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OGH vom 27.07.2010, 10ObS85/10p

OGH vom 27.07.2010, 10ObS85/10p

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten Dr. Schinko als Vorsitzenden, die Hofräte Dr. Fellinger und Hon. Prof. Dr. Neumayr sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Reinhard Drössler (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und VPr. Susanne Höller (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Univ. Prof. Dr. Kurt B*****, vertreten durch Dr. Armin Bammer, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei Versicherungsanstalt öffentlich Bediensteter, Josefstädter Straße 80, 1081 Wien, vertreten durch Dr. Hans Houska, Rechtsanwalt in Wien, wegen Kostenerstattung, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht in Arbeits und Sozialrechtssachen vom , GZ 8 Rs 104/09m 21, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichts Korneuburg als Arbeits und Sozialgericht vom , GZ 7 Cgs 161/08t 17, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei hat die Kosten des Revisionsverfahrens selbst zu tragen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der Kläger erkrankte im Jahr 2006 an einem Prostatakarzinom. Am wurde der hochgradige Verdacht einer ossären Metastase der zweiten Rippe rechts geäußert und dem Kläger eine Bestrahlung mit dem Cyberknife empfohlen. Eine derartige Behandlung ist nur in einer Klinik in München möglich, in Österreich wird diese Behandlung nicht durchgeführt. Der Antrag des Klägers auf Kostenübernahme für die Behandlung wurde von der beklagten Versicherungsanstalt öffentlich Bediensteter am abgelehnt. Der Kläger unterzog sich am in München erfolgreich der Cyberknife Behandlung.

Der Einsatz der Hochpräzisionstherapie mit dem Cyberknife stellt bei einer ossären Metastasenrippe bislang nicht die allgemein gängige Behandlungsmethode dar. Die lokale Kontrolle kann durch einfach geplante Radiotherapie in fraktionierter Applikation, zB am Linearbeschleuniger kostengünstiger erzielt werden. Eine lokale Kontrolle einer Rippenmetastase hängt von der applizierten Dosis und nicht vom Behandlungsgerät (Cyberknife oder Linearbeschleuniger) ab. Für Metastasen in einem Bereich, indem keine Risikostrukturen vorhanden sind, wie zum Beispiel den Rippen, sollte (aus medizinischer Sicht) auf eine Behandlung an einem Cyberknife verzichtet werden, da kein besonderer Benefit im Vergleich zur herkömmlichen Behandlung am Linearbeschleuniger erkannt werden kann.

Der Kläger begehrte von der beklagten Partei die Erstattung der Behandlungskosten in Höhe von insgesamt 16.240,32 EUR (davon 994,48 EUR an Kosten für die stationäre Behandlung am und 15.245,84 EUR für die Behandlung mit dem Cyberknife am ).

Mit Bescheid vom entsprach die beklagte Partei diesem Antrag im Ausmaß von 556,08 EUR. Dieser Betrag setzt sich zusammen aus einem Tag Pflegekostenzuschuss und einem internen Behandlungskostenbeitrag für den im Gesamtbetrag von 173,33 EUR, den Kosten für eine Computertomographie in Höhe von 110 EUR und einen Kostenbeitrag für die Behandlung mit dem Cyberknife in Höhe von 294,75 EUR abzüglich 20 % Behandlungsbeitrag für die Computertomographie in Höhe von 22 EUR, insgesamt somit für Computertomographie und Cyberknife-Behandlung 382,75 EUR. Das Mehrbegehren wies die beklagte Partei ab.

Das Erstgericht wies die dagegen erhobene, auf die Zuerkennung eines weiteren Kostenersatzes in Höhe von 6.367,84 EUR gerichtete Klage ab. Ausgehend von dem eingangs wiedergegebenen Sachverhalt führte es in seiner rechtlichen Beurteilung aus, dass der von der beklagten Partei geleistete Kostenersatz im Wesentlichen den Regelungen des § 59 Abs 1 B KUVG iVm § 14 der Satzung der beklagten Partei entspreche. Demnach seien dann, wenn für eine vertraglich nicht geregelte Leistung wie im vorliegenden Fall - ein Zuschuss nicht ausdrücklich vorgesehen sei, je nach Behandlung oder Untersuchung 60 % der notwendigen tatsächlichen Kosten zu ersetzen, wobei dieser Zuschuss höchstens 7,5 % der jeweiligen Höchstbeitragsgrundlage betrage. Bei der Behandlung mit dem Cyberknife habe es sich nicht um eine effektive alternative Therapie gehandelt, weshalb die Kosten dafür nicht zuzusprechen gewesen seien.

