OGH vom 25.10.1994, 10ObS84/93
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Kropfitsch als Vorsitzenden, die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Mag.Engelmaier und Dr.Bauer als weitere Richter und die fachkundigen Laienrichter aus dem Kreis der Arbeitgeber Dr.Reinhard Drössler und Dr.Günther Schön in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Raimund S*****, vertreten durch Braunegg, Hoffmann & Partner, Rechtsanwälte in Wien, wider die beklagte Partei Sozialversicherungsanstalt der gewerblichen Wirtschaft, 1051 Wien, Wiedner Hauptstraße 84-86, wegen vorzeitiger Alterspension bei langer Versicherungsdauer, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgerichtes in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom , GZ 32 Rs 168/92-13, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Kreisgerichtes Korneuburg als Arbeits- und Sozialgerichtes vom , GZ 15 Cgs 329/91-9, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen und zu Recht erkannt:
Spruch
1. Die Urteile der Vorinstanzen und das Verfahren werden aus Anlaß der Revision hinsichtlich des Begehrens, die Beklagte sei schuldig, dem Kläger die seit September 1991 einbehaltenen Pensionsteile wieder auszuzahlen, als nichtig aufgehoben; die Klage wird insoweit zurückgewiesen.
2. Im übrigen wird der Revision teilweise Folge gegeben. Die Urteile der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, daß sie zu lauten haben:
Es wird festgestellt, a) daß die vorzeitige Alterspension des Klägers wegen langer Versicherungsdauer samt Kinderzuschuß in der Zeit vom 1.1. bis nicht weggefallen ist, und b) daß der Kläger nicht verpflichtet ist, der Beklagten die für den genannten Zeitraum gezahlte Leistung von insgesamt 187.511,80 S rückzuersetzen.
Das Mehrbegehren, die Beklagte sei schuldig, dem Kläger die vorzeitige Alterspension wegen langer Versicherungsdauer zuzüglich Kinderzuschuß im gesetzlichen Ausmaß in der Zeit vom 1.1. bis (neuerlich) zu leisten, wird abgewiesen.
Die Beklagte hat dem Kläger binnen vierzehn Tagen die einschließlich 4.580,80 S Umsatzsteuer mit 27.484,80 S bestimmten Kosten des Verfahrens erster Instanz, die einschließlich 2.454,60 S Umsatzsteuer und 40 S weiteren Barauslagen mit 14.767,60 S bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens und die einschließlich 1.472,70 S Umsatzsteuer mit 8.836,20 S bestimmten Revisionskosten zu ersetzen.
Text
Entscheidungsgründe:
Der am geborene Kläger bezog von der Beklagten seit eine vorzeitige Alterspension bei langer Versicherungsdauer nach § 131 GSVG.
Mit Bescheid vom , der keine Begründung enthält, sprach die Beklagte ua aus, daß diese Alterspension
vom 1.11. bis mit monatl 12.676,20 S,
vom 1.1. bis nicht,
vom 1.1. bis mit monatl 13.157,90 S und
vom 1.7. bis mit monatl 13.460,50 S gebührt habe (Punkt 1.), daß der Kinderzuschuß (§ 144 GSVG)
vom 1.11. bis für ein Kind mit monatl 650 S,
vom 1.1. bis nicht und
vom 1.1. bis für ein Kind mit monatl 650 S gebührt habe (Punkt 2.) und daß der zuviel bezogene Vorschuß für die Zeit vom 1.1. bis von insgesamt 187.511,80 S mit der zu erbringenden Leistung verrechnet werde (§ 71 GSVG) (Punkt 3.).
