VfGH vom 28.02.1994, B80/93
Sammlungsnummer
13667
Leitsatz
Abweisung der Beschwerde hinsichtlich der Wiederaufnahme eines Finanzverfahrens; Geltendmachung ausschließlich einfachgesetzlicher Fragen; Unterstellung eines gleichheitswidrigen Gesetzesinhalts bei Versagung des Verlustvortrags bei Festsetzung der Bemessungsgrundlage für Einkommen- und Gewerbesteuer aufgrund nicht ordnungsgemäßer Buchführung; Ausgleich der Buchhaltungsmängel bereits durch behördliche Schätzungen
Spruch
I. 1. Die beschwerdeführende Gesellschaft wurde durch den angefochtenen Bescheid, soweit er den gemäß § 188 BAO für das Jahr 1981 festgestellten Verlusten die Vortragsfähigkeit abspricht, die einheitliche und gesonderte Feststellung von Einkünften für 1983 und die Festsetzung der Gewerbesteuer für 1982 bis 1985 und für 1987 betrifft, im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Unversehrtheit des Eigentums verletzt.
Insoweit wird der angefochtene Bescheid aufgehoben.
2. Im übrigen wurde die beschwerdeführende Gesellschaft durch den angefochtenen Bescheid weder in einem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht noch wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm in ihren Rechten verletzt.
Insoweit wird die Beschwerde als unbegründet abgewiesen.
II. Der Bund (Bundesminister für Finanzen) ist schuldig, der beschwerdeführenden Gesellschaft zu Handen ihres Rechtsvertreters die mit S 12.000,-- bestimmten Prozeßkosten binnen 14 Tagen bei sonstigem Zwang zu ersetzen.
Begründung
Entscheidungsgründe:
I. 1. Auf Grund von Aussagen eines - ehemaligen - Geschäftsführers in einem gegen ihn eingeleiteten Strafverfahren wurde die Finanzgebarung der beschwerdeführenden Gesellschaft, eines Metallhandelsunternehmens, von der Finanzverwaltung neuerlich geprüft und es wurde nach Wiederaufnahme der Verfahren die Umsatzsteuer für die Jahre 1980 und 1981, die einheitliche und gesonderte Feststellung von Einkünften für die Jahre 1979 bis 1981 und 1983 und die Gewerbesteuer für die Jahre 1979 bis 1985 neu bemessen; ferner wurde die Gewerbesteuer für 1987 festgesetzt. Dabei wurden nunmehr bestimmte Fakturen als Gefälligkeitsrechnungen bzw. Überfakturierungen eingestuft und Schätzungen vorgenommen; auch wurde die Vortragsfähigkeit eines erheblichen Verlustes aus dem Jahre 1981 mangels ordnungsmäßiger Buchführung ausgeschlossen.
Gegen diese Bescheide erhob die Beschwerdeführerin jeweils Berufung.
2. Die Finanzlandesdirektion für Wien, Niederösterreich und Burgenland änderte mit Berufungsbescheid vom die angefochtenen Bescheide betreffend die einheitliche und gesonderte Feststellung von Einkünften sowie die Gewerbesteuer für die Jahre 1979 bis 1981 dahingehend ab, daß sie die 50%igen Sicherheitszuschläge zurücknahm; im übrigen wies sie die Berufungen (auch hinsichtlich der bekämpften Wiederaufnahmen) als unbegründet ab.
Die Vortragsfähigkeit des aus dem Jahre 1981 stammenden Verlustes in Höhe von mehr als S 40 Mio. (über dessen genaue Höhe bestehen im Hinblick auf die bekämpfte Wiederaufnahme des diesbezüglichen Verfahrens unterschiedliche Auffassungen zwischen Finanzbehörde und beschwerdeführender Gesellschaft) versagte die Finanzlandesdirektion unter Hinweis auf die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes mit der Begründung, daß gemäß § 18 Abs 1 Z 4 des hier noch maßgeblichen EStG 1972 für die einkommensteuerrechtliche Beurteilung und gemäß § 6 Abs 2 GewerbesteuerG 1953 für die gewerbesteuerliche Beurteilung ein Verlustvortrag unzulässig sei, wenn die rechnerische Ermittlung des Ertrages des betreffenden Jahres nicht möglich sei. Bei Schätzungen auf Grund anläßlich einer Prüfung aufgefundener Unterlagen, die so geartet seien, daß das von der Finanzbehörde Ermittelte mit hoher Wahrscheinlichkeit den tatsächlichen Verhältnissen entspreche, könne von einer (nahezu) rechnerischen Ermittlung des Jahresgewinnes gesprochen werden. Enthielten jedoch - wie im Falle der beschwerdeführenden Gesellschaft, wo der gesamte Wareneinkauf einer Periode betroffen sei - die Schätzungselemente nicht unerhebliche Unsicherheiten, die der Geprüfte nicht auszuräumen in der Lage sei, müsse dies zur Versagung des Verlustvortrages führen. Damit ergebe sich aber zwangsläufig ein Wiederaufnahmsgrund für alle Jahre, in denen ein diesbezüglicher Verlustvortrag durch Bescheid rechtskräftig gewährt worden sei.
