig, da aufgrund der Rechtsmittel die Zuerkennung der im Bescheid gewährten Leistung erfolgte. Kosten des Revisionsverfahren konnten jedoch nicht zuerkannt werden, weil Kosten in der Revision nicht verzeichnet wurden.