TEL.: +43 1 246 30-801  |  E-MAIL: support@lindeverlag.at
Suchen Hilfe
VfGH vom 12.12.2016, E952/2016

VfGH vom 12.12.2016, E952/2016

Leitsatz

Keine Verletzung verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte durch Verhängung einer Verwaltungsstrafe wegen einer Geschwindigkeitsüberschreitung; vertretbare Annahme der Verletzung der Mitwirkungspflicht des Beschwerdeführers; keine Bestrafung wegen Nichtbeantwortung einer Lenkeranfrage

Spruch

I. Der Beschwerdeführer ist durch das angefochtene Erkenntnis weder in einem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht noch wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm in seinen Rechten verletzt worden.

II. Die Beschwerde wird abgewiesen.

Begründung

Entscheidungsgründe

I. Sachverhalt, Beschwerde und Vorverfahren

1. Mit Strafverfügung der Bezirkshauptmannschaft Wiener Neustadt vom wurde über den Beschwerdeführer eine Geldstrafe in der Höhe von € 50,– verhängt, weil er am an einem näher bestimmten Ort als Fahrzeuglenker die erlaubte Höchstgeschwindigkeit um 15 km/h überschritten habe. Am erhob der Beschwerdeführer Einspruch gegen diese Strafverfügung.

2. Mit Schreiben vom ersuchte die Bezirkshauptmannschaft Wiener Neustadt den Beschwerdeführer gemäß § 103 Abs 2 Kraftfahrgesetz 1967,

BGBl 267/1967 idF BGBl I 43/2013 (im Folgenden: KFG), als Zulassungsbesitzer Auskunft darüber zu erteilen, wer das Fahrzeug zur Tatzeit und am Tatort gelenkt habe. Der Beschwerdeführer erteilte am folgende Auskunft:

"Dem Auskunftsverlangen wird nur mit Vorbehalt (sehe in diesem Auskunftsverlangen unter Strafandrohung eine erhebliche Rechtsverletzung) nachgekommen.

Zur angeführten Zeit, aber nicht am angeführten Ort, habe ich [Name und Adresse des Beschwerdeführers] das ggst. Kfz [Kennzeichen] in Besitz gehabt."

3. Am erging das Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft Wiener Neustadt, mit dem über den Beschwerdeführer eine Geldstrafe und Kosten in der Höhe von insgesamt € 60,– verhängt wurden, weil der Beschwerdeführer am an einem näher bestimmten Ort als Fahrzeuglenker die erlaubte Höchstgeschwindigkeit um 15 km/h überschritten habe.

4. Der dagegen erhobenen Beschwerde wurde mit Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichtes Niederösterreich vom keine Folge gegeben und das Straferkenntnis vollinhaltlich bestätigt. Begründend führte das Landesverwaltungsgericht Niederösterreich aus, dass dem Vorbringen des Beschwerdeführers, er habe sein Auto zu verkaufen versucht und es verschiedenen Personen zur Probefahrt überlassen, wobei eine dieser Personen die Geschwindigkeitsüberschreitung begangen haben müsse, entgegen zu halten sei, dass es am Beschwerdeführer gelegen sei, Name und Adresse der Kaufinteressenten vorzulegen. Es sei nämlich anzunehmen, dass jemand, der sein Fahrzeug einer ihm unbekannten Person zu einer Probefahrt übergibt, sich auch die entsprechenden persönlichen Daten notiere. Weiters führte das Landesverwaltungsgericht Niederösterreich aus, dass auf Grund des vom Beschwerdeführer erhobenen Einspruches keinesfalls erwiesen gewesen sei, dass er tatsächlich das Fahrzeug gelenkt habe, sodass lediglich ein rein hypothetischer Zusammenhang zwischen der Verpflichtung des Halters, den Lenker seines Fahrzeuges preiszugeben, und einem möglichen Strafverfahren wegen einer Geschwindigkeitsüberschreitung gegen ihn bestanden habe. Es sei daher die Aufforderung zur Erteilung der Lenkerauskunft durch die Bezirkshauptmannschaft Wiener Neustadt mit Art 6 EMRK vereinbar gewesen.

5. Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende auf Art 144 B VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein faires Verfahren gemäß Art 6 EMRK geltend gemacht wird. Begründend wird vorgebracht, dass die Aufforderung zur Erteilung der Lenkerauskunft gemäß § 103 Abs 2 KFG nicht ergehen hätte dürfen und das Ergebnis dieser Lenkerauskunft im Verfahren nicht verwertet hätte werden dürfen, weil der Beschwerdeführer zum Zeitpunkt der Lenkeranfrage im Verwaltungsstrafverfahren wegen der Geschwindigkeitsüberschreitung bereits als Beschuldigter geführt worden sei. Insofern sei der Zusammenhang zwischen der Verpflichtung des Halters, den Lenker des Fahrzeuges preiszugeben, und dem Strafverfahren wegen der Geschwindigkeitsüberschreitung kein bloß hypothetischer.

6. Das Landesverwaltungsgericht Niederösterreich legte die Gerichts- und Verwaltungsakten vor, erstattete jedoch keine Gegenschrift.

