VfGH vom 11.03.2015, E968/2014 ua

VfGH vom 11.03.2015, E968/2014 ua

Leitsatz

Keine Verletzung der Versammlungsfreiheit durch Untersagung der Versammlung „Fahrradkundgebung zur Einhaltung der gesetzlichen Lärm- und Abgaswerte“ auf Teilbereichen der Autobahn A1 bei Salzburg wegen der zu erwartenden weiträumigen extremen Störung des Straßenverkehrs

Spruch

I. Der beschwerdeführende Verein ist durch die angefochtenen Erkenntnisse weder in einem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht noch wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm in seinen Rechten verletzt worden.

II. Die Beschwerde wird abgewiesen.

Begründung

Entscheidungsgründe

I. Sachverhalt, Beschwerde und Vorverfahren

1. Der Obmann des beschwerdeführenden Vereins "******** – ****** *** ****************** *******************" meldete für diesen mit Schreiben vom für den für die Zeit von 10.00 bis 14.00 Uhr eine Versammlung mit der Bezeichnung "Fahrradkundgebung zur Einhaltung der gesetzlichen Lärm- und Abgaswerte" auf einem bestimmten Abschnitt der Autobahn A1 (Route beginnend vom Messezentrum auf der A1 Richtung Salzburg Nord, kurz vor Salzburg Nord Wechsel auf die andere Richtungsfahrbahn bis Salzburg Flughafen, Abfahrt und wieder zurück auf die A1 bis Abfahrt Salzburg Messe, mit abschließender Bürgerversammlung am Messegelände).

2. Mit den – an den Verein "******** – ****** *** ****************** *******************" gerichteten – Bescheiden der Landespolizeidirektion Salzburg als Behörde erster Instanz vom sowie der Bezirkshauptmannschaft Salzburg Umgebung vom – auf Grund der beabsichtigten Route der Fahrradkundgebung waren beide Behörden für jeweils einen Teilbereich örtlich zuständig – wurde die Versammlung jeweils untersagt. Begründend wurde ausgeführt, dass der Eingriff in die Versammlungsfreiheit im Hinblick u.a. auf die zu erwartende Gefährdung der öffentlichen Sicherheit durch den Zusammenbruch des Fortkommens im gesamten Ballungsraum bzw. die Tatsache, dass ein großer, völlig unbeteiligter Personenkreis davon betroffen sei, gemäß Art 11 Abs 2 EMRK gerechtfertigt sei.

2.1. Die dagegen eingebrachten Berufungen des Vereins wurden mit den – nicht an den Verein, sondern ausschließlich an den Obmann adressierten – Bescheiden der Landespolizeidirektion Salzburg als Berufungsbehörde vom abgewiesen. Der vom Obmann des Vereins dagegen erhobenen Beschwerde gemäß Art 144 B VG gab der Verfassungsgerichtshof mit Erkenntnis vom , B344/2013 ua., Folge und hob die Bescheide wegen der Verletzung im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter auf, da die Landespolizeidirektion keine Entscheidung über die Berufungen des Vereins getroffen hatte und sie zu einer an den Vereinsobmann adressierten Sachentscheidung nicht zuständig gewesen war.

2.2. Gemäß Art 151 Abs 51 Z 8 bzw. Z 9 B VG treten in den beim Verfassungsgerichtshof anhängigen Verfahren die Verwaltungsgerichte an die Stelle der Landespolizeidirektion und ist das Verfahren nach Beendigung des Verfahrens vor dem Verfassungsgerichtshof vom Verwaltungsgericht fortzusetzen. Das Landesverwaltungsgericht Salzburg hat das Verfahren fortgesetzt und die Beschwerden des beschwerdeführenden Vereins abgewiesen.

2.3. In der Begründung seiner Erkenntnisse stellt das Landesverwaltungsgericht fest, dass der Versammlungsveranstalter ein erhebliches, im öffentlichen Interesse liegendes Ziel verfolge, nämlich die Einhaltung von verkehrsbedingten Lärm- und Abgasgrenzwerten. Eine Verlegung auf einen anderen Veranstaltungsort hätte der Fahrradkundgebung einen wesentlichen Teil ihrer Wirkung genommen und hätte eine übermäßige Beschränkung des Versammlungsrechts dargestellt. Das Landesverwaltungsgericht habe das berechtigte Interesse des Versammlungsanzeigers gegen die unausbleiblichen Auswirkungen auf die Grundrechte und Grundfreiheiten der Allgemeinheit, aber vor allem auf die Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und des öffentlichen Wohles abzuwägen.

