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OGH vom 25.06.2013, 10ObS82/13a

OGH vom 25.06.2013, 10ObS82/13a

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten Dr. Hradil als Vorsitzenden, die Hofräte Dr. Fellinger und Dr. Hoch sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Peter Zeitler (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Harald Kohlruss (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei R*****, vertreten durch Dr. Sebastian Lenz, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei Allgemeine Unfallversicherungsanstalt, Adalbert Stifter Straße 65, 1200 Wien, vertreten durch Dr. Josef Milchram und andere Rechtsanwälte in Wien, wegen Versehrtenrente, über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht in Arbeits und Sozialrechtssachen vom , GZ 9 Rs 192/12i 48, womit das Urteil des Arbeits und Sozialgerichts Wien vom , GZ 6 Cgs 156/10i 43, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die beklagte Partei ist schuldig, dem Kläger die mit 373,68 EUR (darin enthalten 62,28 EUR USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der am geborene Kläger erhielt im April 2008 einen Kunststoffbypass am linken Bein oberhalb der Kniekehle. Am wurde ihm aufgrund einer Enge der zuführenden Beckenarterie ein Stent implantiert.

Vor allem Kunststoffbeipässe können sich wieder verschließen; bei einem Drittel dieser Beipässe ist innerhalb der ersten drei Jahre nach Implantierung eine neuerliche Operation erforderlich. Schrumpfungen oder epitheliale Wucherungen, die typischerweise zu einem Gefäßverschluss trotz Kunststoffbypass führen, sind beim Kläger nicht objektivierbar.

Am hatte der Kläger einen von der beklagten Partei anerkannten Arbeits (Weg )unfall, als er sich „beim Begehen einer Garagenstiege“ eine Zerrung des linken Unterschenkels zuzog. Am Tag nach dem Unfall verspürte er heftige Schmerzen in der linken Wade. Er suchte die unfallchirurgische Ambulanz des Wilhelminenspitals auf, wo eine Zerrung der Wadenmuskulatur seines linken Unterschenkels diagnostiziert wurde. Außerdem wurde ein Druckschmerz über dem rechten Kniegelenkshöcker und über dem Wadenbein vermerkt. Eine wesentliche Dickenzunahme des linken Unterschenkels im Seitenvergleich zum rechten lag nicht vor. Die nervale Versorgung und Beweglichkeit wurden als „unauffällig“ beschrieben und bei dieser ersten Befundaufnahme festgestellt, dass die Durchblutung der linken unteren Extremität in Ordnung sei. Die Fußpulse waren zu tasten, die Rekapillarisation war gut und das Bein warm. Die Nativröntgenuntersuchung ergab keinen Hinweis auf eine frische knöcherne Verletzung.

Dem Kläger wurde am in der unfallchirurgischen Ambulanz eine elastische Binde angelegt, die er wegen sich dadurch verstärkender, schon nach der Bandagierung vorhandener Schmerzen nach wenigen Stunden wieder abnahm. Dass zum Zeitpunkt der Bandagierung bereits ein beginnender Gefäßverschluss vorlag, kann nicht festgestellt werden.

Am wurde in der gefäßchirurgischen Ambulanz des Wilhelminenspitals, die der Kläger wegen weiterbestehender Schmerzen in der Wade aufgesucht hatte, eine gravierende Minderdurchblutung seines linken Beins festgestellt, die sich bei am selben Tag durchgeführten weiteren Untersuchungen bestätigte. Ob es durch das abrupte Einknicken des Beins beim Arbeitsunfall zu einer Verletzung der epithelialen Auskleidung des Bypasses oder anderer angeschlossener Gefäßabschnitte kam und eine Thrombose ausgelöst wurde, ist (ebenfalls) nicht feststellbar.

Im Zuge der (im Ersturteil näher dargelegten) Ermittlung und Behandlung des thrombotischen Verschlusses des Gefäßbypasses und des darüber liegenden Hauptstammes der Oberschenkelarterie gelang es die thrombosierten Gefäßabschnitte wieder durchgängig zu machen.

