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OGH vom 26.08.2014, 10ObS86/14s

OGH vom 26.08.2014, 10ObS86/14s

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten Dr. Hradil als Vorsitzenden, die Hofräte Dr. Fellinger und Dr. Hoch sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Günter Steinlechner (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Susanna Jonak (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei A*****, vertreten durch die Sachwalterin I*****, diese vertreten durch Mag. Andreas Germann, Rechtsanwalt in Bregenz, gegen die beklagte Partei Pensionsversicherungsanstalt, 1021 Wien, Friedrich Hillegeist Straße 1, vertreten durch Dr. Josef Milchram und andere Rechtsanwälte in Wien, wegen Pflegegeld, infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Innsbruck als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom , GZ 25 Rs 45/14z 23, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Landesgerichts Feldkirch als Arbeits und Sozialgericht vom , GZ 33 Cgs 125/13d 18, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei zu Handen deren Vertreters die mit 371,52 EUR (darin enthalten 61,92 EUR USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Begründung:

Die am geborene Klägerin, die österreichische Staatsbürgerin ist, lebte ungefähr 50 Jahre lang in Deutschland. Nach dem Tod ihres Ehegatten wurde sie von ihrer Familie nach Österreich zurückgeholt und lebt seit Juni 2012 in Österreich. Sie wohnte zunächst bis bei ihrer Sachwalterin. Anschließend erhielt sie einen Pflegeplatz in einem Seniorenwohnheim, wohin sie übersiedelte. Seit wohnt die Klägerin in einem Sozialzentrum (betreutes Wohnen). Ihr Pflegebedarf nach dem österreichischen Bundespflegegeldgesetz beträgt 123 Stunden.

Die Klägerin bezieht von der deutschen Rentenversicherung eine Eigenrente im Betrag von 490 EUR monatlich sowie eine Witwenrente im Betrag von 250 EUR monatlich. Eine österreichische Pensionsleistung wird nicht bezogen. Die Klägerin, die über eine e card verfügt, nimmt Leistungen der Krankenversicherung in Österreich in Anspruch, wobei die Abrechnung dieser Leistungen über die AOK Bayern erfolgt.

Die Klägerin bezog vom bis von der Pflegekasse bei der AOK Bayern Pflegegeld der Pflegestufe 1 in Höhe von 235 EUR monatlich. Seither bezieht die Klägerin kein weiteres Pflegegeld aus Deutschland, weil das deutsche Pflegeversicherungsgesetz keine Leistungen für Pflege in einem Pflegeheim im Ausland vorsieht.

Mit Bescheid vom lehnte die beklagte Pensionsversicherungsanstalt den Antrag der Klägerin vom auf Zuerkennung von Pflegegeld mit der Begründung ab, dass die Klägerin aufgrund des Rentenbezugs aus Deutschland der Krankenversicherung und damit auch der Pflegeversicherung in Deutschland unterliege.

Das Erstgericht verpflichtete die beklagte Partei, der Klägerin ab Pflegegeld der Stufe 3 nach dem Bundespflegegeldgesetz im Betrag von derzeit 442,90 EUR monatlich zu bezahlen. Es gelangte in seiner rechtlichen Beurteilung zu dem Ergebnis, dass der Klägerin ungeachtet des Umstands, dass sie keine österreichische Grundleistung gemäß § 3 Abs 1 und 2 BPGG beziehe, nach § 3a Abs 1 BPGG in Österreich ein grundsätzlicher Anspruch auf Pflegegeld zukomme, weil sie ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Inland habe und österreichische Staatsbürgerin sei. Der Pflegebedarf der Klägerin betrage seit 123 Stunden monatlich, sodass ihr ab diesem Zeitpunkt Pflegegeld der Stufe 3 zustehe.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der beklagten Partei keine Folge. Es führte im Wesentlichen aus, es komme im vorliegenden Fall die VO (EG) 883/2004 zur Anwendung. Beim österreichischen Pflegegeld handle es sich um eine Geldleistung im Sinne dieser Verordnung. Nach Art 11 VO (EG) 883/2004 kämen auf Personen, für die diese Verordnung gelte, grundsätzlich nur die Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats zur Anwendung, wobei aus dem Erwerbsleben ausgeschiedene Personen als „andere Personen“ iSd Art 11 Abs 2 lit e der VO (EG) 883/2004 unbeschadet anderslautender Bestimmungen grundsätzlich den Rechtsvorschriften des Wohnmitgliedstaats unterlägen. Somit sei der Pflegeleistungsanspruch der Klägerin, die als „andere Person“ iSd Art 11 Abs 2 lit e VO (EG) 883/2004 zu qualifizieren sei, allein nach österreichischem Recht als den Rechtsvorschriften des Wohnmitgliedstaats der Klägerin zu beurteilen. Nach § 3a Abs 1 BPGG hätten österreichische Staatsbürger seit auch ohne Grundleistung gemäß § 3 Abs 1 und 2 BPGG unter der Voraussetzung eines gewöhnlichen Aufenthalts im Inland Anspruch auf Pflegegeld nach Maßgabe der Bestimmungen des BPGG. Diese Gruppe von Anspruchsberechtigten sei bis in den Zuständigkeitsbereich der Länder gefallen und habe daher Anspruch auf Landespflegegeld gehabt. Da die keine österreichische Grundleistung beziehende Klägerin österreichische Staatsbürgerin sei und seit dem Stichtag ihren gewöhnlichen Aufenthalt in Österreich habe, habe sie gemäß § 3a Abs 1 BPGG Anspruch auf Pflegegeld in der nicht mehr strittigen Höhe der Stufe 3.

