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VfGH vom 21.02.1985, B71/81

VfGH vom 21.02.1985, B71/81

Sammlungsnummer

10317

Leitsatz

FinStrG; Rechtsverletzung im Anlaßfall (Beschlagnahme) nach Aufhebung des § 89 Abs 2 als verfassungswidrig; keine Verletzung der persönlichen Freiheit, jedoch keine Abtretung an den VwGH

Spruch

I. Der Bf. ist dadurch, daß Organe des Finanzamtes Eisenstadt am 16. Feber 1981 in Wr. Neustadt seinen Aktenkoffer mit Schlüssel beschlagnahmt haben, wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes in seinen Rechten verletzt worden.

II. Im übrigen wird die Beschwerde abgewiesen.

Desgleichen wird der entsprechende Antrag auf Abtretung der Beschwerde an den VwGH abgewiesen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

1.1.1. Rechtsanwalt Dr. W-D A begehrte in seiner an den VfGH gerichteten Beschwerde gemäß Art 144 (Abs1) B-VG der Sache nach die kostenpflichtige Feststellung, daß er durch eine dem Finanzamt Eisenstadt zuzurechnende (faktische) Amtshandlung (in Wr. Neustadt) vom 16. Feber 1981, und zwar a) durch Beschlagnahme seines Aktenkoffers mit Schlüssel (gemäß § 89 Abs 2 FinStrG) und b) durch seine damit einhergehende Verpflichtung zur persönlichen Anwesenheit an Ort und Stelle, demnach durch Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt, in verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten verletzt worden sei, nämlich im Recht auf Unversehrtheit des Eigentums (Art5 StGG, Art 1 des 1. ZP zur MRK) und auf persönliche Freiheit (Art8 StGG); hilfsweise wurde zugleich die Abtretung der Beschwerde an den VwGH gemäß Art 144 Abs 2 B-VG idF vor dem BVG BGBl. 350/1981 beantragt.

1.1.2. Das Finanzamt Eisenstadt als bel. Beh. erstattete - unter Vorlage der Akten - eine Gegenschrift und beantragte darin die Abweisung der Beschwerde.

1.2.1. Der VfGH leitete in dieser Beschwerdesache mit Beschluß vom , Z B71/81-17, von Amts wegen ein Verfahren zur Prüfung der Verfassungsmäßigkeit der §§89 bis 92 FinStrG ein.

1.2.2. Mit Erk. des Z G24, 50/83 ua., wurde (ua.) die Vorschrift des § 89 Abs 2 FinStrG als verfassungswidrig aufgehoben. Zugleich wurde verfügt, daß frühere gesetzliche Bestimmungen nicht wieder in Wirksamkeit treten.

2. Über die Beschwerde wurde erwogen:

2.1.1. Beweis wurde erhoben insbesondere durch zeugenschaftliche Vernehmung der Finanzbeamten J W und K S, ferner durch Einsichtnahme in die vorgelegten Verwaltungsakten und Auszüge der Akten AZ Vr 1661/80 des Kreisgerichtes Wr. Neustadt und die Vernehmung des Bf. als Partei.

2.1.2. Aufgrund dieser Beweise stellte der VfGH folgenden Sachverhalt als erwiesen fest:

Wie sich aus den Akten AZ Vr 1661/80 des Kreisgerichtes Wr. Neustadt ergibt, fand vor diesem Gericht im Zug des Finanzstrafverfahrens gegen J G ua. am 16. Feber 1981 eine Tagsatzung zur Sichtung gerichtlich beschlagnahmter Unterlagen aus dem Besitz der Volksbank M

reg. Genossenschaft mbH statt. Dabei wurde das Sparbuch Nr. ... mit

Verpfändungserklärung Nr. ... zunächst dem anwesenden Vertreter der Staatsanwaltschaft Wr. Neustadt zur Verfügung gestellt, der zwar Einsicht nahm und seinerseits den von ihm (in Handhabung der Bestimmung des § 197 FinStrG) der Tagsatzung beigezogenen Beamten des Finanzamtes Eisenstadt Einblick gewährte, aber keine diese Urkunden betreffenden Anträge stellte.

Daraufhin faßte der die Amtshandlung leitende Richter einen Beschluß auf Ausfolgung der beiden - mit dem eingangs angeführten Strafverfahren offenbar nicht in Zusammenhang zu bringenden - Urkunden an den Vertreter des genannten Bankinstitutes, den Rechtsanwalt Dr. W-D A (S 21 des Gerichtsprotokolls). Im weiteren Verlauf der Amtshandlung wurden diesem Rechtsanwalt das Sparbuch wie auch die Verpfändungserklärung gerichtlich übergeben (S 23 des Gerichtsprotokolls).

In einer "Niederschrift über die Beschlagnahme bei Gefahr im Verzug gemäß § 89 Abs 2 Finanzstrafgesetz (FinStrG)", aufgenommen am 16. Feber 1981 von Organen des Finanzamtes Eisenstadt als Finanzstrafbehörde erster Instanz, heißt es wörtlich, daß das Sparbuch Nr. ... und die zugehörige Verpfändungserklärung gemäß § 89 Abs 2 FinStrG "bei Gefahr im Verzug beschlagnahmt wurden" und "in Verwahrung (der Behörde) übernommen werden", doch kam es zu einer Beschlagnahme dieser Sachen gar nicht; beide Urkunden blieben damals vielmehr weiterhin im Gewahrsam des - sich auf das Anwaltsgeheimnis berufenden - Rechtsanwaltes Dr. W-D A, der sie später gemäß § 1425 ABGB bei Gericht erlegte (s. hiezu VfSlg. 10318/1985).

