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VfGH vom 06.06.2005, b76/04

VfGH vom 06.06.2005, b76/04

Sammlungsnummer

17523

Leitsatz

Verletzung im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter durch Zurückweisung eines Nachprüfungsantrages als verspätet; Verlängerung der Stillhaltefrist bis zur Zuschlagserteilung durch verspätete Auskunftserteilung hinsichtlich der Bekanntgabe der Gründe für die Zuschlagsentscheidung

Spruch

Die beschwerdeführende Partei ist durch den angefochtenen Bescheid im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter verletzt worden.

Der Bescheid wird aufgehoben.

Das Land Kärnten ist schuldig, der beschwerdeführenden Partei zuhanden ihres Rechtsvertreters die mit € 2.158,20 bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu bezahlen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. Die Gemeinde G (im Folgenden auch als Auftraggeberin bezeichnet) hat ein Verfahren zur Vergabe der Errichtung einer näher bezeichneten Fuß- und Radwegbrücke in Form eines nicht offenen Verfahrens ohne vorherige Bekanntmachung gemäß § 23 Abs 4 Bundesvergabegesetz (BVergG) durchgeführt. Die beschwerdeführende Gesellschaft hat sich durch Legung von Angeboten um den Auftrag beworben. Mit Schreiben vom , zugegangen am , gab die Auftraggeberin der beschwerdeführenden Gesellschaft ihre Absicht bekannt, den Zuschlag an eine Mitbieterin zu erteilen. Dem schriftlichen Ersuchen der beschwerdeführenden Gesellschaft vom um Bekanntgabe der Gründe für die Zuschlagsentscheidung sowie der Gründe für die Nichtberücksichtigung ihres Angebotes kam die Auftraggeberin am nach:

Darin gab sie im Wesentlichen bekannt, dass das erfolgreiche Angebot in einer Variante - die aber offenbar nicht Teil der Ausschreibungsbedingungen war - in preislicher Hinsicht das Angebot der beschwerdeführenden Gesellschaft unterschritt.

Am brachte die beschwerdeführende Gesellschaft beim Unabhängigen Verwaltungssenat für Kärnten (UVS Kärnten) einen Nachprüfungsantrag verbunden mit einem Antrag auf Erlassung einer einstweiligen Verfügung ein.

2. Mit Bescheid vom wurde der Nachprüfungsantrag sowie der damit verbundene Antrag auf Erlassung einer einstweiligen Verfügung zurückgewiesen und dies wie folgt begründet:

"Nach dem übereinstimmenden Vorbringen der Parteien (§10 K-VergRG) wurde das gegenständliche Bauvorhaben im nicht offenen Verfahren ohne vorherige Bekanntmachung ausgeschrieben. Die Zuschlagsentscheidung vom ist der Antragstellerin am zugegangen (Beilage JH).

Gemäß § 14 Abs 2 K-VergRG sind Anträge auf Nachprüfung vor Zuschlagserteilung beim Unabhängigen Verwaltungssenat innerhalb der in der Anlage genannten Fristen einzubringen. Gemäß Anlage II. Unterschwellenbereich Z 3 kann im nicht offenen Verfahren ohne vorherige Bekanntmachung die Zuschlagsentscheidung innerhalb der Stillhaltefrist nach Bekanntgabe der Zuschlagsentscheidung bekämpft werden.

Gemäß § 100 Abs 2 Bundesvergabegesetz 2002 - BVergG verkürzt sich im Falle eines nicht offenen Verfahrens ohne vorherige Bekanntmachung die Stillhaltefrist auf sieben Tage.

Die Zuschlagsentscheidung ist der Antragstellerin am ausweislich ihres eigenen Eingangsstempels zugegangen. Gemäß § 32 Abs 1 AVG wird bei der Berechnung von Fristen, die nach Tagen bestimmt sind, der Tag nicht mitgerechnet, in den der Zeitpunkt oder das Ereignis fällt, wonach sich der Anfang der Frist richten soll.