Das Berufungsgericht sprach aus, dass die ordentliche Revision im Hinblick auf das Fehlen einer Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zur Bestimmung des § 3a Abs 1 BPGG zulässig sei.

Gegen diese Entscheidung richtet sich die Revision der beklagten Partei wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag, das angefochtene Urteil im Sinne einer Abweisung des Klagebegehrens abzuändern. Hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Die Klägerin beantragt in ihrer Revisionsbeantwortung, der Revision keine Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist entgegen dem den Obersten Gerichtshof nicht bindenden Zulässigkeitsausspruch des Berufungsgerichts (§ 508a Abs 1 ZPO) im Hinblick auf die mittlerweile zu der vom Berufungsgericht als rechtserheblich bezeichneten Frage der Auslegung des § 3a Abs 1 BPGG vorliegende Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs nicht zulässig.

Die beklagte Partei macht in ihrem Rechtsmittel zusammengefasst geltend, bei ausschließlichem Vorliegen einer ausländischen Grundleistung sei davon auszugehen, dass eine (Leistungs )Zuständigkeit des österreichischen Entscheidungsträgers nicht bestehe, weil der in Österreich wohnende Pflegebedürftige in einem anderen EWR Staat krankenversichert sei und das Pflegegeld als Leistung bei Krankheit iSd Art 3 Abs 1 lit a VO (EG) 883/2004 anzusehen sei. Es sei daher auch die Regelung des § 3a Abs 1 BPGG, wonach Anspruch auf Pflegegeld nach Maßgabe der Bestimmungen dieses Bundesgesetzes auch ohne Grundleistung gemäß § 3 Abs 1 und 2 BPGG für österreichische Staatsbürger bestehe, die ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Inland haben, in dem Sinne zu verstehen, dass bei Prüfung der Frage des Bestehens einer Grundleistung auch eine solche mitzuberücksichtigen sei, die aus einem anderen EU Mitgliedstaat bezogen werde. Ausgehend von dieser Rechtsansicht sei weiters die Frage zu prüfen, ob der grundsätzlich zuständige Mitgliedstaat (Deutschland) von seiner Leistungspflicht ganz oder teilweise befreit werde, er somit Gründe geltend machen könne, die nach Unionsrecht seinen Leistungsexport in den anderen Mitgliedstaat (Österreich) ganz oder teilweise ausschließen. Es wäre daher festzustellen gewesen, ob und in welcher Höhe ein Geldleistungsanspruch der Klägerin gegen den für die Grundleistung zuständigen Staat bestehe.

Diesen Ausführungen ist Folgendes entgegenzuhalten:

1. Der Oberste Gerichtshof hat in der mittlerweile ergangenen und einen vergleichbaren Sachverhalt betreffenden Entscheidung 10 ObS 2/14p vom im Wesentlichen ausgeführt, dass sich im österreichischen Pflegegeldsystem der Pflegegeldanspruch seit dem ausschließlich nach dem BPGG richtet und seither ein Pflegegeldanspruch gemäß § 3a Abs 1 BPGG auch ohne Grundleistung gemäß § 3 Abs 1 und 2 BPGG für österreichische Staatsbürger, die ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Inland haben, besteht. Die (damalige) Klägerin hat als österreichische Staatsangehörige schon deshalb Anspruch auf Pflegegeld nach § 3a Abs 1 BPGG, weil sie ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Inland und Pflegebedarf in anspruchsbegründender Höhe hat und sie im Hinblick auf die von ihr (damals) ausschließlich aus der belgischen und deutschen Rentenversicherung bezogenen Hinterbliebenenleistungen auch keine der in § 3 Abs 1 Z 1 bis 10 BPGG angeführten Grundleistungen bezogen hat. Den Einwand, die (damalige) Klägerin habe nur belgische bzw deutsche Hinterbliebenenleistungen bezogen, sodass nach der VO (EG) 883/2004 für Geldleistungen bei Krankheit (Pflegebedürftigkeit) nicht Österreich, sondern (damals) Belgien zuständig sei, hielt der erkennende Senat entgegen, dass der EuGH in dem Urteil C 611/10 und C 612/10, Hudzinski und Wawrzyniak , Rn 45 ff unter Berufung auf Vorjudikatur ausdrücklich ausgesprochen hat, dass die Koordinierungsbestimmungen für Familienleistungen dahin auszulegen sind, dass sie es einem Mitgliedstaat, der nach diesen Vorschriften nicht als zuständiger Staat bestimmt ist, nicht verwehren, allein nach seinem nationalen Recht einem Wanderarbeitnehmer Familienleistungen zu gewähren. Demnach kann ein Mitgliedstaat einen Leistungsanspruch auch nicht deshalb verneinen, weil er nach Unionsrecht nicht zuständig ist, wenn der Anspruchswerber alle Anspruchsvoraussetzungen nach rein nationalem Recht erfüllt. Auch wenn dieses erwähnte Urteil des EuGH Familienleistungen betrifft, sind die auf Vorjudikatur gestützten Aussagen des EuGH angesichts ihrer allgemeinen Natur auch für die Kategorie „Leistung bei Krankheit“ anwendbar (10 ObS 2/14p; 10 ObS 36/14p).

