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VfGH vom 01.12.2009, b62/09

VfGH vom 01.12.2009, b62/09

Sammlungsnummer

18922

Leitsatz

Verletzung im Eigentumsrecht durch Verhängung einer Geldstrafe über einen Fahrzeuglenker wegen Nichteinhaltung des Sicherheitsabstandes zum vor ihm fahrenden Fahrzeug mangels Rechtsgrundlage für die der Bestrafung zu Grunde liegende Abstandsmessung; keine gesetzliche Ermächtigung im Sinne des Datenschutzgesetzes für den Einsatz eines videogestützten Geschwindigkeits- und Abstandsmessgerätes

Spruch

Der Beschwerdeführer ist durch den angefochtenen Bescheid im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Unversehrtheit des Eigentums verletzt worden.

Der Bescheid wird aufgehoben.

Das Land Oberösterreich ist schuldig, dem Beschwerdeführer zuhanden seines Rechtsvertreters die mit € 2.620,- bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu bezahlen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1.1. Mit Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft Gmunden

vom wurde über den Beschwerdeführer gemäß §§99 Abs 2c Z 4 und 18 Abs 1 Straßenverkehrsordnung (im Folgenden: StVO), eine Geldstrafe in Höhe von € 250,- (135 Stunden Ersatzfreiheitsstrafe) und Verfahrenskosten in der Höhe von € 25,- verhängt. Der Beschwerdeführer habe auf einem näher bezeichneten Abschnitt der Autobahn A 1 als Lenker eines Fahrzeuges zu einem vor ihm am gleichen Fahrstreifen fahrenden Fahrzeug nicht einen solchen Abstand eingehalten, dass ein rechtzeitiges Anhalten möglich gewesen wäre. Die Sachverhaltsfeststellungen zum eingehaltenen Abstand wurden auf das geeichte Messsystem "VKS 3.0 - VIDIT - A 11" gestützt.

1.2. Der dagegen erhobenen Berufung wurde - nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung - mit Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates des Landes Oberösterreich vom mit der Maßgabe, dass die verhängte Geldstrafe auf € 200,- (Ersatzfreiheitsstrafe 80 Stunden) herabgesetzt wird, keine Folge gegeben. Weiters wurden die Kosten für das Verfahren vor der Behörde 1. Instanz auf € 20,- herabgesetzt und ausgesprochen, dass für das Berufungsverfahren keine Kosten zu entrichten sind.

1.3. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, auf Art 144 B-VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung in den verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten auf Unversehrtheit des Eigentums und auf Datenschutz sowie auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz behauptet wird.

2. Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet, in der sie dem Beschwerdevorbringen entgegentritt und die Abweisung der Beschwerde beantragt.

II. Der Verfassungsgerichtshof hat über die - zulässige - Beschwerde erwogen:

1. Mit dem angefochtenen Bescheid wurde über den Beschwerdeführer eine Geldstrafe in Höhe von € 200,- (zuzüglich Verfahrenskosten) verhängt. Der Bescheid greift in das verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht des Beschwerdeführers auf Unversehrtheit des Eigentums ein.

1.1. Dieser Eingriff wäre nach ständiger Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (zB VfSlg. 13.587/1993 mwN, 15.364/1998, 15.768/2000, 16.113/2001, 16.430/2002) dann verfassungswidrig, wenn der ihn verfügende Bescheid ohne jede Rechtsgrundlage ergangen wäre oder auf einer verfassungswidrigen Rechtsgrundlage beruhte, oder wenn die Behörde bei Erlassung des Bescheides eine verfassungsrechtlich unbedenkliche Rechtsgrundlage in denkunmöglicher Weise angewendet hätte, ein Fall, der nur dann vorläge, wenn die Behörde einen so schweren Fehler begangen hätte, dass dieser mit Gesetzlosigkeit auf eine Stufe zu stellen wäre.

1.2. Die dem angefochtenen Bescheid zugrunde liegende Verwaltungsübertretung wurden mit Hilfe eines videogestützten Geschwindigkeits- und Abstandsmessgerätes ("VKS 3.0 - VIDIT - A 11") festgestellt.

