OGH vom 30.07.2019, 10ObS85/19a

OGH vom 30.07.2019, 10ObS85/19a

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Vizepräsidenten Univ.-Prof. Dr. Neumayr als Vorsitzenden, die Hofrätinnen Dr. Fichtenau und Dr. Grohmann sowie die fachkundigen Laienrichter KAD Dr. Lukas Stärker (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und KR Karl Frint (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei A*****, vertreten durch Bruckmüller RechtsanwaltsgmbH in Linz, gegen die beklagte Partei Sozialversicherungsanstalt der gewerblichen Wirtschaft, 1051 Wien, Wiedner Hauptstraße 84–86, vertreten durch Dr. Eva-Maria Bachmann-Lang und Dr. Christian Bachmann, Rechtsanwälte in Wien, wegen Rückforderung von Kinderbetreuungsgeld, über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom , GZ 11 Rs 28/19w-14, mit dem das Urteil des Landesgerichts Linz als Arbeits- und Sozialgericht vom , GZ 31 Cgs 114/18v-8, abgeändert wurde, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 418,78 EUR (darin enthalten 69,80 EUR USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung zu ersetzen.

Text

Begründung:

Nach der Geburt seines Sohnes am hat die beklagte Sozialversicherungsanstalt der gewerblichen Wirtschaft dem Kläger für den Zeitraum vom bis einkommensabhängiges Kinderbetreuungsgeld in der Höhe von 4.026 EUR (66 EUR täglich) zuerkannt und ausgezahlt.

Für den Anspruchszeitraum (23. 10.–) ergibt sich ein Gesamtbetrag der Einkünfte des Klägers aus selbständiger Arbeit in Höhe von 0 EUR. Außerhalb dieses Zeitraums bezog der Kläger im Jahr 2012 als Geschäftsführer einer GmbH ein Gehalt von 5.830 EUR brutto pro Monat. Im Jahr 2012 wurden dem Kläger Sozialversicherungsbeiträge von insgesamt 20.038,56 EUR vorgeschrieben.

Die beklagte Partei widerrief mit vom die Zuerkennung des einkommensabhängigen Kinderbetreuunggeldes für den Zeitraum vom bis und verpflichtete den Kläger zur Rückzahlung der bezogenen Leistung von 4.026 EUR.

Der begehrt mit seiner Klage die Feststellung, dass der Rückforderungsanspruch der Beklagten nicht zu Recht bestehe. Er habe vom bis weder Erwerbseinkünfte aus selbständiger Arbeit bezogen noch Sozialversicherungsbeiträge bezahlt.

Die wendet ein, dass die Einkünfte von 0 EUR um die insgesamt im Jahr 2012 vorgeschriebenen Sozialversicherungsbeiträge zu erhöhen seien. Der Kläger überschreite daher die für das Jahr 2012 bestehende Zuverdienstgrenze von 6.100 EUR um 13.938,56 EUR.

Das folgte dem Standpunkt der beklagten Partei, wies das Klagebegehren ab und verpflichtete den Kläger zur Rückzahlung des Kinderbetreuungsgeldes.

Das gab der Berufung des Klägers Folge und stellte fest, dass der Anspruch der beklagten Partei auf Rückforderung des Kinderbetreuungsgeldes nicht zu Recht bestehe. Es sei unstrittig, dass der selbständig erwerbstätige Kläger einen „Zuordnungsnachweis“ erbracht und im Anspruchszeitraum keine Einkünfte erzielt habe. Damit habe er auch hochgerechnet auf einen Jahresbetrag keine Einkünfte gehabt. Zu beurteilen sei, ob die im Kalenderjahr 2012 dem Kläger vorgeschriebenen Beiträge zur gesetzlichen Sozialversicherung im Gesamtausmaß von 20.038,56 EUR bei der Ermittlung des Gesamtbetrags an maßgeblichen Einkünften iSd § 8 Abs 1 Z 2 KBGG zu berücksichtigen seien. Dass dies zu verneinen sei, lege schon der Wortlaut des § 8 Abs 1 Z 2 Satz 2 KBGG nahe, wonach Einkünfte aus Betätigungen, die Grundlage für Pflichtbeiträge in der gesetzlichen Sozialversicherung darstellten, um die im betreffenden Kalenderjahr vorgeschriebenen Beiträge zur gesetzlichen Sozialversicherung zu seien. Eine Erhöhung setze aber zwangsläufig voraus, dass überhaupt Einkünfte erzielt worden seien. Diese Voraussetzung sei im vorliegenden Fall nicht gegeben. Weiters sprechen für dieses Auslegungsergebnis auch die Erwägungen des Gesetzgebers, dass Sozialversicherungsbeiträge in der Regel einen „Durchlaufposten“ darstellen und im Zuge der Berechnung zuerst abgezogen und dann wieder hinzugeschlagen werden sollen. Werden aber keine Einkünfte erzielt, komme es zu keinem Abzug von Sozialversicherungsbeiträgen. Daraus folge, dass auch nach den Intentionen des Gesetzgebers Sozialversicherungsbeiträge überhaupt nicht zu berücksichtigen seien. Letztlich gebiete diese Vorgehensweise auch der mit dem Zuordnungsnachweis verfolgte Zweck der Herstellung einer Gleichbehandlung mit den Beziehern von Lohneinkünften. Hätten diese im Anspruchszeitraum keine Lohneinkünfte, seien nach § 8 Abs 1 Z 1 KBGG Sozialversicherungsbeiträge bei der Einkunftsermittlung nicht zu berücksichtigen. Für selbständig Erwerbstätige könne nichts anderes gelten. Habe ein selbständiger Erwerbstätiger im Anspruchszeitraum keine Einkünfte erzielt, seien die im Kalenderjahr vorgeschriebenen Beiträge zur gesetzlichen Sozialversicherung bei der Berechnung der maßgeblichen Einkünfte iSd § 8 Abs 1 Z 2 KBGG nicht zu berücksichtigen. Der Kläger habe daher die Zuverdienstgrenze des § 24 Abs 1 Z 3 KBGG nicht überschritten, sodass das Rückforderungsbegehren der beklagten Partei nicht zu Recht bestehe.

