OGH vom 24.03.2017, 9Ob5/17a
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Rekursgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Hopf als Vorsitzenden und die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Hon.Prof. Dr. Dehn, den Hofrat des Obersten Gerichtshof Dr. Hargassner sowie die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Mag. Korn und Dr. WeixelbraunMohr als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei J*****, vertreten durch Dr. Mario Noe-Nordberg, Rechtsanwalt in Waidhofen an der Thaya, gegen die beklagte Partei G*****, vertreten durch Kitzler Wabra Rechtsanwälte in Gmünd, wegen Einverleibung des Eigentumsrechts (Streitwert 1.500 EUR), über den Rekurs der klagenden Partei gegen den Beschluss des Landesgerichts Krems an der Donau als Berufungsgericht vom , GZ 1 R 130/16x10, mit dem das Urteil des Bezirksgerichts Gmünd vom , GZ 6 C 290/16x6, aufgehoben und die Klage zurückgewiesen wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Dem Rekurs wird nicht Folge gegeben.
Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 377,50 EUR (darin 62,29 EUR USt) bestimmten Kosten des Rekursverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Text
Begründung:
Am wurde die Ehe der Streitteile, denen damals je zur Hälfte eine (im Jahr 2000 von den Eltern des Klägers den beiden Eheleuten übergebene) Kleinlandwirtschaft gehörte, einvernehmlich geschieden. Mit einer gerichtlichen Vereinbarung über die Scheidungsfolgen wollten die Streitteile den der Beklagten gehörenden Hälfteanteil an dieser Kleinlandwirtschaft dem Kläger ins Alleineigentum übertragen. Sie wussten damals jedoch nicht, dass diese Kleinlandwirtschaft nicht aus einer, sondern aus zwei Liegenschaften (Einlagezahlen) bestand. In der Scheidungsfolgenvereinbarung wurde daher nur festgehalten, dass die Beklagte dem Kläger ihren Hälfteanteil an einer dieser beiden Liegenschaften übertragen werde. Die andere Liegenschaft, die ihrerseits fünf Grundstücke umfasst, wurde in der Scheidungsfolgenvereinbarung nicht angesprochen.
Im Februar 2014 leitete die Niederösterreichische Agrarbezirksbehörde aufgrund der §§ 2, 7, 8 Abs 5 und 113 Abs 1 des Niederösterreichischen Flurverfassungs-Landesgesetzes 1975 (NÖ FLG, LGBl 1975/6650) ein Zusammenlegungsverfahren ein („Einleitungsverordnung“), von dem auch die fünf Grundstücke der zweiten Liegenschaft der Streitteile erfasst werden. Dieses Verfahren ist derzeit noch anhängig.
Der Kläger begehrte mit seiner Klage am , die Beklagte ihm gegenüber schuldig zu erkennen, in die grundbücherliche Einverleibung seines Eigentumsrechts auf ihrem Hälfteanteil an der zweiten zur Kleinlandwirtschaft gehörenden Liegenschaft, bestehend aus fünf näher bezeichneten Grundstücken, einzuwilligen.
Die Beklagte wendete ein, dass zwar ein gemeinsamer Irrtum vorliege, der Vertrag über die Scheidungsfolgen jedoch nur innerhalb von drei Jahren hätte angefochten werden können. Eine falsche Bezeichnung liege nicht vor, weil man die zweite Liegenschaft nur vergessen habe.
Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt. Die Parteien seien sich einig darüber gewesen, dass die gesamte Kleinlandwirtschaft an den Kläger übertragen werden sollte; die falsche Bezeichnung der von dieser erfassten Liegenschaften sei unschädlich, einer Irrtumsanfechtung bedürfe es hier nicht.
Das Berufungsgericht hob über Berufung der Beklagten das Urteil sowie das erstinstanzliche Verfahren als nichtig auf und wies die Klage zurück. Gemäß § 97 Abs 1 NÖ FLG erstrecke sich die Zuständigkeit der Agrarbehörde während eines anhängigen Zusammenlegungsverfahrens auf die Entscheidung über alle tatsächlichen und rechtlichen Verhältnisse, einschließlich der Entscheidung von Streitigkeiten über Eigentum und Besitz an den in das Verfahren einbezogenen Grundstücken. Der Kläger strebe – wenngleich gestützt auf eine vertragliche Vereinbarung – eine Änderung der Eigentumsverhältnisse an Grundstücken an, die in das Zusammenlegungsverfahren einbezogen seien. Wegen dieses Verfahrens der Agrarbehörde sei daher die Zulässigkeit des Rechtswegs für die Klage nicht gegeben.
Gegen diese Entscheidung wendet sich der Rekurs des Klägers wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag, den Beschluss aufzuheben und dem Berufungsgericht eine Entscheidung über die Berufung der Beklagten aufzutragen.
Die Beklagte beantragt, dem Rekurs nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Der Rekurs des Klägers ist gemäß § 519 Abs 1 Z 1 ZPO zulässig, weil das Berufungsgericht den zur Klagezurückweisung führenden Nichtigkeitsgrund erstmals im Verfahren behandelt hat (RISJustiz RS0116348).
