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VfGH vom 19.06.1986, B81/85

VfGH vom 19.06.1986, B81/85

Sammlungsnummer

10916

Leitsatz

Gesetz zum Schutze der persönlichen Freiheit; V-ÜG 1929; MRK; im vorliegenden Fall im Auftrag und unter der Leitung eines Beamten der Sicherheitsdirektion für NO durchgeführte Amtshandlungen von Gendarmeriebeamten und Beamten der BPolDion Wien (als Organe der Sicherheitsdirektion); Umstellung der Lager 1 und 4 von Demonstranten in der Stopfenreuther Au am (und damit verbundener Freiheitsentzug) in ArtII § 4 Abs 2 V-ÜG 1929 gedeckt - vertretbare Annahme, daß die nicht unverhältnismäßigen Maßnahmen zum Schutz der gefährdeten körperlichen Sicherheit von Menschen oder des Eigentums erforderlich waren; keine Verletzung im Recht auf persönliche Freiheit; bekämpfte Maßnahmen sind keine Festnehmungen oder Verhaftungen iS des Art 5 MRK - keine Verletzung des Art 5 MRK; durch bekämpfte Maßnahmen jedenfalls kein Eingriff in durch Art 10 MRK gewährleistete Rechte; durch die Umstände der bekämpften Maßnahmen (in Anbetracht der gegebenen Situation) kein Verstoß gegen Art 3 MRK, insbesondere auch im Hinblick auf die Zielsetzung der behördlichen Maßnahmen (Fernhalten der Demonstranten vom Rodungsgebiet)

Art144 Abs 1 B-VG; kein Nachweis für behauptete Verbrennung von Gegenständen eines Bf.; Zurückweisung der Beschwerde in diesem Punkt

Spruch

I. Die Bf. sind durch ihre Festhaltung in den Lagern 1 und 4 durch Organe der Sicherheitsdirektion für Niederösterreich in der Stopfenreuther Au am von etwa 6 Uhr bis etwa 12 Uhr sowie durch die Umstände dieser Festhaltung weder in einem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht noch wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm in ihren Rechten verletzt worden.

Die Beschwerden werden insoweit abgewiesen.

II. Die Beschwerde des F D wird, soweit mit ihr die Verbrennung eines Schlafsackes und eines Biwaksackes in der Stopfenreuther Au am bekämpft wird, zurückgewiesen.

III. Die Bf. sind schuldig, dem Bund zuhanden der Finanzprokuratur die mit je 4000 S bestimmten Kosten des Verfahrens binnen vierzehn Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. a) In den auf Art 144 B-VG gestützten, weitgehend gleichlautenden Beschwerden wird vorgebracht, die Bf. hätten am in der Stopfenreuther Au an der "Versammlung zahlreicher Menschen" teilgenommen, welche die Durchführung der Vorarbeiten für das Donaukraftwerk Hainburg verhindern wollten.

Um etwa 6 Uhr morgens des hätten Gendarmerie- bzw. Polizeibeamte die Lager 1 und 4, in welchen sich eine größere Anzahl von Manifestanten befunden hätten, umstellt. In der Folge sei es bis etwa 12 Uhr niemand - auch den Bf. nicht - möglich gewesen, die Lager zu verlassen, auch nicht zur Verrichtung der Notdurft.

Die Bezirkshauptmannschaft Gänserndorf habe am eine V erlassen, in welcher das Betreten und der Aufenthalt "im Bereich der Stopfenreuther Au zwischen Hubertusdamm (Donauhochwasserschutzdamm) und Donau in der KG Stopfenreuth" verboten worden sei. In den Beschwerden wird des näheren dargelegt, aus welchen Gründen nach Auffassung der Bf. diese V keine taugliche Rechtsgrundlage für die Vorgangsweise der Behörde darstelle; auch sei danach zu fragen, ob die gesetzten Zwangsmaßnahmen dem Zweck dieser V dienten. Für den Fall, daß die Behörde die bekämpften Maßnahmen direkt auf ArtII § 4 Abs 2 V-ÜG 1929 stützen sollte, wird in den Beschwerden vorgebracht, daß diese Bestimmung keineswegs eine Generalermächtigung für individuelle polizeiliche Zwangsakte beinhalte, und angeregt, die diesbezügliche Rechtsprechung des VfGH (s. VfSlg. 3447/1958, 8928/1980, 9231/1981) zu ändern. Schließlich wird in den Beschwerden - mit näherer Begründung - die Auffassung vertreten, daß auch § 14 Abs 2 Versammlungsgesetz 1953 keine taugliche Rechtsgrundlage für die bekämpften behördlichen Maßnahmen bilde.

