OGH vom 29.04.2015, 9Ob8/15i
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Hopf als Vorsitzenden und die Hofrätinnen und Hofräte des Obersten Gerichtshofs Mag. Ziegelbauer, Dr. Dehn, Dr. Hargassner und Mag. Korn in der Rechtssache der klagenden Partei C***** P*****, vertreten durch Mag. Boris Knirsch, Mag. Michael Braun ua, Rechtsanwälte in Wien, gegen die beklagte Partei P***** P*****, vertreten durch Dr. Franz Kienesberger, Rechtsanwalt in Wien, wegen Räumung, über die außerordentliche Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Berufungsgericht vom , GZ 39 R 318/14z 17, in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen (§ 510 Abs 3 ZPO).
Begründung:
Rechtliche Beurteilung
1. Gegen das Urteil des Berufungsgerichts ist die Revision nur dann zulässig, wenn die Entscheidung von der Lösung einer Rechtsfrage des materiellen Rechts oder des Verfahrensrechts abhängt, der zur Wahrung der Rechtseinheit, Rechtssicherheit oder Rechtsentwicklung erhebliche Bedeutung zukommt, etwa weil das Berufungsgericht von der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs abweicht oder eine solche Rechtsprechung fehlt oder uneinheitlich ist (§ 502 Abs 1 ZPO). Das ist hier nicht der Fall.
2. Der Beklagte bemängelt, dass das Berufungsgericht den Streitwert der gegenständlichen Räumungsklage nach § 56 Abs 2 JN festgelegt habe, zeigt allerdings keine Relevanz dieses Vorbringens auf. Das Berufungsgericht hat die vom Kläger geltend gemachten Berufungsgründe der Mangelhaftigkeit des Verfahrens und der unrichtigen Tatsachenfeststellung aufgrund unrichtiger Beweiswürdigung ausdrücklich nicht behandelt (Berufungsurteil S 4). Im Übrigen entspricht es der ständigen Rechtsprechung, dass dann, wenn der Kläger die Bewertung in der Klage nur auf den Streitwert nach RATG und GGG bezieht, der Zweifelsstreitwert nach § 56 Abs 2 JN zur Anwendung kommt (RIS Justiz RS0042434).
3. Inhaltlich bestreitet der Beklagte, dass er im Zuge der Heirat seines Sohnes, des Klägers, im Jahr 2005, auf sein Wohnrecht an der vom Kläger benützten Wohnung wirksam verzichtet habe.
3.1. Er vermisst dazu Feststellungen zur Annahme des Verzichts durch den Kläger. Aus der festgestellten Situation, in der der Beklagte wenige Tage vor der Hochzeit des Klägers seine Erklärung abgab („dem Kläger die Wohnung zur Gänze zu überlassen, damit er dort mit seiner Familie leben könnte“), gehen keine Anhaltspunkte dafür hervor, dass der Beklagte seinerseits aus der Sicht eines redlichen Erklärungsempfängers an der Zustimmung des Klägers zweifeln hätte müssen. Die Feststellung, dass weder der Kläger noch seine Eltern auf die Idee kamen, das im Vertrag eingeräumte Wohnrecht aus dem Grundbuch löschen zu lassen, impliziert vielmehr, dass der Kläger mit dem Angebot seines Vaters einverstanden war. Eine krasse, im Interesse der Rechtssicherheit aufzugreifende Fehlbeurteilung liegt hier nicht vor.
3.2. Die Wirksamkeit des Verzichts steht auch dem Vorbringen des Beklagten entgegen, dass der Kläger durch die unterlassene Löschung des Wohnrechts des Beklagten im Grundbuch sein Recht „auf Annahme des Verzichts“ verwirkt habe. Dass er sonst sein Recht „auf ein Räumungsbegehren“ verwirkt bzw stillschweigend darauf verzichtet habe, geht aus dem Sachverhalt nicht hervor. Der Kläger nutzte auch nach seiner Scheidung beide Wohnungen und erklärte dem Beklagten anlässlich dessen Rückkehr nur, dass er „ein Platzerl hat, bis die Situation [mit der Mutter] geklärt ist“.
3.3. Im Übrigen stellt die Frage, ob ein Vertrag oder eine Willenserklärung im Einzelfall richtig ausgelegt wurde, nur dann eine erhebliche Rechtsfrage dar, wenn infolge einer wesentlichen Verkennung der Rechtslage ein unvertretbares Auslegungsergebnis erzielt wurde (RIS Justiz RS0042936). Insbesondere hat auch die Frage der Vertretbarkeit einer anderen als der vom Berufungsgericht vorgenommenen Vertragsauslegung keine über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung (RIS Justiz RS0042936 [T3]).
Die Beurteilung des Berufungsgerichts, dass der Beklagte nicht bloß für die Dauer einer Ehe des Klägers und einer daraus resultierenden Familie auf sein Wohnrecht verzichtet habe, ist jedenfalls vertretbar. Dass dem Kläger die Wohnung überlassen werden sollte, „damit er dort mit seiner Familie leben könnte“, erklärt zwar den Zweck der Aufgabe des Wohnrechts, ist aber nicht notwendigerweise als (auflösende) Bedingung der Verzichtserklärung zu verstehen, zumal der Beklagte und seine Frau zu jenem Zeitpunkt bereits seit längerem in einem Haus in Niederösterreich wohnten.
3.4. Die vom Beklagten aufgeworfene Frage, in welcher Frist nach einem Verzicht auf ein Wohnrecht man dieses Wohnrecht im Grundbuch löschen lassen müsse, damit der Wohnberechtigte nicht mehr auf seinen Weiterbestand vertrauen könne, ist nicht relevant. Der Beklagte, der auf sein Wohnrecht selbst ausdrücklich verzichtet hat, kann schon aus diesem Grund nicht auf den Grundbuchsstand vertrauen. Der grundbuchsrechtliche Vertrauensgrundsatz schützt auch nur gutgläubige Dritte in ihrem Vertrauen auf eingetragene dingliche Rechte (zB Mader in Kletečka/Schauer , ABGB ON 1.02 § 431 Rz 6).
4. Mangels einer Rechtsfrage von der Qualität des § 502 Abs 1 ZPO ist die außerordentliche Revision des Beklagten zurückzuweisen.
European Case Law Identifier
ECLI:AT:OGH0002:2015:0090OB00008.15I.0429.000