VfGH vom 14.10.1993, b60/93

VfGH vom 14.10.1993, b60/93

Sammlungsnummer

13586

Leitsatz

Verletzung der Erwerbsausübungsfreiheit durch Versagung der gewerberechtlichen Genehmigung für die Änderung einer Betriebsanlage zur Lagerung von Mineralölprodukten; denkunmögliche Ableitung eines gewerberechtlichen Standortverbotes aus baurechtlichen, landesgesetzlichen Vorschriften über die Lagerung von brennbaren Flüssigkeiten; Widerspruch zur verfassungsrechtlichen wechselseitigen Verpflichtung der Gebietskörperschaften zur Rücksichtnahme auf ihre Rechtsetzungsakte

Spruch

Die Beschwerdeführer sind durch die angefochtenen Bescheide im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Freiheit der Erwerbsbetätigung verletzt worden.

Die Bescheide werden aufgehoben.

Der Bund (Bundesminister für wirtschaftliche Angelegenheiten) ist schuldig, den Beschwerdeführern zu Handen ihrer Vertreter die mit jeweils S 15.000,- bestimmten Kosten des Verfahrens binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. In dem beim Verfassungsgerichtshof unter B282/92 protokollierten Verfahren wurde mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid des Bundesministers für wirtschaftliche Angelegenheiten vom , Z 311.667/2-III/3/91, ein Antrag der beschwerdeführenden Gesellschaft auf Genehmigung von oberirdischen Tankbehältern für Mineralölprodukte der Gefahrenklassen I-III gemäß der - vom Bundesminister für wirtschaftliche Angelegenheiten gemäß § 77 Abs 1 zweiter Satz GewO 1973 herangezogenen - Bestimmung des § 17 Abs 2

NÖ Mineralölordnung, LGBl. 8270-0, abgewiesen.

In dem beim Verfassungsgerichtshof unter B60/93 protokollierten Verfahren wurde mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid des Bundesministers für wirtschaftliche Angelegenheiten vom , Z 313.832/4-III/3/92, ein Antrag des Beschwerdeführers auf Abänderung seiner bestehenden gewerblichen Betriebsanlage durch Aufstellen mehrerer oberirdischer Lagerbehälter für Mineralölprodukte der Gefahrenklasse III gemäß der - vom Bundesminister für wirtschaftliche Angelegenheiten gemäß § 77 Abs 1 zweiter Satz GewO 1973 herangezogenen - Bestimmung des § 17 Abs 1

NÖ Mineralölordnung abgewiesen.

Gegen die genannten Bescheide richten sich die vorliegenden Beschwerden, in welchen sich die Beschwerdeführer in den verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz und auf Freiheit der Erwerbsbetätigung (B282/92) bzw. auf Unverletzlichkeit des Eigentums und Freiheit der Erwerbsausübung (B60/93) sowie wegen Anwendung rechtswidriger genereller Normen in ihren Rechten verletzt erachten und die Aufhebung der angefochtenen Bescheide, in eventu die Abtretung der Beschwerden an den Verwaltungsgerichtshof, beantragen.

2. Die beschwerdeführende Gesellschaft zu B282/92 begründet die behaupteten Rechtsverletzungen im wesentlichen damit, daß die belangte Behörde die - nach Meinung der beschwerdeführenden Gesellschaft kompetenzwidrige - NÖ Mineralölordnung anstelle der im wesentlichen den gleichen Regelungsbereich umfassenden, im Rang eines Bundesgesetzes stehenden Verordnung des Bundesministers für Handel und Verkehr und des Bundesministers für soziale Verwaltung vom betreffend grundsätzliche Bestimmungen über die Lagerung von brennbaren Flüssigkeiten in gewerblichen Betriebsanlagen, BGBl. 49/1930 (im folgenden: Mineralöllagerverordnung 1930), als Rechtsgrundlage des angefochtenen (abweisenden) Bescheides herangezogen hat, während dem Antrag der beschwerdeführenden Gesellschaft bei Heranziehung der Mineralöllagerverordnung 1930 stattzugeben gewesen wäre.