II. Rechtslage

Die im vorliegenden Fall maßgebliche Rechtslage stellt sich wie folgt dar:

§103 KFG, BGBl 267/1967 idF BGBl I 43/2013, lautet:

" § 103. Pflichten des Zulassungsbesitzers eines Kraftfahrzeuges oder Anhängers

(1) […]

(2) Die Behörde kann Auskünfte darüber verlangen, wer zu einem bestimmten Zeitpunkt ein nach dem Kennzeichen bestimmtes Kraftfahrzeug gelenkt oder einen nach dem Kennzeichen bestimmten Anhänger verwendet hat bzw. zuletzt vor einem bestimmten Zeitpunkt an einem bestimmten Ort abgestellt hat. Diese Auskünfte, welche den Namen und die Anschrift der betreffenden Person enthalten müssen, hat der Zulassungsbesitzer – im Falle von Probe- oder von Überstellungsfahrten der Besitzer der Bewilligung – zu erteilen; kann er diese Auskunft nicht erteilen, so hat er die Person zu benennen, die die Auskunft erteilen kann, diese trifft dann die Auskunftspflicht; die Angaben des Auskunftspflichtigen entbinden die Behörde nicht, diese Angaben zu überprüfen, wenn dies nach den Umständen des Falles geboten erscheint. Die Auskunft ist unverzüglich, im Falle einer schriftlichen Aufforderung binnen zwei Wochen nach Zustellung zu erteilen; wenn eine solche Auskunft ohne entsprechende Aufzeichnungen nicht gegeben werden könnte, sind diese Aufzeichnungen zu führen. (Verfassungsbestimmung) Gegenüber der Befugnis der Behörde, derartige Auskünfte zu verlangen, treten Rechte auf Auskunftsverweigerung zurück.

(3) – (9) […]"

III. Erwägungen

1. Die – zulässige – Beschwerde ist nicht begründet.

2. Bedenken gegen die dem angefochtenen Erkenntnis zugrunde liegenden Rechtsvorschriften wurden weder in der Beschwerde vorgebracht noch sind solche beim Verfassungsgerichtshof aus Anlass dieses Beschwerdefalles entstanden.

Der Beschwerdeführer ist daher durch das angefochtene Erkenntnis nicht in Rechten wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm verletzt.

3. Der Beschwerdeführer macht eine Verletzung im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein faires Verfahren gemäß Art 6 EMRK geltend, weil eine Lenkeranfrage ergangen sei, obwohl der Beschwerdeführer bereits als Beschuldigter im zugrunde liegenden Verfahren wegen einer Geschwindigkeitsüberschreitung geführt, und das Ergebnis der Lenkeranfrage auch im Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichtes Niederösterreich verwertet worden sei.

3.1. Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass im vorliegenden Fall – anders als im Fall Weh , EGMR , Appl. 38544/97 – keine Bestrafung wegen Nichtbeantwortung der Lenkeranfrage erfolgte, sondern wegen einer Geschwindigkeitsüberschreitung. In diesem Verwaltungsstrafverfahren trifft den Beschwerdeführer als Zulassungsbesitzer eine Mitwirkungspflicht, da von einem Zulassungsbesitzer, der das Fahrzeug nicht selbst gelenkt hat, erwartet werden kann, dass er konkret darlegen kann, dass er als Lenker ausscheidet (, und die darauf aufbauende Judikatur). Im Rahmen dieser Mitwirkungspflicht reichen allgemein gehaltene Behauptungen oder bloßes Leugnen nicht für die Glaubhaftmachung eines Umstandes aus (). Die Mitwirkungspflicht erfordert, dass der Beschuldigte seine Verantwortung nicht darauf beschränken kann, die ihm zur Kenntnis gelangten Erhebungsergebnisse für unrichtig zu erklären. Ausweichende Antworten dürfen auch dahingehend gewürdigt werden, dass der Beschwerdeführer die ihm obliegende Mitwirkungspflicht verletzt und die ihm zur Last gelegte Tat begangen hat ().

Der Beschwerdeführer hat in der mündlichen Verhandlung vorgebracht, dass nicht er selbst das Fahrzeug gelenkt habe, sondern ein Kaufinteressent, dem er das Fahrzeug zur Probefahrt überlassen habe. Da der Beschwerdeführer Name und Anschrift des Kaufinteressenten aber nicht vorgelegt und somit nicht glaubhaft gemacht hat, dass er als Lenker tatsächlich ausscheidet, ist dem Landesverwaltungsgericht Niederösterreich kein in die Verfassungssphäre reichender Fehler vorzuwerfen, wenn es das Vorbringen des Beschwerdeführers als Schutzbehauptung wertet und von der Verletzung der Mitwirkungspflicht des Beschwerdeführers ausgeht.

3.2. Anders als in der Rechtssache Krumpholz , EGMR , Appl. 13201/05, wurde im vorliegenden Fall eine mündliche Verhandlung durchgeführt. Das Landesverwaltungsgericht Niederösterreich stützt seine Entscheidung auf die als nicht glaubwürdig erachtete Verantwortung des Beschwerdeführers in der mündlichen Verhandlung. Dem ist aus Sicht des Verfassungsgerichtshofes nicht entgegenzutreten.

IV. Ergebnis

1. Die behauptete Verletzung im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht gemäß Art 6 EMRK hat sohin nicht stattgefunden.

Das Verfahren hat auch nicht ergeben, dass der Beschwerdeführer in von ihm nicht geltend gemachten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten verletzt wurde.

2. Die Beschwerde ist daher abzuweisen.

3. Diese Entscheidung konnte gemäß § 19 Abs 4 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

European Case Law Identifier

ECLI:AT:VFGH:2016:E952.2016