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OGH vom 24.03.2017, 9Ob3/17g

OGH vom 24.03.2017, 9Ob3/17g

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsrekursgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr.

Hopf als Vorsitzenden sowie die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Hon.Prof. Dr. Dehn, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Hargassner und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Mag. Korn und Dr. Weixelbraun-Mohr als weitere Richter in der Rechtssache der Antragstellerin S***** Z*****, vertreten durch MMag. Dr. Susanne Binder-Novak, Rechtsanwältin in St. Pölten, gegen die Antragsgegner 1. W***** H*****, 2. A***** H*****, beide vertreten durch Dr. Georg Lugert, Rechtsanwalt in St. Pölten, 3. F***** H*****, und 4. E***** W*****, beide vertreten durch Strohmayer Heihs Strohmayer Rechtsanwälte OG in St. Pölten, wegen Abstammung, über den Revisionsrekurs der Antragstellerin gegen den Beschluss des Landesgerichts St. Pölten als Rekursgericht vom , GZ 23 R 504/16i46, womit der Beschluss des Bezirksgerichts St. Pölten vom , GZ 2 Fam 125/15f40, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.

Die Beschlüsse der Vorinstanzen werden im angefochtenen Umfang (Bestätigung der Spruchpunkte 1 bis 3) aufgehoben und dem Erstgericht insoweit eine neuerliche Entscheidung nach Verfahrensergänzung aufgetragen.

Die Kosten des Revisionsrekursverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung:

Die im 47. Lebensjahr stehende Antragstellerinsowie B***** V***** und K***** P***** wurden während aufrechter Ehe der mittlerweile bereits verstorbenen Ehegatten H***** und W***** Z***** geboren.

Als die Antragstellerin noch im Kindergartenalter war, teilte ihr die Mutter W***** Z***** mit, dass W***** A***** H***** (in der Folge auch Putativvater genannt) Vater der Antragstellerin sei. Den Wunsch der Mutter, mit ihr zum Putativvater zu ziehen, lehnte die Antragstellerin aus höchstpersönlichen Gründen ab. Sie lebte jedoch eine kurze Zeit lang mit ihrer Mutter im Haus der Mutter von W***** A***** H*****, also der Großmutter der Antragsgegner, weil die Mutter dort Hausmädchen war. Auch nach ihrer Volljährigkeit entzog sich die Antragstellerin jeglichem Kontakt mit ihrem Putativvater.

Die Antragstellerin ist seit vielen Jahren in therapeutischer Behandlung. Im Zuge der Aufarbeitung ihrer Kindheit ist es für die Antragstellerin wichtig, zu wissen, wer tatsächlich ihr Vater ist.

Ein von der Antragstellerin und B***** V***** eingeholtes Privatgutachten (Schwesterntest) ergab, dass sie nicht denselben leiblichen Vater haben.

Die vier Antragsgegner, geboren zwischen 1948 und 1961, wurden während aufrechter Ehe des W***** A***** H***** und seiner Ehegattin geboren. Ob sie die leiblichen Kinder von W***** A***** H***** sind, steht nicht fest. Zumindest zur Viertantragsgegnerin hat W***** A***** H***** einmal gesagt, dass sie nicht seine leibliche Tochter sei. Nach den Angaben der Antragsgegner sagte W***** A***** H***** dies quasi als Bestrafung, wenn er böse war. Keiner der vier Antragsgegner hat jemals einen DNA-Test durchführen lassen oder sonst irgendwie verifiziert, ob er oder sie tatsächlich das leibliche Kind von W***** A***** H***** ist. Sie möchten dies auch nicht wissen.

W***** A***** H***** verstarb am . Im Verlassenschaftsverfahren nach W***** A***** H***** waren die vier Antragsgegner seine gesetzlichen Erben. Derzeit ist – abgesehen von einer allfälligen Exhumierung – kein DNA-Material des Verstorbenen vorhanden.

Die Antragstellerin beantragt in der Hauptsache, den verstorbenen W***** A***** H***** als ihren Vater festzustellen. Dafür beantragte sie zunächst die Bestellung eines Sachverständigen aus dem Gebiet der menschlichen Erbbiologie und die Durchführung der für die DNA-Tests erforderlichen DNA-Untersuchungen sowie die zwangsweise Vorführung sämtlicher Antragsgegner vor den Amtsarzt ihres Wohnbezirkes und die Anwendung unmittelbaren angemessenen Zwangs zur Gewinnung von Vergleichsproben. Eventualiter beantragte die Antragstellerin die Anordnung der Exhumierung des Leichnams des W***** A***** H***** zum Zweck der Entnahme einer Gewebeprobe für die Erstellung eines DNA-Gutachtens über die Abstammung. Mit hoher Wahrscheinlichkeit sei sie die außereheliche Tochter des W***** A***** H*****. Die Feststellung der Abstammung sei ein elementares Grundrecht eines jeden Menschen (Art 8 EMRK). Die Antragsgegner seien im Abstammungsverfahren zur Mitwirkung verpflichtet. Allenfalls stehe ihr in diesem Verfahren der subsidiäre Behelf der Exhumierung des Putativvaters zur Verfügung.