Das Berufungsgericht ließ die Revision mit der Begründung zu, dass der Oberste Gerichtshof bislang nicht zur Frage Stellung genommen habe, ob die vorgeschriebenen Beiträge zur gesetzlichen Sozialversicherung bei der Ermittlung des Betrags an maßgeblichen Einkünften iSd § 8 Abs 1 Z 2 KBGG (idF BGBl I 2009/116) zu berücksichtigen seien, obwohl im Anspruchszeitraum keine Einkünfte erzielt worden seien.

Rechtliche Beurteilung

Die vom Kläger beantwortete Revision der beklagten Partei ist im Hinblick auf die zwischenzeitig ergangene Entscheidung 10 ObS 11/19v vom nicht zulässig.

Der Oberste Gerichtshof hat in dieser Entscheidung ausführlich zu der auch hier zu beurteilenden Frage Stellung genommen und ist – zusammengefasst – zu folgenden Ergebnissen gelangt:

1.1 Die Addition der im Jahr 2012 vorgeschriebenen Sozialversicherungsbeiträge nach § 8 Abs 1 Z 2 Satz 2 und Satz 5 KBGG idF BGBl I 2009/116 würde zum Überschreiten der Zuverdienstgrenze (im vorliegenden Fall von 6.100 EUR) führen. Diese Berechnungsformel auf den Bezug von einkommensabhängigem Kinderbetreuungsgeld anzuwenden würde bedeuten, dass selbständig Erwerbstätige trotz Einstellung bzw Einschränkung ihrer Tätigkeit und Reduktion der Einkünfte auf (im Extremfall) 0 EUR während der Betreuung des Kindes im Bezugszeitraum das bezogene Kinderbetreuungsgeld immer zurückzahlen müssten, wenn ihnen im Kalenderjahr des Bezugs Sozialversicherungsbeiträge vorgeschrieben werden, die aufgrund der Höhe der früheren Einkünfte die Zuverdienstgrenze übersteigen. Dieses Ergebnis widerspreche eindeutig der vom Gesetzgeber beabsichtigten Funktion des einkommensabhängigen Kinderbetreuungsgeldes als (zumindest teilweiser) Einkommensersatz.

1.2 Dass die Formel Einkünfte im Anspruchszeitraum umgerechnet auf das Kalenderjahr zuzüglich der im Bezugsjahr insgesamt vorgeschriebenen Sozialversicherungsbeiträge beim einkommensabhängigen Kinderbetreuungsgeld nicht in jedem Fall anzuwenden sei, verdeutlichten auch die Gesetzesmaterialien: Danach entspreche die unschädliche Zuverdienstgrenze (im vorliegenden Fall von 6.100 EUR) der bei ganzjährigem Bezug 14 mal verdienten sozialversicherungsrechtlichen Geringfügigkeitsgrenze.

1.3 In diesem Sinn sei der Verweis in § 24 Abs 1 Z 3 KBGG auf § 8 Abs 1 (einschließlich Z 2 zweiter Satz) KBGG zu lesen: Wenn der selbständig erwerbstätige Elternteil im (nicht ganzjährigen) Anspruchszeitraum Einkünfte (ohne Abzug der Sozialversicherungsbeiträge) erziele, die umgerechnet auf das Kalenderjahr die Geringfügigkeitsgrenze übersteigen, seien die im betreffenden Kalenderjahr insgesamt vorgeschriebenen Beiträge zur gesetzlichen Sozialversicherung hinzuzuschlagen.

1.4 Eine gänzliche Einstellung der selbständigen Tätigkeit (Zurücklegung der Funktion als Geschäftsführer bzw Ruhendmeldung der Gewerbeberechtigung der GmbH) im Bezugsanspruchszeitraum sei nicht erforderlich, weil nach dem eindeutigen Wortlaut des § 24 Abs 1 Z 3 KBGG die während des Bezugszeitraums aus einer aktiven Erwerbstätigkeit erzielten Einkünfte den Anspruch auf einkommensabhängiges Kinderbetreuungsgeld nur bei Überschreitung der Zuverdienstgrenze ausschließen. Der Gesetzgeber habe die Bezieher von einkommensabhängigen Kinderbetreuungsgeld, unabhängig ob diese selbständig oder unselbständig erwerbstätig waren, nicht zur gänzlichen Aufgabe ihrer Tätigkeit im Bezugszeitraum zwingen wollen, sondern nur sicherstellen wollen, dass sich die Bezieher in ausreichender Weise der Betreuung des Kindes widmen können.

2. Mit diesen Grundsätzen steht die Entscheidung des Berufungsgerichts in Einklang und entspricht somit der höchstgerichtlichen Rechtsprechung zu der im Zulassungsausspruch als erheblich iSd § 502 Abs 1 ZPO bezeichneten Rechtsfrage.

Die Kostenentscheidung beruht auf den § 41, 50 ZPO. Der Kläger hat auf die Unzulässigkeit der Revision hingewiesen.

Zusatzinformationen


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ECLI:
ECLI:AT:OGH0002:2019:010OBS00085.19A.0730.000

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