Während der Therapie entwickelte der Kläger (jedoch) ein massives Kompartmentsyndrom am linken Unterschenkel, sodass am eine Fasziotomie durchgeführt werden musste. Bei einem Eingriff am wurden die durch den Gefäßverschluss abgestorbenen Muskelareale abgetragen. Da dies zu keiner Sanierung der lokalen Situation am Unterschenkel führte, musste am der Oberschenkel amputiert werden. Der Untersuchungsbericht des Oberschenkelamputats vermerkt „hochgradige arteriosklerotische Veränderungen“ der Beinarterien. Die Operation verlief komplikationslos. Am wurde der Kläger aus dem Krankenhaus entlassen. Er war zur weiteren Behandlung bis im Rehabilitationszentrum Weißer Hof.

Hauptursache der Amputation des Oberschenkels des Klägers ist die vorbestehende schwere Arteriosklerose in den Beinarterien. Bei gesunden Gefäßen kann nach einer Zerrung der Wadenmuskulatur ein derart folgenschwerer Gefäßverschluss mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nicht eintreten.

Auch eine Belastung des mit einem Bypass versehenen Oberschenkels „im Alltag (also ohne berufliche Belastung)“ etwa dadurch, dass durch Sitzen mit „übergeschlagenem Bein“ Druck auf den Oberschenkel, in dem der Bypass läuft ausgeübt wird ist grundsätzlich geeignet, einen Gefäßverschluss wie jenen des Klägers „umso eher dann“ herbeizuführen, wenn (wie im Fall des Klägers) ein „extrem geschädigtes“ sklerotisches System vorliegt und ein Kunststoffbypass gesetzt wurde. Es kann aber keine medizinische Feststellung getroffen werden, dass ein alltägliches Ereignis in absehbarer Zeit, also beispielsweise in einem Monat oder auch in einem längeren Zeitraum nach dem ebenfalls zu einem Gefäßschaden mit notwendiger Oberschenkelamputation geführt hätte.

Der Bypass des Klägers hatte „vor und nach Auflösung des Verschlusses“ einen guten Zu und Abfluss; es kann daher nicht festgestellt werden, dass ein rein zufälliges Ereignis zu einer Schädigung des Bypasses geführt hat. Es besteht (aber) eine „geringfügig höhere Wahrscheinlichkeit“ dafür, dass die Folgen des Arbeitsunfalls (Zerrung der Wadenmuskulatur) zu einem Gefäßverschluss und der in weiterer Folge notwendigen Oberschenkelamputation geführt haben.

Die Minderung der Erwerbsfähigkeit aufgrund der Wadenzerrung beträgt 0 vH innerhalb von drei Monaten nach Eintritt des Versicherungsfalls.

Das Ende des unfallbedingten Krankenstands ist der . Die MdE des Klägers aufgrund der Oberschenkelamputation beträgt 70 vH.

Mit Bescheid vom anerkannte die beklagte Partei den Unfall des Klägers vom als Arbeitsunfall, sprach jedoch gleichzeitig aus, dass kein Anspruch auf Versehrtenrente bestehe. Dazu stellte die beklagte Partei eine Zerrung der Wadenmuskulatur „als Verletzung nach diesem Versicherungsfall“ fest; hingegen wurde die inkomplette Blutleere der linken unteren Extremität mit nachfolgender Oberschenkelamputation als „unabhängig von diesem Versicherungsfall festgestellte Verletzung (en) bzw Erkrankung (en)“ bezeichnet.

Mit der dagegen erhobenen Klage begehrte der Kläger , die beklagte Partei zur Gewährung einer Versehrtenrente im gesetzlichen Ausmaß ab zu verpflichten. Das beim Arbeitsunfall erlittene Trauma sei wesentliche Bedingung für die Oberschenkelamputation.

Die beklagte Partei beantragte Klagsabweisung. Der thrombotische Verschluss des Bypasses im Oberschenkel des Klägers könne durch eine Verletzung des Unterschenkels nicht bedingt worden sein. Die unfallskausale Zerrung der Wadenmuskulatur links sei folgenlos abgeheilt.

