OGH vom 13.09.2017, 10ObS84/17a
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten Univ.-Prof. Dr. Neumayr als Vorsitzenden, den Hofrat Dr. Schramm und die Hofrätin Dr. Fichtenau sowie die fachkundigen Laienrichter Mag. Martin Lotz (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Wolfgang Jelinek (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Mag. (FH) C*****, vertreten durch Dr. Gunther Ledolter, Rechtsanwalt in Graz, gegen die beklagte Partei Steiermärkische Gebietskrankenkasse, 8010 Graz, Josef-Pongratz-Platz 1, wegen Wochengeld, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Graz als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom , GZ 6 Rs 6/17z-14, den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.
Text
Begründung:
Die Klägerin war bei einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung im Rahmen eines Angestelltenverhältnisses als Wirtschaftsprüferin und Steuerberaterin vollzeitbeschäftigt. Zugleich war sie an dieser Gesellschaft (neben drei anderen Gesellschaften) mit 10 % als Gesellschafterin beteiligt. Am brachte sie ihre Tochter zur Welt.
Gegenstand des Verfahrens ist die Höhe des der Klägerin gebührenden Wochengeldes.
Im Vordergrund des Revisionsverfahrens steht die rechtliche Qualifikation einer an die Klägerin im Jänner 2014 also während des Beobachtungszeitraums nach § 162 Abs 3 ASVG geleisteten, als „Prämie“ bezeichneten Zahlung in Höhe von 16.990 EUR brutto.
Die Klägerin bringt vor, diese Zahlung sei für den Wochengeldanspruch zusätzlich zu ihrem monatlichen Gehalt für Jänner 2014 als laufendes Entgelt in voller Höhe in die Bemessungsgrundlage einzubeziehen.
Die beklagte Partei vertritt demgegenüber den Standpunkt, diese Zahlung stelle eine nach § 162 Abs 3 und 4 ASVG lediglich durch einen Zuschlag zu berücksichtigende
– weitere – Sonderzahlung iSd § 49 Abs 2 ASVG dar. Die Auszahlung des – gegenüber den Vormonaten exorbitant – erhöhten Bruttolohns habe offensichtlich lediglich dazu gedient, den Wochengeldanspruch in ungerechtfertigter Weise zu erhöhen. Dies sei erst vor Auszahlung eines weiteren Teilbetrags an Wochengeld aufgefallen. Nach Anforderung von Lohnkontounterlagen sei daraufhin im Bescheid der beklagten Partei vom von einem Wochengeld in Höhe von täglich nur 135,99 EUR (statt zuvor 308,06 EUR) ausgegangen und 8.858,87 EUR an Wochengeld zurückgefordert worden.
Nach den Feststellungen der Vorinstanzen wurde ab 2013 die Vereinbarung über die bisherige Gewinnausschüttung an die vier Gesellschafter dahingehend geändert, dass der bis dahin herangezogene Betrag von 100.000 EUR jährlich halbiert werde. 50.000 EUR sollten wie bisher an die Gesellschafter entsprechend ihren Anteilen ausbezahlt werden, die weiteren 50.000 EUR sollten in Form einer als „Prämie“ bezeichneten Zahlung in das Gehaltsschema einbezogen werden. Die von sämtlichen Gesellschaftern im vorangegangenen Jahr geleisteten Anwesenheitsstunden sollten zusammengerechnet, der Betrag von 50.000 EUR durch diese Stundenzahl dividiert und dann mit dem jeweiligen Stundenaufwand des jeweiligen Gesellschafters multipliziert werden. Die im Jänner 2014 nach dieser Methode vorgenommene Berechnung für das (gesamte) Jahr 2013 ergab für die Klägerin einen Betrag von 16.990 EUR brutto, der nach den gesetzlichen Abzügen an sie im Jänner 2014 (neben dem Gehalt für diesen Monat und Gehaltsnachzahlungen für die Monate November und Dezember 2013) zur Auszahlung gelangte.
