OGH vom 11.09.2007, 10ObS83/07i

OGH vom 11.09.2007, 10ObS83/07i

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Schinko als Vorsitzenden sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Fellinger und Hon. Prof. Dr. Neumayr als weitere Richter (Senat nach § 11a Abs 3 ASGG) in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Merve G*****, vertreten durch Dr. Paul Delazer, Rechtsanwalt in Innsbruck, gegen die beklagte Partei Tiroler Gebietskrankenkasse, Klara Pölt-Weg 2, 6020 Innsbruck, wegen Kinderbetreuungsgeld, infolge Revision des Bundes, vertreten durch die Finanzprokuratur, gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Innsbruck als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom , GZ 25 Rs 24/07a-22, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Landesgerichtes Innsbruck als Arbeits- und Sozialgericht vom , GZ 47 Cgs 178/06i-16, mit einer Maßgabe bestätigt wurde, den Beschluss

gefasst:

Spruch

Die Revision des Bundes wird zurückgewiesen.

Der Bund ist schuldig, der klagenden Partei die mit EUR 333,12 (darin EUR 55,52 Umsatzsteuer) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung zu ersetzen.

Text

Begründung:

Die Klägerin, eine Staatsangehörige der Türkei, hat am ihre Tochter A***** geboren. Am hat sie in Innsbruck die Ehe mit dem Vater des Kindes, Ibrahim G*****, einem österreichischen Staatsbürger, geschlossen. Seit bezieht sie für ihr Kind Kinderbetreuungsgeld von der Tiroler Gebietskrankenkasse. Mit Bescheid vom , Vers-Nr *****, hat die Tiroler Gebietskrankenkasse den Antrag der Klägerin vom auf Zuerkennung von Kinderbetreuungsgeld abgelehnt (strittig ist allein der Zeitraum von bis ).

Aufgrund der am bei der Tiroler Gebietskrankenkasse eingebrachten Klage gegen den ablehnenden Bescheid hat das Erstgericht die Tiroler Gebietskrankenkasse schuldig erkannt, der Klägerin das Kinderbetreuungsgeld in der gesetzlichen Höhe für den Zeitraum von bis zu gewähren. Das Berufungsgericht gab der Berufung der Tiroler Gebietskrankenkasse nicht Folge und bestätigte das Ersturteil mit der Maßgabe, dass es im Spruch die Höhe des Kinderbetreuungsgeldes mit EUR 14,53 täglich konkretisierte.

Das Berufungsurteil wurde (einer Angestellten) der Tiroler Gebietskrankenkasse am zugestellt.

Am langte beim Erstgericht eine am zur Post gegebene, von der Finanzprokuratur verfasste „Revision der beklagten Partei" ein, in der als beklagte Partei angeführt ist: „Tiroler Gebietskrankenkasse, 6020 Innsbruck, richtig: Der Bund, vertreten durch: Finanzprokuratur ....". Eingangs der Revisionsschrift wird erklärt, dass die „Prokuratur namens der beklagten Partei" Revision an den Obersten Gerichtshof erhebt; zur „Legitimation des Einschreitens der Finanzprokuratur namens der beklagten Partei" wird Folgendes ausgeführt:

„Gemäß § 24 Abs 2 Kinderbetreuungsgeldgesetz (KBGG) haben die Krankenversicherungsträger die im Abs 1 genannten Angelegenheiten im übertragenen Wirkungsbereich (gemeint: für den Bund, also die Republik Österreich) zu vollziehen. Das Kinderbetreuungsgeld ist im Unterschied zur Sozialversicherungsleistung 'Karenzgeld' als Versorgungsleistung (Familienleistung) konzipiert und wird aus Mitteln des Familienlastenausgleichsfonds (FLAF) gespeist. Das Kinderbetreuungsgeld wird von den Sozialversicherungsträgern administriert, die für die Krankenversicherung der jeweils anspruchsberechtigten Personen zuständig sind (§ 24 KBGG). Das Bundesministerium für Gesundheit, Familie und Jugend hat im Bereich des Kinderbetreuungsgeldes Aufsichts- und Weisungsrechte gegenüber den Krankenversicherungsträgern, weiters wird nicht nur der Aufwand für das Kinderbetreuungsgeld aus dem FLAF gezahlt, sondern auch den Krankenversicherungsträgern die Verwaltungskosten für den Vollzug des Kinderbetreuungsgeldes ersetzt.

