OGH vom 27.02.2018, 9Ob3/18h
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Rekursgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr.
Hopf als Vorsitzenden sowie die Hofrätinnen und Hofräte des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr.
Dehn, Dr. Hargassner, Mag. Korn und Dr.
Stefula als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei R***** U*****, vertreten durch Dr. Hanspeter Feix, Rechtsanwalt in Innsbruck, gegen die beklagte Partei T***** GmbH, *****, vertreten durch Dr. Sabine Prantner, Rechtsanwältin in Innsbruck, wegen 103.200 EUR sA und Feststellung (Streitwert 2.500 EUR), über den Rekurs der klagenden Partei (Rekursinteresse: 62.900 EUR) gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Innsbruck als Berufungsgericht vom , GZ 3 R 30/17m-229, mit dem eine Stellungnahme der Klägerin zur Berufung ihres Verfahrenshelfers zurückgewiesen und das Urteil des Landesgerichts Innsbruck vom , GZ 40 Cg 9/09y-223, teilweise aufgehoben wurde, den
Beschluss
gefasst:
Spruch
I. Der Rekurs wird als absolut unzulässig zurückgewiesen.
II. Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 1.891,44 EUR (darin enthalten 315,24 EUR USt) bestimmten Kosten der Rekursbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Text
Begründung:
Zu I.:
Das Erstgericht gab der Klage im zweiten Rechtsgang zum Teil statt, zum Teil wies es sie ab.
Die Beklagte erhob gegen einen Teil des Klagszuspruchs mit einem auf Klagsabweisung gerichteten Abänderungsantrag Berufung.
Die Klägerin erhob, vertreten durch ihren Verfahrenshelfer, gegen den klagsabweisenden Teil des Ersturteils mit einem auf gänzliche Klagsstattgebung gerichteten Abänderungsantrag Berufung. Die (neunseitige) Berufung der Klägerin wurde im Elektronischen Rechtsverkehr gemeinsam mit einer von der Klägerin handschriftlich unterfertigten (25-seitigen) „Stellungnahme [der Klägerin] zur Vorlage an das Berufungsgericht“ eingebracht und dazu vom Verfahrenshelfer in Punkt 5. der Berufung erklärt, dass die Stellungnahme ein „integrierender Bestandteil der Berufung“ sei und er sie über ausdrücklichen Wunsch der Klägerin vorlege.
Das Berufungsgericht wies mit dem angefochtenen Beschluss „die Stellungnahme der Klägerin zur Berufung ihres Verfahrenshelfers“ zurück und gab beiden Berufungen dahin Folge, dass es das Ersturteil, insoweit es nicht in Rechtskraft erwachsen war, aufhob und die Rechtssache insoweit zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung an das Erstgericht zurückverwies. Die Zurückweisung der Stellungnahme begründete das Berufungsgericht im Wesentlichen mit einer Verletzung der absoluten Anwaltspflicht nach § 27 Abs 1 ZPO. Am Ende der Begründung des Beschlusses findet sich der Satz „Der Zurückweisungsbeschluss ist ein Beschluss im Berufungsverfahren iS des § 519 Abs 1 Z 1 ZPO“.
Gegen diese Entscheidung richtet sich der Rekurs der Klägerin mit dem Antrag, der Oberste Gerichtshof wolle den angefochtenen Beschluss ersatzlos aufheben, das Verfahren an das Berufungsgericht zurückverweisen und dem Berufungsgericht eine neuerliche Entscheidung über die Berufung der Klägerin unter Berücksichtigung der Ausführungen in der Stellungnahme der Klägerin zur Berufung auftragen. Eventualiter begehrt die Klägerin, den angefochtenen Beschluss aufzuheben „und das Verfahren an das Berufungsgericht zur neuerlichen Entscheidung über die Frage der Zulässigkeit bzw Zurückweisung der Stellungnahme zurück[zu]verweisen“.