Die Mineralöllagerverordnung 1930 sei "ausdrücklich unter Berufung auf einschlägige Bestimmungen der Gewerbeordnung in damaliger Fassung (§§34a und 74a) erlassen" worden. Gemäß Art 10 Abs 1 Z 8 B-VG sei Gesetzgebung und Vollziehung in Angelegenheiten des Gewerbes und der Industrie Bundessache, womit ausschließlich der Bundesgesetzgeber zur Regelung der gegenständlichen Fragen zumindest im gewerblichen Bereich zuständig sei. Gemäß § 1 Abs 1 Mineralöllagerverordnung 1930 sei "ihr Zweck die Regelung der 'Einrichtung und Betriebsweise' von 'gewerblichen Betriebsanlagen, in denen brennbare Flüssigkeiten (§2) gelagert werden'".

Gemäß § 1 NÖ Mineralölordnung gelte dieses Landesgesetz "für alle Anlagen und Geräte zur Lagerung und Verwendung von brennbaren Flüssigkeiten einschließlich der Rohrleitungen zwischen Lagerbehältern und Abgabestellen oder Feuerungsanlagen ...". Ihr Geltungsbereich erstrecke sich daher ebenfalls auf Mineralöle. Es liege daher "offensichtlich ein positiver Kompetenzkonflikt puncto Gesetzgebung vor", den die salvatorische Klausel in § 1 Abs 3 NÖ Mineralölordnung nicht zu beseitigen geeignet sei.

Soweit Angelegenheiten des Gewerbes und der Industrie betroffen seien, habe "der Landesgesetzgeber damit eine Kompetenz in Anspruch genommen, die gemäß Art 10 Abs 1 Ziff. 8 B-VG dem Bundesgesetzgeber zukommt".

Der Beschwerdeführer zu B60/93 begründet die behaupteten Rechtsverletzungen im wesentlichen mit der - von ihm behaupteten - Verfassungswidrigkeit des § 17 NÖ Mineralölordnung, wonach "willkürliche Mengenangaben" als Höchstgrenzen für die Lagerung von Mineralölprodukten in bestimmten raumordnungsrechtlichen Widmungskategorien festgelegt seien. Die NÖ Mineralölordnung stehe überdies in Widerspruch zum Niederösterreichischen Raumordnungsgesetz, "weil allein auf die Menge der zu lagernden Flüssigkeit abgestellt wird und - dem grundsätzlichen Sicherungszweck öffentlicher Interessen entsprechend - keine konkret dem Schutz dienenden Auflagen enthalten sind". Im Sinne der Kompetenzverteilung stehe überdies "dem Landesgesetzgeber die Beurteilung und Regelung (Beschränkung) der Gewerbeausübung nicht zu".

Überdies beruhe der angefochtene Bescheid auf dem - nach Ansicht des Beschwerdeführers - in bezug auf seine Liegenschaft gesetzwidrigen Flächenwidmungsplan der Marktgemeinde Hohenau. Da die Liegenschaft seit dem Jahr 1961 als Betriebsgebiet genutzt werde, sei die Widmung als Wohngebiet gesetzwidrig, da sie "die objektiven und erkennbaren Gegebenheiten nicht berücksichtigte".

3. Der Bundesminister für wirtschaftliche Angelegenheiten beantragt in seinen Gegenschriften, die Beschwerden abzuweisen.

§ 77 Abs 1 zweiter Satz GewO 1973 normiere ein Verbot der Genehmigung einer Betriebsanlage für einen Standort, in dem das Errichten oder Betreiben der Betriebsanlage zum Zeitpunkt der Entscheidung über den Genehmigungsantrag durch Rechtsvorschriften verboten ist. Diese Bestimmung sei auch im Verfahren zur Genehmigung der Änderung einer Betriebsanlage (§81 leg.cit.) anzuwenden. Auf Grund dieser Bestimmung habe die Gewerbebehörde auch Rechtsvorschriften landesrechtlicher Herkunft zu berücksichtigen. Nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes seien auch die in der NÖ Mineralölordnung enthaltenen Beschränkungen Verbotsnormen im Sinne des § 77 Abs 1 zweiter Satz GewO 1973.