2.4. Die in den Beschwerden angeführten Zweifel an den Zahlenangaben der ASFINAG über die Fahrzeugfrequenz an einem vergleichbaren Sonntag im Oktober des Vorjahres (Verkehrsaufkommen von etwa 17.000 Fahrzeugen in der Zeit zwischen 10.00 und 14.00 Uhr) bestünden zu Unrecht. Die tatsächliche Sperre der Westautobahn würde allerdings nicht nur vier, sondern auf Grund der notwendigen Vor- und Nachbereitungsarbeiten der Autobahnverwaltung und der Sicherheitsbehörden mindestens sechs Stunden dauern; es sei daher von einem Fahrzeugaufkommen von ca. 25.000 Fahrzeugen auszugehen. Die Anzahl würde auch durch den Hinweis auf die Verkehrsbeschränkung über Verkehrsfunk, Medien und Automobilclubs nur marginal sinken, da es sich bei der Westautobahn um eine der wichtigsten West-Ost-Transitverbindungen im EU-Raum handle, die einen hohen Anteil an fremdsprachigen Verkehrsteilnehmern aufweise; ortskundige Fahrzeuglenker würden ohnehin über den Stadtbereich ausweichen.

Zwar seien bloße Verkehrsbehinderungen durch Versammlungen nach der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes in Kauf zu nehmen; hier sei jedoch nicht von einer bloßen Verkehrsbehinderung auszugehen, sondern von einer Totalsperre. Bei einer Totalsperre der Westautobahn über einen Zeitraum von sechs Stunden käme es – da eine Ableitung über das Stadtgebiet bei der zu erwartenden Anzahl an Fahrzeugen nicht möglich sei – zu einem weitreichenden Rückstau; die Fahrzeuginsassen wären für diesen Zeitraum in ihrer Bewegungsfreiheit massiv eingeschränkt. Da sich darunter auch Personen mit Einschränkungen, ältere und kranke Personen, Kinder und Säuglinge befinden würden, sei diese Maßnahme aus Gründen der öffentlichen Sicherheit und des öffentlichen Wohles nicht vertretbar. Rettungsorganisationen wäre es unmöglich, Einsatzorte rechtzeitig zu erreichen oder Einsatzfahrten in der gebotenen Zeit zu absolvieren. In die Rechte einer großen Anzahl von Personen, mit ihren Fahrzeugen öffentliche Straßen möglichst ungehindert zu benützen, würde in unzumutbarer Weise eingegriffen.

Welche Auswirkungen bereits kurzfristige Totalsperren bzw. Beschränkungen auf nur einer Richtungsfahrbahn der A1 in der Nebensaison gehabt hätten, zeige sich anhand bestimmter Unfallereignisse, nämlich anhand des Verkehrsunfalls am auf der A1 bei Hallwang (Dauer ca. sechs Stunden; Totalsperre der zwei Fahrstreifen in Fahrtrichtung Wien; nur zeitweise Nutzung des Pannenstreifens möglich; Rückstau bis zur Autobahnanschlussstelle Salzburg und Verkehrszusammenbruch auf den Einfallsstraßen im Stadtgebiet) und des Verkehrsunfalls am zwischen den Anschlussstellen Salzburg Messe und Salzburg Nord in Fahrtrichtung Wien (Dauer knapp vier Stunden; Rückstau bis zur Anschlussstelle Flughafen, massive Verkehrsbeeinträchtigungen im Stadtgebiet).

2.5. Das Landesverwaltungsgericht kommt zum Schluss, dass die zu befürchtende unvermeidbare, weiträumige, mehrstündige extreme Störung des Straßenverkehrs derart gravierende Belästigungen und sicherheitsgefährdende Beeinträchtigungen zahlreicher unbeteiligter Personen erwarten lasse, sodass auch bei voller Berücksichtigung des im öffentlichen Interesse gelegenen Zieles der beabsichtigten Versammlung die gebotene Interessenabwägung zu Ungunsten des Versammlungsveranstalters ausfalle.