Das Berufungsgericht gab der wegen unrichtiger Tatsachenfeststellung und unrichtiger rechtlicher Beurteilung erhobenen Berufung des Klägers nicht Folge.

Entgegen der Ansicht des Erstgerichts und des Klägers komme es nicht darauf an, welche Behandlungsmethode gewählt worden wäre, hätte sich der Kläger nicht der Cyberknife-Behandlung unterzogen. Weil die vom Kläger in Anspruch genommene Leistung nicht Gegenstand eines Gesamtvertrags sei und für die Höhe der Kostenerstattung nicht auf vergleichbare vertragliche Tarife zurückgegriffen werden könne, sei auf den vorliegenden Fall nicht § 59 B KUVG (Erstattung der Kosten der Krankenbehandlung) anzuwenden. Einschlägig sei vielmehr die analog anzuwendende Bestimmung des § 60a B KUVG betreffend die satzungsmäßige Zuerkennung von Kostenzuschüssen bei Fehlen vertraglicher Regelungen für den Bereich einer Berufsgruppe. Nach der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofs bestehe keine Pflicht des Krankenversicherungsträgers, alle erdenklichen und medizinisch möglichen Leistungen als Sachleistungen ohne Zuzahlungen des Versicherten zu erbringen. Daher treffe den Krankenversicherungsträger auch nicht die Pflicht, im Fall von vom Gesamtvertrag nicht erfassten Leistungen die dem Versicherten entstandenen Leistungen zur Gänze zu tragen. Aus dem Blickwinkel des Sachlichkeitsgebots könne aber § 60a B KUVG analog auf den Fall angewendet werden, dass eine neuartige ärztliche Leistung vertraglich noch nicht erfasst sei. Die Versicherungsanstalt habe - unter Bedachtnahme auf ihre finanzielle Leistungsfähigkeit - auch für diese Leistungen einen Kostenersatz in Form von Kostenzuschüssen in ihrer Satzung vorzusehen. Im konkreten Fall habe der Kläger den in § 14 der Satzung der beklagten Partei vorgesehenen Zuschuss von 7,5 % der Höchstbeitragsgrundlage im Monat der Behandlung oder Untersuchung erhalten; darüber hinausgehende Ansprüche habe er nicht.

Eine Auseinandersetzung mit der Beweisrüge könne unterbleiben, weil der Frage, welche Behandlung der Kläger in Anspruch genommen hätte, hätte er sich nicht der Cyberknife Behandlung unterzogen, rechtlich keine Bedeutung zukomme.

Die Revision sei zulässig, weil eine Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs explizit zu der Frage, ob § 60a B KUVG (wie § 131b ASVG) eine hinreichende gesetzliche Grundlage betreffend satzungsmäßige Kostenzuschussregelungen für außervertragliche Leistungen bilde, nicht vorliege und insoweit eine erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO gegeben sei.

Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision der klagenden Partei wegen (sekundärer) Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens und unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag, die angefochtene Entscheidung im klagsstattgebenden Sinn abzuändern. Hilfsweise wird ein Aufhebungs und Zurückverweisungsantrag gestellt.

Die beklagte Partei beantragt in der Revisionsbeantwortung, der Revision nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist aus dem vom Berufungsgericht genannten Grund zulässig; sie ist aber nicht berechtigt.

Der Revisionswerber macht im Wesentlichen geltend, dass eine analoge Anwendung des § 60a B KUVG im vorliegenden Fall im Hinblick auf die Regelung des § 59 B KUVG mangels planwidriger Lücke nicht in Betracht komme. Hätte der Kläger die „entsprechenden Vertragspartner“ der beklagten Partei in Anspruch genommen, hätte er sich nicht einer herkömmlichen Strahlentherapie unterzogen, sondern sich als wirksamere und vorteilhaftere Alternative die Metastase operativ entfernen lassen, was 6.923,92 EUR gekostet hätte. Somit komme der Frage, welche Heilungsmethode der Kläger gewählt hätte, hätte er sich nicht der Cyberknife Behandlung unterzogen, sehr wohl rechtliche Bedeutung zu, weshalb das Berufungsgericht auf die Beweisrüge eingehen hätte müssen.

Dazu wurde erwogen:

Grundsätzlich kann auf die zutreffenden Ausführungen des Berufungsgerichts verwiesen werden (§ 510 Abs 3 Satz 2 ZPO).