Die Beklagte beantragt in ihrer Rekursbeantwortung die Zurückweisung des Rekurses als unzulässig, hilfsweise seine Abweisung.
Rechtliche Beurteilung
Der Rekurs der Klägerin ist absolut unzulässig.
I.1. Gegen einen im Berufungsverfahren ergehenden Beschluss des Berufungsgerichts ist nach § 519 Abs 1 Z 1 ZPO der Rekurs zulässig „soweit das Berufungsgericht die Klage oder die Berufung ohne Sachentscheidung aus formellen Gründen zurückgewiesen hat“.
Die Rekurswerberin stützt sich für die Zulässigkeit des Rekurses auf diese Bestimmung. Ihre Berufung sei zumindest zum Teil zurückgewiesen worden, weil die zurückgewiesene Stellungnahme integrierender Bestandteil derselben gewesen sei.
Der Senat hat hierzu erwogen:
I.2. § 519 ZPO beschränkt die Anfechtung von Beschlüssen des Berufungsgerichts auf grundsätzliche, unmittelbar das Rechtsschutzbegehren betreffende Entscheidungen (Fasching, Lehrbuch2 Rz 1979; vgl auch 1 Ob 188/97x). Durch die – allenfalls im Wege der Analogie heranzuziehende – Vorschrift des § 519 Abs 1 Z 1 ZPO wird für den Fall einer unberechtigten und abschließenden (definitiven) Verweigerung des Rechtsschutzes Abhilfe geschaffen (vgl RIS-Justiz RS0043869 [T2]; Böhm,
Vollrekurs zur Abwehr drohender Rechtsschutzverweigerung, ecolex 1992, 689 [689]; Zechner in Fasching/Konecny2§ 519 ZPO Rz 6 f; Rechberger/Simotta, Zivilprozessrecht9 Rz 1136). Bei § 519 Abs 1 Z 1 Fall 2 ZPO (Zurückweisung der Berufung) liegt die Rechtsschutzverweigerung darin, dass der berufungsgerichtliche Beschluss die Einleitung des Berufungsverfahrens und damit die Überprüfung der Sachentscheidung erster Instanz verweigert (Kodek/Mayr, Zivilprozessrecht3 Rz 1140; Rechberger/Simotta, Zivilprozessrecht9 Rz 1136).
I.3. Bei einer gänzlichen Zurückweisung der Berufung ist dies der Fall, wenn die Zurückweisung aus
formellen Gründen erfolgt, das heißt, wenn das Berufungsgericht seine Entscheidung auf §
471 Z 2 ZPO (die Berufung ist aus Sicht des Berufungsgerichts gesetzlich unzulässig oder nicht in der gesetzlichen Frist erhoben) oder § 471 Z 3 ZPO (die Berufungsschrift gibt aus Sicht des Berufungsgerichts das angefochtene Urteil nicht an oder enthält keinen oder keinen bestimmten Berufungsantrag oder führt die Berufungsgründe weder ausdrücklich noch durch deutliche Hinweisung einzeln an) gestützt hat (
4 Ob 557/95 =
RIS-Justiz
RS0043893 [T2]; E. Kodek in Rechberger, ZPO4§ 519 Rz 7; Rechberger/Simotta, Zivilprozessrecht9 Rz 1136).
