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VfGH vom 28.11.2019, E991/2019

VfGH vom 28.11.2019, E991/2019

Leitsatz

Verletzung im Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander betreffend die Nichtzuerkennung des Status des Asylberechtigten hinsichtlich eines afghanischen Staatsangehörigen mangels nachvollziehbarer Entscheidungsbegründung

Spruch

I.Der Beschwerdeführer ist durch das angefochtene Erkenntnis im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander (ArtI Abs 1 BVG zur Durchführung des internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973) verletzt worden.

Das Erkenntnis wird aufgehoben.

II.Der Bund (Bundesminister für Inneres) ist schuldig, dem Beschwerdeführer zuhanden seines Rechtsvertreters die mit € 2.616,– bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Entscheidungsgründe

I.Sachverhalt, Beschwerde und Vorverfahren

1.Der Beschwerdeführer ist ein aus der Provinz Nangarhar stammender Staatsangehöriger von Afghanistan, gehört der Volksgruppe der Paschtunen an und ist sunnitischer Moslem. Er wurde am geboren und stellte nach illegaler Einreise in das Bundesgebiet am einen Antrag auf internationalen Schutz.

2.Im Zuge der polizeilichen Erstbefragung und der niederschriftlichen Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl gab der Beschwerdeführer im Wesentlichen an, dass er gemeinsam mit seinem jüngeren Bruder aus Afghanistan geflohen sei, weil ihr Vater bei der Polizei gewesen sei. Die Taliban hätten ihr Haus in Brand gesetzt und den Vater getötet. Sein Bruder und er seien durch die Hilfe eines Freundes des Vaters entkommen. Im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan habe er Angst um sein Leben.

3.Mit Bescheid vom wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl den Antrag des Beschwerdeführers gemäß § 3 Abs 1 iVm § 2 Abs 1 Z 13 AsylG 2005 ab, erkannte ihm gemäß § 8 Abs 1 AsylG 2005 den Status des subsidiär Schutzberechtigten zu und erteilte ihm gemäß § 8 Abs 4 AsylG 2005 eine befristete Aufenthaltsberechtigung.

4.Die gegen den abweisenden Spruchteil erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung mit Erkenntnis vom als unbegründet ab.

Begründend führte das Bundesverwaltungsgericht im Wesentlichen aus, dass das Fluchtvorbringen des Beschwerdeführers nicht glaubwürdig gewesen sei. Es sei ihm nicht gelungen, eine konkret und gezielt gegen seine Person gerichtete aktuelle Verfolgung maßgeblicher Intensität glaubhaft zu machen. Selbst bei Wahrunterstellung des Vorbringens bestehe für die Zukunft keine weitere Gefahr.

In seiner Beweiswürdigung bezog sich der erkennende Richter wesentlich auf zwei eigens in Auftrag gegebene Gutachten eines länderkundlichen Sachverständigen für Afghanistan. Diese hätten ergeben, dass der Vater des Beschwerdeführers zwar nicht Polizist gewesen sei, aber der Miliztruppe "Arbaki" angehört habe. Ein Brandanschlag auf das Haus des Beschwerdeführers habe nicht stattgefunden. Dessen Familie lebe wieder darin. Der Vater sei nicht getötet worden, sondern eines natürlichen Todes gestorben. Ferner bezog sich der erkennende Richter auf Widersprüche zwischen dem Vorbringen des Beschwerdeführers und dessen als Zeuge einvernommenen jüngeren Bruders.

5.Gegen diese Entscheidung richtet sich die vorliegende, auf Art 144 B-VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander (ArtI Abs 1 BVG zur Durchführung des internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973) behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Erkenntnisses beantragt wird.

Begründend wird dazu im Wesentlichen ausgeführt, dass das Bundesverwaltungsgericht dadurch Willkür geübt habe, dass es die Glaubwürdigkeit des Beschwerdeführers im Hinblick auf die fluchtauslösenden Ereignisse als zentrales Entscheidungskriterium des angefochtenen Erkenntnisses verneint habe und die Begründung des Erkenntnisses mit mehreren in die Verfassungssphäre reichenden Fehlern behaftet sei.

6.Das Bundesverwaltungsgericht hat die Gerichts- und Verwaltungsakten vorgelegt, von der Erstattung einer Gegenschrift aber Abstand genommen und auf die Begründung der angefochtenen Entscheidung verwiesen.

II.Erwägungen

1.Die – zulässige – Beschwerde ist begründet.

2.Nach der mit VfSlg 13.836/1994 beginnenden, nunmehr ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (s etwa VfSlg 14.650/1996 und die dort angeführte Vorjudikatur; weiters VfSlg 16.080/2001 und 17.026/2003) enthält ArtI Abs 1 BVG zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, das allgemeine, sowohl an die Gesetzgebung als auch an die Vollziehung gerichtete Verbot, sachlich nicht begründbare Unterscheidungen zwischen Fremden vorzunehmen. Diese Verfassungsnorm enthält ein – auch das Sachlichkeitsgebot einschließendes – Gebot der Gleichbehandlung von Fremden untereinander; deren Ungleichbehandlung ist also nur dann und insoweit zulässig, als hiefür ein vernünftiger Grund erkennbar und die Ungleichbehandlung nicht unverhältnismäßig ist.