Die Festhaltung der Bf. in den Lagern 1 und 4 durch rund 6 Stunden entbehre somit jeder Rechtsgrundlage. Hiezu kämen noch die Umstände dieser Festhaltung (Verrichtung der Notdurft auch von weiblichen Personen innerhalb der Lager, dabei unvermeidlich allen Blicken preisgegeben). Auch der Zugang zu dem - außerhalb des von den Beamten um das Lager 1 gebildeten Kordons gelegenen - "Lagerklosett" sei nicht gestattet worden.

b) Die Bf. erachten sich durch ihre Festhaltung im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf persönliche Freiheit, auf Freizügigkeit der Person und anderen näher bezeichneten Grundrechten, wegen der Umstände ihrer Festhaltung im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht, keiner unmenschlichen und erniedrigenden Behandlung unterworfen zu werden, verletzt und beantragen, der VfGH wolle dies kostenpflichtig feststellen.

c) Die Bf. M G, die in ihrer Beschwerde betont, an der Versammlung in der Stopfenreuther Au zur Verhinderung der Vorarbeiten für das Donaukraftwerk Hainburg teilgenommen zu haben, bringt zusätzlich vor, als Journalistin für die Zeitschrift "Neues Forum" tätig gewesen zu sein und den Auftrag gehabt zu haben, für diese Zeitschrift über die Vorgänge und den Fortgang der Versammlung zu berichten. Die Bf. habe nach Umstellung des Lagers 1, in welchem sie sich befunden habe, ihren internationalen Presseausweis mehrmals verschiedenen Beamten vorgewiesen. Trotzdem sei es ihr nicht gestattet worden, das Lager zu verlassen.

Die Bf. erblickt darin einen Verstoß gegen das Recht auf freie Meinungsäußerung (Art10 MRK). d) Der Bf. F D macht darüber hinaus eine Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf Unversehrtheit des Eigentums mit der Begründung geltend, sein Schlafsack und sein Biwaksack, welche etwa 200 m entfernt vom Lager 1 der Au gelegen seien, seien während seiner Festhaltung im Lager 1 "ganz offensichtlich durch einschreitende Beamte verbrannt" worden. Der Bf. habe seine Sachen, als er zu dem Platz zurückgekommen sei, an dem er die Nacht verbracht und seine Sachen zurückgelassen habe, verbrannt vorgefunden.

2. a) Die Sicherheitsdirektion für Niederösterreich hat in Gegenschriften die Abweisung der vorliegenden Beschwerden beantragt und zunächst darauf hingewiesen, daß der Einsatz der Gendarmeriebeamten sowie der Beamten der Bundespolizeidirektion Wien (die, wie sich aus den Akten ergibt, vom Bundesminister für Inneres am der Sicherheitsdirektion für Niederösterreich zur Dienstleistung zugeteilt worden waren) unter der Leitung der Sicherheitsdirektion für Niederösterreich, und zwar des Sicherheitsdirektors Hofrat Dr. S und seines Vertreters, OR Mag. W, erfolgt sei.