3. Gegen diesen Berufungsbescheid richtet sich die vorliegende, auf Art 144 B-VG gestützte Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, in welcher die beschwerdeführende Gesellschaft behauptet, in den verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten auf Unversehrtheit des Eigentums und auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter, hilfsweise in Rechten wegen "Anwendung rechtswidriger Normen" verletzt worden zu sein, und in welcher die kostenpflichtige Aufhebung des bekämpften Bescheides begehrt wird.
Begründet wird dies damit, daß die Wiederaufnahme der Finanzverfahren eine Verletzung des Grundsatzes ne bis in idem darstelle, weil das Unternehmen bereits einmal für die Jahre 1979 bis 1980 unbeanstandet geprüft worden sei; vor allem aber sei eine entsprechende Begründung des Wiederaufnahmsbescheides unterblieben. Die Verweigerung der Vortragsfähigkeit von Verlusten wird damit bekämpft, daß die Buchführungsmägel nur einen eng umgrenzten Teilbereich - nämlich hinsichtlich zweier Geschäftsverbindungen - beträfen, und daß die belangte Behörde verschiedene, für die beschwerdeführende Gesellschaft nicht nachvollziehbare Beträge hinzugerechnet habe.
4. Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet, in der sie den angefochtenen Bescheid verteidigt und die Abweisung der Beschwerde beantragt. Insbesondere trägt die Behörde vor, daß die Wiederaufnahmsgründe im angefochtenen Bescheid erläutert würden, "selbst wenn dies nicht in Worte gefaßt sein sollte", und daß sie sich in bezug auf den strittigen Verlustvortrag am Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom , 92/14/0018, orientiert habe.
5. In einer Replik unterstrich die beschwerdeführende Gesellschaft, den angefochtenen Bescheid vollinhaltlich anzufechten, und warf der belangten Behörde neuerlich eine Reihe von Verletzungen einfachgesetzlicher Bestimmungen vor, die nicht alle in die Verfassungssphäre reichten. Ferner wurde festgehalten, daß der angefochtene Bescheid keine Sachverhaltsdarstellung enthalte, sodaß er Gefahr laufe, der beschwerdeführenden Gesellschaft das durch die Verfassung eingeräumte Recht zu nehmen, den Bescheid beim Verwaltungsgerichtshof wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit anfechten zu können. Hinsichtlich ihres Beschwerdevorbringens zur Vortragsfähigkeit ihres Verlustes verwies sie auf das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom , B227/91.
II. Der Verfassungsgerichtshof hat über die - zulässige - Beschwerde erwogen:
1. Die Beschwerde war insoweit abzuweisen, als sie nicht den unter II.2. genannten Bereich betrifft.
Die Beschwerde macht hinsichtlich der Wiederaufnahme der Finanzverfahren einerseits geltend, daß sie den Grundsatz ne bis in idem und damit das verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter verletze, da das Unternehmen von der Finanzbehörde zuvor bereits unbeanstandet geprüft worden sei. Außerdem ermangle es ihr einer entsprechenden Begründung. Damit sind jedoch ausschließlich einfachgesetzliche Fragen angesprochen (s. VfSlg. 5429/1966, 11635/1988, 12981/1992). Ob aber der angefochtene Bescheid in jeder Hinsicht dem Gesetz entspricht, ist nicht vom Verfassungsgerichtshof zu prüfen (vgl. VfSlg. 12985/1992, ).
2. Soweit sich die Beschwerde gegen die Verweigerung der Vortragsfähigkeit des Verlustes der beschwerdeführenden Gesellschaft aus dem Jahre 1981 richtet, ist sie gerechtfertigt.