Diesem einem Fremden durch ArtI Abs 1 leg.cit. gewährleisteten subjektiven Recht widerstreitet eine Entscheidung, wenn sie auf einem gegen diese Bestimmung verstoßenden Gesetz beruht (vgl zB VfSlg 16.214/2001), wenn das Verwaltungsgericht dem angewendeten einfachen Gesetz fälschlicherweise einen Inhalt unterstellt hat, der – hätte ihn das Gesetz – dieses als in Widerspruch zum BVG zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, stehend erscheinen ließe (s etwa VfSlg 14.393/1995, 16.314/2001)oder wenn es bei Erlassung der Entscheidung Willkür geübt hat (zB VfSlg 15.451/1999, 16.297/2001, 16.354/2001 sowie 18.614/2008).

Ein willkürliches Verhalten des Verwaltungsgerichtes, das in die Verfassungssphäre eingreift, liegt unter anderem in einer gehäuften Verkennung der Rechtslage, aber auch im Unterlassen jeglicher Ermittlungstätigkeit in einem entscheidenden Punkt oder dem Unterlassen eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens überhaupt, insbesondere in Verbindung mit einem Ignorieren des Parteivorbringens und einem leichtfertigen Abgehen vom Inhalt der Akten oder dem Außerachtlassen des konkreten Sachverhaltes (zB VfSlg 15.451/1999, 15.743/2000, 16.354/2001, 16.383/2001). Ein willkürliches Vorgehen liegt insbesondere auch dann vor, wenn das Verwaltungsgericht die Entscheidung mit Ausführungen begründet, denen jeglicher Begründungswert fehlt (s etwa VfSlg 18.925/2009 mwN; weiters VfSlg 13.302/1992, 14.421/1996, 15.743/2000 und 17.642/2005).

3.Ein solcher Fehler ist dem Bundesverwaltungsgericht unterlaufen:

3.1.Die Begründung der angefochtenen Entscheidung erschöpft sich in weiten Teilen in Ausführungen, denen kein Begründungswert zukommt und die sich in einigen Passagen so weit von Syntax, Grammatik und Rechtschreibung der deutschen Sprache (Art8 Abs 1 B-VG) entfernen, dass eine den rechtsstaatlichen Erfordernissen genügende Nachvollziehbarkeit – und damit eine Überprüfbarkeit durch den Verfassungsgerichtshof – nicht gegeben ist (vgl zB mwN; , E4675/2018 ua mwN). So findet sich auf S 13 der angefochtenen Entscheidung etwa eine tabellarische Darstellung in schlagwortartigen Notizen, die in keiner Weise nachvollziehbar ist. Ferner finden sich in den beweiswürdigenden Ausführungen beispielsweise folgende Sätze (S 14 f.):

"Das eine Bruder am Anfang vermeinte das sich in dem Raum ein Fenster befunden hätte, später allerdings revidierte indem dass er sich nicht mehr daran erinnern könne, der andere Bruder angab das es dunkel gewesen sei, schließlich jedoch auch nicht mehr genau daran erinnern könne ob es in dem Raum ein Fenster gab, ist für das Gericht nicht abziehbar und logisch auch nicht begründbar. […] Sie konnten sich nicht mal auf den Namen des Freundes erinnern, dass für sich genommen auch nicht logisch nachvollziehbar ist, den immerhin werden die Kinder zumindest den Familiennamen des Freundes wissen. […] Lebensnaher wäre die Annahme, dass die beiden Minderjährigen zumindest Mille Namen oder den Vornamen werden hätten können. Auch hier zeigt sich, dass die beiden Brüder einfach vorbrachten, sich nicht mehr daran erinnern zu können wie er hieß um sich nicht gegenseitigen in Widersprüchen zu verwickelt."

3.2.Darüber hinaus begründet der erkennende Richter die Unglaubwürdigkeit des Fluchtvorbringens unter einem mit einer vom Beschwerdeführer in der mündlichen Verhandlung vorgebrachten Vergewaltigung. Es besteht jedoch nach Durchsicht der vorliegenden Verwaltungs- und Gerichtsakten kein Hinweis darauf, dass ein diesbezügliches Vorbringen vom Beschwerdeführer je erstattet wurde. Ferner wird die Unglaubwürdigkeit des Fluchtvorbringens mit Widersprüchen zwischen dem Vorbringen des Beschwerdeführers und dem seines als Zeugen einvernommenen jüngeren Bruders begründet. Diese sind jedoch – soweit überhaupt nachvollziehbar (vgl Rz 15) – überwiegend spekulativ. Schließlich bezieht sich der erkennende Richter in seiner Entscheidung vom wesentlich auf zwei eigens in Auftrag gegebene Gutachten eines früheren länderkundlichen Sachverständigen für Afghanistan, die aber die Erfordernisse für taugliche Gutachten nicht erfüllen (vgl BVwG , W170 2208106-1; ).

3.3.Die angefochtene Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes ist daher bereits aus diesen Gründen mit Willkür behaftet und aufzuheben; daran vermag auch die sonstige – allenfalls zutreffende – Begründung der angefochtenen Entscheidung nichts zu ändern.

III.Ergebnis

1.Der Beschwerdeführer ist somit durch das angefochtene Erkenntnis in dem durch ArtI Abs 1 BVG zur Durchführung des internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander verletzt worden.

Das Erkenntnis ist daher aufzuheben, ohne dass auf das weitere Beschwerdevorbringen einzugehen ist.

2.Diese Entscheidung konnte gemäß § 19 Abs 4 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

3.Die Kostenentscheidung beruht auf § 88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in der Höhe von € 436,– enthalten. Ein Ersatz der Eingabengebühr ist nicht zuzusprechen, weil der Beschwerdeführer Verfahrenshilfe im Umfang des § 64 Abs 1 Z 1 lita ZPO genießt.

Zusatzinformationen


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ECLI:
ECLI:AT:VFGH:2019:E991.2019
Schlagworte:
Asylrecht, Entscheidungsbegründung

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