OGH vom 07.11.2017, 14Os86/17d
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat am durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Philipp als Vorsitzenden, die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Mag. Hetlinger, die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Nordmeyer und Dr. Oshidari sowie die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Dr. Mann in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Wetter als Schriftführer in der Strafsache gegen Adrian R***** wegen der Verbrechen der Schlepperei nach § 114 Abs 1, Abs 3 Z 1 und Abs 4 erster Fall FPG über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichts Wiener Neustadt als Schöffengericht vom , GZ 37 Hv 63/17x-40, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.
Zur Entscheidung über die Berufung werden die Akten dem Oberlandesgericht Wien zugeleitet.
Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.
Text
Gründe:
Mit dem angefochtenen Urteil wurde Adrian R***** „des“ Verbrechens der Schlepperei nach § 114 Abs 1, Abs 3 Z 1 und Abs 4 erster Fall FPG schuldig erkannt.
Danach hat er in A***** und an anderen Orten des Bundesgebiets als Mitglied einer kriminellen Vereinigung gewerbsmäßig und mit dem Vorsatz, sich oder einen Dritten durch ein dafür geleistetes Entgelt unrechtmäßig zu bereichern, die rechtswidrige Ein- und Durchreise von Fremden, die über keine gültigen Reisedokumente für die Einreise in einen oder den Aufenthalt in einem Mitgliedstaat der Europäischen Union verfügten, gefördert, indem er entsprechende „Schlepperfahrten“ organisierte, den abgesondert verfolgten SorinGabriel H***** als Fahrer der Schlepperfahrzeuge anheuerte und ihn beauftragte, die Fremden von Ungarn durch Österreich nach Deutschland zu befördern, teilweise (zu Punkt 2) gemeinsam mit einem weiteren Mitglied der Vereinigung bei Aufnahme der Fremden in die Fahrzeuge die Tankrechnungen bezahlte und den Schlepperlohn kassierte, und zwar
1) am in Bezug auf drei Flüchtlinge nicht mehr festzustellender Nationalität und
2) am in Bezug auf neun syrische Flüchtlinge.
Rechtliche Beurteilung
Die dagegen (nominell) aus § 281 Abs 1 „Z 4, Z 9 sowie Z 10“ StPO erhobene Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten ist nicht im Recht.
Entgegen dem Einwand der Verfahrensrüge (Z 4) wurden durch die Abweisung des Antrags auf „unmittelbare Vernehmung des Zeugen SorinGabriel H*****“ (ON 33 S 8)– selbst unter der Prämisse, dass das Begehren (entgegen seinem Wortlaut) auf eine Befragung im Rechtshilfeweg (allenfalls unter Verwendung technischer Einrichtungen zur Wort- und Bildübertragung) abzielte (vgl aber 13 Os 135/11v) – Verteidigungsrechte nicht verletzt. Abgesehen davon, dass der zuletzt in Rumänien aufhältige Zeuge (ON 29) schon einer Ladung zur Hauptverhandlung vor dem erkennenden Gericht trotz Kenntnis vom Termin nicht Folge geleistet hatte (siehe den zu ON 1 S 16 angeschlossenen internationalen Rückschein und den Kanzleivermerk vom ; ON 1 S 19; vgl auch RIS-Justiz RS0075230), ging das Erstgericht nämlich auf Basis der Mitteilungen der Richterin des Appelationsgerichts Cluj/Rumänien anlässlich der in der Hauptverhandlung am erfolglos versuchten Vernehmung nach § 247a Abs 2 StPO (ON 39 S 2) mit Recht von der Undurchführbarkeit (§ 55 Abs 2 dritter Fall StPO) der Beweisaufnahme aus. Weshalb der Genannte trotz danach unbekannten Aufenthalts (in England) und bloß unregelmäßiger, zeitlich nicht eingrenzbarer Rückkehr an seinen früheren Wohnsitz dennoch in absehbarer Zeit geladen werden könnte, ließ der Antrag nicht erkennen (Ratz, WKStPO § 281 Rz 339, 344; RIS-Justiz RS0120363).
Die leugnende Verantwortung des Beschwerdeführers wurde dem weiteren Beschwerdestandpunkt (Z 5 zweiter Fall) zuwider ausführlich erörtert und dargetan, aus welchen Gründen die Tatrichter dieser keine Glaubwürdigkeit zubilligten (US 6 ff). Welche weiteren, den – zufolge dessen nach dem Vorgesagten unbekannten Aufenthalts rechtsrichtig gemäß § 252 Abs 1 Z 1 StPO verlesenen (RISJustiz
RS0108361; Kirchbacher, WK-StPO § 252 Rz 61) – belastenden Angaben des SorinGabriel H***** „entgegenstehenden Verfahrensergebnisse … gänzlich unberücksichtigt“ gelassen wurden, erklärt die Rüge nicht und entzieht sich daher insoweit einer inhaltlichen Erwiderung.
Entgegen dem Einwand offenbar unzureichender Begründung (Z 5 vierter Fall) der Feststellungen zur Absicht des Angeklagten, sich durch die wiederkehrende Begehung von Schlepperei zumindest für mehrere Monate ein nicht bloß geringfügiges, bei einer jährlichen Durchschnittsbetrachtung monatlich mehr als 400 Euro betragendes fortlaufendes Einkommen zu verschaffen, entspricht deren Ableitung aus den (sonstigen) unregelmäßigen Einkünften des Beschwerdeführers und dem äußeren Täterverhalten, konkret der Förderung der rechtswidrigen Ein- und Durchreise von insgesamt elf Fremden nach und durch Österreich gegen ein Entgelt von 450 bis 500 Euro pro Person innerhalb von nur zwei Tagen und dem dabei intendierten hohen Profit (US 5, 9), sowohl den Gesetzen logischen Denkens als auch grundlegenden Erfahrungssätzen und
ist daher unter dem Aspekt der Begründungstauglichkeit nicht zu beanstanden (RIS-Justiz RS0116882).
