VfGH vom 29.02.1980, B66/77
Sammlungsnummer
8752
Leitsatz
Art144 Abs 1 B-VG; Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt durch Vollstreckungshandlungen vor Erlassung einer Vollstreckungsverfügung
Spruch
Der Beschwerdeführer ist dadurch, daß der Magistrat der Stadt Wien im Oktober 1976 bewirkt hat, daß der Dienstgeber des Beschwerdeführers einen Geldbetrag von 1820,90 S aus den Bezügen des Beschwerdeführers einbehalten und der Stadt Wien überwiesen hat, im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Unversehrtheit des Eigentums verletzt worden.
Begründung
Entscheidungsgründe:
I.1. Der Beschwerdeführer bringt vor, er habe Ende Dezember 1976 in seinem Bankinstitut erfahren, daß Teile seiner Bezüge gepfändet worden seien. Das Zentralbesoldungsamt habe ihm auf schriftliche Anfrage mitgeteilt, daß aufgrund einer Gehaltsexekution durch den Magistrat der Stadt Wien ein Betrag von 1820,90 S einbehalten worden sei. Das Schreiben des Zentralbesoldungsamtes lasse "die Vermutung naheliegend erscheinen", daß es sich bei der Handlung des Magistrates der Stadt Wien um einen Verwaltungsakt im Zuge eines Vollstreckungsverfahrens handle. Der Magistrat der Stadt Wien habe dem Beschwerdeführer nie eine Vollstreckungsverfügung zugestellt, sodaß die Vollstreckungshandlung als "faktische Amtshandlung durch Ermangelung der Einhaltung der vorgesehenen Verwaltungsvorschriften" anzusehen sei.
Es werde daher gem. Art 144 B-VG beantragt, die angefochtene faktische Amtshandlung als verfassungswidrig aufzuheben.
2. Den Verwaltungsakten ist folgendes zu entnehmen:
Die Direktion der Wr. Stadtwerke-Verkehrsbetriebe hat mit rechtskräftigem Bescheid vom festgestellt, daß dem Beschwerdeführer für die Dauer seines ungerechtfertigten Fernbleibens vom Dienst als Bediensteter der Wr. Stadtwerke-Verkehrsbetriebe in der Zeit vom 24. März bis keine Dienstbezüge gebühren. Gleichzeitig wurde in diesem Bescheid festgestellt, daß der Beschwerdeführer gem. § 8 Abs 1 iVm Abs 3 der Besoldungsordnung 1967 verpflichtet sei, den Betrag von 1782,90 S den Wr. Stadtwerken zu ersetzen.
Am erließ der Magistrat der Stadt Wien, MA 6, drei Bescheide: Der erste Bescheid betraf die Vorschreibung eines Betrages von 38 S für Pfändungsgebühren und Barauslagen für Drittschuldnerpfändung. Ein weiterer, an das Zentralbesoldungsamt (der Beschwerdeführer stand in diesem Zeitpunkt offensichtlich in einem Dienstverhältnis zum Bund) gerichteter Bescheid betraf die Pfändung und Überweisung von Arbeitseinkommen des Beschwerdeführers in der Höhe von 1820,93 S. Schließlich hat der Magistrat der Stadt Wien in einem weiteren Bescheid dem Beschwerdeführer jede Verfügung über das gepfändete Arbeitseinkommen und insb. die Einziehung untersagt und diesem Bescheid eine Ausfertigung der an den Drittschuldner ergangenen Pfändungsverfügung angeschlossen.
Der Betrag von 1820,90 S ist aufgrund der Bezugspfändung am bei der Stadthauptkasse eingegangen.
3. Die Magistratsdirektion der Stadt Wien führt in der Gegenschrift aus, die Behauptung des Beschwerdeführers, die Exekution sei entgegen den Bestimmungen des Verwaltungsvollstreckungsgesetzes ohne vorausgegangene Erlassung einer Vollstreckungsverfügung vorgenommen worden, sei "aktenwidrig und unzutreffend", denn die Exekution sei aufgrund der Bescheide der Magistratsabteilung 6 vom erfolgt. Daran ändere auch die Tatsache nichts, daß ein Zustellnachweis über das an den Beschwerdeführer gerichtete Verfügungsverbot nicht vorliege, da eine bescheinigte Zustellung solcher Verfügungsverbote nirgends gesetzlich angeordnet sei. Eine Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt habe somit im vorliegenden Fall überhaupt nicht stattgefunden.
II. Der VfGH hat erwogen:
1. Der VfGH sieht in seiner Rechtsprechung Vollstreckungshandlungen, welche ohne vorangegangene Verfahren (s. VfSlg. 3648/1959) oder vor Erlassung einer Vollstreckungsverfügung (s. VfSlg. 7458/1974) durchgeführt werden, als Maßnahmen unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt iS des Art 144 B-VG an.
Die Beschwerde ist somit zulässig.
2. Durch die behördliche Zwangsmaßnahme ist in das Eigentum des Beschwerdeführers eingegriffen worden. Der Beschwerdeführer behauptet, die Bescheide vom seien ihm nicht zugestellt worden. In den Akten ist kein Zustellnachweis enthalten, weil - wie die belangte Behörde ausführt - die Bescheide ohne Rückschein zugestellt worden seien. Es muß daher davon ausgegangen werden, daß die Bescheide vom dem Beschwerdeführer nicht zugestellt worden sind. Es wäre Pflicht der belangten Behörde gewesen, den Nachweis zu erbringen, daß die Zustellung erfolgt ist (§§10 Abs 1 VVG 1950, 25 Abs 2 AVG 1950, s. auch ).
Da ein Bescheid erst mit der Zustellung (oder der hier nicht in Betracht kommenden Verkündung) als erlassen gilt (vgl. die ständige Rechtsprechung des VfGH, zB Slg. 7458/1974), kann die gegen den Beschwerdeführer gesetzte Vollstreckungsmaßnahme nicht als in einem Verfahren nach dem VVG 1950 ergangene Vollstreckungsmaßnahme angesehen werden.
Daraus ergibt sich, daß durch die vom Magistrat der Stadt Wien bewirkte Vollstreckungshandlung der Beschwerdeführer im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Unversehrtheit des Eigentums verletzt worden ist.