Gemäß § 2 Abs 1 ProkG ist daher die beklagte Partei im Revisionsverfahren ausschließlich von der Prokuratur zu vertreten."

Inhaltlich wird beantragt, der Revision im klagsabweisenden Sinn Folge zu geben.

Die klagende Partei beantragt in ihrer Revisionsbeantwortung, die Revision zurückzuweisen, weil nicht der Bund, sondern die Tiroler Gebietskrankenkasse beklagte Partei sei. Die Finanzprokuratur könne sich nicht auf § 2 Abs 1 ProkG berufen und habe keine gesetzliche Vollmacht zur Vertretung. In eventu wird beantragt, die Revision abzuweisen.

Rechtliche Beurteilung

Hiezu wurde erwogen:

1. Als Sozialrechtssachen gelten nach § 65 Abs 1 Z 8 ASGG idF BGBl I 2001/103 ua „Ansprüche ... auf Kinderbetreuungsgeld ... nach dem Kinderbetreuungsgeldgesetz, BGBl. I Nr. 103/2001."

1.1. Die Erhebung einer zulässigen Klage in einer Sozialrechtssache hat zur Folge, dass die ausschließliche Zuständigkeit zur Entscheidung auf das Gericht übergeht (10 ObS 307/02y = SSV-NF 16/119). Der Sozialversicherungsträger, der bis dahin als Verwaltungsbehörde aufgetreten ist, wird damit Verfahrenspartei (vgl etwa § 85 Abs 1,§ 87 Abs 3 ASGG;10 ObS 177/93 = SSV-NF 7/116; Fink,

Die sukzessive Zuständigkeit im Verfahren in Sozialrechtssachen [1995] 414). Eine andere Lösung ist nur in einigen Landespflegegeldgesetzen vorgesehen, wonach nicht die Verwaltungsbehörde, sondern der Pflegegeldträger (das Land) Partei des gerichtlichen Verfahrens wird (zB § 19 Abs 2 WPGG).

1.2. Beklagte Partei ist daher im vorliegenden Fall die Tiroler Gebietskrankenkasse, nicht der nach dem Inhalt der Revisionsschrift nunmehr einschreitende Bund.

2. Ungeachtet des Umstands, dass die Krankenversicherungsträger die in § 24 Abs 1 KBGG genannten Angelegenheiten im übertragenen Wirkungsbereich zu vollziehen haben (§ 24 Abs 2 KBGG) und der Ausgleichsfonds für Familienbeihilfen die finanziellen Aufwendungen zu tragen hat (§ 38 Abs 1 KBGG), ist der Bund auch nicht (ex lege) berechtigt, für die beklagte Partei, nämlich die Tiroler Gebietskrankenkasse einzuschreiten. Diese ist nach § 32 Abs 1 ASVG Körperschaft des öffentlichen Rechts und besitzt eigene Rechtspersönlichkeit.

3. § 1 Abs 3 ProkG räumt der Finanzprokuratur auch keine allgemeine Kontrollbefugnis (RIS-Justiz RS0006709) oder Rechtsmittelbefugnis in Verfahren ein, an denen sie zuvor nicht beteiligt war (2 Ob 170/50 = SZ 23/72).

4. Da die Finanzprokuratur nach dem Inhalt der Revisionsschrift für den Bund einschreitet und dieser nicht Verfahrenspartei ist (siehe 1.), ist die Revision zurückzuweisen. Ein Verbesserungsauftrag kommt bei der vorliegenden Konstellation nicht in Betracht. Der Bund hat demgemäß der klagenden Partei, die auf die fehlende Parteistellung hingewiesen hat, die Kosten der Revisionsbeantwortung zu ersetzen (§§ 41, 50 Abs 1 ZPO).