Zum Sachverhalt führt die Sicherheitsdirektion für Niederösterreich aus, unmittelbar nach Umstellung der Lager seien sämtliche Demonstranten von den Sicherheitsbeamten ausdrücklich und mehrfach aufgefordert worden, die Lager zu verlassen, wobei sie darauf hingewiesen worden seien, daß sie ansonsten im umstellten Lager verbleiben müßten. Die Bf. seien - zum Unterschied von anderen Personen - im Lager verblieben. Da die Bf. dies bewußt getan hätten, hätten sie ab diesem Zeitpunkt auch damit rechnen müssen, daß ihr weiterer Aufenthalt für sie mit persönlichem Ungemach (Beschränkung der Bewegungsfreiheit usw.) verbunden sein würde. Gegen 11 Uhr sei einzelnen Personen erlaubt worden, das abgesperrte Gebiet zu verlassen, um abseits die Notdurft verrichten zu können. Die "Zernierung" sei gegen 12 Uhr aufgehoben worden. Die Lager seien umstellt worden, um zu vermeiden, daß die Manifestanten ansonsten die im Gang befindlichen Rodungsarbeiten in der Au zu verhindern trachten würden.

In rechtlicher Hinsicht weist die Sicherheitsdirektion für Niederösterreich darauf hin, daß sich die bekämpften Amtshandlungen direkt auf ArtII § 4 Abs 2 V-ÜG 1929 stützten. Die genannte Bestimmung überlasse es der Behörde, den Inhalt der zu setzenden Maßnahmen selbst zu bestimmen (Hinweis auf VfSlg. 3447/1958). Entgegen den Ausführungen in den Beschwerden sei die Zernierung der Lager 1 und 4 eine durchaus sachgerechte und angemessene Maßnahme gewesen, um das in der zitierten Norm angestrebte Ziel zu erreichen: Da sich die Demonstranten in den umstellten Lagern aufhielten, um unmittelbar bei Beginn der Rodungsarbeiten zum Rodungsgebiet vorzudringen und unter Überwindung der Absperrungen der Exekutive den Beginn der Arbeiten zu beeinträchtigen, habe sich die Umstellung (Zernierung) der Lager als einzig wirksame und vor allem auch gelindere Maßnahme erwiesen, um dieses Vordringen auf den Rodungsplatz und Aktionen gegen Exekutive und Arbeiter hintanzuhalten. Es habe sich nämlich schon am gezeigt, daß es durch die Umstellung des Rodungsgebietes allein nicht möglich war, Gefährdungen durch umstürzende Bäume und durch Auseinandersetzungen zwischen Arbeitern, Demonstranten und Exekutive zu vermeiden. Eine vorzeitige Lockerung der Zernierung (etwa zwecks Verrichtung der Notdurft) hätte deren Ziel in Frage gestellt. Die Bf. hätten durch ihre Weigerung, das Lager zu verlassen, selbst wesentlich dazu beigetragen, daß ihnen Unannehmlichkeiten erwachsen seien.

In Stellungnahmen von Polizeioffizieren, welche die Sicherheitsdirektion für Niederösterreich in einem ergänzenden Schriftsatz vorlegte, wird vorgebracht, daß sich innerhalb des Lagers 1 eine "äußerst primitive Latrinenanlage" befunden habe. Es sei auch einzelnen Personen gestattet worden, die Lager zum Zweck der Verrichtung der Notdurft zu verlassen. Geschlossenen Gruppen von 5 bis 20 Personen sei dies allerdings verweigert worden, zumal man beobachten habe können, wie sich diese vorher abgesprochen hätten.

b) Zum Vorbringen des Bf. F D betreffend die Verbrennung seines Schlafsackes und seines Biwaksackes erwidert die Behörde, daß ihr darüber jedwede Unterlage fehle. Der Bf. behaupte, daß dies "offensichtlich durch einschreitende Exekutivbeamte" erfolgt sei, behaupte aber selbst nicht, eine derartige Vorgangsweise von Beamten beobachtet zu haben.

Auch diesbezüglich beantragt die Sicherheitsdirektion für Niederösterreich die Abweisung der Beschwerde.