Das Erstgericht stellte fest, dass der Kläger am einen Arbeitsunfall erlitten habe, dessen Folgen die Zerrung der Wadenmuskulatur sowie die inkomplette Blutleere der linken unteren Extremität mit nachfolgender Oberschenkelamputation gewesen seien (Punkt 1), und erkannte die beklagte Partei schuldig, dem Kläger wegen der Folgen diese Arbeitsunfalls ab eine Versehrtenrente im Ausmaß von 70 vH der Vollrente im gesetzlichen Ausmaß zu gewähren (Punkt 2). Den eingangs wiedergegebenen Sachverhalt beurteilte es rechtlich wie folgt:

Den Kläger treffe die Beweispflicht für den Zusammenhang zwischen Arbeitsunfall und Körperschaden, wofür nach ständiger Rechtsprechung ein „sehr hoher Grad der Wahrscheinlichkeit“ zwischen dem Arbeitsunfall und dem Körperschaden zu beweisen sei. Dann liege es beim Versicherungsträger, einen atypischen Verlauf zu beweisen. Auf Grund der Feststellungen seien die Folgen des Arbeitsunfalls nach der Theorie der wesentlichen Bedingung kausal für den massiven Körperschaden durch Oberschenkelamputation gewesen. Der Unfall sei keine bloße Gelegenheitsursache.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der beklagten Partei teilweise Folge und änderte das angefochtene Urteil dahin ab, dass das Klagebegehren auf Versehrtenrente wegen der Folgen diese Arbeitsunfalls vom dem Grunde nach im Ausmaß von 70 vH der Vollrente ab zu Recht bestehe (Punkt 1.), und die beklagte Partei zu einer vorläufigen Zahlung von 1.400 EUR monatlich brutto ab verpflichtet sei (Punkt 2.). Es übernahm die vom Erstgericht getroffenen Feststellungen als Ergebnis eines mängelfreien Verfahrens und einer unbedenklichen Beweiswürdigung und traf nach Beweisergänzung und wiederholung folgende ergänzende Feststellungen:

Der Unfall des Klägers passierte derart, dass er beim Nachhausekommen „die Treppen“ [in der Garage?] hinauf lief und bei der vorletzten Stufe mit dem rechten Fuß hängen blieb. Der linke Fuß war schon auf dem Treppenabsatz. Sein Oberkörper fiel dann auf den linken Oberschenkel nach vorne.

Beim Kläger war ein Übereinanderschlagen der Beine im Sitzen aufgrund der Lagerung des Bypasses nicht geeignet, den Bypass zu beeinträchtigen.

Hätte der Kläger einen Tisch an den Körper gepresst im Bereich der Leiste getragen, dann hätte es zu einer Schädigung des Bypasses mit „folgendem Gefäßverschluss“ kommen können. Dabei geht es um Gewichte, die man gerade noch alleine tragen kann, also etwa im Bereich von mehr als 20 kg. Entscheidend ist die Einwirkung des Gewichts in Form einer Kante oder einer punktuellen Einwirkung. Im Fall einer großflächigen Einwirkung des Gewichts müsste das Gewicht höher sein. Ein nicht punktuell oder mit Kante einwirkendes Gewicht ist nicht geeignet, den Bypass zu schädigen, weil dieser durch den Oberschenkelknochen geschützt ist, der bei einer großflächigen Auflage das Gewicht trägt.

Als weiteres Beispiel kann ein Verharren mit zum Oberkörper gezogenem Bein über 15 bis 20 Minuten und länger genannt werden. Dadurch könnte der Bypass im Sinn einer Verwindung beeinträchtigt werden. Allerdings werden Patienten mit entsprechenden Bypässen informiert, dass sie solche Haltungen vermeiden sollen.

Mit dem Gefäßverschluss wäre beim Kläger nicht in absehbarer Zeit „auch ohne das Unfallereignis sowieso“ zu rechnen gewesen. „Nur“ bei den beiden oben beschriebenen Einwirkungen hätte es zu einem Gefäßverschluss kommen können.