Das Begehren der innerhalb von drei Monaten ab Zustellung dieses Bescheides und damit rechtzeitig erhobenen Klage ist auf Leistung der (vorzeitigen) Alterspension bei langer Versicherungsdauer (§ 131 GSVG) samt Kinderzuschuß (§ 144 GSVG) im gesetzlichen Ausmaß auch für die Zeit vom 1.1. bis , auf Abstandnahme von der Verrechnung (§ 71 GSVG) eines in diesem Zeitraum angeblich zuviel bezogenen Vorschusses von insgesamt 187.511,80 S und auf Auszahlung der im Rahmen dieser Verrechnung seit September 1991 einbehaltenen Pensionsteile gerichtet. Der Kläger habe zwar im Kalenderjahr 1987 für seine Tätigkeit als Ausschußmitglied des Funkberater-Ringes eine Aufwandsentschädigung von 52.200 S erhalten. Davon seien aber nach Abzug der Werbungskosten von 39.844 S lediglich 12.356 S zu berücksichtigen. Seit ziehe die Beklagte von der laufenden Pension monatl 6.285,30 S ab. Für die Jahre 1986 und 1988 seien die Pension und der Kinderzuschuß in zutreffender Höhe zugesprochen worden.
Die Beklagte beantragte die Abweisung des Klagebegehrens. Der Kläger habe gegenüber dem Finanzamt für die im Jahre 1987 als Marketingausschußmitglied bezogene Aufwandsentschädigung nur Pauschalwerbungskosten von 12.000 S geltend gemacht, die vom Finanzamt in dieser Höhe berücksichtigt worden seien. Hätte der Kläger die Werbungskosten für das Jahr 1987 gegenüber dem Finanzamt aufgelistet, wären sie von diesem auch detailliert und nicht in Form einer Pauschale anerkannt worden. Diese die Pauschale übersteigende Werbungskosten könnten daher nicht berücksichtigt werden.
Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab (Punkt 1.) und sprach aus, daß die vorzeitige Alterspension bei langer Versicherungsdauer und der Kinderzuschuß für die Zeit vom 1.1. bis nicht gebührten und der für diese Zeit zuviel bezogene Vorschuß mit der zu erbringenden Leistung zu verrechnen sei.
Nach den erstgerichtlichen Tatsachenfeststellungen war der Kläger von 1986 bis März 1988 Mitglied des Ausschusses des Funkberaterringes. Für diese Tätigkeit erhielt er im Jahre 1987 eine Aufwandsentschädigung von 52.200 S, der für dieses Jahr Betriebsausgaben von 39.844 S gegenüberstanden. Während der Steuerberater des Klägers beim Finanzamt nur das von diesem im Einkommensteuerbescheid 1987 vom auch anerkannte Betriebsausgabenpauschale von 12.000 S geltend machte, gab er der Beklagten auf deren Aufforderung die tatsächlichen Kosten bekannt.
Nach der rechtlichen Beurteilung des Erstgerichtes sei die Anerkennung von Werbungskosten von den Finanzämtern als Hauptfrage zu klären. Hätten diese darüber einen Bescheid erlassen, dann seien alle Behörden daran gebunden und dürften die Höhe der Werbungskosten nicht mehr als Vorfrage selbständig lösen. Der Kläger habe daher im Jahre 1987 ein Erwerbseinkommen über der Geringfügigkeitsgrenze bezogen.
Das Berufungsgericht gab der Berufung des Klägers nicht Folge. Es erachtete die bekämpfte rechtliche Beurteilung des Erstgerichtes für zutreffend (§ 500a ZPO) und hatte gegen die Anwendung des § 131 GSVG keine verfassungsrechtlichen Bedenken.
In der unbeantwortet gebliebenen Revision macht der Kläger unrichtige rechtliche Beurteilung (der Sache) geltend und beantragt, das angefochtene Urteil (und das des Erstgerichtes) im klagestattgebenden Sinn abzuändern oder sie allenfalls aufzuheben. Weiters regt er an, beim Verfassungsgerichtshof die Aufhebung des § 131 Abs 2 GSVG zu beantragen.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist teilweise berechtigt.