Auf den gegenständlichen Fall bezogen bedeutet dies, dass die siebentägige Frist am zu laufen und mit Ablauf des geendet hat. Der Antrag ist ausweislich des Empfangsprotokolls am um 13.40 Uhr vollständig beim erkennenden Senat eingelangt. Zu diesem Zeitpunkt war die Frist des '14 K-VergRG bereits verstrichen. Der Antrag war daher, ohne auf die Sache selbst näher einzugehen, zurückzuweisen. Damit ist aber auch die Voraussetzung für die Erlassung einer einstweiligen Verfügung weggefallen und ist die Verständigung vom , ON 2, gegenstandslos (geworden)."

3. Gegen diesen Bescheid wendet sich die auf Art 144 B-VG gestützte Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, in der die Verletzung der beschwerdeführenden Gesellschaft in ihren verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Eigentum sowie die Verletzung in Rechten wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des Bescheides begehrt wird.

Der UVS Kärnten hat die Verwaltungsakten vorgelegt, von der Erstattung einer Gegenschrift aber Abstand genommen.

II. Die - zulässige - Beschwerde ist begründet:

1. § 100 Bundesvergabegesetz idF BGBl. I 99/2002 hat folgenden

Wortlaut:

"§100. (1) Der Auftraggeber hat den Bietern gleichzeitig, unverzüglich und nachweislich elektronisch oder mittels Telefax mitzuteilen, welchem Bieter der Zuschlag erteilt werden soll. In dieser Mitteilung können, unter Bedachtnahme auf Abs 4, den nicht erfolgreichen Bietern bereits die Gründe für die Ablehnung ihres Angebotes genannt werden. Eine Verpflichtung zur Mitteilung der Zuschlagsentscheidung besteht nicht, falls ein Verhandlungsverfahren gemäß § 25 Abs 2 Z 1, Abs 4 Z 1 oder Abs 6 Z 1 mit einem Unternehmer, ein Verhandlungsverfahren gemäß § 25 Abs 2 Z 3 bis 5, Abs 4 Z 2 bis 5, Abs 6 Z 2 bis 5 bzw. gemäß Abs 6 Z 6 mit dem Gewinner des Wettbewerbes oder ein Verhandlungsverfahren gemäß § 26 Abs 3 Z 4 bis 6 oder Abs 4 durchgeführt wurde. Ein unter Verstoß gegen die gemäß den Bestimmungen dieses Bundesgesetzes bestehende Verpflichtung zur Mitteilung der Zuschlagsentscheidung erfolgter Zuschlag ist nichtig.

(2) Der Zuschlag darf bei sonstiger Nichtigkeit nicht innerhalb einer Stillhaltefrist von 14 Tagen ab Bekanntgabe der Zuschlagsentscheidung gemäß Abs 1 erteilt werden. Im Falle der Durchführung eines beschleunigten Verfahrens wegen Dringlichkeit gemäß den §§49 oder 50 Abs 4 oder 5, eines Verhandlungsverfahrens ohne Bekanntmachung gemäß § 26 Abs 3 Z 1 bis 3 oder eines nicht offenen Verfahrens ohne vorherige Bekanntmachung verkürzt sich die Stillhaltefrist auf sieben Tage. Im Falle der Durchführung einer elektronischen Auktion verkürzt sich die Stillhaltefrist auf drei Arbeitstage.

(3) Nicht erfolgreiche Bieter können innerhalb einer Frist von sieben Tagen, im Falle der Durchführung eines beschleunigten Verfahrens wegen Dringlichkeit gemäß den §§49 oder 50 Abs 4 oder 5, eines Verhandlungsverfahrens ohne Bekanntmachung gemäß § 26 Abs 3 oder eines nicht offenen Verfahrens ohne vorherige Bekanntmachung innerhalb einer Frist von drei Tagen, nach Zustellung der Zuschlagsentscheidung schriftlich die Bekanntgabe der Gründe für die Nichtberücksichtigung ihres Angebotes sowie der Merkmale und Vorteile des erfolgreichen Angebotes beantragen. Bei Durchführung einer elektronischen Auktion haben nicht erfolgreiche Bieter unverzüglich nach Bekanntgabe des Namens des erfolgreichen Bieters die Bekanntgabe der Gründe für die Nichtberücksichtigung ihres Angebotes sowie der Merkmale und Vorteile des erfolgreichen Angebotes zu beantragen.