Rechtlich führte das Berufungsgericht aus, das Erstgericht habe sich in den Feststellungen, ob ein alltägliches Ereignis in absehbarer Zeit ebenfalls zum selben Erfolg geführt hätte, ohnedies ausdrücklich auf den Gefäßschaden bezogen. Welche Feststellungen es noch hätte treffen sollen, lege die beklagte Partei nicht dar. Sie unterscheide nicht zwischen den zwei maßgeblichen Rechtsfragen und führe auch nicht aus, inwiefern die rechtliche Beurteilung des Erstgerichts unrichtig sein sollte. Die erste Frage betreffe die natürliche Kausalität. Im konkreten Fall habe der Kläger bei seinem Sturz auf dem Arbeitsweg ein Trauma erlitten. Nach den Feststellungen habe der Bypass vorher einen guten Zu und Abfluss gehabt, sodass der Kläger den Anschein für sich habe, dass der Sturz letztlich zum Gefäßverschluss geführt habe. In der konkreten Situation liege damit kein atypischer Ablauf vor. Die nach der Judikatur notwendige Körperschädigung als typische Folge eines als Unfall zu wertenden Ereignisses sei daher gegeben. Nach den Feststellungen sei der Beklagten die Entkräftung des Anscheinsbeweises nicht gelungen. Nach Bejahung der natürlichen Kausalität stelle sich im Sinn der Theorie der wesentlichen Bedingung die (zweite) Frage nach der rechtlichen Kausalität. Stehe der Arbeitsunfall als Ursache der Körperschädigung fest, so genüge der Anscheinsbeweis nur dann nicht, wenn es zumindest gleich wahrscheinlich sei, dass eine andere Ursache die Körperschädigung im selben Ausmaß und etwa zur selben Zeit herbeigeführt hätte. Der Anscheinsbeweis sei nur dann entkräftet, wenn dieser Möglichkeit zumindest die gleiche Wahrscheinlichkeit wie dem Arbeitsunfall zukomme. Es müsse zumindest gleich wahrscheinlich sein, dass ein solches Ereignis in naher Zukunft auch tatsächlich vorgekommen wäre und die Schädigung ausgelöst hätte. Eine Verfrühung des Körperschadens durch den Unfall um mehr als ein Jahr sei jedenfalls erheblich. Nach der jüngeren Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs sei die gesetzliche Unfallversicherung im Fall eines Anlageschadens nicht leistungspflichtig, wenn der Gesundheitsschaden zwar real durch die kausale Einwirkung aus dem Schutzbereich der gesetzlichen Unfallversicherung entstanden sei, aller Wahrscheinlichkeit nach aber innerhalb kurzer Zeit in ähnlicher Schwere aufgrund einer schicksalhaften inneren Anlage entstanden wäre. Alltägliche Belastungen im Sinn dieser Rechtsprechung seien solche, die altersentsprechend üblicherweise mit gewisser Regelmäßigkeit im Leben auftreten würden, wenn auch nicht jeden Tag; wie etwa normales oder beschleunigtes Gehen, unter Umständen auch kurzes schnelles Laufen, Treppensteigen, Bücken, leichtes bis mittelschweres Heben oder ähnliche Kraftanstrengungen. Keine alltäglichen Verrichtungen seien etwa Hundebisse, Verkehrsunfälle oder Stürze.