Der Rekurs ist aber nicht berechtigt.
Der Rekurswerber ist der Ansicht, dass die Frage der Berechtigung des von ihm erhobenen Klagebegehrens, das auf Einwilligung der Beklagten in die grundbücherliche Einverleibung seines Eigentumsrechts an den (näher bezeichneten) Grundstücken gerichtet ist, von den Gerichten zu entscheiden sei. Die vom Berufungsgericht genannten Entscheidungen seien mit dem Sachverhalt nicht vergleichbar; dort sei – im Unterschied zum Anlassfall – die Voraussetzung einer Streitigkeit über das Eigentum an den in das Verfahren einbezogenen Grundstücken jeweils erfüllt gewesen.
1. Im Zweifel müssen bürgerliche Rechtssachen mangels ausdrücklicher anderer Anordnung durch die Gerichte entschieden werden (RISJustiz RS0045474 [T6]). Soll von der Zuständigkeit der Gerichte eine Ausnahme geschaffen werden, muss sie in dem hierfür erforderlichen „besonderen Gesetz“ klar und unzweideutig zum Ausdruck gebracht werden (RISJustiz RS0045474).
Das Klagebegehren auf Einwilligung in die Einverleibung des Eigentumsrechts ist eine bürgerliche Rechtssache. Bereits vor Einbringung der Klage leitete allerdings die Niederösterreichische Agrarbezirksbehörde ein – derzeit noch anhängiges – Zusammenlegungsverfahren ein, das auch die vom Klagebegehren erfassten Grundstücke betrifft.
2. Die hier maßgebenden Bestimmungen des Flurverfassungs-Grundsatzgesetzes 1951 (FlVfGG, BGBl Nr 103/1951 idF BGBl I Nr 189/2013) sowie des Niederösterreichischen FlurverfassungsLandesgesetzes (NÖ FLG, LGBl 1975/6650) lauten:
§ 34 FlVfGG:
„(1) Die Einleitung und der Abschluss eines Zusammenlegungsverfahrens haben durch Verordnung, die Einleitung und der Abschluss eines Teilungs- oder Regulierungsverfahrens haben durch Bescheid zu erfolgen. Der Eintritt der Rechtskraft dieser Bescheide ist kundzumachen. Die Einleitung und der Abschluss eines Zusammenlegungs-, Teilungs- oder Regulierungsverfahrens sind den zuständigen Grundbuchsgerichten, Bezirksverwaltungsbehörden und Vermessungsämtern mitzuteilen.
[...]
(3) Von der Einleitung bis zum Abschluss des Verfahrens erstreckt sich die Zuständigkeit der Agrarbehörde, sofern sich gemäß den nachfolgenden Abs. 6 und 7 nicht anderes ergibt, auf die Verhandlung und Entscheidung über alle tatsächlichen und rechtlichen Verhältnisse, die zum Zwecke der Durchführung der Zusammenlegung, Teilung oder Regulierung in die agrarische Operation einbezogen werden müssen. Während dieses Zeitraumes ist in diesen Angelegenheiten die Zuständigkeit der Behörden ausgeschlossen, in deren Wirkungsbereich die Angelegenheiten sonst gehören.
(4) Diese Zuständigkeit der Agrarbehörde erstreckt sich insbesondere auch auf Streitigkeiten über
(5) Soweit nicht anderes bestimmt ist, sind von der Agrarbehörde die Normen, welche sonst für diese Angelegenheiten gelten (zum Beispiel die Vorschriften des bürgerlichen Rechtes, des Wasser- und Forstrechtes), anzuwenden.
(6) Von der Zuständigkeit der Agrarbehörde sind ausgeschlossen:
a) Streitigkeiten der im Abs. 4 erwähnten Art, welche vor Einleitung des Agrarverfahrens bereits vor dem ordentlichen Richter anhängig waren;
b) Streitigkeiten über Eigentum und Besitz an Liegenschaften, mit welchen ein Anteil an den agrargemeinschaftlichen Grundstücken, ein Benutzungs- oder Verwaltungsrecht oder ein Anspruch auf Gegenleistungen bezüglich solcher Grundstücke verbunden ist;
c) die Angelegenheiten der Eisenbahnen, der Bundesstraßen, der Schifffahrt, der Luftfahrt und des Bergbaues.
(7) Der Landesgesetzgebung bleibt es überlassen, Angelegenheiten, die der Gesetzgebung nach Landessache sind, von der Zuständigkeit der Agrarbehörde auszuschließen.“
§ 97 NÖ FLG (Zuständigkeit während eines Verfahrens):
„(1) Die Zuständigkeit der Agrarbehörden erstreckt sich mit Ausnahme der im Abs 3 genannten Angelegenheiten vom Zeitpunkt der Einleitung eines Zusammenlegungs-, Flurbereinigungs-, Teilungs- oder Regelungsverfahrens bis zum Zeitpunkt des Abschlusses eines solchen Verfahrens auf die Verhandlung und Entscheidung über alle tatsächlichen und rechtlichen Verhältnisse einschließlich der Entscheidung von Streitigkeiten über Eigentum und Besitz an den in das Verfahren einbezogenen Grundstücken, die zum Zwecke der Durchführung der Zusammenlegung, Flurbereinigung, Teilung oder Regelung in das Verfahren einbezogen werden müssen. Während dieses Zeitraumes ist in diesen Angelegenheiten die Zuständigkeit jener Behörden ausgeschlossen, in deren Wirkungsbereich die Angelegenheiten sonst gehören.