Ergänzend ist hinzuzufügen:

Nach § 59 B KUVG („Erstattung der Kosten der Krankenbehandlung“), der inhaltlich weitgehend dem § 131 ASVG entspricht, steht dem Anspruchsberechtigten der Ersatz der Kosten einer anderweitigen Krankenbehandlung in der Höhe des Betrags zu, der bei Inanspruchnahme der entsprechenden Vertragspartner aufzuwenden gewesen wäre. Nach der Rechtsprechung zur korrespondierenden Norm des § 131 ASVG kann diese Regelung nur für den Anwendungsbereich eines Gesamtvertrags verstanden werden, weil sich nur in diesem Bereich Wahlärzte und Vertragsärzte gegenüberstehen. Geht es jedoch um Leistungen, die nicht Gegenstand eines Gesamtvertrags sind, so kann die Bestimmung nicht zur Anwendung kommen, weil in diesem Bereich Vertragsärzte nicht zur Verfügung stehen (10 ObS 264/93 = SSV NF 8/33; 10 ObS 231/03y = SSV NF 17/116; RIS-Justiz RS0084810). In diesem Sinn ist auch die „anderweitige Krankenbehandlung“ im zweiten Satzteil des § 59 Abs 1 Satz 1 B KUVG zu verstehen: Es geht darum, dass der Anspruchsberechtigte nicht durch Vertragspartner des Krankenversicherungsträgers erbrachte Sachleistungen in Anspruch genommen hat, sondern eine Behandlung durch einen Nicht-Vertragspartner, wie sie aber grundsätzlich auch von einem Vertragspartner erbracht werden hätte können (10 ObS 136/92 = SSV NF 6/142; 10 ObS 59/94 = DRdA 1995/47, 501 [ Mosler ]; VfGH G 24/98 ua = VfSlg 15.787 15.865). Da die Behandlung, für die der Kläger Kostenerstattung begehrt, nicht von einem Vertragspartner der beklagten Partei erbracht werden hätte können, taugt § 59 Abs 1 B-KUVG nicht als Anspruchsgrundlage für den Kläger.

Einschlägig ist vielmehr im Sinne der Judikatur des Verfassungsgerichtshofs (V 70/96 = VfSlg 16.030) eine analoge Anwendung des - inhaltlich dem § 131b ASVG entsprechenden - § 60a B KUVG. Nach ihrem Wortlaut regeln die §§ 60, 60a B KUVG (nur) zwei Anwendungsfälle bei Fehlen einer vertraglichen Regelung mit „anderen“ Vertragspartnern: Haben Verträge bestanden, sind diese jedoch weggefallen, so gebührt dem Anspruchsberechtigten Kostenersatz entsprechend dem historischen Vertragstarif (§ 60 B-KUVG). Haben solche Verträge hingegen überhaupt nicht bestanden, so ist die Versicherungsanstalt ermächtigt, in ihrer Satzung Kostenzuschüsse festzusetzen.

In dem Erkenntnis hat der Verfassungsgerichtshof explizit ausgeführt, dass die Satzung der beklagten Partei für den Fall des Fehlens einer vertraglichen Regelung für eine bestimmte (neuartige) ärztliche Behandlung für diese Leistungen auf der Grundlage einer analogen Anwendung des § 60a B KUVG einen Kostenersatz in Form von Kostenzuschüssen vorzusehen hat (ebenso Grillberger in Strasser [Hrsg], Arzt und gesetzliche Krankenversicherung [1995] 424); die §§ 59, 60a B KUVG sind dagegen unanwendbar. Daraus folgt, dass der Kläger im vorliegenden Fall keinen über den satzungsmäßigen Anspruch nach § 14 der Satzung der BVA 2005 hinausgehenden Kostenerstattungsanspruch hat. Schließlich besteht nach dem der Judikatur des Verfassungsgerichtshofs keine Pflicht des Krankenversicherungsträgers, alle erdenklichen und medizinisch möglichen Leistungen als Sachleistungen ohne Zuzahlungen des Versicherten zu erbringen. Vor diesem Hintergrund trifft den Krankenversicherungsträger nicht die Pflicht, im Falle „außervertraglicher“ Leistungen die dem Versicherten entstandenen Behandlungskosten zur Gänze zu tragen (VfGH G 24/98 ua = VfSlg 15.787 15.865; V 70/96 = VfSlg 16.030).

Demnach ist der Revision der klagenden Partei nicht Folge zu geben.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 77 Abs 1 Z 2 lit b ASGG.