Beim Tragen eines Tisches von mehr als 20 kg mit spezieller punktueller Gewichtseinwirkung handle es sich nicht um eine derartige alltägliche Verrichtung. Dies sei vielmehr eine schwere körperliche Belastung. Dazu komme, dass ein Patient wie der Kläger mit einem Gefäßleiden wohl eine derartige Verrichtung gar nicht übernommen hätte. Der Sachverständige habe dazu ausgeführt, ein solcher Fall sei ihm in seiner 20 jährigen Praxis als Gefäßchirurg als auslösend nicht vorgekommen. Es fehle daher selbst wenn man das Tragen eines Tisches in der geschilderten Weise als alltägliche Verrichtung qualifizieren würde an der von der Rechtsprechung geforderten hohen Wahrscheinlichkeit, dass ein derartiges Ereignis in naher Zukunft überhaupt eingetreten wäre. Auch das vom Sachverständigen genannte Anziehen der Beine über 15 bis 20 Minuten und länger stelle keine alltägliche Verrichtung dar und wäre aufgrund ärztlicher Warnungen vom Kläger auch vermieden worden. Da der Beklagten die Entkräftung des Anscheinsbeweises nicht gelungen sei, habe das Erstgericht dem Rentenbegehren zu Recht stattgegeben. Dabei sei jedoch aufzugreifen, dass hier über das Eventualbegehren nach § 82 Abs 5 ASGG nicht hätte entschieden werden dürfen, weil dem Leistungsbegehren stattgegeben wurde. Der Berufung sei daher teilweise Folge zu geben und die Entscheidung über das Eventualbegehren ersatzlos zu beheben. Mangels Rüge der Unterlassung der Entscheidung über das Begehren auf Versehrtenrente vom bis durch den Kläger sei dieses aus dem Verfahren ausgeschieden. Den im Urteil des Erstgerichts fehlenden Auftrag nach § 89 Abs 2 ASGG habe das Rechtsmittelgericht von Amts wegen aufzunehmen (§ 90 Abs 1 Z 3 ASGG). Dazu ergebe sich aus dem Verwaltungsakt eine Beitragsgrundlage des Klägers für das Jahr 2008 von 23.268,84 EUR zuzüglich jener für Sonderzahlungen von 3.553,83 EUR. Nach §§ 179 Abs 1, 205 Abs 2 und 4 sowie 205a Abs 1 Z 2 ASVG sei die vorläufige „Leistung“ (richtig: Zahlung [§ 89 Abs 2 ASGG]) gemäß § 273 ZPO mit 1.400 EUR brutto auszumessen.

Das Berufungsgericht erklärte die ordentliche Revision für zulässig, weil Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zur Frage fehle, ob das Tragen eines mehr als 20 kg schweren Gegenstands mit einer speziellen Gewichtseinwirkung auf den Körper als „alltägliche Verrichtung“ anzusehen sei.

Dagegen richtet sich die Revision der beklagten Partei wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag, das angefochtene Urteil im klagsabweisenden Sinn abzuändern; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Der Kläger beantragt, der Revision nicht Folge zu geben.

Die Revision ist aus dem vom Berufungsgericht angeführten Grund zulässig, sie ist aber nicht berechtigt.

Auch die Revisionswerberin beruft sich auf die im angefochtenen Urteil zitierte jüngere Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs, wonach im Fall eines Anlageschadens die gesetzliche Unfallversicherung nicht leistungspflichtig ist, wenn der Gesundheitsschaden zwar real durch die kausale Einwirkung aus dem Schutzbereich der gesetzlichen Unfallversicherung entstand, aller Wahrscheinlichkeit nach aber innerhalb kurzer Zeit in ähnlicher Schwere aufgrund einer schicksalhaften inneren Anlage entstanden wäre. Hiezu verweist die Beklagte auf die Klagsangaben, wonach der Kläger sowohl seiner Arbeitstätigkeit als auch sportlichen Tätigkeiten uneingeschränkt nachgehen konnte. Da er vor dem Unfall keine zumindest im gegebenen Zusammenhang ins Gewicht fallenden Beschwerden gehabt habe, sehe die Angelegenheit „ganz anders aus“, wenn man als weiteres Beispiel (statt einem Tisch mit mehr als 20 kg und spezieller punktueller Gewichtseinwirkung auf den Bereich der Leiste) eine Kiste „Mineralwasser oder Bier (ca 20 kg)“ nehme. Ein sportausübender Mensch, der zumindest subjektiv vor Eintritt des Unfallereignisses keine (hier ins Gewicht fallenden) Probleme gehabt habe, werde solche, wohl als alltäglich geltende Tätigkeiten trotz seines Grundleidens und trotz der dieses verstärkenden zusätzlichen Risikofaktoren (Diabetes Mellitus, Nikotinabusus und Bluthochdruck) ausführen. Er werde sich im Gegensatz zur Ansicht des Berufungsgerichts sehr wohl alltäglichen Belastungen im Sinn dieser Rechtsprechung aussetzen, die altersentsprechend üblicherweise mit einer gewissen Regelmäßigkeit im Leben auftreten, wenn auch nicht jeden Tag. Die Vorinstanzen hätten daher erkennen müssen, dass aufgrund des bestehenden Anlageschadens und der weiters bestehenden Risikofaktoren des Klägers die gesetzliche Unfallversicherung nicht leistungspflichtig sei, weil der Gesundheitsschaden zwar durch eine Einwirkung verursacht worden sei, die dem Schutzbereich der gesetzlichen Unfallversicherung zuzurechnen sei, aber in einem absehbaren Zeitraum in ähnlicher Schwere aufgrund einer manifesten, schicksalhaften inneren Anlage entstanden wäre. Schließlich betrage das Gewicht der in der Judikatur als Maßstab oft zitierten „Wasser “ oder Bierkiste ebenfalls 20 kg.