2.6. Dem nunmehr beschwerdeführenden Verein vermöge auch nicht die Zitierung der Entscheidung des Hessischen Verfassungsgerichtshofes vom , Az. 6B 1629/08, oder des Gerichtshofes der Europäischen Union vom , Rs. C-112/00, zum Erfolg zu verhelfen. Der Verfassungsgerichtshof Hessen habe in seiner Entscheidung sehr wohl eine Rechtsgüterabwägung vorgenommen und ziehe eine Untersagung dann in Betracht, wenn diese Rechtsgüterabwägung eine nicht hinzunehmende Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung ergebe. In der zitierten Entscheidung des Gerichtshofes der Europäischen Union werde im Wesentlichen über die Beschränkung des Waren- und Personenverkehrs befunden und nicht über die Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung oder das öffentliche Wohl.

3. Gegen diese Erkenntnisse richtet sich die vorliegende, auf Art 144 B VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Versammlungsfreiheit (Art12 StGG, Art 11 EMRK) behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung der angefochtenen Erkenntnisse beantragt wird.

Begründend wird dazu im Wesentlichen Folgendes ausgeführt:

3.1. Es sei unstrittig, dass es sich bei der geplanten Versammlung um eine Veranstaltung im Sinne des Versammlungsgesetzes handle, mit der die Bürger und Bürgerinnen der Stadt Salzburg ihre Grundrechte ausüben und eine ihnen im öffentlichen Leben wichtig erscheinende Meinung zum Ausdruck bringen wollten. Die geplante öffentliche Demonstration habe den öffentlichen Zweck, auf die permanenten Grenzüberschreitungen der Lärm- und Stickstoffdioxidbelastung im Veranstaltungsbereich hinzuweisen.

3.2. Auch wenn eine derartige Aktion gewöhnlich für unbeteiligte Personen bestimmte Nachteile mit sich bringe, insbesondere betreffend die Freiheit des Verkehrs, so könnten solche Einschränkungen grundsätzlich hingenommen werden, wenn damit der Zweck verfolgt werde, auf rechtmäßige Weise eine Meinung öffentlich zu äußern. Im Falle der Genehmigung wären in Zusammenarbeit mit den Behörden, der ASFINAG, den Medien und den Automobilclubs verschiedene Rahmen- und Begleitmaßnahmen getroffen worden, um die Störungen des Straßenverkehrs möglichst gering zu halten. Es sei auch bewusst ein Sonntag im Herbst als Termin gewählt worden, an dem im Großraum Salzburg weder eine Messe noch eine sonstige Großveranstaltung geplant gewesen sei.

3.3. Da es auf der Autobahn bei Salzburg Stadt bisher noch keine lang vorher angekündigte Versammlung bzw. Demonstration gegeben habe und die von der Behörde herangezogenen Fallbeispiele ausschließlich Unfallszenarien betroffen hätten, hätte die Behörde Berichte (allenfalls aus Tirol und Oberösterreich) zu vergleichbaren Sachverhalten einholen müssen. Ob Untersagungstatbestände erfüllt seien, müsse nämlich auf Grund konkret festgestellter, objektiv erfassbarer Umstände beurteilt werden. Berichte über die Verkehrsauswirkungen von (nicht vorhersehbaren) Unfällen, die sich während der Woche zu den Stoßzeiten ereignet hätten, würden nicht den Schluss zulassen, dass die angezeigte Veranstaltung am Sonntag im Herbst, außerhalb der Hauptverkehrsreisezeit, an dem keine Messe oder sonstige Großveranstaltung im Großraum Salzburg stattgefunden hätte, zu den gleichen Verkehrsbeschränkungen geführt hätte.

3.4. Gemäß § 6 VersammlungsG iVm Art 11 Abs 2 EMRK seien Versammlungen zu untersagen, deren Abhaltung die öffentliche Sicherheit oder das öffentliche Wohl gefährde. Bei der Interessenabwägung seien einerseits das im öffentlichen Interesse gelegene Ziel der beabsichtigten Versammlung und anderseits die Schutzgüter der Aufrechterhaltung der Ordnung und des Schutzes der Rechte und Freiheiten anderer abzuwägen. Zwar gebe die Behörde vor, eine Interessenabwägung durchgeführt zu haben, aus der Begründung sei jedoch ableitbar, dass die Behörde davon ausgehe, dass Demonstrationen auf einer Autobahn, insbesondere in einem Ballungsraum wie Salzburg, ausgeschlossen seien.