Die einschreitenden Finanzorgane, denen zur Assistenzleistung angeforderte Sicherheitswachebeamte zur Seite standen, beschlagnahmten hingegen nach vorangegangener Herausgabeaufforderung in Gemäßheit des § 89 Abs 2 FinStrG einen im Eigentum des Dr. W-D A stehenden Aktenkoffer (samt Schlüssel), von dem sie - ohne weitere Rückfragen (Zeugenaussage K S) - annahmen, daß er das Sparbuch Nr. ... und die dazugehörige Verpfändungserklärung enthalte. Koffer und Schlüssel wurden an Ort und Stelle in amtliche Verwahrung genommen.

2.2.1. Gemäß Art 144 Abs 1 Satz 2 B-VG idF der Nov. BGBl. 302/1975 erkennt der VfGH über Beschwerden gegen die Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt gegen eine bestimmte Person. Darunter fallen Verwaltungsakte, die bis zum Inkrafttreten der B-VG-Nov. 1975, BGBl. 302, nach der ständigen Rechtsprechung des VfGH als sogenannte faktische Amtshandlungen (mit individuell-normativem Inhalt) bekämpfbar waren, wie dies ua. für eine Beschlagnahme, dh. die zwangsweise Entziehung einer Sache zum Zweck der Verwahrung (VfSlg. 4947/1965, 6754/1972, 9099/1981), zutrifft, die nicht aufgrund eines - sie anordnenden - verwaltungsbehördlichen Bescheides stattfand. Zu solchen bescheidfreien Beschlagnahmen zählen auch die in § 89 Abs 2 FinStrG vorgesehenen: Diese Bestimmung berechtigt ua. Organe der Abgabenbehörden, bei Gefahr im Verzug verfallsbedrohte und als Beweismittel in Betracht kommende Gegenstände auch dann in Beschlag zu nehmen, wenn eine - vom Gesetz für Beschlagnahmen in erster Linie vorgesehene - (bescheidmäßige) Anordnung der Finanzstrafbehörde (iS des § 89 Abs 1 FinStrG) nicht vorliegt (s. auch ua.). Um eine solche amtliche Beschlagnahme (des Koffers mit Schlüssel) iS des § 89 Abs 2 FinStrG handelt es sich hier, weil der behördliche Zugriff nach Lagerung des Falles ganz offensichtlich nicht etwa einem - vom Bf freiwillig erfüllten - schlichten Wunsch der amtshandelnden Organe (nach Sachübergabe) entsprach, sondern auf einer mündlichen Anordnung beruhte, die Amtshandlung somit dem Bf. gegenüber als - nötigenfalls mit sofortigem physischen Zwang durchzusetzender - Herausgabebefehl mit unverzüglichem Befolgungsanspruch in Erscheinung trat, dem sich der Betroffene, so er physische Zwangsakte vermeiden wollte, jedenfalls zu beugen hatte (s. zB VfSlg. 9308/1981).

2.2.2. Da ein Instanzenzug nicht offensteht und auch die übrigen Prozeßvoraussetzungen vorliegen, ist die Beschwerde zulässig (s. dazu schon: VfSlg. 10291/1984).

2.3. Gemäß Art 140 Abs 7 Satz 2 B-VG war die als verfassungswidrig aufgehobene Bestimmung des § 89 Abs 2 FinStrG (s. bereits Punkt 1.2.2.), auf die allein sich der hier angefochtene Verwaltungsakt (Beschlagnahme) gestützt hatte, im vorliegenden Verfahren nicht (mehr) anzuwenden.

Demnach bleibt festzuhalten, daß der Bf. durch die in Rede stehende, in Handhabung des § 89 Abs 2 FinStrG verfügte Beschlagnahme wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes in seinen Rechten verletzt wurde (Punkt I des Spruches).

2.4.1. Art 8 StGG gewährt Schutz gegen rechtswidrige Verhaftungen. Von einer Verhaftung kann aber jedenfalls nur dann gesprochen werden, wenn der Wille der amtshandelnden Organe primär auf eine Freiheitsbeschränkung abzielt (vgl. VfSlg. 8879/1980 ua.). Das trifft hier - schon nach dem Beschwerdevorbringen - nicht zu, weil es unbestrittenermaßen einzig und allein um eine Sachbeschlagnahme ging. Daß der Bf. - durch den bekämpften Verwaltungsakt - genötigt war, sich während der Amtshandlung an Ort und Stelle aufzuhalten, ist unter den Gesichtspunkten des Art 8 StGG ohne Belang.

2.4.2. Im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf persönliche Freiheit nach Art 8 StGG wurde der Bf. darum - aus den dargelegten Erwägungen - nicht verletzt.

2.5. Somit mußte spruchgemäß entschieden werden, ohne daß auf das weitere Beschwerdevorbringen eingegangen zu werden brauchte.

2.6. Auch der Antrag auf Abtretung der Beschwerde an den VwGH war abzuweisen. Mit der Behauptung, in gesetzwidriger Weise festgenommen worden zu sein, wird ausschließlich die Verletzung eines verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes geltend gemacht, sodaß für eine Prüfung unter dem Gesichtspunkt der Verletzung sonstiger - einfachgesetzlich eingeräumter - Rechte kein Raum bleibt. Daraus ergibt sich aber, daß der VfGH zur Entscheidung über diesen Beschwerdepunkt allein zuständig ist (VfSlg. 8076/1977), eine Abtretung der Beschwerde an den VwGH also nicht in Betracht kommt.