(4) Der Auftraggeber hat unverzüglich nach Eingang des Antrages, sofern der Antrag gemäß Abs 3 jedoch rechtzeitig gestellt wurde, jedenfalls aber drei Tage - bei Durchführung einer elektronischen Auktion einen Tag - vor Ablauf der Stillhaltefrist, dem nicht erfolgreichen Bieter die Vergabesumme sowie die Merkmale und Vorteile des erfolgreichen Angebotes bekannt zu geben, sofern nicht die Bekanntgabe dieser Informationen öffentlichen Interessen oder den berechtigten Geschäftsinteressen von Unternehmen widersprechen oder dem freien und lauteren Wettbewerb schaden würde."

2. § 11 Abs 1 Z 6 Kärntner Vergaberechtsschutzgesetz idF LGBl. 17/2003 hat folgenden Wortlaut:

"§11. (1) Ein Antrag auf Nichtigerklärung (§8 Abs 1) hat jedenfalls zu enthalten:

[...]

6. die Gründe, auf die sich die Behauptung der Rechtswidrigkeit stützt,

[...]"

3. Die beschwerdeführende Gesellschaft erachtet sich - auf das Wesentliche zusammengefasst - in ihrem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Eigentum durch Anwendung von Normen, die gegen das rechtsstaatliche Prinzip verstoßen, dadurch verletzt, dass der UVS Kärnten zu Unrecht eine Sachentscheidung über ihren Antrag verweigert habe. Die Bestimmung des § 100 Abs 3 BVergG mache einen effektiven Rechtschutz unmöglich, da die Verweigerung der rechzeitigen Begründung der Zuschlagsentscheidung durch die vergebende Stelle nicht sanktioniert sei. Es sei der vergebenden Stelle daher möglich, durch verspätete Bekanntgabe der Begründung die erfolgreiche Anfechtung zu verhindern. Nach dem Wortlaut der anzuwendenden Bestimmungen hätte der Zeitpunkt der Begründung durch die vergebende Stelle keinen Einfluss auf den Fristenlauf der Anträge vor Zuschlagserteilung und auch keinen Einfluss auf die Stillhaltefrist. Sinnvoll und effektiv iSd Art 18 B-VG könne der Rechtschutz im vorliegenden Fall nur dann sein, wenn an den Zugang der Begründung die Rechtsmittelfrist und die Stillhaltefrist geknüpft würde.

4. Im Ergebnis ist die beschwerdeführende Gesellschaft im Recht:

Das Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter wird durch den Bescheid einer Verwaltungsbehörde u.a. dann verletzt, wenn die Behörde zu Unrecht eine Sachentscheidung verweigert hat.

Die Zurückweisung des Antrages auf Nachprüfung der Zuschlagserteilung wurde vom UVS Kärnten damit begründet, dass die siebentägige Frist am zu laufen begonnen und mit Ablauf des geendet habe. Folglich sei der am eingelangte Antrag verspätet gewesen und wurde deshalb zurückgewiesen.

Damit verkennt die belangte Behörde Sinn und Zweck der Bestimmung des § 100 Abs 3 BVergG grundlegend:

§ 100 Abs 1 BVergG verpflichtet den Auftraggeber, die Zuschlagsentscheidung den Bietern gesondert bekannt zu geben und sie von der Zuschlagserteilung zu trennen:

Bei sonstiger Nichtigkeit ist es dem Auftraggeber binnen einer "Stillhaltefrist" (im vorliegenden Fall des nicht offenen Verfahrens ohne vorherige Bekanntmachung: eine Woche) nach Bekanntgabe der Zuschlagsentscheidung untersagt, den Zuschlag zu erteilen. Der Zweck der Bestimmung liegt ganz offenkundig darin, dass dem Bieter die Möglichkeit eröffnet sein soll, die Zuschlagsentscheidung rechtzeitig, also vor Zuschlagserteilung, einer Überprüfung und allfälligen Nichtigerklärung durch den UVS zuzuführen. Um beurteilen zu können, ob der Auftraggeber die Zuschlagsentscheidung rechtens getroffen hat und ihre Bekämpfung aussichtsreich erscheint, kann ein übergangener Bieter auf entsprechende Auskunft durch den Auftraggeber angewiesen sein: Dem an der raschen Abwicklung interessierten Auftraggeber steht es frei, die Merkmale und Vorteile des erfolgreichen Angebots sowie die Gründe für die Nichtberücksichtigung der nicht erfolgreichen Angebote sogleich mit der Bekanntgabe der Zuschlagsentscheidung zu benennen (vgl. § 100 Abs 1 BVergG). Er hat eine entsprechende Auskunft aber spätestens dann zu erteilen, wenn ein nicht erfolgreicher Bieter innerhalb einer Frist von (im Fall des nicht offenen Verfahrens ohne vorherige Bekanntmachung) drei Tagen nach Zustellung der Zuschlagsentscheidung schriftlich eine solche begehrt (§100 Abs 3 BVergG). Für diesen Fall ordnet das Gesetz unmissverständlich an, dass die Auskunftserteilung "unverzüglich", "jedenfalls aber drei Tage vor Ablauf der Stillhaltefrist" zu erfolgen hat (§100 Abs 4 BVergG). Diese Anordnungen können innerhalb der siebentägigen Frist befolgt werden, an deren Einhaltung dem Auftraggeber im nicht offenen Verfahren ohne vorherige Bekanntmachung selbst gelegen ist. (Am Beispiel des vorliegenden Falles: Bekanntgabe der Zuschlagsentscheidung am 21. November, Zugang am 24. November, Auskunftsersuchen am 24. November, Auskunft am 28. November möglich, Fristablauf am 1. Dezember.)

Der Verfassungsgerichtshof erachtet deshalb auch vor dem Hintergrund der in diesem Punkt klaren Gemeinschaftsrechtslage (vgl. , Alcatel Austria AG, Slg. 1999, I-07671) eine Auslegung des § 100 BVergG als zwingend, wonach dem Bieter nach Auskunftserteilung (über rechtzeitiges Begehren) jedenfalls noch drei Tage Stillhaltefrist offen stehen müssen. Eine verspätete Auskunftserteilung durch den Auftraggeber (hier: am 2. Dezember) muss also zu einer entsprechenden Verlängerung der Stillhaltefrist (hier: bis 5. Dezember) führen. Ein Verständnis, wonach eine Verletzung der Pflicht zur rechtzeitigen Erteilung der Auskunft für die Wirksamkeit der Zuschlagserteilung "unbeachtlich" sein soll, verkennt den offenkundigen Sinn und Zweck der Bestimmung, weil es diesfalls der Auftraggeber (als Antragsgegner des Verfahrens) in der Hand hätte, ein Nachprüfungsverfahren zu vereiteln oder ins Leere laufen zu lassen.

Wenn der UVS im angefochtenen Bescheid offenbar davon ausgeht, dass ein Bieter möglicherweise schon vor Beantwortung des Auskunftsersuchens den Antrag auf Nachprüfung der Zuschlagsentscheidung stellen müsse, vernachlässigt er, dass dem Nachprüfungsregime des K-VergRG ein von konkreten Vorwürfen losgelöster Provisorialrechtsschutz fremd ist: Ein Nachprüfungsantrag aber hat gemäß § 11 Abs 1 Z 6 K-VergRG die Gründe, auf die sich die Behauptung der Rechtswidrigkeit stützt, zu bezeichnen. Wie schon dargelegt, ist dies ohne Bekanntgabe der (vermeintlichen) Vorzüge des erfolgreichen Angebots aber oft nicht möglich (vgl. VfGH B190/02 vom ).

Indem der UVS Kärnten dies verkennt und eine Sachentscheidung verweigert hat, verletzt der Bescheid die beschwerdeführende Gesellschaft im Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter.

III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 88 VfGG. Im zugesprochenen Betrag ist USt in der Höhe von € 359,70 enthalten.

IV. Diese Entscheidung konnte gemäß § 19 Abs 4 erster Satz VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.