Die Antragsgegner beantragten, die Anträge der Antragstellerin abzuweisen. Im Abstammungsverfahren bestehe keine erweiterte Mitwirkungspflicht für die leiblichen Nachkommen des Putativvaters. Ein Geschwistertest sei hier auch ungeeignet, weil nicht feststehe, dass die Antragsgegner tatsächlich vom Putativvater der Antragstellerin abstammten. Ein Eingriff in das Grundrecht der Antragsgegner auf Achtung ihres Privat- und Familienlebens sei nicht gerechtfertigt, weil dem Schutz der sozialen Familie mehr Gewicht zukomme, als dem Schutz der biologischen. Eine Exhumierung sei unzulässig, weil die Antragstellerin den Verdacht der Vaterschaft des W***** A***** H***** bereits zu dessen Lebzeiten gehabt habe, ohne diesem nachzugehen, wohingegen jetzt die Totenruhe gestört würde.

Mit Beschluss sprach das Erstgericht aus, dass die Weigerung der Antragsgegner an der Mitwirkung zur Befundaufnahme durch Gewinnung von DNA-Material zu Recht erfolge (Spruchpunkt 1) und wies sowohl die Anträge der Antragstellerin auf zwangsweise Vorführung der Antragsgegner zur Probenabnahme zu einem Sachverständigen für DNA-Analysen (Spruchpunkt 2) als auch den Eventualantrag der Antragstellerin auf Exhumierung von W***** A***** H***** zum Zwecke der Gewinnung von DNA-Material ab (Spruchpunkt 3). Weiters gab es der Antragstellerin Gelegenheit, binnen vier Wochen neue Beweisanträge bei sonstiger Abweisung des Abstammungsantrags zu stellen (Spruchpunkt 4).

Nach Auffassung des Erstgerichts bestehe zwar keine Verpflichtung der Antragstellerin, zunächst die Nichtabstammung von ihrem Giltvater zu beweisen, weil nach § 150 ABGB die Nichtabstammung bloß Vorfrage sei, doch ziele § 85 AußStrG zunächst vor allem auf den Putativvater. Eine erweiterte Abstammungsuntersuchung hätte zudem den Nachteil, dass sie von der Sicherheit der Abstammung der Eltern des betreffenden Kindes von deren Eltern abhänge. Eine erweiterte Mitwirkungspflicht der Antragsgegner iSd § 85 AußStrG bestehe daher nicht. Außerdem überwiege das grundrechtlich geschützte Interesse der Antragsgegner auf Erhalt ihrer sozialen Familie das ebenfalls nach Art 8 EMRK geschützte Interesse der Antragstellerin auf Kenntnis ihres biologischen Vaters, zumal diese es durch ihr eigenes Verhalten verschuldet habe, vom vermeintlichen Vater nicht schon zu dessen Lebzeiten Aufklärung zu erlangen. Aus denselben Erwägungen sei auch die beantragte Exhumierung abzuweisen, zumal der Verstorbene die Antragstellerin niemals als Tochter bezeichnet habe und ihre Persönlichkeitsentwicklung mit 46 Jahren bereits abgeschlossen sei.

Das Rekursgericht bestätigte diese Entscheidung. Die Mitwirkungspflicht nach § 85 AußStrG treffe zwar auch die Antragsgegner als vermeintliche Halbgeschwister der Antragstellerin. § 150 ABGB erfordere auch kein „abgestuftes Verfahren“ insofern, als der Antragsteller zunächst seine Nichtabstimmung vom Giltvater nachweisen müsste. Die Interessenabwägung des Erstgerichts sei jedoch – auch wenn nicht davon ausgegangen werden könne, dass die Persönlichkeitsentwicklung der Antragstellerin bereits abgeschlossen sei – im Ergebnis nicht zu beanstanden.