II. Der VfGH hat über die zur gemeinsamen Entscheidung verbundenen Beschwerden erwogen:

1. Die bekämpften Amtshandlungen wurden - worauf auch die Sicherheitsdirektion für Niederösterreich und die Bezirkshauptmannschaft Gänserndorf im verfassungsgerichtlichen Verfahren in Übereinstimmung mit dem Inhalt der Verwaltungsakten hingewiesen haben - im Auftrag und unter der Leitung eines Beamten der Sicherheitsdirektion für Niederösterreich durchgeführt. Sie sind somit dieser Behörde zuzurechnen (s. hiezu VfSlg. 8545/1979, S 313). Die einschreitenden Beamten vollzogen die hier bekämpften Maßnahmen für die Sicherheitsdirektion, als deren Hilfsorgan sie tätig wurden und deren Vollzugsgewalt sie im konkreten Fall gehandhabt haben (vgl. VfSlg. 8146/1977, S 157).

Bel. Beh. ist hier daher die Sicherheitsdirektion für Niederösterreich.

2. Aus dem Vorbringen der Bf. und der bel. Beh. sowie den Verwaltungsakten ergibt sich, daß die Demonstranten in der Stopfenreuther Au schon vor dem eine Reihe von "Lagern" (insgesamt 8) errichtet hatten, in denen die Demonstranten auch nächtigten. Sie bezweckten mit ihrer Anwesenheit, die Vorarbeiten (Rodungen) für das geplante Donaukraftwerk Hainburg zu verhindern. Während die Zahl der Manifestanten in den Tagen vor dem untertags regelmäßig bis auf etwa 1500 (später vereinzelt bis auf 3000) anstieg, befanden sich die Nacht über in den Lagern ständig zirka 400 bis 500 Personen. In den Morgenstunden des wurden mittels Autobussen weitere Demonstranten in die Au gebracht, sodaß sich deren Zahl in den frühen Vormittagsstunden auf etwa 2000 erhöhte.

Am wurde in der Zeit zwischen 6.40 Uhr und 7 Uhr ein karreeförmiges Gebiet in unmittelbarer Nähe der Donaubrücke Hainburg mit einer Seitenlänge von zirka 200 m durch einen dichten Kordon von Exekutivbeamten umstellt. Die für die Rodung bereitgestellten Arbeiter befanden sich innerhalb dieses Kordons. Um zirka 7 Uhr wurden die Rodungsarbeiten in dieser zirka 4 ha großen und umstellten Fläche begonnen. Um zu verhindern, daß Demonstranten den Kordon durchbrechen, nahmen vor dem Kordon auch Gruppen von Polizeibeamten Aufstellung. Zur Verstärkung der Absperrung wurden an einigen Stellen Stacheldrahtrollen aufgestellt.

Bereits um 6.20 Uhr war das in unmittelbarer Nähe des Hochwasserschutzdammes befindliche Lager 4 von Exekutivbeamten umstellt und rund um dieses Lager ein Kordon gezogen worden, der verhindern sollte, daß sich die dort anwesenden Demonstranten zum Rodungsgebiet begeben und die Arbeit behindern. Zu gleicher Zeit wurde auch das Lager 1, das sich in der Nähe des vorgesehenen Rodungsgebietes befand, von Exekutivbeamten umstellt, auch hier in der Absicht, die Demonstranten daran zu hindern, sich an die Rodungsstelle zu begeben und die Arbeiten zu blockieren.

An dem genannten Tag waren in der Stopfenreuther Au insgesamt 1030 Beamte der Sicherheitsexekutive eingesetzt. Laut Feststellung des Flugbeobachters eines Hubschraubers des Bundesministeriums für Inneres befanden sich in den Vormittagsstunden des im Lager 1 zirka 200 und im Lager 4 zirka 100 Demonstranten.

In einigen Beschwerden wird vorgebracht, daß vor Absperrung der Lager manchen Demonstranten gesagt worden sei, sie könnten das Lager verlassen, müßten sich aber dann - unter Begleitung von Beamten - aus dem Augebiet entfernen. Die Bf. B habe die Auskunft erhalten, sie dürfe das Lager nur verlassen, wenn dies alle Lagerinsassen gemeinsam und gleichzeitig täten. Die Bf. Dr. F und D wollen eine derartige Aufforderung nicht vernommen haben. In den Gegenschriften wird betont, "sämtliche" Lagerinsassen seien aufgefordert worden, das Lager zu verlassen, ansonsten müßten sie im umstellten Lager bleiben. Die wenigen Demonstranten, welche dieser Aufforderung nachgekommen seien, habe man in Begleitung von Exekutivbeamten "aus dem Sperrgebiet geführt".

