OGH vom 25.04.1995, 10ObS82/95

OGH vom 25.04.1995, 10ObS82/95

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Kropfitsch als Vorsitzenden, die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Mag.Engelmaier und Dr.Bauer als weitere Richter und die fachkundigen Laienrichter aus dem Kreis der Arbeitgeber Dr.Raimund Kabelka und Dr.Wolfgang Dorner in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Kadhim A*****, ohne Beschäftigung, ***** vertreten durch Dr.Robert Steiner, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei Sozialversicherungsanstalt der gewerblichen Wirtschaft, 1051 Wien, Wiedner Hauptstraße 84-86, wegen Feststellung der Erwerbsunfähigkeit infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgerichtes in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom , GZ 34 Rs 138/94-30, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Arbeits- und Sozialgerichtes Wien vom , GZ 2 Cgs 81/93b-22, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Der Kläger hat die Kosten seines Rechtsmittels selbst zu tragen.

Text

Entscheidungsgründe:

Mit Bescheid vom stellte die Beklagte auf Antrag des

Klägers vom gemäß § 133a GSVG fest, daß

Erwerbsunfähigkeit nach § 133 (Abs 1) leg cit nicht vorliege.

Dieser Bescheid ist durch die innerhalb der Frist von drei Monaten ab

seiner Zustellung (§ 67 Abs 2 ASGG) erhobene Klage zur Gänze

außer Kraft getreten (§ 71 Abs 1 leg cit). Deren Begehren

richtet sich auf die Feststellung der Erwerbsunfähigkeit des Klägers

iS des § 133 GSVG. Diese liege vor, weil der Kläger aus

gesundheitlichen Gründen auch leichte Arbeiten im Sitzen nicht mehr leisten und daher keinem regelmäßigen Erwerb nachgehen könne.

Die Beklagte beantragte die Abweisung des Klagebegehrens; sie bestritt, daß der Kläger dauernd erwerbsunfähig sei.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab.

Es stellte ua fest, daß der (am geborene) Kläger seit als selbständiger Tabaktrafikant erwerbstätig ist. Er kann seit der Antragstellung leichte körperliche und alle seiner Ausbildung entsprechenden geistigen Arbeiten im nach Bedarf von kurzzeitigen Lageänderungen unterbrochenem Sitzen verrichten. Dieser Lagewechsel muß nicht häufiger als alle ein bis zwei Stunden vorgenommen werden und sollte etwa zwei Minuten dauern. Es ist aber auch kurzzeitiges Arbeiten im Stehen und Gehen bis zu zehn Minuten mit anschließendem etwa fünfzehn Minuten dauernden Sitzen möglich. Der Kläger kann bis zu 5 kg schwere Lasten heben und tragen, die Arme bis zur Schulterhöhe heben und bis zu diesem Niveau auch arbeiten und sich mehrmals während einer Stunde bücken. Er ist ständigem durchschnittlichem Zeitdruck gewachsen und kann den Arbeitsplatz unter städtischen Bedingungen erreichen. Diese Leistungsfähigkeit reicht für die Tätigkeit eines (selbständigen) Tabaktrafikanten aus. Eine Tabaktrafik kann so organisiert werden, daß sich die Zigaretten im Griffbereich des sitzenden Trafikanten befinden. Zeitungen befinden sich meist auf einem Ständer und können von den Kunden selbst genommen werden.

Da der Kläger seiner bisherigen Tätigkeit als Tabaktrafikant weiterhin nachgehen könne, gelte er nicht als erwerbsunfähig iS des § 133 GSVG.

Das Berufungsgericht gab der Berufung des Klägers nicht Folge.

Es verneinte die behauptete Mangelhaftigkeit des erstgerichtlichen Verfahrens und hatte auch gegen die bekämpften Tatsachenfeststellungen keine Bedenken. Die rechtliche Beurteilung sei richtig: Ob der Kläger erwerbsunfähig ist, sei bis nach § 133 Abs 1 GSVG, ab nach Abs 2 leg cit idF der 19. GSVGNov zu beurteilen. Diese Frage sei zu verneinen, weil der Kläger bis auf den allgemeinen Arbeitsmarkt verwiesen werden konnte und seither seiner zuletzt ausgeübten selbständigen Erwerbstätigkeit als Tabaktrafikant nachgehen könne.

