VfGH vom 12.06.1987, b74/87
Sammlungsnummer
11338
Leitsatz
Bescheid der nach der UrhG-Nov 1980 beim BMfJ
eingerichteten Schiedsstelle; Schiedsstelle ist eine Kollegialbehörde "mit richterlichem Einschlag" iSd Art 20 Abs 2 B-VG; Erschöpfung des Instanzenzuges; Kollegialbehörden iSd Art 133 Z 4 B-VG (Art20 Abs 2 B-VG) sind angesichts ihrer gerichtsähnlichen Stellung hinsichtlich der Zusammensetzung zur Durchführung fortgesetzter Verhandlungen demselben strengen Regeln unterworfen wie kollegial besetzte Gerichte in diesem Verfahrensstadium dürfen ihre Richter nicht mehr ausgewechselt werden; daran ändert nichts, daß Ergebnisse der früheren Verhandlung als nicht entscheidungsrelevant betrachtet werden; Entzug des gesetzlichen Richters durch Auswechseln von drei Richtern bei einer fortgesetzten Verhandlung ohne Neudurchführung des Verfahrens
Spruch
Die bf. Gesellschaft ist durch den angefochtenen Bescheid im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter verletzt worden.
Der Bescheid wird aufgehoben.
Der Bund (Bundesminister für Justiz) ist schuldig, der Bf. zu Handen ihres Vertreters die mit 11.000 S bestimmten Verfahrenskosten binnen vierzehn Tagen bei sonstigem Zwang zu ersetzen.
Begründung
Entscheidungsgründe:
1.1. Die - gemäß ArtIII § 1 Abs 1 des BG vom (Urheberrechtsgesetznovelle 1980 - UrhGNov. 1980), BGBl. 321/1980 - beim Bundesministerium für Justiz eingerichtete Schiedsstelle erließ durch Hon.Prof.DDr. R D als Vorsitzenden, Mag. N K und Prof. F S als weitere Mitglieder sowie Mag. P, Dr. W D, Mag.Dr. K K, DDr. H K, Dr. G K und Dr. W R, Hofrat des Obersten Gerichtshofes, als Ersatzmitglieder am im Verfahren 58/16-Schied/84 über den Antrag der A ... Gesellschaft mbH (A GesmbH) gegen die M Einkaufsgesellschaft mbH wegen Rechnungslegung und Zahlung folgenden Bescheid:
"1. Die Antragsgegnerin ist schuldig, der Antragstellerin schriftlich über das von ihr importierte und/oder im Inland hergestellte und seit dem (Schallträger) bzw. (Bild- und Schallträger) bis zum Beginn des im Inland entgeltlich in Verkehr gebrachte Trägermaterial iS des § 42 Abs 5 UrhG binnen vierzehn Tagen unter Angabe der Stückzahl und der jeweiligen Spieldauer, 3er Warenzeichen (Marken) sowie der Bezugsländer, getrennt nach Monaten unter Vorlage der zugehörigen Belege, bei Exekution Rechnung zu legen.
2. Die Antragsgegnerin ist schuldig, die mit 12.000 S bestimmte Gebühr für die Inanspruchnahme der Schiedsstelle binnen vierzehn Tagen . . . an das Bundesministerium für Justiz . . . zu bezahlen.
3. Die Entscheidung über die weiteren Ansprüche wird vorbehalten."
1.2.1. Gegen diesen Bescheid wendet sich die vorliegende, auf Art 144 Abs 1 B-VG gestützte Beschwerde der M Einkaufsgesellschaft mbH an den VfGH; darin werden die Verletzung der verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechte auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter (Art83 Abs 2 B-VG), auf Unversehrtheit des Eigentums (Art5 StGG) und auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz (Art7 Abs 1 B-VG, Art 2 StGG) geltend gemacht und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Bescheides begehrt.
1.2.2. Die Schiedsstelle beim Bundesministerium für Justiz als bel. Beh. und die A GesmbH als Beteiligte des verfassungsgerichtlichen Beschwerdeverfahrens erstatteten - und zwar die Behörde unter Vorlage der Admini- strativakten - je eine Gegenschrift und beantragten die kosten- pflichtige Abweisung der Beschwerde.
2. Über die Beschwerde wurde erwogen:
2.1. Die Schiedsstelle beim Bundesministerium für Justiz iS der UrhGNov. 1980 besteht aus neun Mitgliedern, von denen eines dem Richterstand angehören muß (ArtIII § 4 Abs 1 UrhGNov. 1980). Alle Mitglieder des Kollegiums, die vom Bundespräsidenten auf Vorschlag der Bundesregierung für die Dauer von fünf Jahren bestellt werden, sind in Ausübung ihres Amtes unabhängig und an keine Weisungen und Aufträge gebunden (ArtIII §§4 Abs 2, 5 Abs 1 UrhGNov. 1980). Die Schiedsstelle wurde folglich vom Bundesgesetzgeber als Kollegialbehörde iS des Art 20 Abs 2 B-VG eingerichtet. Ihre Entscheidungen unterliegen kraft ArtIII § 11 Abs 1 UrhGNov. 1980 nicht der Aufhebung oder Abänderung im Verwaltungsweg, können jedoch mit Beschwerde an den VwGH bekämpft werden (vgl. ).