Die Behörde übersehe jedoch die Entscheidung des Gerichtshofes der Europäischen Union vom , Rs. C-112/00. Dieser gehe davon aus, dass die Abhaltung einer Versammlung auf einer Autobahn im Rahmen der Grundfreiheit des Rechtes auf freie Meinungsäußerung grundsätzlich als möglich angesehen werde. Überdies fänden Blockaden bzw. Demonstrationen auf der Autobahn immer wieder statt, um auf berechtigte Anliegen hinzuweisen. Die Abhaltung einer Versammlung auf der Autobahn sei als zulässiges Mittel anzusehen, um auf die negativen Auswirkungen des Autoverkehrs, insbesondere in Bezug auf Schadstoffe und Lärm hinzuweisen.

3.5. Die vom Landesverwaltungsgericht vertretene Rechtansicht, dass eine Versammlung auf einer Autobahn nicht zulässig sei bzw. dass die Güterabwägung im Ergebnis immer zu einer Untersagung führe, sei daher mit dem Recht auf freie Meinungsäußerung und Versammlungsfreiheit nicht in Einklang zu bringen (vgl. die Entscheidung des Hessischen Verfassungsgerichtshofes vom , Az. 6B 1629/08, wonach eine Demonstration für eine nachhaltige Verkehrspolitik auf der Autobahn zulässig sei und nur verboten werden dürfe, wenn die Rechtsgüterabwägung eine nicht hinzunehmende Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung ergebe). Bei der Durchführung der Abwägung sei auch zu beachten, dass der Veranstalter den Ort, den Zeitpunkt und die Art der Versammlung selbst bestimmen dürfe; für die Wahl des Versammlungsortes müsse im Hinblick auf die Auswirkungen auf die anderen Rechtsgüter ein sachlicher Grund bestehen.

Das Landesverwaltungsgericht Salzburg legte die Verwaltungsakten vor, nahm von der Erstattung einer Gegenschrift Abstand und beantragte die Abweisung der Beschwerde sowie "der Beschwerdeführerin gemäß §§27, 88 VfGG den Ersatz anfallender Prozesskosten aufzuerlegen".

II. Rechtslage

Die maßgeblichen Bestimmungen des Versammlungsgesetzes 1953, BGBl 98, idF BGBl I 161/2013, lauten wie folgt:

"§2. (1) Wer eine Volksversammlung oder überhaupt eine allgemein zugängliche Versammlung ohne Beschränkung auf geladene Gäste veranstalten will, muß dies wenigstens 24 Stunden vor der beabsichtigten Abhaltung unter Angabe des Zweckes, des Ortes und der Zeit der Versammlung der Behörde (§16) schriftlich anzeigen. Die Anzeige muß spätestens 24 Stunden vor dem Zeitpunkt der beabsichtigten Versammlung bei der Behörde einlangen.

(2) Die Behörde hat auf Verlangen über die Anzeige sofort eine Bescheinigung zu erteilen. Die Anzeige unterliegt keiner Stempelgebühr.

[…]

§6. Versammlungen, deren Zweck den Strafgesetzen zuwiderläuft oder deren Abhaltung die öffentliche Sicherheit oder das öffentliche Wohl gefährdet, sind von der Behörde zu untersagen.

[…]

§18. Über Beschwerden gegen Bescheide nach diesem Bundesgesetz entscheidet das Landesverwaltungsgericht.

[…]

§21. [(1) – (4)]

(5) §§18 und 19a in der Fassung des Bundesgesetzes BGBl I Nr 161/2013 treten mit in Kraft."

III. Erwägungen

Die – zulässige – Beschwerde ist nicht begründet.

1. Bedenken gegen die den angefochtenen Erkenntnissen zugrunde liegenden Rechtsvorschriften wurden nicht vorgebracht und sind – aus der Sicht des Beschwerdefalles – nicht entstanden (vgl. zB VfSlg 17.259/2004, 17.261/2004).

2. Art 11 Abs 1 EMRK gewährleistet allen Menschen das Recht, sich friedlich zu versammeln und sich frei mit anderen zusammenzuschließen.

3. Die Schranken für die Ausübung der Versammlungsfreiheit werden von Art 11 Abs 2 EMRK so gezogen, dass nur vom Gesetz vorgesehene Einschränkungen zulässig sind, die im Interesse der nationalen und öffentlichen Sicherheit, der Aufrechterhaltung der Ordnung und der Verbrechensverhütung, des Schutzes der Gesundheit und der Moral oder des Schutzes der Rechte und Freiheiten anderer notwendig sind.