In der Revision macht der Kläger Mangelhaftigkeit des Verfahrens und unrichtige rechtliche Beurteilung geltend; er beantragt, das angefochtene Urteil im klagestattgebenden Sinn abzuändern oder es allenfalls aufzuheben.

Die Beklagte erstattete keine Revisionsbeantwortung.

Die Revision wurde zwar nicht binnen vier Wochen von der Zustellung des Berufungserkenntnisses an den für das Berufungsverfahren und das weitere Verfahren beigegebenen Rechtsanwalt Dr.Manfred R***** erhoben. Da der die Verfahrenshilfe genießende Kläger jedoch innerhalb der Revisionsfrist (offenbar irrtümlich) neuerlich die Beigebung eines Rechtsanwaltes beantragte, begann für ihn die Revisionsfrist nach dem gemäß § 505 Abs 2 ZPO sinngemäß anzuwendenden § 464 Abs 3 leg cit dennoch erst mit der Zustellung des Bescheides über den zweiten Antrag auf Beistellung eines Rechtsanwaltes und einer schriftlichen Ausfertigung an diesen (SSV-NF 5/32 unter Ablehnung der älteren gegenteiligen Rsp). Deshalb ist die Revision rechtzeitig. Sie ist auch nach § 46 Abs 3 ASGG in der gemäß Art X § 2 Z 7 ASGG-Nov 1994 BGBl 624 hier noch anzuwendenden Fassung BGBl 1989/343 bei Fehlen der Voraussetzungen des Abs 1 des § 46 ASGG zulässig. Ein Verfahren zur Feststellung der Erwerbsunfähigkeit, in dem diese besondere Voraussetzung des Anspruches auf die wiederkehrende Leistung einer Erwerbsunfähigkeitspension bindend festgestellt wird, ist den "Verfahren über wiederkehrende Leistungen" zuzurechnen (SSV-NF 5/114 und 138).

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist jedoch nicht berechtigt.

Die geltend gemachte Mangelhaftigkeit (§ 503 Z 2 ZPO) liegt nicht vor

(§ 510 Abs 3 leg cit). Ob die schon in der Berufung berhaupteten und

vom Berufungsgericht behandelten Mängel des Verfahrens erster Instanz

vom Gericht zweiter Instanz zutreffend verneint wurden, ist vom

Revisionsgericht nicht zu prüfen (stRsp zB SSV-NF 7/74 mwN).

Die rechtliche Beurteilung des festgestellten Sachverhaltes durch das

Berufungsgericht ist richtig (§ 48 ASGG).

Der Kläger hat das 50.Lebensjahr vollendet. Wenn man unterstellt, daß seine persönliche Arbeitsleistung zur Aufrechterhaltung seines Betriebes (Tabaktrafik) notwendig war, dann ist die Frage seiner Erwerbsunfähigkeit seit auch nach § 133 Abs 2 GSVG idF der

19. GSVGNov BGBl 1993/336 zu prüfen. Nach dieser Gesetzesstelle würde der Kläger als erwerbsunfähig geltend, wenn er infolge von Krankheit oder anderen Gebrechen oder Schwäche seiner körperlichen oder geistigen Kräfte dauernd außerstande wäre, einer selbständigen Erwerbstätigkeit nachzugehen, die eine ähnliche Ausbildung sowie gleichwertige Kenntnisse und Fähigkeiten erfordert wie die von ihm zuletzt durch mindestens 60 Kalendermonate ausgeübte (selbständige) Erwerbstätigkeit als Tabaktrafikant. Dies ist jedoch nach den Feststellungen nicht der Fall, weil er weiterhin als Tabaktrafikant tätig sein könnte. Daß es einem Tabaktrafikanten durchaus zumutbar ist, das Heben und Tragen von für ihn zu schweren Lasten (zB von Zeitungspaketen) durch einfache Organisationsmaßnahmen, etwa die Teilung solcher Pakete, zu vermeiden, hat der erkennende Senat schon in der E SSV-NF 2/70 ausgesprochen.

Insoweit der Revisionswerber nicht davon ausgeht, daß seine körperlichen und geistigen Kräfte für eine weitere Erwerbstätigkeit als Tabaktrafikant ausreichen, ist die Rechtsrüge nicht gesetzgemäß ausgeführt.

Da der Kläger nicht als erwerbsunfähig iS des § 133 Abs 2 GSVG gilt, kann er auch nicht als erwerbsunfähig iS des Abs 1 dieser Gesetzesstelle gelten.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 77 Abs 1 Z 2 lit b ASGG.