4. Das Bundeskanzleramt-Verfassungsdienst führt in seiner - über Einladung des Verfassungsgerichtshofes abgegebenen - Stellungnahme aus, daß gemäß § 77 GewO 1973, "der sowohl auf Bundes- als auch auf Landesvorschriften abstellt", die Anwendung des § 17 NÖ Mineralölordnung im Gewerberechtsverfahren zulässig sei.

Zur behaupteten Kompetenzwidrigkeit der NÖ Mineralölordnung führt das Bundeskanzleramt-Verfassungsdienst aus, daß hinsichtlich der Lagerung brennbarer Flüssigkeiten im Anwendungsbereich der Gewerbeordnung (betriebliche Lagerung) grundsätzlich eine Zuständigkeit des Bundesgesetzgebers vorliege. Diese Zuständigkeit verbiete dem Landesgesetzgeber allerdings nicht, "aus dem Gesichtspunkt seiner Zuständigkeiten ebenfalls Regelungen zu treffen (vgl. etwa VfSlg. Nr. 6262/1970, 'Baulärm')". Nach Ansicht des Bundeskanzleramtes-Verfassungsdienst sei die NÖ Mineralölordnung eine Regelung, die sich auf Zuständigkeiten des Landes gemäß Art 15 B-VG, nämlich im Bereich der Bau- und Feuerpolizei, stützt". Aus § 17 leg.cit. gehe "deutlich die Regelungsabsicht aus baurechtlichen und feuerpolizeilichen Gesichtspunkten hervor".

II. Der Verfassungsgerichtshof hat auf Grund der - zulässigen - Beschwerden erwogen:

1. Das verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht auf Freiheit der Erwerbsbetätigung wird mit Rücksicht auf den in Art 6 StGG enthaltenen Gesetzesvorbehalt verletzt, wenn einem Staatsbürger durch den Bescheid einer Verwaltungsbehörde der Antritt oder die Ausübung einer bestimmten Erwerbsbetätigung untersagt wird, ohne daß ein Gesetz die Behörde zu einem solchen die Erwerbstätigkeit einschränkenden Bescheid ermächtigt, oder wenn die Rechtsvorschrift, auf die sich der Bescheid stützt, verfassungswidrig oder gesetzwidrig ist, oder wenn die Behörde bei der Erlassung des Bescheides ein verfassungsmäßiges Gesetz oder eine gesetzmäßige Verordnung in denkunmöglicher Weise angewendet hat (z.B. VfSlg. 10413/1985).

Mit den angefochtenen Bescheiden wird den beschwerdeführenden Parteien die Ausübung ihrer Erwerbsbetätigung dadurch eingeschränkt, daß ihnen die beantragte Genehmigung der Änderung ihrer Betriebsanlage versagt wird. Die Bescheide greifen sohin in das den Beschwerdeführern durch Art 6 StGG verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht auf Freiheit ihrer Erwerbsbetätigung ein.

2. Die angefochtenen Bescheide verletzen die beschwerdeführenden Parteien aber auch in ihrem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Freiheit der Erwerbsbetätigung dadurch, daß damit das Gesetz (, gegen das jedenfalls im vorliegenden Verfahren keine verfassungsrechtlichen Bedenken entstanden sind,) auf denkunmögliche Weise angewendet wird:

a. Nach § 81 Abs 1 GewO 1973 bedarf die Änderung einer genehmigten Betriebsanlage einer Genehmigung im Sinne des § 77 GewO 1973, wenn es zur Wahrung der in § 74 Abs 2 leg.cit. umschriebenen Interessen erforderlich ist. Daraus folgt, daß auch im Falle einer einem Genehmigungsverfahren im Sinne des § 81 Abs 1 GewO 1973 zu unterziehenden Änderung einer gewerblichen Betriebsanlage von der Verwaltungsbehörde die Bestimmung des § 77 Abs 1 zweiter Satz GewO 1973 (in der Fassung der Gewerberechtsnovelle 1988, BGBl. 399) anzuwenden ist.