2. Es ist daher auch im vorliegenden Fall im Hinblick auf die zitierte Rechtsprechung des EuGH davon auszugehen, dass ein Mitgliedstaat einen Leistungsanspruch nicht deshalb verneinen kann, weil er nach dem Koordinierungsrecht nicht zuständig ist, wenn die betreffende Person nach rein nationalem Recht alle Anspruchsvoraussetzungen erfüllt (vgl Felten , Pflegegeld für Ausgleichszulagenbezieher aus anderen EU Mitgliedstaaten? ÖZPR 2014/25, 44 [45]). Es kann daher entgegen der Rechtsansicht der Revisionswerberin ein Anspruch auf österreichisches Pflegegeld einem Pflegebedürftigen mit österreichischer Staatsbürgerschaft und gewöhnlichem Aufenthalt in Österreich nicht mit dem Argument versagt werden, dass die betreffende Person eine Pension aus einem anderen Mitgliedstaat bezieht und deshalb dieser andere Mitgliedstaat für die Gewährung von Pflegeleistungen zuständig sei. Denn nach rein nationalem Recht sind die Voraussetzungen des § 3a BPGG erfüllt. Diese Bestimmung setzt lediglich voraus, dass die betreffende Person österreichischer Staatsbürger ist, ihren gewöhnlichen Aufenthalt in Österreich hat und keine Grundleistung gemäß § 3 Abs 1 und 2 BPGG bezieht. Dies alles trifft auf die Klägerin zu, da die von ihr bezogenen ausländischen Pensionen im Katalog von Grundleistungen gemäß § 3 Abs 1 Z 1 bis 10 BPGG nicht angeführt sind. Mit der Regelung des § 3a Abs 1 BPGG sollten jene pflegebedürftigen Personen mit österreichischer Staatsbürgerschaft und gewöhnlichem Aufenthalt im Inland, die keine Grundleistung gemäß § 3 Abs 1 BPGG beziehen und somit bisher zum anspruchsberechtigten Personenkreis nach dem jeweiligen Landespflegegeldgesetz zählten, in den anspruchsberechtigten Personenkreis nach dem BPGG aufgenommen werden (ErläutRV 1208 BlgNR 24. GP 8).

3. Zu der von der beklagten Partei weiters vertretenen Ansicht, es wäre festzustellen gewesen, ob und in welcher Höhe ein Geldleistungsanspruch der Klägerin gegen den für die Grundleistung zuständigen Staat (Deutschland) bestehe, ist ebenfalls auf die Ausführungen des erkennenden Senats in der Entscheidung 10 ObS 2/14p zu verweisen. Danach ist die Antikumulierungsvorschrift des Art 34 VO (EG) 883/2004 in der vorliegenden Konstellation nicht anwendbar, weil diese Bestimmung nur das Zusammentreffen einer Geldleistung wegen Pflegebedürftigkeit und einer Sachleistung aus diesem Grund betrifft. § 7 BPGG normiert, dass Geldleistungen, die wegen Pflegebedürftigkeit nach anderen bundesgesetzlichen oder ausländischen Vorschriften gewährt werden, auf das Bundespflegegeld anzurechnen sind. Diese Antikumulierungsbestimmung erfasst aber nur tatsächlich bezogene Leistungen (10 ObS 2/14p; 10 ObS 36/14p).

3.1 Da die Klägerin im strittigen Zeitraum aus der deutschen Pflegeversicherung unbestritten keine Geldleistungen bezogen hat, kommt auch eine Anrechnung solcher Leistungen auf ihren Anspruch auf Pflegegeld in der nicht mehr strittigen Höhe der Stufe 3 nicht in Betracht.

4. Im Hinblick auf die mittlerweile vorliegende Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs war daher die Revision der beklagten Partei mangels erheblicher Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 77 Abs 1 Z 2 lit a ASGG. Die Revisionsbeantwortung stellt sich als zweckentsprechende Rechtsverteidigungsmaßnahme dar, auch wenn die Klägerin darin im Hinblick auf die mittlerweile ergangene, aber damals noch nicht veröffentlichte Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs noch nicht auf die Unzulässigkeit der Revision hinweisen konnte.

European Case Law Identifier

ECLI:AT:OGH0002:2014:010OBS00086.14S.0826.000