Nach der im Kalenderjahr 1987 auf Grund der 8. GSVGNov BGBl 1983/591 geltenden Fassung des § 131 Abs 1 lit d GSVG war der Anspruch auf vorzeitige Alterspension bei langer Versicherungsdauer unter anderem an die Voraussetzung geknüpft, daß der Versicherte am Stichtag (§ 113 Abs 2) weder selbständig noch unselbständig erwerbstätig war. Eine Erwerbstätigkeit, auf Grund deren ein Erwerbseinkommen bezogen wurde, das das nach § 5 Abs 2 lit c ASVG jeweils in Betracht kommende Monatseinkommen (2.451 S) nicht überstieg, blieb hiebei unberücksichtigt. § 131 Abs 1 lit d GSVG entsprach Abs 1 lit d des § 253 b ASVG und des § 122 BSVG.
Nach der im Kalenderjahr 1987 auf Grund der 8. GSVGNov BGBl 1983/591 geltenden Fassung des § 131 Abs 2 GSVG fiel die Pension gemäß Abs 1 (leg cit) mit dem Tag weg, an dem der (die) Versicherte eine unselbständige oder selbständige Erwerbstätigkeit aufnahm; eine Erwerbstätigkeit, auf Grund derer ein Erwerbseinkommen bezogen wurde, das das nach § 5 Abs 2 lit c ASVG jeweils in Betracht kommende Monatseinkommen (2.451 S) nicht überstieg, blieb hiebei unberücksichtigt. War die Pension aus diesem Grund weggefallen und endete die Erwerbstätigkeit, so lebte die Pension auf die dem Versicherungsträger erstattete Anzeige über das Ende der Erwerbstätigkeit im früher gewährten Ausmaß mit dem dem Ende der Erwerbstätigkeit folgenden Tag wieder auf. Dem zit Abs entsprach Abs 2 des § 253 b ASVG und des § 122 BSVG.
Durch die Bezugnahme auf das nach § 5 Abs 2 lit c ASVG jeweils in Betracht kommende Monatseinkommen sollten Erwerbstätigkeiten, die nach der zit Gesetzesstelle als geringfügig anzusehen sind, unberücksichtigt bleiben.
Was unter dem Begriff "Erwerbseinkommen" zu verstehen war, ergibt sich ua aus der im Jahr 1987 noch geltenden Ruhensbestimmung für das Zusammentreffen eines Pensionsanspruches aus der Pensionsversicherung mit Erwerbseinkommen des § 60 Abs 3 GSVG. Danach galt als Erwerbseinkommen bei einer gleichzeitig ausgeübten a) unselbständigen Erwerbstätigkeit das aus dieser gebührende Entgelt; b) selbständigen Erwerbstätigkeit der auf den Kalendermonat entfallende Teil der nachgewiesenen Einkünfte aus dieser Erwerbstätigkeit. Hinsichtlich der Ermittlung des Erwerbseinkommens aus einem land(forst)wirtschaftlichen Betrieb war § 149 Abs 5 und 6 leg cit entsprechend anzuwenden. Als Erwerbseinkommen galten auch die im § 23 Abs 2 des Bezügegesetzes BGBl 1972/273 bezeichneten Bezüge (vgl auch die in der Empfehlung des Hauptverbandes vom Zl 42-54. 3/93 Hn/Mr, zit in MGA ASVG 56. ErgLfg 1284 FN 4a nach Aufhebung ua des § 60 GSVG enthaltene Definition für "Erwerbseinkommen").
Daß diese Definition ua auch für den die vorzeitige Alterspension bei langer Versicherungsdauer regelnden - dem § 131 GSVG ensprechenden - § 253 b ASVG in der seinerzeitigen Fassung verwendeten Erwerbseinkommensbegriff verwendet werden kann, hat der erkennende Senat bereits in der E SSV-NF 2/111 ausgesprochen. Er hat dies damit begründet, daß es sich bei dem im Abs 2 dieser Gesetzesstellen geregelten "Wegfall" der vorzeitigen Alterspension wegen des möglichen Wiederauflebens derselben um eine Art gänzliches Ruhen handelt (sa Teschner in Tomandl, SV-System 7. ErgLfg 425; Tomandl, Neuerungen in der Sozialversicherung auf dem Prüfstand, ZAS 1992, 73 [76]).