(2) Soweit nicht anderes bestimmt ist, sind von der Agrarbehörde die Vorschriften, die sonst für diese Angelegenheiten gelten (wie die des bürgerlichen Rechtes, des Wasser-, Jagd-, Fischerei- und Forstrechtes), anzuwenden.
(3) Von der Zuständigkeit der Agrarbehörden sind jedoch ausgeschlossen:
a) Streitigkeiten der im Abs 2 erwähnten Art, die vor Einleitung des Agrarverfahrens bereits vor dem ordentlichen Richter anhängig waren;
b) Streitigkeiten über Eigentum und Besitz an Liegenschaften, mit denen ein Anteil an den agrargemeinschaftlichen Grundstücken, ein Nutzungs- oder Verwaltungsrecht oder ein Anspruch auf Gegenleistungen bezüglich solcher Grundstücke verbunden ist;
c) Angelegenheiten der Eisenbahnen, der Landesverteidigung, der öffentlichen Straßen und öffentlichen Wege, der Schifffahrt, der Luftfahrt und des Bergbaues;
d) Angelegenheiten des eigenen Wirkungsbereiches der Gemeinde, soweit nicht durch eine Verordnung (...) die Zuständigkeit der Agrarbehörden begründet wird.“
3. Der Oberste Gerichtshof hat bereits mehrfach ausgesprochen, dass es sich bei den jeweils auf § 34 Abs 4 FlVfGG beruhenden landesgesetzlichen Vorschriften (§ 97 NÖ FLG, § 102 oö FLG, § 72 Abs 5 Tir FLG 1978, § 50 Stmk FlurzusammenlegungsG 1982) um Sonderbestimmungen handelt, mit denen der Gesetzgeber beabsichtigte, das Zusammenlegungsverfahren zu vereinfachen und zu beschleunigen. Der Erfolg dieser Absicht wäre gefährdet, wenn in jedem Fall strittiger Eigentums- und Besitzverhältnisse erst zu prüfen wäre, ob der entstandene Streit in einem tatsächlichen und rechtlichen Zusammenhang mit der Zusammenlegung steht (4 Ob 158/02t mwN). Hintergrund dieses – die Zuständigkeit der Zivilgerichte einschränkenden – Prinzips der Kompetenzkonzentration ist, dass sich bei der Durchführung von Bodenreformmaßnahmen die Notwendigkeit ergibt, die damit betrauten Behörden mit einer konzentrierten Entscheidungsbefugnis auszustatten, weil Vorschriften sowohl des öffentlichen als auch des privaten Rechts zur Anwendung kommen, die sonst in die Zuständigkeit verschiedener Verwaltungsbehörden und Gerichte fallen würden (4 Ob 158/02t). Solange ein Grundstück in ein Flurbereinigungsverfahren einbezogen ist, hat über sämtliche das Eigentum und die Benützung dieses Grundstücks entstehenden Streitigkeiten die Agrarbehörde zu entscheiden. Dies betrifft sowohl dingliche als auch obligatorische Ansprüche, so auch Streitigkeiten über das Ausmaß eines Eigentumsrechts und dessen Beschränkung (RISJustiz RS0045684 [T2]). Auch zu einer Klage, die inhaltlich auf Zuhaltung eines Schenkungsvertrags über eine Liegenschaft gerichtet war, wurde entschieden, dass die Voraussetzung einer „Streitigkeit über Eigentum an den in das Verfahren einbezogenen Grundstücken“ erfüllt sei (6 Ob 140/99b).
4. Die Grundstücke, auf die sich das Begehren des Klägers bezieht, sind vom Zusammenlegungsverfahren der Niederösterreichischen Agrarbezirksbehörde betroffen. Der Kläger begehrt die Zustimmung der Beklagten zur Einverleibung seines Eigentums am Hälfteanteil der Beklagten an diesen Grundstücken. Damit handelt es sich – entgegen der Rechtsansicht des Rekurswerbers – um eine Streitigkeit über das Eigentum iSd § 34 Abs 4 FlVfGG und § 97 Abs 1 NÖ FLG, weshalb die Zuständigkeit der Agrarbezirksbehörde gegeben ist, die die Zuständigkeit der Gerichte während des Zusammenlegungsverfahrens ausschließt.
Dem Rekurs war daher nicht Folge zu geben.
5. Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 41, 50 ZPO. Der für die Rekursbeantwortung verzeichnete dreifache Einheitssatz steht allerdings nicht zu, weil kein Fall des § 23 Abs 9 RATG vorliegt (3 Ob 216/15h; 9 Ob 42/14p).
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ECLI: | ECLI:AT:OGH0002:2017:0090OB00005.17A.0324.000 |
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