Beide Bescheide beruhen demnach auf § 77 Abs 1 zweiter Satz GewO 1973 in der Fassung der Gewerberechtsnovelle 1988, wonach eine "Betriebsanlage ... nicht für einen Standort genehmigt werden (darf), in dem das Errichten oder Betreiben der Betriebsanlage zum Zeitpunkt der Entscheidung über den Genehmigungsantrag durch Rechtsvorschriften verboten ist". (Daß diese Bestimmung durch die Gewerberechtsnovelle 1992, BGBl. 29/1993, beseitigt wurde, ist mit Rücksicht auf die Erlassung der angefochtenen Bescheide vor Inkrafttreten der Gewerberechtsnovelle 1992 für die vorliegenden Fälle unerheblich.)

Wie der Verfassungsgerichtshof (VfSlg. 12384/1990, dort allerdings zu der mit § 77 Abs 1 zweiter Satz GewO 1973 vergleichbaren Regelung des § 15 Z 1 GewO 1973; vgl. auch , S. 10) und der Verwaltungsgerichtshof (VwSlg. 13064 A/1989; , 89/04/0217; , 89/04/0229, 89/04/0261; , 90/04/0329) erkannt haben, hat die Gewerbebehörde kraft § 77 Abs 1 zweiter Satz GewO 1973 (idF vor der Gewerberechtsnovelle 1992) bezogen auf den für die beantragte Betriebsanlage in Betracht kommenden Standort zu prüfen, ob sich aus einer Rechtsvorschrift zum Zeitpunkt der Entscheidung über den Genehmigungsantrag ein Verbot des Errichtens oder Betreibens dieser Anlage ergibt. Handelt es sich dabei um Rechtsvorschriften, deren Vollzug verfassungsrechtlich einer anderen Autorität überlassen ist, so hat die Gewerbebehörde die betreffende, zum Tatbestandselement erhobene (fremde) Norm nicht im verfassungsrechtlichen Sinn zu vollziehen, sondern lediglich ihre vorläufige inhaltliche Beurteilung dem Vollzug der eigenen Norm zugrunde zu legen.

b. Zwar hat der Verwaltungsgerichtshof () § 16 Abs 1 der NÖ Mineralölordnung im Sinne des § 77 Abs 1 zweiter Satz GewO 1973 als Rechtsvorschrift herangezogen, aus der Standortverbote für gewerbliche Betriebsanlagen zu entnehmen seien. Gleichwohl verbietet sich die Ableitung eines derartigen gewerberechtlichen Standortverbotes jedenfalls aus dem (in den vorliegenden Beschwerdefällen von der Gewerbebehörde herangezogenen) § 17 Abs 1 und 2 NÖ Mineralölordnung schon wegen der verfassungsrechtlichen Kompetenzverteilung zwischen Bund und Ländern und der damit in Zusammenhang stehenden verfassungsrechtlichen Verpflichtung von Bund und Ländern, wechselseitig auf die von ihnen auf Grund ihrer Kompetenzen erlassenen Regelungen Rücksicht zu nehmen.

Wie aus § 1 der NÖ Mineralölordnung, also aus der Vorschrift über deren sachlichen Geltungsbereich hervorgeht, gilt dieses Landesgesetz "für alle Anlagen und Geräte zur Lagerung und Verwendung von brennbaren Flüssigkeiten ... sowie für Anlagen, welche brennbare Flüssigkeiten als Wärmeträger verwenden". § 1 Abs 4 NÖ Mineralölordnung, wonach die Bestimmungen der NÖ Bauordnung, LGBl. 8200, gelten, sofern in der NÖ Mineralölordnung keine abweichenden Vorschriften enthalten sind, macht ebenso wie der Motivenbericht zur NÖ Mineralölordnung (Amt der NÖ Landesregierung, ZII/2-850/42-1974, S. 1) deutlich, daß der Landesgesetzgeber die NÖ Mineralölordnung als "baurechtliche Materie" (wohl in Zusammenhang mit seiner Zuständigkeit zur Regelung des Feuerpolizeirechtes) gestützt auf Art 15 Abs 1 B-VG erlassen hat. Für den Umfang des sachlichen Geltungsbereichs der in der NÖ Mineralölordnung aufgestellten Verbote ist dabei auch insbesondere deren § 1 Abs 3 zu beachten, wonach durch dieses Gesetz "weder die Zuständigkeiten des Bundes noch jene Vorschriften berührt (werden), wonach für Anlagen gemäß Abs 1 eine andere Bewilligung zu erwirken ist". Ausdrücklich wird die Baubehörde durch § 1 Abs 3 zweiter Satz