In der Folge war es jedenfalls an sich niemand mehr möglich, die Lager 1 und 4 zu verlassen. Nach dem ergänzenden - von den Beschwerdebehauptungen abweichenden - Vorbringen der Behörde sei dies aber einzelnen Personen zwecks Verrichtung der Notdurft außerhalb des Lagers gestattet worden.

Gegen 12 Uhr hob die bel. Beh. die Umstellung der Lager auf.

3. a) Die bel. Beh. stützte ihr Vorgehen vor allem auf die Bestimmung des ArtII § 4 Abs 2 V-ÜG 1929, welche die Behörden auf dem Gebiet der allgemeinen Sicherheitspolizei auch zu individuellen Anordnungen ermächtigt. Die Behörde weist hiezu auf die einschlägige Rechtsprechung des VfGH hin (s. VfSlg. 3447/1958, 8928/1980, 9231/1981).

Der VfGH sieht keine Veranlassung, von dieser langjährigen ständigen Rechtsprechung abzugehen.

b) Die bel. Beh. bringt zur Rechtfertigung der bekämpften Umstellung der Lager vor, die von ihr gewählte Vorgangsweise wäre das einzige wirksame und vor allem auch gelindere Mittel gewesen, um das Vordringen der Manifestanten auf den Rodungsplatz sowie Aktionen gegen Exekutive und Arbeiter hintanzuhalten. Es habe sich nämlich schon am gezeigt, daß es durch die Umstellung des Rodungsgebietes allein nicht möglich gewesen sei, Gefährdungen durch umstürzende Bäume und durch Auseinandersetzungen zwischen Arbeitern, Demonstranten und Exekutive zu vermeiden.

In diesem Zusammenhang ist festzuhalten, daß sich die in den Lagern befindlichen Personen - darunter auch die Bf. - zu dem erklärten Zweck dort aufhielten, Rodungsarbeiten für das Donaukraftwerk Hainburg zu verhindern (wie das bereits am geschehen war). Die Behörde hat aufgrund dessen vor Beginn der (neuerlichen) Rodungen am Morgen des die Demonstranten aufgefordert, die Lager (und die Au) zu verlassen (auch wenn das möglicherweise nicht allen davon Betroffenen zu Ohren kam). Die Annahme lag nahe, daß die verbliebenen gemeinsam mit den ab Tagesbeginn erneut in die Au einströmenden Manifestanten trachten würden, die Rodungsarbeiten zu verhindern, und daß es dabei zu Zusammenstößen kommen könnte, die angesichts der gespannten Situation heftiger sein könnten als zwei Tage vorher.

Die bel. Beh. mußte somit sowohl mit dem Eingreifen von Demonstranten aus den Lagern - insbesondere aus den in der Nähe des vorgesehenen Rodungsplatzes gelegenen Lagern 1 und 4 - als auch neu in der Au eintreffender Manifestanten rechnen. Wenn die Behörde unter diesen Umständen, um die Anzahl der voraussichtlich zum Rodungsplatz drängenden Demonstranten herabzusetzen, die Lager 1 und 4 umstellte, stand diese Maßnahme in einem vertretbaren Verhältnis zu der zu erwartenden Gefahr; mit anderen Worten: Angesichts durchaus im Bereich der Möglichkeiten liegender Zusammenstöße setzte die Behörde keine als unverhältnismäßig zu qualifizierende Maßnahme, wenn sie einen Teil der an den befürchteten Zusammenstößen potentiell Beteiligten in Form einer Zernierung daran hinderte, zum Ort der Auseinandersetzung zu gelangen.

Zusammenfassend ist somit festzuhalten, daß die bel. Beh. bei der gegebenen Sachlage mit gutem Grund annehmen konnte, daß die von ihr gesetzte - keineswegs unverhältnismäßige - Maßnahme zum Schutz der gefährdeten körperlichen Sicherheit von Menschen oder des Eigentums erforderlich war.