Die Revisionsbeantwortung hält dem entgegen, dass sich die vom Berufungsgericht gestellte Frage nach den unanfechtbar getroffenen Tatsachenfeststellungen gar nicht stelle, weil der Kläger eine derartige Verrichtung „ohnehin nicht übernommen hätte“. Das Vorbringen der Revisionswerberin, dass der Kläger auch beim Tragen einer Kiste Mineralwasser oder Bier die eingetretenen Folgen hätte erleiden können, widerspreche dem Neuerungsverbot. Im Übrigen habe auch eine große Kiste Bier mit 20 Flaschen zu je 0,5 l nicht mehr als 10 kg und werde üblicherweise nicht in der Leiste oder direkt an den Bereich angelehnt getragen, wo ein Bypass implantiert sei. Es wäre auch beim Tragen einer über 20 kg schweren Kiste nicht dazu gekommen, dass ein punktueller Druck direkt in die Leistengegend eingewirkt hätte. Auch wenn der Kläger vor dem Arbeitsunfall subjektiv beschwerdefrei gewesen sei, sei ihm natürlich bewusst gewesen, dass sein Körper aufgrund der bekannten Erkrankungen und des Gefäßleidens nicht belastet werden dürfe, wie ein gesunder Körper. Die Unterstellung, dass es für ihn „alltäglich“ gewesen wäre, eine über 20 kg schwere Kiste noch dazu derart zu tragen, dass sie punktuell in die Leiste auf den Bypass Druck ausgeübt hätte, sei lebensfremd. Außerdem sei die Frage, ob den Versicherten in naher Zukunft ein mit dem Unfallgeschehen vergleichbares Ereignis tatsächlich ereilt und dieselben Folgen wie der Arbeitsunfall ausgelöst hätte, dem Tatsachenbereich zuzuordnen (RIS Justiz RS0043534). Dazu habe das Berufungsgericht aber nach Beweisergänzung die Tatsachenfeststellung getroffen, dass nur dann, wenn der Kläger ein Gewicht getragen hätte, das man gerade noch alleine tragen kann, und wenn dieses Gewicht auch noch mit einer kantigen oder punktuellen Einwirkung auf den Bereich des Bypasses getragen worden wäre, es zu einer Schädigung des Bypasses mit folgendem Gefäßverschluss kommen hätte können; sowie weiters, dass mit dem Gefäßverschluss beim Kläger nicht in absehbarer Zeit auch ohne das Unfallereignis sowieso zu rechnen gewesen wäre. In der Rechtsbeurteilung sei auch noch festgestellt worden, dass ein Patient wie der Kläger mit einem Gefäßleiden eine derartige Verrichtung gar nicht übernommen hätte. Dies werde damit begründet, dass auch dem Sachverständigen in seiner 20 jährigen Praxis als Gefäßchirurg ein derartiger Fall als auslösend nicht vorgekommen sei. Es stehe daher fest, dass im konkreten Fall keine hohe Wahrscheinlichkeit bestehe, dass ein derartiges Ereignis in naher Zukunft überhaupt eingetreten wäre. Schon nach den vom Berufungsgericht getroffenen Feststellungen, wonach es kein Ereignis gebe, das zu gleichwertigen Folgen geführt hätte, von dem anzunehmen sei, dass es beim Kläger in absehbarer Zeit eingetreten wäre, bestehe der Anspruch des Klägers zu Recht.

Rechtliche Beurteilung

Hiezu wurde erwogen:

1. Für die Qualifikation eines Unfalls als Arbeitsunfall ist erforderlich, dass die Verrichtung des Versicherten zur Zeit des Unfalls der versicherten Tätigkeit zuzurechnen ist (innerer oder sachlicher Zusammenhang), diese Verrichtung zu dem zeitlich begrenzten Ereignis (Unfallereignis) geführt hat (Unfallkausalität) und das Unfallereignis einen Gesundheitsschaden oder den Tod des Versicherten verursacht hat (10 ObS 123/12d mwN).