NÖ Mineralölordnung vielmehr verpflichtet, "die von ihr zu wahrenden Interessen (nur) in jenem Umfang zur Grundlage von Auflagen und Bedingungen ihrer Entscheidungen zu machen, als dadurch nicht in die Interessen eingegriffen wird, welche von einer anderen zugleich zuständigen Behörde, insbesondere von der Gewerbebehörde, zu wahren sind".

Die zuletzt angeführte salvatorische Klausel erhält besonderes Gewicht angesichts des Umstandes, daß bereits zum Zeitpunkt der Erlassung der NÖ Mineralölordnung die - ursprünglich auf die Bestimmungen der §§34a und 74a der Gewerbeordnung 1859 gestützte - Mineralöllagerverordnung 1930 in Geltung stand. Diese Norm galt kraft § 33 Abs 2 Z 5 Arbeitnehmerschutzgesetz, BGBl. 234/1972, bis zu einer Neuregelung des betreffenden Gebietes durch eine auf Grund von Bestimmungen dieses Bundesgesetzes und der Gewerbeordnung erlassene Verordnung im bisherigen Umfang als Bundesgesetz. Den Bestimmungen der Mineralöllagerverordnung 1930 unterlagen nach deren § 1 Abs 1 hinsichtlich ihrer Einrichtung und Betriebsweise die einer gewerberechtlichen Genehmigung bedürftigen gewerblichen Betriebsanlagen, in denen brennbare Flüssigkeiten (§2) gelagert wurden. Eine Lagerung im Sinne dieser Verordnung lag auch vor, wenn brennbare Flüssigkeiten zum Zwecke der Verarbeitung, zu einer sonstigen Verwendung oder zum Verkauf vorrätig gehalten wurden (vgl. zum sachlichen Geltungsbereich der Mineralöllagerverordnung 1930 auch ). Die als Bundesgesetz geltende Mineralöllagerverordnung 1930 wurde mittlerweile von der Verordnung über brennbare Flüssigkeiten - VbF, BGBl. 240/1991 (in der Fassung BGBl. 354/1993), abgelöst, welche sich in ihrem hier relevanten Teil auf die §§69 Abs 1 sowie 82 Abs 1 der Gewerbeordnung 1973 in der Fassung der Gewerberechtsnovelle 1988, BGBl. 399, sowie auf § 24 Abs 1 bis 3 des Arbeitnehmerschutzgesetzes, BGBl. 234/1972, stützt.

Für die Lagerung von brennbaren Flüssigkeiten im Freien enthalten § 17 Abs 1 und 2 NÖ Mineralölordnung einerseits sowie nunmehr die §§72 ff der (gewerberechtlichen) Verordnung über brennbare Flüssigkeiten - VbF (vorher die §§16 ff der Mineralöllagerverordnung 1930) andererseits voneinander abweichende Vorschriften, die nicht kumulativ, sondern nur alternativ eingehalten werden können. So ist es insbesondere unmöglich, die Vorschreibung einer strikten Schutzzone von 20 m für Lagerhöfe in § 17 Abs 2 NÖ Mineralölordnung mit der durch § 88 Abs 1 der Verordnung über brennbare Flüssigkeiten - VbF gewerberechtlich angeordneten Vorkehrung einer entsprechend der Lagermenge brennbarer Flüssigkeiten linear steigenden Schutzzone sowie mit der in § 88 Abs 4 jener Verordnung bei besonderen Schutzvorkehrungen vorgesehenen Verringerung der Schutzzonenbreite im Einzelfall zu vereinbaren.