I.4. Eine Berufung kann auch bloß teilweise zurückgewiesen worden sein, was dem Berufungswerber (argumento „soweit“) ebenso eröffnet, einen Rekurs nach § 519 Abs 1 Z 1 ZPO zu erheben (siehe Petrasch, Der Weg zum Obersten Gerichtshof nach der Erweiterten Wertgrenzen-Novelle 1989, ÖJZ 1989, 743 [748, 750]). Für die Frage, ob eine Berufung teilweise zurückgewiesen wurde, kommt es darauf an, ob das Berufungsgericht in Hinsicht auf die Erklärung, inwieweit das Urteil angefochten wird (§ 467 Z 3 ZPO), oder in Hinsicht auf den Berufungsantrag (§ 467 Z 3 ZPO – nur Aufhebungsantrag oder auch Abänderungsantrag) die Behandlung des Rechtsschutzbegehrens abgelehnt hat (vgl 1 Ob 823/81 = RZ 1982/42; 7 Ob 109/04m = RIS-Justiz RS0043893 [T6]; Kodek in Rechberger4§ 519 ZPO Rz 7). Es kommt hingegen nicht darauf an, ob das Berufungsgericht alle Berufungsgründe im Sinne des § 467 Z 3 ZPO erledigt hat:
Behandelt das Berufungsgericht die Berufung inhaltlich, wenngleich unter Negierung einzelner Berufungsgründe (Ausführungen in der Berufung) unvollständig, etwa weil es irrig die Voraussetzungen des § 501 ZPO bejaht, so kann dies nicht mit Rekurs nach § 519 Abs 1 Z 1 ZPO bekämpft werden (vgl 7 Ob 20/03x =
RIS-Justiz
RS0043893 [T5]; Kodek in Rechberger4§ 519 ZPO Rz 15).
I.5. Hier hat das Berufungsgericht weder in Bezug auf die (ohnehin bereits vom Verfahrenshelfer weitest möglich gefasste) Anfechtungserklärung noch den (ebenso von ihm bereits weitest möglich gefassten) Berufungsantrag eine Behandlung der Berufung abgelehnt. Selbst wenn man mit der Rekurswerberin (und entgegen dem Berufungsgericht) davon ausginge, dass die zurückgewiesene Stellungnahme ein ordentlicher – nämlich durch Anwaltsunterschrift gedeckter – Teil ihrer Berufung war, so hat das Berufungsgericht dennoch die Berufung nur unvollständig (im Sinne einer Nichterledigung aller Berufungsgründe, nämlich auch der Ausführungen in der Stellungnahme) behandelt, was aber den Rekurs nach § 519 Abs 1 Z 1 ZPO gerade nicht eröffnet.
Der Ausnahmefall des § 519 Abs 1 Z 1 Fall 2 ZPO für eine Anrufung des Obersten Gerichtshofs liegt damit nicht vor.
I.6. Der Ausnahmefall des § 519 Abs 1 Z 1 Fall 1 ZPO (Klagszurückweisung) kommt schon im Ansatz nicht in Betracht.
I.7. Das Berufungsgericht hat auch nicht ausgesprochen, dass der Rekurs an den Obersten Gerichtshof zulässig sei. Aufhebungsbeschlüsse des Rekursgerichts, die keinen Rechtsmittelzulässigkeitsausspruch enthalten, sind absolut unanfechtbar
(RIS-Justiz
RS0109580). Damit scheidet auch eine Zulässigkeit des Rekurses nach § 519 Abs 1 Z 2 ZPO aus. Eine solche wird von der Rekurswerberin auch gar nicht behauptet.
I.8. Vom Berufungsgericht im Berufungsverfahren gefasste Beschlüsse, die in § 519 ZPO nicht aufgezählt oder zumindest im Wege der Analogie erfasst sind, können überhaupt nicht angefochten werden (E. Kodek in Rechberger4§ 519 ZPO Rz 2; Kodek/Mayr, Zivilprozessrecht3 Rz 1144). Zumal keiner der Ausnahmefälle des § 519 ZPO vorliegt, ist der Rekurs absolut unzulässig.
Zu II.:
Ein Rekurs gegen die Zurückweisung der Berufung nach § 519 Abs 1 Z 1 ZPO ist zweiseitig (RIS-Justiz RS0125481; E. Kodek in Rechberger4§ 519 ZPO Rz 7; Rechberger/Simotta, Zivilprozessrecht9 Rz 1136).