1.1. Dass der Unfall (Zerrung der Wadenmuskulatur) des Klägers, den er auf seinem Heimweg von der Arbeit unter den vom Berufungsgericht näher festgestellten Umständen erlitt, ein Arbeitsunfall ist, der dem Unfallversicherungsschutz unterliegt, hat die beklagte Partei ausdrücklich anerkannt und ist unstrittig.

2. Was nun die Kausalität des Wegunfalls für den strittigen Gesundheitsschaden (Oberschenkelamputation nach Gefäßverschluss) betrifft, war im Fall des Klägers nicht feststellbar, ob die Thrombose (überhaupt) durch das abrupte Einknicken des Beins ausgelöst wurde. Es wurde auch nicht festgestellt, dass ein [anderes] rein zufälliges Ereignis zu einer Schädigung des Bypasses geführt hätte, sondern nur, dass eine „geringfügig höhere“ Wahrscheinlichkeit dafür besteht, dass die Folgen des Arbeitsunfalls (Zerrung der Wadenmuskulatur) zu einem Gefäßverschluss geführt haben.

2.1. Ausdrücklich fest steht demgegenüber, dass die vor dem Unfall bestehenden Gesundheitsstörungen des Versicherten (schwere Arteriosklerose in den Beinarterien) „ Hauptursache für die Amputation“ waren, und dass es bei gesunden Gefäßen nach einer Zerrung der Wadenmuskulatur nicht zu diesem folgenschweren Gefäßverschluss gekommen wäre (vgl auch dieses Ergebnis der Gutachtenserörterung AS 132).

2.2. Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts kann sich der Kläger daher gar nicht auf einen Anscheinsbeweis stützen, weil ein Gefäßverschluss eben nicht typische Folge der vom Versicherten davor ausgeführten „Verrichtungen“ (hier: des als Unfallereignis zu wertenden Stolperns beim Stiegensteigen) war (so auch 10 ObS 123/12d [Herzinfarkt infolge Vorschädigung anlässlich besonderer Kraftanstrengung eines LKW Fahrers beim Abplanen bzw Öffnen von Spanngurten zur Sicherung der Ladung] vgl auch RIS Justiz RS0110571). Daher trifft den Kläger die objektive Beweislast für das Vorliegen eines Arbeits (Weg )unfalls.

3. Wirkt am Eintritt des Gesundheitsschadens oder Todes des Versicherten neben der Ursache aus dem Schutzbereich der gesetzlichen Unfallversicherung auch eine Vorerkrankung (Vorschädigung) mit, so wird in ständiger Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs der Körperschaden (Tod) nach der Theorie der wesentlichen Bedingung nur dann der Unfallversicherung zugerechnet, wenn er ohne den Umstand aus der Gefahrensphäre der Unfallversicherung erheblich später oder erheblich geringer eingetreten wäre (10 ObS 164/09d mwN, SSV-NF 23/79; RIS Justiz RS0084308; Rudolf Müller in SV Komm, Vor §§ 174 177 ASVG Rz 49). Als nicht wesentlich wird eine Bedingung angesehen, wenn die Schädigung durch ein alltäglich vorkommendes Ereignis zu annähernd gleicher Zeit und in annähernd demselben Ausmaß hätte ausgelöst werden können (10 ObS 164/09d mwN, SSV NF 23/79; 10 ObS 134/08s, SSV NF 22/79; vgl RIS Justiz RS0084318; RS0084345; Rudolf Müller in SV-Komm, Vor §§ 174 177 ASVG Rz 49 f). Alltäglich sind die Belastungen, die altersentsprechend üblicherweise mit gewisser Regelmäßigkeit im Leben, wenn auch nicht jeden Tag auftreten, wie etwa ein normales oder beschleunigtes Gehen, Treppensteigen, Bücken, leichtes bis mittelschweres Heben (zB eines Koffers, einer Bierkiste, einer Mineralwasserkiste udgl) oder ähnliche Kraftanstrengungen (10 ObS 50/94, SSV NF 8/26; RIS Justiz RS0084318 [T4, T 5]; jüngst 10 ObS 123/12d).