Der administrative Instanzenzug ist darum erschöpft.
Da auch die sonstigen Prozeßvoraussetzungen zutreffen, ist die Beschwerde zulässig.
2.2.1. Im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht nach Art 83 Abs 2 B-VG erachtet sich die bf. Gesellschaft in erster Linie deswegen verletzt, weil die bel. Beh. in der (mit Entscheidung beendeten) Verhandlung vom anders als in der vorangegangenen vom zusammengesetzt gewesen sei.
2.2.2.1. Nach der ständigen Rechtsprechung des VfGH wird das verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter nach Art 83 Abs 2 B-VG (auch) durch unrichtige Zusammensetzung einer an sich zuständigen Kollegialbehörde verletzt (VfSlg. 3406/1958, 3752/1960 uam.). Daran anknüpfend sprach der VfGH bereits wiederholt aus, daß sog. "Kollegialbehörden mit richterlichem Einschlag" iSd Art 133 Z 4 B-VG (Art20 Abs 2 B-VG) angesichts ihrer gerichtsähnlichen Stellung in der Frage der Zusammensetzung zur Durchführung fortgesetzter Verhandlungen denselben strengen Regeln wie kollegial besetzte Gerichte unterworfen sind (VfSlg. 4664/1964, 4728/1964; ): Ihre Mitglieder dürfen also jedenfalls in diesem Verfahrensstadium nicht mehr ausgewechselt werden.
Die bel. Beh. räumte nun in ihrer Gegenschrift - in voller Übereinstimmung mit der Aktenlage - selbst ein, daß sie im vorliegenden Administrativverfahren sowohl am als auch am verhandelt habe: Drei der neun Mitglieder (Ersatzmitglieder), die bereits an der Verhandlung vom mitwirkten, nämlich das Mitglied Dr. F und die beiden Ersatzmitglieder Dr. N und Dr. F wurden - aus unbekannt gebliebenen Gründen - zur nächsten Verhandlung vom gegen das Mitglied Mag. K und die Ersatzmitglieder Dr. K und DDr. K ausgewechselt, ohne daß sich den Administrativakten eine Neudurchführung des Verfahrens entnehmen ließe.
Die belangte Schiedsstelle brachte im gegebenen Zusammenhang wörtlich vor:
"In dieser Verhandlung (vom ) ist jedoch nichts vorgekommen, was Grundlage des angefochtenen Bescheides wäre: Vielmehr hat sich die bel. Beh. darauf beschränkt, der Antragstellerin vorsorglich die Vorlage von Urkunden aufzutragen, die sie für die Erlassung des angefochtenen Bescheides dann doch für unerheblich angesehen hat."
Dieser Einwand ist nach Auffassung des Verfassungsgerichtshofes nicht zielführend: Für die Frage der Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechts auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter kann es keineswegs ausschlaggebend sein, daß die Schiedsstelle in ihrer (geänderten) personellen Besetzung vom zur Ansicht gelangte, alle oder einzelne Ergebnisse der früheren Verhandlung vom seien nicht entscheidungsrelevant. Denn zur Wertung und Wägung sämtlicher Verfahrensergebnisse, also auch zur - in der Gegenschrift besonders herausgestellten - (negativen) Beurteilung des Verhandlungssubstrats vom (ua. vorsorgliche Aufträge), war die Schiedsstelle einzig und allein in jener Zusammensetzung befugt und berufen, in der sie erstmals verhandelt hatte.
2.2.2.2. Daraus folgt, daß die hier entscheidende Kollegialbehörde - die (aus der Sicht dieser Beschwerdesache) auf verfassungsrechtlich unbedenklichen gesetzlichen Grundlagen beruht (vgl. VfSlg. 9887/1983, 9888/1983; ) - in unrichtiger personeller Besetzung einschritt. Die bf. Gesellschaft wurde darum im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter verletzt, ohne daß der VfGH - darüber hinaus - in die Prüfung der Frage eintreten mußte, ob und inwieweit der Vorsitzende der Schiedsstelle bei Einberufung (Ladung) der übrigen Kommissionsmitglieder zu den Verhandlungen die streng-formalen Voraussetzungen des ArtIII § 10 UrhGNov. 1980 eingehalten hatte (VfSlg. 8845/1980; und B112/83).
Der angefochtene Bescheid war - allein schon aus diesem Grund - als verfassungswidrig aufzuheben.
2.3. Die Kostenentscheidung stützt sich auf § 88 VerfGG 1953. Im zugesprochenen Kostenbetrag ist Umsatzsteuer in der Höhe von 1.000 S enthalten.
2.4. Da die in dieser Beschwerdesache zu lösenden Rechtsfragen durch die bisherige Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes bereits genügend klargestellt sind, konnte diese Entscheidung gemäß § 19 Abs 4 Z 2 VerfGG 1953 ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung ergehen.
Fundstelle(n):
WAAAE-14715