Da die bekämpfte Umstellung der Lager 1 und 4 (und der damit verbundene Freiheitsentzug) zu Recht auf ArtII § 4 Abs 2 V-ÜG 1929 gestützt werden konnte, sind die Bf. im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf persönliche Freiheit nicht verletzt worden. Bei diesem Ergebnis erübrigt es sich zu untersuchen, ob die bekämpfte Festhaltung der Bf. in den Lagern 1 und 4 allenfalls auch auf andere rechtliche Grundlagen gestützt werden konnte.

4. Die Bf. rügen - allerdings ohne nähere Darlegung - auch eine Verletzung von durch Art 5 MRK verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten. Der VfGH ist jedoch der Ansicht, daß die bekämpften Maßnahmen schon ihrer Art nach nicht geeignet sind, Art 5 MRK zu verletzen. Der Gerichtshof vertritt in ständiger Rechtsprechung die Auffassung, daß Art 5 MRK nur vor rechtswidriger Festnehmung und rechtswidriger Verhaftung, nicht auch vor anderen Beschränkungen der Bewegungsfreiheit schützt (VfSlg. 8815/1980 mit weiteren Judikaturhinweisen).

Die bekämpften Maßnahmen sind nun im Hinblick auf die besonderen Umstände, unter denen sie gesetzt wurden, insbesondere im Hinblick auf die der Umstellung vorangegangene Aufforderung an die Betroffenen, das Gebiet zu verlassen, die relativ kurze Dauer der Maßnahme und die oben näher explizierte spezifische Zielsetzung der Maßnahmen keine Festnehmungen oder Verhaftungen iS des Art 5 MRK. Der VfGH weiß sich in dieser Betrachtungsweise in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung der Konventionsorgane, da auch diese bei der Frage nach dem Schutzumfang von Art 5 MRK verschiedene Kriterien berücksichtigt, vor allem die Art und Weise, die Dauer und die Auswirkungen der zu beurteilenden Maßnahme (Frowein - Peukert, MRK-Kommentar, Kehl 1985, S 56).

Selbst wenn die bekämpften Maßnahmen als Internierung iS des § 5 des Gesetzes zum Schutze der persönlichen Freiheit qualifiziert werden könnten, würde dies nichts an diesem Befund ändern. Denn mit Funk - Gimpel - Hinteregger, EuGRZ 1985, S 5, ist der Gerichtshof der Auffassung, daß Beschränkungen der persönlichen Freiheit durch Internierung und Konfinierung zwar vom Gesetz zum Schutze der persönlichen Freiheit, nicht eo ipso jedoch auch von Art 5 MRK erfaßt sind. Auch die Rechtsprechung der Konventionsorgane weist in diese Richtung (vgl. auch V Dijk - V Hoof, Theory and practice of the European Convention on Human Rights, Deventer/Niederlande, 1984, S 210).

5. Der bekämpfte Verstoß gegen das verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht auf Freizügigkeit der Person wird in den Beschwerden auf keine anderen Argumente gestützt als die Verletzung der persönlichen Freiheit. Es genügt daher, auf die zum Freiheitsrecht angestellten Erwägungen (s. oben unter Punkt 3) zu verweisen.

6. Die von der Bf. M G behauptete Verletzung des Art 10 MRK liegt ebenfalls nicht vor. Wie der oben unter Punkt 2 dargestellte Sachverhalt und die Beurteilung der behördlichen Maßnahmen oben unter Punkt 3 und 4 zeigen, ging die Intention der bel. Beh. in eine ganz andere Richtung und nicht dahin, die - auch als Manifestantin anwesende - Bf. G an der Ausübung ihrer journalistischen Berufspflicht zu hindern. Die bekämpfte Maßnahme brachte schon von ihrer Art her keinen Verstoß gegen Art 10 MRK mit sich, sodaß im gegebenen Zusammenhang nicht erörtert zu werden braucht, wieweit der Schutzumfang des Art 10 MRK reicht.