Dass der Täter tatsächlich einen Erlös in der angestrebten Höhe erzielt, ist keine Voraussetzung für die Annahme von Gewerbsmäßigkeit (RIS-Justiz RS0086627 [insbes T 4]). Diesbezüglich relevierte Begründungsdefizite bilden daher keinen (zulässigen) Anfechtungsgegenstand der Mängelrüge (RIS-Justiz RS0117499).
Die Rechtsrüge (Z 9 lit a) vermisst – erkennbar auch in Bezug auf den (Grund)Tatbestand des § 114 Abs 1 FPG – Feststellungen „zur Bereicherung“, zufolge unterbliebener Gegenüberstellung des „eingehobenen Entgelts“ und der „Höhe des angemessenen Fuhrlohns“. Die damit aufgestellte Rechtsbehauptung, Strafbarkeit wegen Schlepperei setze tatsächlich eingetretene Bereicherung– zumal des Täters selbst (vgl § 114 FPG: „sich oder einen Dritten“) – voraus, entbehrt einer methodengerechten Ableitung aus dem Gesetz (RISJustiz
RS0130267 [T2], RS0116565; vgl im Übrigen die Urteilsannahmen, nach denen alleine SorinGabriel H***** ausschließlich für seine Tätigkeit als Fahrer der Schlepperfahrzeuge ein Entgelt von 300 Euro pro Fahrt erhielt; US 5).
Die Subsumtionsrüge (Z 10) wurde
nicht ausgeführt (§ 285a Z 2 StPO).
Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher bei der nichtöffentlichen Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO).
Daraus folgt die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts zur Entscheidung über die Berufung (§ 285i StPO).
Bleibt anzumerken, dass das Erstgericht offenbar (unzulässig [RISJustiz RS0088953]) verschiedene Fassungen des § 114 FPG, nämlich hinsichtlich der Qualifikation des Abs 3 Z 2 jene des BGBl I 2013/144, im Übrigen – wie sich aus den zur Gewerbsmäßigkeit getroffenen Feststellungen und den rechtlichen Ausführungen (US 5 f, 9 f) ergibt – die im Urteilszeitpunkt geltende anwendete.
Nach Maßgabe des § 70
Abs 1 Z 3 erster Fall StGB idF BGBl I 2015/112 kann die Qualifikation nach § 114 Abs 3 Z 1 FPG aber nicht – wie die Tatrichter ersichtlich vermeinten (US 11) – bei hier vorliegender Begehung von insgesamt (nur) zwei Taten, sondern erst ab der dritten Tat vorliegen. Zu den in Abs 1 Z 1, 2 und 3 zweiter Fall der Bestimmung normierten weiteren Kriterien gewerbsmäßiger Tatbegehung enthält das Urteil keine Aussage, womit die Subsumtion des Täterverhaltens (auch) nach § 114 Abs 3 Z 1 FPG (idgF) rechtsirrig erfolgte.
Da § 70 StGB vor Inkrafttreten des StRÄG 2015 weniger strenge (hier nach den Feststellungen erfüllte) Voraussetzungen für die Annahme von Gewerbsmäßigkeit vorsah, war auf Basis des Urteilssachverhalts Tatzeitrecht nicht günstiger als die im Urteilszeitpunkt geltende Rechtslage, weshalb nach §
61 zweiter Satz
StGB diese (insgesamt) zur Anwendung hätte kommen müssen. Dass das konstatierte Täterverhalten – in beiden verfahrensgegenständlichen Fällen – auch die (demnach zu Unrecht nicht angenommene) Qualifikation des § 114 Abs 3 Z 2 FPG idgF erfüllt hätte, ändert daran – wie der Vollständigkeit halber anzumerken bleibt – zufolge der insoweit gleichen Strafdrohung nichts (vgl dazu
auch 11 Os 52/16f).
Ebenso verfehlt war die Annahme bloß eines Verbrechens der Schlepperei, weil nach den Feststellungen zwei – nicht im Rahmen einer tatbestandlichen Handlungseinheit begangene – einzelne Taten vorlagen (RISJustiz RS0130603).
Zu einer amtswegigen Wahrnehmung (§ 290 Abs 1 zweiter Satz erster Fall StPO) dieser ungerügt gebliebenen Subsumtionsfehler (§ 281 Abs 1 Z 10 StPO) sah sich der Oberste Gerichtshof nicht veranlasst, weil die beiden zuletzt angeführten dem Angeklagten zum Vorteil gereichen, während die verfehlte rechtliche Unterstellung des Täterverhaltens unter § 114 Abs 3 Z 1 FPG im Hinblick auf die gleichzeitig verwirklichte Qualifikation nach § 114 Abs 4 erster Fall FPG nicht den anzuwendenden Strafrahmen betrifft und allfällige Auswirkungen dieses bloßen Subsumtionsirrtums auf den Bestand von Strafzumessungsgründen in Erledigung der Berufung korrigierbar sind (RISJustiz RS0090885). Bei der Entscheidung über die Berufung besteht insoweit auch keine (dem Berufungswerber zum Nachteil gereichende) Bindung an den Ausspruch über das anzuwendende Strafgesetz nach § 295 Abs 1 erster Satz StPO (RISJustiz RS0118870).
Der Kostenausspruch beruht auf § 390a Abs 1 StPO.
Zusatzinformationen
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ECLI: | ECLI:AT:OGH0002:2017:0140OS00086.17D.1107.000 |
Schlagworte: | 3 Alle Os-Entscheidungen |
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