Das Berufungsgericht änderte infolge Berufung der beklagten Partei das Ersturteil teilweise dahin ab, dass die beklagte Partei schuldig erkannt wurde, der Klägerin das Wochengeld in Höhe von 206,93 EUR täglich für den Zeitraum bis zu leisten und die beklagte Partei daher 29.177,13 EUR unter Anrechnung des bereits geleisteten Betrags von 19.174,59 EUR, sohin noch 10.002,54 EUR zu leisten habe. Das Mehrbegehren von 14.267,79 EUR wurde abgewiesen.
Rechtlich ging das Berufungsgericht – soweit für das Revisionsverfahren noch wesentlich – davon aus, dass die der Klägerin im Jänner 2014 zugekommene Zahlung von 16.990 EUR brutto eine nach § 162 Abs 3 und 4 ASVG durch einen Zuschlag zu berücksichtigende Sonderzahlung iSd § 49 Abs 2 ASVG darstelle. Es handle sich um einen einmal im Jahr für das gesamte vorangegangene Jahr – somit in weitaus größeren Zeiträumen als dem monatsbezogenen Beitragszeitraum – zur Auszahlung gelangenden Betrag, mit dem die unterschiedlichen Arbeitsleistungen der geschäftsführenden Gesellschafter leistungsorientiert abgegolten werden sollten. Die Höhe dieser als „Prämie“ bezeichneten Zahlung sei nicht nur vom Arbeitseinsatz des einzelnen Gesellschafters abhängig, sondern von demjenigen aller Gesellschafter, indem eine (stundenmäßig) hohe Arbeitsleistung des einen Gesellschafters den Anspruch der übrigen Gesellschafter schmälere. Anders als bei einer Umsatzprovision könne dieser Anspruch somit erst nach Ablauf des Jahres und nicht schon zu einem früheren Zeitpunkt festgestellt bzw beziffert werden.
Die Voraussetzungen für einen Rückforderungstatbestand nach § 107 Abs 1 vierter Fall ASVG seien erfüllt. Die als Steuerberaterin und Wirtschaftsprüferin tätige Klägerin hätte erkennen müssen, dass die ursprüngliche Zuerkennung des Wochengeldes in Höhe von 308,06 EUR täglich nur deshalb zustandegekommen sei, weil – entsprechend ihren Antragsangaben – die im Jänner 2014 zur Auszahlung gelangten 16.990 EUR in voller Höhe in die Bemessungsgrundlage eingerechnet worden seien. Selbst ausgehend von ihrem Rechtsstandpunkt, es handle sich um laufendes Entgelt, das bereits mit der Erbringung der Arbeitsleistung als Anspruch entstanden sei, wäre aber nur die Berücksichtigung für den jeweiligen Beitragszeitraum (Monat) in Frage gekommen, im vorliegenden Fall somit nur für die in das Jahr 2013 fallenden Monate des Beobachtungszeitraums nach § 162 Abs 3 ASVG in aliquotem Ausmaß. Selbst losgelöst von der Frage, ob die Prämie als laufendes Entgelt oder als Sonderzahlung zu werten sei, sei die Berücksichtigung der 16.990 EUR in voller Höhe ausgeschlossen.
Rechtliche Beurteilung
Die gegen die Abweisung des Mehrbegehrens von 14.267,79 EUR gerichtete außerordentliche Revision der Klägerin ist mangels einer Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung iSd § 502 Abs 1 ZPO nicht zulässig.
I.1.1 Das Wochengeld gebührt in der Höhe des auf den Kalendertag entfallenden Teils des durchschnittlichen in den letzten drei Kalendermonaten vor dem Eintritt des Versicherungsfalls der Mutterschaft gebührenden Arbeitsverdienstes, vermindert um die gesetzlichen Abzüge (§ 162 Abs 3 ASVG).