7. Auch der von den Bf. in den Folgen ihrer Festhaltung (Notwendigkeit der Verrichtung der Notdurft in aller Öffentlichkeit) erblickte Verstoß gegen Art 3 MRK ist nicht gegeben:

Wie immer die Möglichkeiten zum Verrichten der Notdurft in oder bei den Lagern 1 und 4 in den Vormittagsstunden des im einzelnen beschaffen gewesen sein mögen, ist den Bf. einzuräumen, daß die Situation sicherlich Unannehmlichkeiten mit sich brachte und für die davon Betroffenen unangenehm war. Dabei ist aber zu berücksichtigen, daß sich die Bf. aus freien Stücken in der Stopfenreuther Au und in den Lagern aufhielten, um dort gegen den geplanten Bau des Donaukraftwerkes Hainburg aufzutreten. Es wird auch in den Beschwerden im Prinzip nicht in Abrede gestellt, daß die Behörde vor der endgültigen Umstellung der Lager zu deren Verlassen aufgefordert hat. Ebensowenig darf übersehen werden, daß die Demonstranten von sich aus eine Reihe von Unannehmlichkeiten (Übernachten in der Au in Zelten oder auch nur in Schlafsäcken zur Winterszeit, Verrichten der Notdurft auf primitiven "Lagerklosetts" oder in der Au) auf sich genommen haben.

Es ist zwar nicht zu verkennen, daß mit der behördlichen Maßnahme eine Vermehrung dieser Unannehmlichkeiten verbunden war, doch kann unter all diesen Umständen nicht gesagt werden, daß die in den Beschwerden beanstandeten, mit der Umstellung der Lager verbundenen - eine vorübergehende Zeit andauernden - Konsequenzen eine Intensität erreicht haben, welche es rechtfertigen würde, sie als unmenschlich, erniedrigend und gegen die Bf. als Person gerichtet zu qualifizieren. Hiezu kommt, daß - wie bereits oben unter Punkt 3 und 4 ausgeführt - der spezi fischen Zielsetzung der behördlichen Maßnahme (Fernhalten der Manifestanten vom Rodungsgebiet) eine ganz anders geartete Motivation zugrunde lag, nicht aber eine die Menschenwürde beeinträchtigende gröbliche Mißachtung der Manifestanten, insbesondere der Bf. als Person (vgl. hiezu die ständige Rechtsprechung des VfGH zu Art 3 MRK, zB VfSlg. 9385/1982, S 318).

8. Aufgrund des Vorbringens des Bf. F D kann der VfGH nicht als erwiesen annehmen, daß die Verbrennung seines Schlafsackes und seines Biwaksackes durch Organe der Sicherheitsbehörde erfolgt ist. Der Bf. ergeht sich diesbezüglich (s. die Wiedergabe seines Vorbringens oben unter Punkt I.1.d) in Mutmaßungen, für die seiner Auffassung nach auch gewisse Indizien sprechen. Beweismittel, aus welchen eindeutig hervorgehen könnte, daß die beiden Gegenstände von Beamten verbrannt worden sind, kann der Bf. nicht anbieten. Auf Vermutungen - selbst wenn diese einen gewissen Grad von Wahrscheinlichkeit für sich hätten - kann der VfGH jedoch keine Feststellungen gründen.

9. Da die Bf. durch ihre Festhaltung in den Lagern 1 und 4 sowie durch die Umstände dieser Festhaltung auch in keinem anderen verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht verletzt wurden und eine Verletzung in Rechten durch Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm ebenfalls nicht gegeben ist, sind die Beschwerden insoweit abzuweisen.

Die Beschwerde des F D ist, soweit sie das behauptete Verbrennen eines Schlafsackes und eines Biwaksackes betrifft, zurückzuweisen, weil die Voraussetzungen des Art 144 Abs 1 letzter Satz B-VG (Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt) nicht erwiesen sind.

Der Kostenzuspruch für insgesamt zwei Gegenschriften der Finanzprokuratur beruht auf § 88 VerfGG 1953.