4. In Anwendung dieser Grundsätze auf den Kläger ist auch nach den ergänzenden Feststellungen nicht davon auszugehen, dass alltägliche Belastungen einen derart folgenschweren Gefäßverschluss bei ihm auslösen konnten, sodass die Beurteilung, das dem versicherten Arbeitsweg zuzurechnende Unfallgeschehen sei wesentliche Bedingung für die wegen der Thrombose nötige Oberschenkelamputation gewesen, zutrifft:

4.1. Das Berufungsgericht hat zunächst zum (einzigen) Beispielfall des Erstgerichts für eine alltägliche Belastung, die geeignet wäre, einen gleichartigen Gefäßverschluss herbeizuführen im Gegensatz zum Erstgericht festgestellt, dass ein Übereinanderschlagen der Beine im Sitzen aufgrund der besonderen Lagerung des Bypasses beim Kläger nicht geeignet war, „den Bypass zu beeinträchtigen“. Gleichzeitig hat es andere Beispiele aufgezeigt, wie es zu einem Gefäßverschluss hätte kommen können, dazu jedoch nachvollziehbar dargelegt, diese seien nicht als „alltägliche Verrichtungen“ anzusehen, weil sie schwere körperliche Belastungen darstellten.

5. Dem ist letztlich zuzustimmen: Ist doch nicht einzusehen, weshalb das Tragen von Gewichten „im Bereich von mehr als 20 kg“, selbst dann, wenn es mit einer „Einwirkung in Form einer Kante oder einer punktuellen Einwirkung“ verbunden ist, jedenfalls (noch) als „alltägliche Verrichtung“ angesehen werden sollte: Eine hier von beiden Parteien ins Treffen geführte Bierkiste mit 20 Flaschen zu je 0,5 Liter ist zwar mehr als die bereits aus dem Gewicht der Flüssigkeit abzuleitenden 10 kg (auf die sich der Kläger beruft) schwer, hat aber, wie auch eine Kiste Mineralwasser, jedenfalls nicht (wie die beklagte Partei meint) ein Gewicht „von mehr als 20 kg“ (das man gerade noch alleine tragen kann). Außerdem kommt es beim Heben und Tragen solcher Kisten oder eines Koffers (die als alltägliche Belastung zu beurteilen wären) nicht zu der hier erforderlichen Einwirkung des Gewichts in Form einer Kante oder an einem bestimmten Punkt (nämlich an den Körper gepresst im Bereich der Leiste) oder zu einer großflächigeren Einwirkung eines den Wert von 20 kg in noch größerem Ausmaß übersteigenden Gewichts.

5.1. Da es hier allein darauf ankommt, ob der Schaden auch bei einer „ Alltagsbelastung “ in absehbarer Zeit eingetreten wäre ( Rudolf Müller in SV Komm, Vor §§ 174 177 ASVG Rz 50), kann sich die beklagte Partei auch darauf nicht berufen, dass der Kläger vor dem Unfall (nach den Klagsangaben) sowohl seiner Arbeitstätigkeit als auch sportlichen Tätigkeiten „uneingeschränkt nachgehen“ konnte. Dies ist nämlich gar nicht entscheidend. Maßgebend ist vielmehr, dass nach der in dritter Instanz unangreifbaren Tatsachengrundlage eben nicht davon auszugehen ist, dass im vorliegenden Fall bereits eine alltägliche Belastung des (wenn auch durch ein „extrem geschädigtes sklerotisches System“ samt Kunststoffbypass schwer beeinträchtigten) linken Beines des Klägers geeignet war, einen derart folgenschweren Gefäßverschluss herbeizuführen, dass der Oberschenkel amputiert werden musste.

5.2. Der Revision der beklagten Partei muss daher ein Erfolg versagt bleiben.

5.3. Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 77 Abs 1 Z 2 lit a iVm Abs 2 ASGG.

European Case Law Identifier

ECLI:AT:OGH0002:2013:010OBS00082.13A.0625.000