I.1.2 Unter Arbeitsverdienst ist jeder Geld- und Sachbezug zu verstehen, der im Beobachtungszeitraum von drei Monaten zusteht, unabhängig von der beitrags- oder abgabenrechtlichen Behandlung (RIS-Justiz RS0084112).
I.2.1 Die auf den Zeitraum der letzten drei Kalendermonate vor dem Eintritt des Versicherungsfalls der Mutterschaft entfallenden Sonderzahlungen sind nach § 162 Abs 4 ASVG lediglich in der Weise zu berücksichtigen, dass der nach Abs 3 ermittelte Nettoarbeitsverdienst um einen durch die Satzung der Versicherungsträger allgemein festzusetzenden Hundertsatz erhöht wird.
I.2.2 Nach § 49 Abs 2 ASVG sind Sonderzahlungen Entgelt, das in größeren Zeiträumen als den Beitragszeiträumen (in der Regel ein Monat) gewährt wird, wie zum Beispiel der 13. und 14. Monatsgehalt, Weihnachts- oder Urlaubsgeld, Gewinnanteile oder Bilanzgeld. Sie sind als Entgelt nur nach Maßgabe der Bestimmungen des § 54 ASVG und der sonstigen Bestimmungen des ASVG, in denen die Sonderzahlungen ausdrücklich erfasst werden, zu berücksichtigen.
I.2.3 Nach der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs sind unter Sonderzahlungen iSd § 49 Abs 2 ASVG verpflichtende oder freiwillige Zuwendungen iSd § 49 Abs 1 ASVG – gleich welcher Benennung – zu verstehen, die mit einer gewissen Regelmäßigkeit in bestimmten, über die Beitragszeiträume hinausgehenden Zeitabschnitten wiederkehren, wobei die Regelmäßigkeit der Leistungen im Wesentlichen aus der Dienstgeberzusage oder aus dem tatsächlichen Ablauf der Ereignisse zu beurteilen ist (10 ObS 146/10h, SSV-NF 24/68 mwN). Diese Rechtsprechung steht im Einklang mit der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofs zur Abgrenzung von Entgelt nach § 49 Abs 1 ASVG und Sonderzahlungen nach § 49 Abs 2 ASVG. Maßgeblich ist demnach nicht nur die Gewährung der Zuwendung in größeren Zeiträumen als den Beitragszeiträumen, sondern auch, ob diese Zuwendungen iSd § 49 Abs 1 ASVG etwa aufgrund einer Dienstgeberzusage mit einer gewissen Regelmäßigkeit in bestimmten, über die Beitragszeiträume hinausreichenden Zeitabschnitten wiederkehrt (R. Müller in SV-Komm [159. Lfg] § 49 ASVG Rz 40 mwN). Beispielsweise sind Umsatzprovisionen demnach nicht als Sonderzahlungen iSd § 49 Abs 2 ASVG zu werten, weil sie bereits mit dem Entstehen des Umsatzes laufend anfallen und daher laufendes Entgelt darstellen; dies auch wenn sie nur einmal jährlich im Nachhinein abgerechnet werden (VwGH 2001/08/0015; 2005/08/0024).
I.3. Die Ansicht des Berufungsgerichts, im vorliegenden Fall seien die von der Rechtsprechung für das Vorliegen einer Sonderzahlung iSd § 49 Abs 2 ASVG aufgestellten Kriterien erfüllt, weicht von der zitierten Rechtsprechung nicht ab. Entsprechend der getroffenen Vereinbarung kann die Höhe der „Prämie“ – anders als bei Umsatzprovisionen – erst beurteilt werden, wenn der Arbeitseinsatz aller betroffener Gesellschafter nach Ablauf eines Jahres fest steht, sodass der Anspruch mangels Bezifferbarkeit zu keinem früheren Zeitpunkt entstanden sein kann. Mit ihren Revisionsausführungen, es sei doch von einer Umsatzprämie bzw Umsatzprovision auszugehen, weil aufgrund bestimmter Umstände die Höhe der „Prämie“ in Wirklichkeit „kaum“ durch die Arbeitsleistung der anderen Gesellschafter bzw Gesellschafterinnen beeinflussbar gewesen sei, sodass deren Höhe nicht erst am Jahresende, sondern faktisch bereits zu Jahresbeginn kalkulierbar bzw feststellbar gewesen wäre, wird keine Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung iSd § 502 Abs 1 ZPO aufgezeigt. Dass – wie die Revisionswerberin meint – beitragssteuerlich eine derartige Zahlung in der Regel andersartig qualifiziert werde, ist nicht maßgeblich (RIS-Justiz RS0084112).