Im bekämpften Bescheid werden der Vorgang der Geschwindigkeits- und Abstandsmessung und die Funktionsweise des Messgerätes wie folgt beschrieben:

"... Es habe sich um eine stationäre Messung gehandelt, es

seien drei Stück Kameras auf einer Brücke aufgestellt gewesen. Bei diesen drei Kameras habe es sich um eine Tatbildkamera sowie um zwei Lenkerkameras gehandelt. Das Verkehrsgeschehen werde auf Video aufgenommen und in der Folge ausgewertet. Im konkreten Fall sei die

Auswertung erst nachträglich vorgenommen worden. ... Sämtliche

Kameras seien oben auf der Brücke installiert, die beiden Lenkerkameras seien steil nach unten gerichtet, die Tatbildkamera sei so eingestellt, dass man einen Überblick über das gesamte Verkehrsgeschehen habe. Die drei Kameras würden synchron laufen. Es würden von sämtlichen Fahrzeugen, die aufgenommen werden, auch die Kennzeichen gefilmt werden."

1.3. Mit dem im vorliegenden Fall eingesetzten videogestützten Geschwindigkeits- und Abstandsmessgerät werden Videoaufnahmen all jener Fahrzeuge gemacht, die im Zeitpunkt der Messung den betreffenden Fahrbahnabschnitt passieren, wobei - von den zwei weiteren Kameras - die Fahrzeugkategorie und auch etwaige Aufschriften auf den Fahrzeugen (zB die Namen natürlicher oder juristischer Personen, Markenzeichen usw.) und insbesondere auch das Kennzeichen der Fahrzeuge aufgenommen werden. Darüber hinaus kann nicht ausgeschlossen werden, dass die Fahrzeuginsassen (je nach Qualität der Kameras und der Einstellwinkel) erkennbar sind. Die Abstands- und Geschwindigkeitsmessung mit dem videogestützten Geschwindigkeits- und Abstandsmessgerät basiert sohin auf der Ermittlung und Speicherung personenbezogener Daten. Es werden dabei zunächst die Daten aller Verkehrsteilnehmer gespeichert, unabhängig davon, ob eine Verwaltungsübertretung vorliegt oder nicht.

1.4. Für die Anforderungen an die gesetzliche Grundlage von Eingriffen in das Recht auf Unversehrtheit des Eigentums, die sich auf die Verwendung personenbezogener Daten stützen, gelten die Bedingungen des § 1 Abs 2 DSG 2000 sinngemäß. Nach der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes ist die Ermittlung und Verwendung personenbezogener Daten durch Eingriffe einer staatlichen Behörde wegen des Gesetzesvorbehalts des § 1 Abs 2 DSG 2000 nur auf Grund von Gesetzen zulässig, die aus den in Art 8 Abs 2 EMRK genannten Gründen notwendig sind und ausreichend präzise, also für jedermann vorhersehbar regeln müssen, unter welchen Voraussetzungen die Ermittlung bzw. die Verwendung personenbezogener Daten für die Wahrnehmung konkreter Verwaltungsaufgaben zulässig ist (vgl. VfSlg. 16.369/2001). Der jeweilige Gesetzgeber muss somit nach § 1 Abs 2 DSG 2000 eine materienspezifische Regelung in dem Sinn vorsehen, dass die Fälle zulässiger Eingriffe in das Grundrecht auf Datenschutz konkretisiert und begrenzt werden.

1.5. Weder die StVO noch das Verwaltungsstrafgesetz oder auch das Kraftfahrgesetz enthalten jedoch eine ausdrückliche gesetzliche Ermächtigung im Sinne des § 1 Abs 2 DSG 2000 zum Einsatz entsprechender videogestützter Geschwindigkeits- und Abstandsmesssysteme. § 100 Abs 5b StVO regelt allein den Einsatz automatischer Geschwindigkeitsmesssysteme für die Feststellung der Überschreitung einer ziffernmäßig festgesetzten Höchstgeschwindigkeit. In § 134 Abs 3 KFG ist lediglich allgemein davon die Rede, dass Geschwindigkeitsübertretungen "mit Messgeräten" festgestellt werden können. Daneben lässt sich auch aus den Regelungen der StVO betreffend die Zuständigkeit und die Aufgaben der Straßenpolizeibehörden ("Überwachung der Einhaltung straßenpolizeilicher Vorschriften", vgl. insb. § 94b Abs 1 lita StVO) in Verbindung mit den allgemeinen Grundsätzen über die Verwendung von Daten aus dem 2. Abschnitt des DSG 2000 (s. insb. §§6, 7, 8 DSG 2000) keine Ermächtigung zum Einsatz eines solchen videogestützten Geschwindigkeits- und Abstandsmesssystems ableiten.