2.1. Nach § 18 Abs 1 EStG 1972 in der hier maßgeblichen Fassung vor der Novelle BGBl. 531/1984 sind als Sonderausgaben vom Gesamtbetrag der Einkünfte unter anderem abzuziehen
"4. bei Steuerpflichtigen, die den Gewinn nach § 4 Abs 1 oder nach § 5 auf Grund ordnungsmäßiger Buchführung ermitteln, die in den fünf vorangegangenen Wirtschaftsjahren entstandenen Verluste aus Land- und Forstwirtschaft, aus selbständiger Arbeit und aus Gewerbebetrieb, soweit sie nicht bei der Veranlagung für die vorangegangenen Kalenderjahre ausgeglichen oder abgezogen worden sind. Die Höhe des Verlustes ist nach den Vorschriften der §§4 bis 14 zu ermitteln, ...".
Eine ähnliche Regelung trifft § 6 Abs 2 GewerbesteuerG 1953 (hier ebenfalls maßgeblich idF vor der genannten Novelle).
2.2. Im Erkenntnis VfSlg. 11260/1987 hat der Verfassungsgerichtshof in Übereinstimmung mit der Bundesregierung dargelegt, daß die auf § 5 EStG 1972 verweisende Formulierung des § 18 Abs 1 Z 4 EStG 1972 entgegen einer verbreiteten Praxis der Finanzverwaltung nicht bedeutet, daß eine formell ordnungsmäßige Buchhaltung Voraussetzung für den Verlustvortrag ist. Der Verlustvortrag sei vielmehr immer dann zulässig, wenn der Verlust seiner Höhe nach errechnet werden kann und das Ergebnis auch überprüfbar ist, mag auch eine Korrektur der Buchhaltung durch den Steuerpflichtigen oder auf Grund einer Betriebsprüfung erforderlich sein. Bei diesem Verständnis des Gesetzes sei den Bedenken der Boden entzogen, es könne nicht gerechtfertigt sein,
"jene Steuerpflichtigen vom Verlustvortrag auszuschließen, ... deren Buchführung zwar - wenn auch nicht bloß geringfügige - Mängel aufweist, bei denen aber - allenfalls nach Korrektur der Buchhaltung - die für den Verlustvortrag wesentlichen Daten feststellbar und nachprüfbar sind."
Der Verfassungsgerichtshof hielt an dieser Auffassung in seinem Erkenntnis vom , B227/91, fest, begründete dies durch weitere Überlegungen und führte aus, daß das Recht zum Verlustabzug sehr wohl an die Erfüllung einer äußeren Bedingung, nämlich die tatsächliche Führung von Büchern geknüpft ist, die eine periodengerechte Gewinnermittlung gewährleisten. Auch ein seiner Art nach taugliches Rechenwerk kann aber diesem Erfordernis dann nicht genügen, wenn es auf Grund seiner Mangelhaftigkeit eine Berechnung und Überprüfung des Verlustes nicht ermöglicht.
Ist die Richtigstellung von Fehlbuchungen möglich oder kann die unterlassene Buchung nachgetragen oder der unterlaufene Mangel durch Schätzung behoben werden, so darf einer ihrer Art nach auf periodengerechte Erfassung der Geschäftsvorgänge angelegten Buchführung nicht die Eignung abgesprochen werden, einen vortragsfähigen Verlust auszuweisen.
Die pauschale Verwerfung einer durch Schätzung zu ergänzenden Buchführung würde im Ergebnis eine überschießende, durch das Erfordernis ordnungsmäßiger Buchführung nicht mehr zu rechtfertigende und damit gleichheitswidrige Sanktion für die festgestellten Mängel darstellen. Die Notwendigkeit der Schätzung ergibt sich allein aus der objektiven Unmöglichkeit der zuverlässigen Ermittlung oder Berechnung von Besteuerungsgrundlagen (§184 Abs 1 BAO). Also haben selbst unverschuldete Fehler in einzelnen Punkten oder in einer vergleichsweise zu vernachlässigenden Größenordnung zur Folge, daß den gesamten Verlusten die Vortragsfähigkeit aberkannt werden muß. Das kann selbst bei griffweiser und pauschaler Schätzung in bloßen Teilbereichen zu weit gehen. Mängel einer ihrer Art nach tauglichen Buchhaltung können aber den Verlustvortrag sachlicherweise nur dann hindern, wenn sie nach Art und Umfang auf das ganze Rechenwerk ausstrahlen und auch nach einer Richtigstellung und Ergänzung (einschließlich allfälliger Sicherheitszuschläge) eine periodengerechte Erfassung der maßgeblichen Daten insgesamt nicht möglich erscheinen ließen, heißt es im genannten Erkenntnis weiter.