4. Ein Eingriff in das durch Art 11 EMRK verfassungsgesetzlich garantierte – unter Gesetzesvorbehalt stehende – Recht ist dann verfassungswidrig, wenn die ihn verfügende Entscheidung ohne Rechtsgrundlage ergangen ist, auf einer dem Art 11 EMRK widersprechenden Rechtsvorschrift beruht oder wenn bei Erlassung der Entscheidung eine verfassungsrechtlich unbedenkliche Rechtsgrundlage in denkunmöglicher Weise angewendet wurde; ein solcher Fall liegt vor, wenn die Entscheidung mit einem so schweren Fehler belastet ist, dass dieser mit Gesetzlosigkeit auf eine Stufe zu stellen wäre, oder wenn der angewendeten Rechtsvorschrift fälschlicherweise ein verfassungswidriger, insbesondere ein dem Art 11 Abs 1 EMRK widersprechender und durch Art 11 Abs 2 EMRK nicht gedeckter Inhalt unterstellt wurde (vgl. zuletzt VfSlg 19.818/2013 mwN zur Rechtsprechung zu Art 8 EMRK).

5. § 6 VersammlungsG sieht vor, dass Versammlungen, deren Zweck den Strafgesetzen zuwiderläuft oder deren Abhaltung die öffentliche Sicherheit oder das öffentliche Wohl gefährdet, von der Behörde zu untersagen sind. Für die Auflösung der Versammlung selbst und mehr noch für eine auf § 6 VersammlungsG gestützte Untersagung im Vorfeld des Stattfindens einer Versammlung ist (ebenso wie bei der Frage, ob eine Versammlung im Sinne von Art 11 EMRK vorliegt) eine strengere Kontrolle geboten. Diese Maßnahmen beeinträchtigen die Freiheit der Versammlung in besonders gravierender Weise und berühren den Kernbereich des Grundrechts. Sie sind daher nur zulässig, wenn sie zur Erreichung der in Art 11 Abs 2 EMRK genannten Ziele zwingend notwendig sind, sodass die Untersagung einer Versammlung stets nur ultima ratio sein kann (vgl. VfSlg 19.741/2013; ).

6. Das Verwaltungsgericht hat die Entscheidungen, mit denen die angezeigte Versammlung untersagt wurde, auf § 6 VersammlungsG gestützt. Diese Bestimmung ist angesichts des materiellen Gesetzesvorbehalts in Art 11 Abs 2 EMRK im Einklang mit dieser im Verfassungsrang stehenden Bestimmung zu interpretieren.

Dabei hatte das Landesverwaltungsgericht bei seiner Entscheidung die Interessen des Veranstalters an der Abhaltung der Versammlung in der geplanten Form gegen die in Art 11 Abs 2 EMRK aufgezählten Interessen am Unterbleiben der Versammlung abzuwägen. Diese Entscheidung ist eine Prognoseentscheidung, die das Landesverwaltungsgericht auf Grundlage der von ihm festzustellenden, objektiv erfassbaren Umstände in sorgfältiger Abwägung zwischen dem Schutz der Versammlungsfreiheit und den von der Behörde wahrzunehmenden öffentlichen Interessen zu treffen hat (vgl. ).

7. Die angefochtenen Erkenntnisse werden damit begründet, dass die Abhaltung der angezeigten Versammlung das öffentliche Wohl und die öffentliche Sicherheit und Ordnung gefährden und dass in die Rechte einer großen Anzahl von Personen (die an diesem Tag mit ihren Fahrzeugen die öffentlichen Straßen möglichst ungehindert benützen möchten) in unzumutbarer Weise eingegriffen würde. Das Landesverwaltungsgericht nimmt auf Grund von Ermittlungen an, dass die zu befürchtende unvermeidbare, weiträumige, mehrstündige extreme Störung des Straßenverkehrs schwerwiegende Belästigungen und sicherheitsgefährdende Beeinträchtigungen der Allgemeinheit (zahlreicher unbeteiligter Personen) erwarten lasse, sodass auch bei voller Berücksichtigung des Zieles der angezeigten Versammlung die Interessenabwägung zu Ungunsten des Versammlungsanzeigers ausfalle. Bei einer Totalsperre beider Richtungsfahrbahnen der Westautobahn müsse von einem Verkehrskollaps im Stadtbereich ausgegangen werden.