Der am eingebrachte Rekurs der Klägerin gegen den unter Punkt I. behandelten Beschluss des Berufungsgerichts wurde der Beklagten aufgrund einer Zustellverfügung des Erstgerichts vom am zugestellt (Zustellzeitpunkt gemäß § 89d Abs 2 GOG). Ebenso am fasste das Erstgericht einen Beschluss auf (amtswegige) Zurückweisung des Rekurses. Dieser Beschluss wurde beiden Parteien am zugestellt. Über (weiteren) Rekurs der Klägerin behob das Oberlandesgericht Innsbruck als Rekursgericht den Zurückweisungsbeschluss ersatzlos. Die Rekursentscheidung wurde beiden Parteien am zugestellt (Zustellzeitpunkt gemäß § 89d Abs 2 GOG). Am brachte die Beklagte die Rekursbeantwortung ein, mit der sie die Zurückweisung, hilfsweise die Abweisung des Rekurses beantragt.
Die Beklagte vertritt in der Rekursbeantwortung die Ansicht, dieselbe sei in Hinsicht auf die zunächst erfolgte Zurückweisung des Rekurses nicht verspätet.
Dieser Ansicht ist beizupflichten:
Außerhalb der Tagsatzungen gefasste Beschlüsse sind den Parteien durch Zustellung einer schriftlichen Ausfertigung bekannt zu geben (§ 427 Abs 1 ZPO). Mit dieser Zustellung wird der Beschluss wirksam (§ 426 Abs 3 ZPO). Selbst wenn gegen den Beschluss ein Rekurs erhoben wird, hat dieser grundsätzlich nach § 524 Abs 1 ZPO „in Bezug auf die Ausführung des angefochtenen Beschlusses“ keine aufschiebende Wirkung. Unter „
Ausführung des Beschlusses“ ist auch seine allenfalls vorliegende rechtsgestaltende Wirkung zu verstehen; die Rechtsgestaltung tritt nach § 426 Abs 2 ZPO mit der Zustellung an die Parteien ein (RIS-Justiz RS0106424). Einer rechtsgestaltenden Wirkung ist – hier – eine das Rechtsmittelverfahren beendende Wirkung gleichzuhalten.
Der Beschluss des Erstgerichts mit dem der Rekurs zurückgewiesen wurde, wurde daher mit seiner Zustellung an die Parteien am – und damit noch innerhalb der noch nicht ausgenützten Frist zur Einbringung einer Rekursbeantwortung – wirksam. Es lag ab diesem Datum bis zur Zustellung des Beschlusses des Rekursgerichts über die ersatzlose Behebung des Zurückweisungsbeschlusses kein Rekurs vor, welchen die Beklagte beantworten hätte können. Eine Rekursbeantwortung in dieser Zeit wäre ins Leere gelaufen. Das Recht zur Erstattung einer Rechtsmittelbeantwortung ist im Übrigen nicht Selbstzweck (RIS-Justiz RS0122282)
Innerhalb der durch die Zustellung der die Rekurszurückweisung beseitigenden instanzgerichtlichen Entscheidung neuerlich ausgelösten 14-tägigen (§ 521 Abs 1 ZPO) Frist wurde die Rekursbeantwortung eingebracht, die damit rechtzeitig ist.
Die Beklagte hat in der Rekursbeantwortung auf die Unzulässigkeit des Rekurses hingewiesen und hierzu eingehend – in Erwiderung des die Zulässigkeit des Rekurses bejahenden Standpunkts der Klägerin – ausgeführt. Sie hat daher Anspruch auf Kostenersatz nach §§ 41, 50 ZPO (RIS-Justiz RS0124565).
Für die Rekursbeantwortung gebührt lediglich ein
Einheitssatz von 50 %, weil kein Anwendungsfall des § 23 Abs 9 RATG vorliegt (8 ObA 52/14a; Obermaier, Kostenhandbuch2 Rz 638).
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ECLI: | ECLI:AT:OGH0002:2018:0090OB00003.18H.0227.000 |
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