II. Auch mit dem weiteren Revisionsvorbringen, der Rückforderungstatbestand nach § 107 Abs 1 4. Fall ASVG liege nicht vor, wird keine vom Obersten Gerichtshof aufzugreifende Fehlbeurteilung aufgezeigt.
II.1. Nach ständiger Rechtsprechung ist der vierte Rückforderungstatbestand des § 107 Abs 1 ASVG dann erfüllt, wenn dem Leistungsempfänger bei einer ihm nach den Umständen des Einzelfalls zumutbaren Aufmerksamkeit auffallen musste, dass die Leistung nicht oder nicht in dieser Höhe gebührte, wobei weder der Grad der pflichtgemäßen Aufmerksamkeit überspannt noch – ganz allgemein –überdurchschnittliche geistige Fähigkeiten verlangt werden dürfen (RIS-Justiz RS0084334; RS0109340). Dabei ist auch denkbar, dass bereits die Gewährungsentscheidung materiell unrichtig ist und diese Unrichtigkeit dem Leistungsempfänger auffallen musste.
II.2. Auch das Vorliegen dieses Rückforderungstatbestands kann immer nur nach den besonderen Umständen des Einzelfalls beantwortet werden (RIS-Justiz RS0109340 [T1]).
II.3. Diese sind im vorliegenden Fall dadurch charakterisiert, dass die Klägerin als Wirtschaftsprüferin und Steuerberaterin hätte erkennen müssen, dass ihr täglicher Wochengeldanspruch nur deshalb vorerst so hoch (mit 308,05 EUR) errechnet worden war, weil die für das gesamte Jahr 2013 gebührende „Prämie“ von 16.990 EUR in die Bemessungsgrundlage für den Wochengeldanspruch einbezogen worden war, obwohl in das Jahr 2013 nur zwei Monate des Beobachtungszeitraums nach § 162 Abs 3 ASVG fielen. Auch ausgehend vom eigenen Rechtsstandpunkt der Klägerin, die „Prämie“ sei laufendes Entgelt, wäre aber nur eine aliquote Berücksichtigung für den im jeweiligen Beitragszeitraum (Monat) entstehenden Anspruch in Frage gekommen.
II.4. Die Ansicht des Berufungsgerichts, dieser Umstand bzw die (auf Grundlage ihrer Angaben) unrichtig errechnete Höhe des täglichen Wochengeldanspruchs hätte der Klägerin auffallen müssen, bewegt sich im Rahmen der Grundsätze der Rechtsprechung zu § 107 Abs 1 ASVG. Eine Einzelfallentscheidung wie die vorliegende ist für den Obersten Gerichtshof nur dann überprüfbar, wenn im Interesse der Rechtssicherheit ein grober Fehler bei der Auslegung der anzuwendenden Rechtsnorm oder eine eklatante Fehlbeurteilung verhindert werden müsste (RISJustiz RS0044088 [T8]). Solche Fehler werden von der Revisionswerberin nicht aufgezeigt.
Zusatzinformationen
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ECLI: | ECLI:AT:OGH0002:2017:010OBS00084.17A.0913.000 |
Schlagworte: | 1 Generalabonnement,12 Sozialrechtssachen |
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