Den ordentlichen Revisionsrekurs erklärte das Rekursgericht für zulässig, weil die Entscheidung 8 Ob 54/13v offen lasse, ob eine Mitwirkungspflicht der vermeintlichen Halbgeschwister im Abstammungsverfahren voraussetze, dass deren Abstammung vom Putativvater der Antragstellerin zweifelsfrei feststehen müsse und ob allenfalls eine Interessensabwägung zwischen dem Recht auf Wahrung des Familienlebens zwischen dem Kind, das die Abstammung behaupte, und jenen Kindern, deren eigene Abstammung durch die Ergebnisse eines Verfahrens in Zweifel gezogen werden könnten, vorzunehmen sei. Auch fehle eine höchstgerichtliche Rechtsprechung zu den Voraussetzungen einer Exhumierung.

Erkennbar nur gegen die rekursgerichtliche Bestätigung der Spruchpunkte 1 bis 3 richtet sich der ordentliche Revisionsrekurs der Antragstellerin mit den auf Antragsstattgabe abzielenden Abänderungsanträgen. Eventualiter wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Die Antragsgegner bestreiten das Vorliegen einer erheblichen Rechtsfrage und beantragen die Bestätigung der angefochtenen Rekursentscheidung.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs ist zulässig und im Sinne des Eventualantrags auch berechtigt.

1.1. Bei der gerichtlichen Feststellung der Vaterschaft hatdas Gericht als Vater den Mann festzustellen, von dem das Kind abstammt. Der Antrag kann vom Kind gegen den Mann oder von diesem gegen das Kind gestellt werden (§ 148 Abs 1 ABGB). Das Kind kann die Feststellung seiner Abstammung auch beantragen, wenn die Vaterschaft eines anderen Mannes bereits feststeht. In einem solchen Fall hat die Feststellung der Abstammung die vom Gericht auszusprechende Wirkung, dass das Kind nicht vom anderen Mann abstammt (§ 150 ABGB). Nach dem Tod der betroffenen Person kann die Feststellung der Abstammung, deren Änderung oder die Feststellung der Nichtabstammung von den Rechtsnachfolgern oder gegen diese bewirkt werden (§ 142 ABGB).

1.2. Das Verfahren nach § 150 ABGB wird über
– unbefristet möglichen – Antrag des Kindes eingeleitet. Gegenstand des Verfahrens über einen Antrag nach § 150 ABGB ist die Feststellung, dass das Kind vom Antragsgegner abstammt. Die Nichtabstammung des Kindes vom bisherigen (Schein-)Vater ist nicht Verfahrensgegenstand, sondern lediglich gesetzlich zwingende automatische Folge der gerichtlichen Feststellung der Vaterschaft des Antragsgegners (9 Ob 76/07b; Bernat in Schwimann/Kodek, ABGB4 Ia § 150 Rz 6, 8; Stefula in Fenyves/Kerschner/Vonkilch, Klang³ § 163b Rz 4).

2. § 85 AußStrG regelt die Mitwirkungspflichten von Personen im Abstammungsverfahren wie folgt:

(1) Soweit es zur Feststellung der Abstammungerforderlich ist (Hervorhebung durch den Senat), haben die Parteien und alle Personen, die nach den Ergebnissen des Verfahrens zur Aufklärung des Sachverhalts beitragen können, bei der Befundaufnahme durch einen vom Gericht bestellten Sachverständigen, insbesondere an der notwendigen Gewinnung von Gewebeproben, Körperflüssigkeiten und Blutproben, mitzuwirken.

(2) Die Pflicht zur Mitwirkung besteht nicht, soweit diese mit einer ernsten oder dauernden Gefahr für Leben oder Gesundheit verbunden wäre. Vor einer Befundaufnahme hat das Gericht die zur Mitwirkung aufgeforderten Personen über die Weigerungsgründe zu belehren und zur Äußerung aufzufordern. Über die Weigerung ist mit besonderem, selbständig anfechtbaren Beschluss zu entscheiden. Im Fall einer rechtmäßigen Weigerung hat das Gericht eine nicht mit der angeführten Gefahr verbundene Methode der Abstammungsuntersuchung anzuordnen.

(3) Zur Gewinnung von Gewebeproben mit Methoden, bei denen die körperliche Integrität nicht verletzt wird, hat das Gericht erforderlichenfalls die zwangsweise Vorführung und die Anwendung angemessenen unmittelbaren Zwanges anzuordnen. Dabei sind die Organe der öffentlichen Sicherheit zur Hilfeleistung verpflichtet. Die Kosten der Vorführung und des Zwanges sind von der mitwirkungspflichtigen Person zu ersetzen.

(4) Soweit die erforderlichen Beweise nicht nach den vorstehenden Absätzen erbracht werden können und besondere gesetzliche Bestimmungen nicht entgegenstehen, kann das Gericht von jedermann die Herausgabe notwendiger Gewebeproben, Körperflüssigkeiten und Blutproben der in Abs 1 genannten Personen, auch wenn diese bereits verstorben sind, verlangen.

