VfGH vom 03.10.1981, B67/77
Sammlungsnummer
9213
Leitsatz
BAO; denkunmögliche Anwendung des § 209 Abs 3 idF vor der Nov. 1980 betr. Verjährung
Spruch
Der Bescheid wird aufgehoben.
Begründung
Entscheidungsgründe:
I.1. Der Beschwerdeführer exportierte im Zeitraum vom bis zum Textilsendungen im Fakturenwert von insgesamt S 172,428.611,81 und Sendungen von optischen Geräten im Fakturenwert von S 509.083,- an verschiedene ausländische Abnehmer. Für diese Ausfuhrlieferungen erhielt er Umsatzsteuervergütungen nach § 16 UStG 1934 in Höhe von insgesamt S 25,877.209,72 bescheidmäßig zuerkannt.
Bei einer im Jahre 1959 durchgeführten Betriebsprüfung wurde festgestellt, daß sowohl die Textilien als auch die optischen Geräte um ein Vielfaches ihres Wertes fakturiert worden seien und diese Waren mehrmals nach Österreich gelangt seien. Mit der Versendung der genannten Gegenstände in das Ausland seien keine wirklichen Rechtsgeschäfte erfüllt worden. Durch die Feststellungen der Betriebsprüfung sei erwiesen, daß es sich bei den den Ausfuhrlieferungen zugrunde liegenden Rechtsgeschäften nur um Scheingeschäfte handle, die keinen Anspruch auf Umsatzsteuervergütungen begründeten. Überdies sei ein buchmäßiger Nachweis für das Vorliegen eines vergütungsfähigen Vorganges nicht erbracht worden. Die Rechtmäßigkeit der Durchführung und das Ergebnis dieser Betriebsprüfung wurden vom Beschwerdeführer bestritten. Das Finanzamt schloß sich jedoch den Feststellungen der Betriebsprüfung an und forderte mit Bescheid vom die für den Zeitraum vom bis zum gewährten Umsatzsteuervergütungen in voller Höhe zurück.
Ein 1959 gegen den Beschwerdeführer (auch) wegen der Fakten, die zum Widerruf der Umsatzsteuervergütungen geführt haben, eingeleitetes Strafverfahren wurde mit Beschluß des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom eingestellt.
Mit Bescheid der Finanzlandesdirektion für Sbg. vom wurde die vom Beschwerdeführer gegen den Bescheid des Finanzamtes vom erhobene Berufung als unbegründet abgewiesen.
2. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, auf Art 144 B-VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf Unversehrtheit des Eigentumes gerügt und die Aufhebung des angefochtenen Bescheides, in eventu die Abtretung der Beschwerde an den VwGH beantragt wird.
Die belangte Behörde hat in einer Gegenschrift die Abweisung der Beschwerde beantragt.
II. Der VfGH hat erwogen:
1. Die Rückforderung einer bescheidmäßig zuerkannten Umsatzsteuervergütung greift in das verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht auf Unversehrtheit des Eigentums ein. Dieser Eingriff wäre nach der ständigen Judikatur des VfGH (zB VfSlg. 8776/1980) dann verfassungswidrig, wenn der ihn verfügende Bescheid ohne jede Rechtsgrundlage ergangen wäre oder auf einer verfassungswidrigen Rechtsgrundlage beruhte, oder wenn die Behörde bei Erlassung des Bescheides eine verfassungsrechtlich unbedenkliche Rechtsgrundlage in denkunmöglicher Weise angewendet hätte, ein Fall, der nur dann vorläge, wenn die Behörde einen so schweren Fehler begangen hätte, daß dieser mit Gesetzlosigkeit auf eine Stufe zu stellen wäre.
2. Der angefochtene Bescheid gründet sich in materiellrechtlicher Hinsicht auf Bestimmungen des Umsatzsteuergesetzes 1934 (UStG), DRGBl. I 1934 S 942, und die Durchführungsbestimmungen zum Umsatzsteuergesetz (UStDB), DRGBl. I 1938 S 1935. Die verfahrensrechtliche Grundlage für die Rückforderung der Vergütung bildet § 72 Abs 2 UStDB. Gegen die Rechtsgrundlagen des angefochtenen Bescheides wurden weder Bedenken vorgetragen noch sind solche beim VfGH unter dem Gesichtspunkt des vorliegenden Beschwerdefalles entstanden.
3. Nach der ständigen Rechtsprechung des VfGH könnte somit der Beschwerdeführer durch den angefochtenen Bescheid im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Unversehrtheit des Eigentums nur verletzt worden sein, wenn die Behörde das Gesetz denkunmöglich angewendet hätte.