8. Den Ausführungen des Landesverwaltungsgerichts kann aus dem Blickwinkel des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Grundrechts auf Versammlungsfreiheit (siehe oben 5.) nicht entgegengetreten werden; sie sind im Hinblick auf die besondere Funktion des Versammlungsortes und unter geografischen Gesichtspunkten mit diesem Grundrecht vereinbar.

Das Landesverwaltungsgericht hat – angesichts der geografischen und verkehrsbedingten Sondersituation – auch eine nicht zu beanstandende Interessenabwägung vorgenommen. Die im Art 11 Abs 2 EMRK erwähnten Schutzgüter der Aufrechterhaltung der Ordnung und des Schutzes der Rechte und Freiheiten anderer erforderten unter den geschilderten Umständen die Untersagung der beabsichtigten Versammlung. Die Durchführung der angezeigten Versammlung (die einen zweimaligen Wechsel der Richtungsfahrbahn vorgesehen hatte) hätte Sperren der Autobahn A1 in beiden Richtungen erforderlich gemacht. Ausgehend davon kann der Behörde und dem Verwaltungsgericht nicht entgegengetreten werden, wenn sie von einer unvermeidbaren, weiträumigen, über die Dauer der Versammlung selbst zeitlich wesentlich hinausgehenden, extremen Störung des Straßenverkehrs auf einer Schlüsselverbindung sowohl im innerösterreichischen überregionalen Ost-West-Verkehr, als auch im europäischen Transitverkehr, als auch im regionalen und städtischen Verkehr der viertgrößten Stadt Österreichs derart gravierende Beeinträchtigungen und in der Folge auch sicherheitsgefährdende Beeinträchtigungen zahlreicher unbeteiligter Personen erwartete, dass auch bei voller Berücksichtigung des – ohne Zweifel im öffentlichen Interesse gelegenen – Zieles der beabsichtigten Versammlung die gebotene Interessenabwägung im Einklang mit § 6 VersammlungsG zu Ungunsten der Versammlungsveranstalter ausfallen durfte (vgl. in diesem Sinne das gleichfalls die beabsichtigte Abhaltung einer auf der Autobahn geplanten und deren Sperre bedingenden Versammlung betreffende Erkenntnis VfSlg 12.155/1989).

Ein gegenüber der Untersagung gelinderes Mittel zum Schutz der genannten Rechtsgüter kam nicht in Betracht. Das Landesverwaltungsgericht war ebenso wenig wie die Versammlungsbehörde berechtigt, von sich aus die Versammlungsanzeige zu ändern, zu modifizieren oder zu konkretisieren. Behörde und Verwaltungsgericht hatten die Versammlung – wie sie angezeigt wurde – entweder zur Gänze zu untersagen oder zur Gänze nicht zu untersagen. Wenn das Landesverwaltungsgericht der Auffassung war, dass auch nur eine der Modalitäten der beabsichtigten Versammlung (hier etwa der Kundgebungsort) derart sei, dass eines der im Art 11 Abs 2 EMRK aufgezählten Schutzgüter gefährdet würde, hatte es die Versammlung zu untersagen; hätte es die Untersagung unterlassen, so wäre die Versammlung in der angezeigten Form erlaubt gewesen.

9. Zusammenfassend ist festzuhalten, dass der beschwerdeführende Verein durch die angefochtenen Erkenntnisse nicht im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Versammlungsfreiheit verletzt wurde.

IV. Ergebnis

1. Die behauptete Verletzung verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte hat sohin nicht stattgefunden.

2. Das Verfahren hat auch nicht ergeben, dass der beschwerdeführende Verein in von ihm nicht geltend gemachten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten verletzt wurde. Angesichts der Unbedenklichkeit der angewendeten Rechtsgrundlagen ist es auch ausgeschlossen, dass er in seinen Rechten wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm verletzt wurde.

1. Die Beschwerde ist daher abzuweisen.

2. Diese Entscheidung konnte gemäß § 19 Abs 4 erster Satz VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

3. Dem Begehren des Landesverwaltungsgerichtes Salzburg auf Zuspruch von Kosten ist schon deshalb nicht zu entsprechen, weil der Ersatz der Kosten im Sinne der ständigen Spruchpraxis des Verfassungsgerichtshofes (zu der bis geltenden Rechtslage) auch dem Landesverwaltungsgericht zur Verteidigung der eigenen Entscheidung nicht zukommt (vgl. VfSlg 10.003/1984, 16.156/2001, 17.195/2004 und 18.062/2007).

European Case Law Identifier

ECLI:AT:VFGH:2015:E968.2014