Wenn auch nach den SSV-NF 2/111 und 3/98 für die Ermittlung der Einkünfte aus selbständiger Erwerbstätigkeit auf die Bestimmungen des Einkommensteuergesetzes zurückzugreifen ist, ergibt sich insbesondere aus der zweiten Entscheidung sehr deutlich, daß zwischen dem Einkommen iS des EinkommensteuerG und dem Erwerbseinkommen zB iS § 131 Abs 1 GSVG erhebliche Unterschiede bestehen können und daß der Pensionsversicherungsträger und auf Grund der sukzessiven Kompetenz sodann die Gerichte bei der Ermittlung des Erwerbseinkommens im letztgenannten Sinn zu anderen Ergebnissen kommen können als die Steuerbehörden im Abgabeverfahren. Schon deshalb können die Gerichte, deren Bindung sich übrigens nur auf den Spruch über den Bescheidgegenstand (hier insbesondere Festsetzung der Einkommensteuer) erstrecken kann (SSV-NF 5/49; sa Fucik in Rechberger, ZPO Rz 5 zu § 190), diesbezüglich nicht an einen Einkommensteuerbescheid der Abgabebehörden gebunden sein.
Da im vorliegenden Fall festgestellt ist, daß der Kläger für seine Tätigkeit als Mitglied des Ausschusses des Funkberaterringes im Jahre 1987 (zwar) eine Aufwandsentschädigung von 52.200 S erhielt, der für dieses Jahr Betriebsausgaben von 39.844 S gegenüberstanden, erzielte er aus dieser Erwerbstätigkeit im genannten Jahr lediglich Einkünfte von 12.356 S. Der auf den Kalendermonat entfallende Teil der nachgewiesenen Einkünfte aus dieser Erwerbstätigkeit beträgt daher 1.028 S und übersteigt demnach das nach § 5 Abs 2 lit c ASVG damals in Betracht kommende Monatseinkommen nicht. Deshalb bleibt die genannte Erwerbstätigkeit nach § 131 Abs 2 GSVG unberücksichtigt, so daß die vorzeitige Alterspension bei langer Versicherungsdauer nicht weggefallen ist.
Die Urteile der Vorinstanzen sind daher in teilweiser Stattgebung der Revision dahin abzuändern, daß festgestellt wird, a) daß die genannte Leistung samt Kinderzuschuß in der Zeit vom 1.1. bis nicht weggefallen ist, und b) daß der Kläger nicht verpflichtet ist, der Beklagten die für den genannten Zeitraum gezahlte Leistung von insgesamt 187.511,80 S rückzuersetzen (SSV-NF 5/4 mwN). Das auf neuerliche Leistung der Pension samt Kinderzuschuß gerichtete Mehrbegehren ist hingegen abzuweisen, weil der Kläger diese Leistung ja schon vor Jahren bekommen hat (, 10 Ob S 295/93). Das restliche Begehren, die Beklagte sei schuldig, dem Kläger die seit September 1991 einbehaltenen Pensionsteile wieder auszuzahlen, ist zurückzuweisen (SSV-NF 5/4).
Da der erkennende Senat gegen § 131 Abs 2 BSVG in der hier anzuwendenden Fassung keine verfassungsrechtlichen Bedenken hat (s die Ausführungen in der den vergleichbaren § 253 b Abs 2 ASVG betreffenden E SSV-NF 4/86), hat die in der Revision angeregte Antragstellung an den Verfassungsgerichtshof zu unterbleiben.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 77 Abs 1 Z 2 lit a und Abs 2 ASGG.