Dies ist der Behörde anzulasten:
a) Zu den Abgaben iS der Bundesabgabenordnung zählen gemäß § 3 Abs 1 BAO unter anderem auch Abgabenvergütungen und Ansprüche auf Rückforderung von Abgabenvergütungen.
b) Nach § 207 Abs 1 BAO unterliegt "das Recht, eine Abgabe festzusetzen", der Verjährung.
Sind seit der Entstehung des Abgabenanspruches (bzw. des Rückforderungsanspruches) 15 Jahre verstrichen, so darf gemäß § 209 Abs 3 BAO (in der hier maßgeblichen Stammfassung BGBl. 194/1961) der Abgabenanspruch nicht mehr geltend gemacht werden (sog. "absolute Verjährung"). Diese absolute Verjährung schließt jede auf Realisierung des Abgabenanspruches gerichtete behördliche Maßnahme schlechthin aus (vgl. Stoll, Das Steuerschuldverhältnis, Wien 1972, 149 ff.).
Die Bestimmung des § 209 Abs 3 BAO über die absolute Verjährungsfrist ist ohne Rücksicht auf eingetretene Unterbrechungen und Hemmungen wirksam (vgl. VfSlg. 9155/1981).
c) Für die Entscheidung des VfGH kann es dahingestellt bleiben, wann im vorliegenden Fall der Rückforderungsanspruch entstanden ist. Denn jedenfalls liegt dieser Zeitpunkt vor dem , da mit Bescheid dieses Datums vom Finanzamt die Rückvergütung bereits zurückgefordert wurde. Es ist daher unbestritten, daß der angefochtene Bescheid dem Beschwerdeführer erst nach Ablauf der in § 209 Abs 3 BAO vorgesehenen fünfzehnjährigen Frist nach Entstehen des Abgabeanspruches zugestellt wurde. Strittig ist lediglich, ob die Verjährung während des Laufes eines Berufungsverfahrens eintreten kann.
Der VfGH hat im Erk. VfSlg. 9155/1981 die Auffassung vertreten, daß nach der auch im vorliegenden Fall maßgeblichen Rechtslage vor der BAO-Nov. 1980, BGBl. 151/1980, auch bei der Festsetzung einer Abgabe in einer Berufungsentscheidung der Eintritt der Verjährung zu beachten war und hat ausgeführt, daß die Ansicht der Behörde, nach der erstinstanzlichen, nicht rechtskräftig gewordenen Festsetzung einer Abgabe könne das Recht, diese festzusetzen, nicht mehr verjähren, nach dieser Rechtslage denkunmöglich war. Diese Rechtsmeinung, an der der VfGH festhält, wird für die absolute Verjährung auch von der Literatur bestätigt. So führt etwa Stoll (Steuerschuldverhältnis, 151 f.) aus, daß die absolute Verjährung nach § 209 Abs 3 BAO nach Fristablauf Realisierungsschritte verbietet, gleichgültig in welchem Stadium der "Geltendmachung" sich der Anspruch befindet.
d) Mit dem angefochtenen Bescheid hat die belangte Behörde der Berufung des Beschwerdeführers gegen den erstinstanzlichen Rückforderungsbescheid vom keine Folge gegeben und diesen Bescheid bestätigt. Er ist so zu werten, als ob die belangte Behörde einen mit dem Bescheid der Unterinstanz übereinstimmenden neuen Bescheid erlassen hätte, der fortan an die Stelle dieses Bescheides tritt (VfSlg. 5368/1966, 5718/1968, 6832/1972, 7742/1976) und dessen Wirksamkeit völlig verdrängt. Ebenso wie durch den erstinstanzlichen Bescheid wurde auch durch den diesen ersetzenden Berufungsbescheid eine Abgabe, nämlich der Rückforderungsanspruch, festgesetzt.
Die belangte Behörde hätte somit bei Erlassung des Berufungsbescheides zu prüfen gehabt, ob im Zeitpunkt der Erlassung des Berufungsbescheides die Verjährungsfrist des § 209 Abs 3 BAO bereits abgelaufen war. Da sie aber davon ausgegangen ist, daß nach der erstinstanzlichen, nicht rechtskräftig gewordenen Festsetzung einer Abgabe das Recht, diese festzusetzen, nicht mehr verjähren könne, hat sie das Gesetz denkunmöglich angewendet. Sie hätte vielmehr bei der meritorischen Erledigung der Berufung den nach Ablauf der 15jährigen Verjährungsfrist des § 209 Abs 3 BAO erfolgten Eintritt der Verjährung zu beachten gehabt und dementsprechend der Berufung Folge geben müssen.
e) Infolge dieser denkunmöglichen Anwendung des Gesetzes wurde der Beschwerdeführer durch den angefochtenen Bescheid im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Unversehrtheit des Eigentumes verletzt.
Der Bescheid war daher aufzuheben, ohne daß auf das übrige Vorbringen des Beschwerdeführers eingegangen werden brauchte.