2.3. Legt man diesen - im Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom , B2006/92, bestätigten - Maßstab an den vorliegenden Sachverhalt, so erweist sich die Versagung des Verlustabzuges als unberechtigt. Zwar sind die Mängel der Buchhaltung erheblich und nicht wegen Geringfügigkeit abzutun:
So betrug der Umsatz der beschwerdeführenden Gesellschaft laut Umsatzsteuererklärung 1979 S 450,301.786,30 und wies sie in ihrer Bilanz einen Gewinn in Höhe von S 562.978,41 aus, was den ursprünglich ergangenen Steuerbescheiden zugrundegelegt wurde; die belangte Behörde hingegen ging in ihrer Berufungsentscheidung von einem Gewinn in Höhe von S 7,296.131,-- aus.
Für das Jahr 1980 wurde in der Umsatzsteuererklärung ein Umsatz von S 544,917.342,27 und in der Bilanz ein Verlust von S 571.931,09 angegeben, der ursprünglich vom Finanzamt als gegeben erachtet wurde; im Zuge des wiederaufgenommenen Finanzverfahrens berichtigte die belangte Behörde jedoch diese Annahmen dahingehend, daß sie nunmehr einen Gewinn in Höhe von S 856.678,-- feststellte.
Ähnliches gilt auch für das Jahr 1981. Während die beschwerdeführende Gesellschaft bei einem Umsatz von S 547,002.980,21 laut Umsatzsteuererklärung einen Verlust von S 47.205.886,-- geltend machte, gelangte die belangte Behörde - nachdem die Finanzbehörde die Angaben der beschwerdeführenden Gesellschaft ursprünglich nicht bezweifelte - zu einem festgestellten Verlust von S 41.932.670,--, den sie, ebenso wie die Finanzbehörde erster Instanz, nach Wiederaufnahme des Verfahrens als nicht vortragsfähig erklärte.
Doch erscheinen einerseits die Mängel der Buchhaltung der beschwerdeführenden Gesellschaft durch die behördlichen Schätzungen ausgeglichen. Dies zumal unter Berücksichtigung der Begründung des angefochtenen Bescheides selbst, der ausführt (S 19), aus dem gesamten Akteninhalt sei nicht ersichtlich, welche Unsicherheit, die nicht durch die Schätzung selbst zu erfassen gewesen wäre, mit dem von der Finanzbehörde erster Instanz berechneten Sicherheitszuschlag "abgedeckt werden sollte oder könnte", weshalb dem diesbezüglichen, berechtigten Berufungsbegehren der Berufungswerberin - der nunmehrigen Beschwerdeführerin - stattzugeben gewesen sei. Die erst durch Schätzung ermittelten Erlöse schmälern auch den anhand des Rechenwerkes ermittelten Verlust nur zu einem verhältnismäßig kleineren Teil; der erhebliche Verlust als solcher und dessen periodengerechte Zuordnung stehen außer Streit.
Andererseits ist zu berücksichtigen, daß die - von einem ehemaligen Geschäftsführer allein zu verantwortenden - beanstandeten Gefälligkeitsrechnungen bzw. Überfakturierungen auf zwei spezifische Geschäftsbeziehungen beschränkt waren, sodaß diese Mängel nicht auf das gesamte Rechenwerk ausstrahlen und infolgedessen die Gefälligkeitsrechnungen bzw. Überfakturierungen im wiederaufgenommenen Verfahren mit einem hohen Grad an Wahrscheinlichkeit rekonstruiert und entsprechend neu bewertet werden konnten.
Die belangte Behörde hat dem Gesetz also fälschlich einen gleichheitswidrigen Inhalt unterstellt, das Gesetz folglich denkunmöglich angewendet und durch den in das Eigentum der beschwerdeführenden Gesellschaft eingreifenden Bescheid diese im geltend gemachten Grundrecht verletzt.
Der Bescheid war deshalb, weil und insoweit er die Vortragsfähigkeit des für das Jahr 1981 gemäß § 188 BAO festgestellten Verlustes verneint, aufzuheben. Wegen des zwingenden sachlichen Zusammenhanges war er ferner auch aufzuheben, soweit er die einheitliche und gesonderte Feststellung von Einkünften für 1983 und die Festsetzung der Gewerbesteuer für 1982 bis 1985 und für 1987 betrifft.
III. 1. Die Kostenentscheidung stützt sich auf § 88 VerfGG; dabei war zu berücksichtigen, daß die beschwerdeführende Gesellschaft zwar überwiegend, aber nicht in vollem Umfang erfolgreich war. Im zugesprochenen Betrag sind S 2.000,-- an Umsatzsteuer enthalten.
2. Dies konnte gemäß § 19 Abs 4, erster Satz, und Z 2 VerfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen werden.