Der Verfassungsgerichtshof stellte in seinem Erkenntnis VfSlg. 18.146/2007 fest, dass sich aus den Regelungen der StVO betreffend Zuständigkeiten und Aufgaben der Straßenpolizeibehörden, sowie aus den im 2. Abschnitt des DSG 2000 enthaltenen allgemeinen Grundsätzen über die Verwendung von Daten lediglich die "näheren Grenzen der rechtlichen Ermächtigung" zur Ermittlung und Verwendung personenbezogener Daten im Rahmen eines automatischen Geschwindigkeitsmesssystems ergeben können. Diese können daher eine fehlende gesetzliche Ermächtigung im Sinne des § 1 Abs 2 DSG 2000 nicht ersetzen.

1.6. Das Erfordernis einer - über das DSG 2000 hinausgehenden - gesetzlichen Ermächtigung für die Datenanwendung wird durch die Verfassungsbestimmung des § 61 Abs 4 DSG 2000 bestätigt, wonach Datenanwendungen, "die für die in § 17 Abs 3 genannten Zwecke notwendig sind", bis auch ohne eine dem § 1 Abs 2 DSG 2000 entsprechende Rechtsgrundlage erfolgen konnten. Diese Bestimmung wäre überflüssig, würden bereits die Bestimmungen des DSG 2000 für sich genommen (allenfalls in Verbindung mit materiengesetzlichen Zuständigkeitsvorschriften) eine ausreichende gesetzliche Grundlage im Sinne des § 1 Abs 2 DSG 2000 bilden.

Beim Einsatz des videogestützten Geschwindigkeits- und Abstandsmessgerätes zum Zweck der Verkehrsüberwachung handelt es sich aber auch um keinen Anwendungsfall der Verfassungsbestimmung des § 61 Abs 4 DSG 2000. Die Übergangsregelung bezieht sich u.a. auf jene

Datenanwendungen, die "für Zwecke ... der Vorbeugung, Verhinderung

oder Verfolgung von Straftaten" von der Meldepflicht ausgenommen sind (§17 Abs 3 Z 5 DSG 2000), "soweit dies zur Verwirklichung des Zweckes der Datenanwendung notwendig ist." Nach den Erläuterungen zu § 17 Abs 3 DSG 2000 sollten nur jene Datenanwendungen ausgenommen werden, bei welchen die Nichtmeldung auf Grund der konkreten Zweckbestimmung der einzelnen Datenanwendung notwendig ist. Daraus erhellt, dass mit "Straftaten" Taten, die durch das Strafrecht im Sinne des Art 10 Abs 1 Z 6 B-VG mit Strafe bedroht sind, nicht aber Verwaltungsübertretungen gemeint sein können.

1.7. Da die Abstandsmessung, die die Grundlage für die Bestrafung des Beschwerdeführers bildete, sohin ohne gesetzliche Grundlage im Sinne des § 1 Abs 2 DSG 2000 durchgeführt worden ist, entbehrt der angefochtene Bescheid insofern ebenfalls der Rechtsgrundlage (vgl. ).

2. Der angefochtene Bescheid war daher schon wegen Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf Unversehrtheit des Eigentums aufzuheben, ohne dass auf das weitere Beschwerdevorbringen einzugehen war.

3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in der Höhe von € 400,- sowie eine Eingabengebühr gemäß § 17a VfGG in der Höhe von € 220,-

enthalten.

4. Diese Entscheidung konnte gemäß § 19 Abs 4 erster Satz VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.