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OGH 23.07.2013, 10ObS84/13w

OGH 23.07.2013, 10ObS84/13w

Entscheidungstext

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten Dr.

 Hradil als Vorsitzenden, die Hofräte Dr. Fellinger und Dr. Hoch sowie die fachkundigen Laienrichter KR Hermann Furtner (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und AR Angelika Neuhauser (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei F*****, vertreten durch Mairhofer Gradl Rechtsanwälte in Linz, gegen die beklagte Partei Allgemeine Unfallversicherungsanstalt, 1200 Wien, Adalbert-Stifer-Straße 65, vertreten durch Dr. Josef Milchram und andere Rechtsanwälte in Wien, wegen Versehrtenrente, über die außerordentliche Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom , GZ 12 Rs 49/13g-20, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

Begründung:

Rechtliche Beurteilung

1. Es entspricht der ständigen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs, dass auch psychisch bedingte Gesundheitsstörungen, die im Anschluss an einen Unfall auftreten, Unfallfolgen im Rechtssinn sein können (vgl 10 ObS 57/92, SSV-NF 6/30: anlagebedingte neurasthenisch-hypochondrische Fehlentwicklung nach schwerer Unfallverletzung; 10 ObS 241/91 ua). Auch in der von der Revisionswerberin zitierten Entscheidung 10 ObS 78/11k, SSV-NF 25/100, verwies der erkennende Senat darauf, dass beispielsweise depressive Reaktionen auf schwere, andauernd schmerzhafte Verletzungsfolgen psychische Folgen eines Arbeitsunfalls sein können, bei der Beurteilung des ursächlichen Zusammenhangs psychogener Beschwerden mit einem Arbeitsunfall aber ein strenger Maßstab anzulegen sei und psychogene Überlagerungen oder Aggravationstendenzen nur dann eine Minderung der Erwerbsfähigkeit begründen können, wenn sie einen nicht mehr beherrschbaren Ausfluss eines psychischen Krankheitszustands darstellen.

2. Nach den Ausführungen des neurologisch-psychiatrischen Sachverständigen Univ.-Prof. Dr. C*****, welche die Vorinstanzen ihren Entscheidungen zugrunde legten, sind beim Kläger ein dissimulatives Verhalten bzw Aggravationstendenzen nicht vorhanden (S 6 im Gutachten ON 7) und die psychischen Abwehrmechanismen des Klägers reichten zur Beherrschung und Veränderung der psychischen Fehlentwicklung nicht aus (vgl S 2 im Ergänzungsgutachten ON 12). Die vom genannten Sachverständigen beim Kläger in medizinischer Hinsicht als Unfallfolge diagnostizierte und vom Erstgericht festgestellte depressive Antriebsstörung muss daher auch im rechtlichen Sinn als Folge des vom Kläger am erlittenen Arbeitsunfalls angesehen werden, zumal kein Anhaltspunkt dafür besteht, dass diese depressive Antriebsstörung auch ohne den Unfall in absehbarer Zeit beim Kläger eingetreten wäre. Der Sachverständige Univ.-Prof. Dr. L***** hat dazu ausgeführt, dass ein junger Mensch wie der Kläger, der eine traumatische Amputation von Extremitäten erleidet, diese zumindest in der Anfangsphase schlechter verarbeite und mit einer verstärkten psychischen Reaktion reagiere als ein Erwachsener bzw älterer Mensch. Es sei aber zu erwarten, dass sich die depressive Anpassungsstörung beim Kläger durch den natürlichen Verlauf der Erkrankung und der fortschreitenden Akzeptanz des traumatischen Ereignisses bessern bzw wegfallen werde. Es werde daher vor der Festlegung der Dauerrente eine neuerliche Begutachtung des Klägers angeregt.

3. Der vorliegende Sachverhalt unterscheidet sich daher nach zutreffender Rechtsansicht des Berufungsgerichts von dem der Entscheidung 10 ObS 78/11k, SSV-NF 25/100, zugrunde liegenden Sachverhalt insofern, als beim Kläger psychogene Überlagerungen, Aggravationstendenzen und wunschbedingte Vorstellungen im Zusammenhang mit dem gegenständlichen Sozialrechtsverfahren nicht vorliegen. Die beklagte Partei macht in diesem Zusammenhang auch geltend, es liege beim Kläger keine atypische Verletzung bzw kein atypischer Heilungsverlauf vor, weshalb sein Begehren auf Berücksichtigung seiner psychischen Beeinträchtigung bei der Feststellung der Minderung der Erwerbsfähigkeit nur als eine in der Person des Versicherten bestehende Rentenbegehrlichkeit verstanden werden könne. Diesen Ausführungen ist entgegenzuhalten, dass auch der Umstand, dass nach einer solchen Verletzung beim Verletzten in der Regel keine psychischen Beeinträchtigungen im rentenbegründenden Ausmaß auftreten, eine ausnahmsweise Berücksichtigung der beim konkreten Betroffenen dennoch tatsächlich aufgetretenen psychischen Beeinträchtigungen nicht ausschließt.

4. Soweit die beklagte Partei auf die Ausführungen des Sachverständigen über die günstige Prognose hinsichtlich des Heilungsverlaufs, insbesondere die gute Behandelbarkeit der beim Kläger bestehenden depressiven Anpassungsstörung und die Dispositionsfähigkeit des Klägers, sich einer derartigen Therapie zu unterziehen, verweist, ist mit den Ausführungen des Berufungsgerichts darauf hinzuweisen, dass eine Verletzung der Mitwirkungspflicht des Klägers durch Unterlassung einer zumutbaren ärztlichen Behandlung von der beklagten Partei im Verfahren erster Instanz nicht geltend gemacht wurde und von dem bestellten Sachverständigen ohnedies eine neuerliche Begutachtung des Klägers vor der Entscheidung über die Gewährung einer Dauerrente angeregt wurde.

Die außerordentliche Revision der beklagten Partei war daher mangels Geltendmachung einer erheblichen Rechtsfrage im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO zurückzuweisen.

Zusatzinformationen


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Rechtsgebiet
Zivilrecht
Schlagworte
Sozialrecht
ECLI
ECLI:AT:OGH0002:2013:010OBS00084.13W.0723.000
Datenquelle

Fundstelle(n):
VAAAE-14562