VfGH vom 23.09.2008, b72/08
Sammlungsnummer
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Spruch
Der Beschwerdeführer ist durch den angefochtenen Bescheid wegen Anwendung einer verfassungswidrigen Gesetzesbestimmung in seinen Rechten verletzt worden.
Der Bescheid wird aufgehoben.
Der Bund (Bundesministerin für Inneres) ist schuldig, dem Beschwerdeführer zuhanden seines Rechtsvertreters die mit € 2.160,-
bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu bezahlen.
Begründung
Entscheidungsgründe:
I. 1. Der Beschwerdeführer, ein am geborener Staatsangehöriger Mazedoniens, reiste am illegal nach Österreich ein und stellte am selben Tag einen Antrag auf Gewährung von Asyl, der mit Bescheid vom abgewiesen wurde. Gleichzeitig wurde festgestellt, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers in seinen Herkunftsstaat zulässig ist. Die gegen diesen Bescheid eingebrachte Berufung wurde zurückgezogen, sodass der Bescheid 1. Instanz am in Rechtskraft erwuchs.
2. Am beantragte der Beschwerdeführer die Erteilung einer Erstniederlassungsbewilligung aus humanitären Gründen. Dieser Antrag wurde mit im Namen der Landeshauptfrau von Salzburg erlassenen Bescheid des Magistrats der Stadt Salzburg vom abgewiesen.
3. Die dagegen erhobene Berufung wurde mit Bescheid des Bundesministers für Inneres vom abgewiesen. Begründend wird ausgeführt, die Behörde 1. Instanz hätte den Antrag auf Erteilung einer Niederlassungsbewilligung aus humanitären Gründen gemäß § 73 Abs 2 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz, BGBl. I 100/2005, (im Folgenden: NAG) zurückweisen müssen, weil die Antragstellung auf Erteilung einer Niederlassungsbewilligung aus humanitären Gründen gesetzlich nicht vorgesehen, sondern nur von Amts wegen zu erteilen sei. Da eine Zurückweisung unterblieben sei und die Berufungsbehörde das erkannt habe, sei die Berufung abzuweisen.
4. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, auf Art 144 B-VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung der verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechte gemäß ArtI Abs 1 des Bundesverfassungsgesetzes zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl. 390/1973, der Art 18 und 87 Abs 2 B-VG, des Art 8 EMRK und des Art 1 des 1. ZP EMRK behauptet, die Einleitung eines Gesetzesprüfungsverfahrens hinsichtlich der §§72 Abs 1, 75 und 81 Abs 1 NAG sowie der §§10 Abs 4 Fremdengesetzes, BGBl. I 75/1997, 90 Abs 1 Fremdengesetz, BGBl. I 75/1997 idF BGBl. I 126/2002, angeregt und die kostenpflichtige Aufhebung des bekämpften Bescheides begehrt wird.
5. Die belangte Behörde legte die Verwaltungsakten vor, erstattete jedoch keine Gegenschrift.
II. Der Verfassungsgerichtshof hat über die - zulässige - Beschwerde erwogen:
1. Der Verfassungsgerichtshof hat - nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am - mit Erkenntnis vom , G246,247/07 ua., unter anderem die Wortfolge "von Amts wegen" in § 73 Abs 2 NAG als verfassungswidrig aufgehoben. Der dieses Verfahren einleitende Prüfungsbeschluss wurde am im Internet bekannt gemacht.
2. Gemäß Art 140 Abs 7 B-VG wirkt die Aufhebung eines Gesetzes auf den Anlassfall zurück. Es ist daher hinsichtlich des Anlassfalles so vorzugehen, als ob die als verfassungswidrig erkannte Norm bereits zum Zeitpunkt der Verwirklichung des dem Bescheid zugrunde liegenden Tatbestandes nicht mehr der Rechtsordnung angehört hätte.
Dem in Art 140 Abs 7 B-VG genannten Anlassfall (im engeren Sinn), anlässlich dessen das Gesetzesprüfungsverfahren tatsächlich eingeleitet worden ist, sind jene Beschwerdefälle gleichzuhalten, die zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung im Gesetzesprüfungsverfahren beim Verfassungsgerichtshof bereits anhängig waren (vgl. VfSlg. 10.616/1985, 10.736/1985, 10.954/1986); darüber hinaus muss der das Verwaltungsverfahren einleitende Antrag vor Bekanntmachung des dem unter Pkt. II.1. genannten Erkenntnis zugrunde liegenden Prüfungsbeschlusses des Verfassungsgerichtshofes gestellt worden sein ().
3. Die vorliegende Beschwerde ist beim Verfassungsgerichtshof am eingelangt, war also zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung im Gesetzesprüfungsverfahren schon anhängig. Da auch das ihr vorausgegangene Verwaltungsverfahren vor Bekanntmachung des Prüfungsbeschlusses, nämlich am , angestrengt worden ist, ist der ihr zugrunde liegende Fall somit einem Anlassfall gleichzuhalten.
Die belangte Behörde wendete bei Erlassung des angefochtenen Bescheides die als verfassungswidrig aufgehobene Gesetzesstelle an. Es ist nach Lage des Falles nicht ausgeschlossen, dass dadurch die Rechtssphäre des Beschwerdeführers nachteilig beeinflusst wurde. Der Beschwerdeführer wurde somit wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes in seinen Rechten verletzt.
Der Bescheid war daher aufzuheben.
III. Von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung wurde gemäß § 19 Abs 4 Z 3 VfGG abgesehen.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in der Höhe von € 360,-
enthalten.