c. Wie der Verfassungsgerichtshof (in VfSlg. 10292/1984) bereits ausgesprochen hat, muß der den Bundesstaat konstituierenden Bundesverfassung unterstellt werden, die Grundlage einer harmonisierten Rechtsordnung zu sein, in der (allenfalls divergierende) Interessen von Bund und Ländern, auch soweit diese in Akten der Gesetzgebung ihren Niederschlag finden, aufeinander abgestimmt sind. Der rechtspolitische Gestaltungsfreiraum des Bundesgesetzgebers ist deshalb insoweit eingeschränkt, als es ihm verwehrt ist, Regelungen zu treffen, die sich als sachlich nicht gerechtfertigte Beeinträchtigung der Effektivität landesgesetzlicher Regelungen darstellen; dasselbe gilt auch umgekehrt im Verhältnis des Landesgesetzgebers zum Bundesgesetzgeber. Diese der Bundesverfassung innewohnende Rücksichtnahmepflicht verbietet sohin dem Gesetzgeber der einen Gebietskörperschaft, die vom Gesetzgeber der anderen Gebietskörperschaft wahrgenommenen Interessen zu negieren und dessen gesetzliche Regelungen damit zu unterlaufen. Diese Pflicht verhält ihn dazu, eine zu einem angemessenen Ausgleich führende Abwägung der eigenen Interessen mit jenen der anderen Gebietskörperschaft vorzunehmen und nur eine Regelung zu treffen, die zu einem solchen Interessenausgleich führt.

Im Sinne dieser verfassungsrechtlichen Rücksichtnahmepflicht ausgelegt, ist sohin die gesetzliche Beschränkung der Baubehörde auf "die von ihr zu wahrenden Interessen", verbunden mit dem Verbot des Eingriffs in die Interessen, "welche von einer anderen zugleich zuständigen Behörde, insbesondere von der Gewerbebehörde, zu wahren sind", in § 1 Abs 3

NÖ Mineralölordnung dahin zu verstehen, daß jedenfalls die hier relevanten, in den Abs 1 und 2 des § 17 der NÖ Mineralölordnung enthaltenen Vorschriften über die Lagerung von brennbaren Flüssigkeiten im Freien, - weil in den von der Gewerbebehörde wahrzunehmenden Interessenbereich eingreifend -, nicht als Rechtsvorschrift zu verstehen sind, durch die im Sinne des § 77 Abs 1 zweiter Satz GewO 1973 in der Fassung der Gewerberechtsnovelle 1988 das Errichten oder Betreiben einer gewerblichen Betriebsanlage verboten wird. Vielmehr sind die entsprechenden, für die Lagerung oder die Lagerung und Abfüllung brennbarer Flüssigkeiten in genehmigungspflichtigen gewerblichen Betriebsanlagen geltenden Vorschriften ausschließlich der Verordnung über brennbare Flüssigkeiten - VbF zu entnehmen.

Die Berücksichtigung des § 17 Abs 1 und 2 der NÖ Mineralölordnung kraft § 77 Abs 1 zweiter Satz GewO 1973 in der zitierten Fassung würde der verfassungsrechtlichen wechselseitigen Verpflichtung der Gebietskörperschaften zur Rücksichtnahme auf ihre Rechtssetzungsakte widersprechen. Die Anwendung der Abs 1 und 2 des § 17 NÖ Mineralölordnung im gewerberechtlichen Betriebsanlagenverfahren ist somit schlechtweg denkunmöglich (würde sie doch den Vollzug der dafür vorgesehenen gewerberechtlichen, auf § 69 Abs 1 und § 82 Abs 1 GewO 1973 sowie § 24 Abs 1 bis 3 Arbeitnehmerschutzgesetz, BGBl. 234/1972, gestützten Normen der Verordnung über brennbare Flüssigkeiten - VbF ausschließen).

d. Wegen dieser denkunmöglichen Anwendung des § 77 Abs 1 zweiter Satz GewO 1973 in der zitierten Fassung verletzte die belangte Behörde mit den vor dem Verfassungsgerichtshof angefochtenen Bescheiden die beschwerdeführenden Parteien in ihrem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Freiheit der Erwerbsbetätigung gemäß Art 6 StGG. Die Bescheide waren sohin aufzuheben.

III. Die Kostenentscheidung stützt sich auf § 88 VerfGG. In den Kosten ist Umsatzsteuer in der Höhe von jeweils S 2.500,-

enthalten.

IV. Diese Entscheidung konnte gemäß § 19 Abs 4 erster Satz VerfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.