3.1. Die Feststellung der Abstammung ist ein elementares Grundrecht, das nicht an der ungerechtfertigten Weigerung beteiligter Personen scheitern darf. Der Gesetzgeber hat sich daher entschlossen, in § 85 Abs 3 AußStrG die zwangsweise Vorführung und die Ausübung angemessenen unmittelbaren körperlichen Zwangs zur Gewinnung von Proben für DNA-Tests zuzulassen (ErläutRV 224 BlgNR 22. GP 66 f; 8 Ob 54/13v). Die Weigerung einer Partei, im Abstammungsverfahren mitzuwirken, ist nur dann gerechtfertigt, wenn sie sachlich ausreichend begründet ist (Beck, DNA-Tests bei „beteiligten“ Personen im Abstammungsverfahren, EF-Z 2014/103, 166 [167]). Dem Gericht ist es durch das Amtswegigkeitsprinzip und den Untersuchungsgrundsatz nicht nur erlaubt, sondern, wenn das zur Sachverhaltsklärung notwendig ist, sogar aufgetragen, DNA-Gutachten einzuholen (Stefula in Klang3§ 156 ABGB Rz 19).

3.2. Die Mitwirkungspflicht nach § 85 Abs 1 AußStrG trifft die Parteien und alle Personen, die im konkreten Fall zur Aufklärung des Sachverhalts beitragen können.

3.3. Die Rechtsauffassung des Rekursgerichts, die Antragstellerin habe im Abstammungsverfahren nach § 150 ABGB nicht vorerst (im Sinne eines formell „abgestuften Verfahrens“) die Nichtabstammung vom Giltvater (Scheinvater) nachzuweisen, ist zutreffend. Wie bereits oben erwähnt (Punkt 1.2.), ist Gegenstand des Verfahrens über einen Antrag nach § 150 ABGB die Feststellung, dass das Kind vom Antragsgegner abstammt. Die Nichtabstammung des Kindes vom Giltvater ist nicht Verfahrensgegenstand.

4.1. Die in § 85 Abs 1 AußStrG verlangte „Erforderlichkeit“ war auch bereits in der Vorgängerbestimmung des § 7 Abs 1 FamRAnglV enthalten. Schon dazu wurde judiziert, dass es bei den sogenannten Statusklagen zwar nicht eines besonderen rechtlichen Interesses an der Klageführung bedarf, weil das Gesetz schon aufgrund des Tatbestandes von einem solchen als unmittelbarem Ausfluss des allgemeinen Persönlichkeitsrechts ausgeht (8 Ob 614/91 mwN). Als erforderlich wurde eine Blutabnahme dann angesehen, wenn sie zur Klärung des Sachverhalts offenbar notwendig war (RIS-Justiz RS0058782). Erforderlich ist die Mitwirkung im Abstammungsverfahren gemäß § 85 Abs 1 AußStrG dann, wenn sie im konkreten Fall geboten ist (3 Ob 596/78; 9 Ob 316/99g).

4.2. Eine andere Rechtsauffassung wurde auch in der Entscheidung 8 Ob 54/13v nicht zum Ausdruck gebracht. Mit dem relativierenden Klammerhinweis, dass der konkrete Verwandtschaftsnachweis durch die Mitwirkung der leiblichen Nachkommen des verstorbenen behaupteten Vaters „unter der Prämisse der Validität ihrer eigenen Abstammung“ steht, wurde lediglich Selbstverständliches zum Ausdruck gebracht. An der Notwendigkeit zu klären, ob DNA-Material der Antragsgegner zur Feststellung der von der Antragstellerin beantragten Abstammung erforderlich ist, ändert sich dadurch nichts.

4.3. Die Frage, ob die von der Antragstellerin beantragten Untersuchungen zur Feststellung der Abstammung erforderlich (auch im Sinn von überhaupt geeignet) sind, kann auf Grundlage des derzeit festgestellten Sachverhalts aber noch nicht beantwortet werden. Dazu bedarf es zum einen Feststellungen zur konkreten Eignung des von der Antragstellerin beantragten Geschwistertests, damit ihre Abstammung vom Putativvater nachzuweisen. Zum anderen sind aber auch Feststellungen zur Frage notwendig, ob die von der Antragstellerin eventualiter begehrte Exhumierung des Putativvaters (insbesondere im Hinblick auf seinen Todeszeitpunkt im Jahr 2001) und Entnahme einer Gewebeprobe für die DNA-Untersuchung geeignet(er) ist, ihre Abstammung vom Putativvater nachzuweisen. Um diese medizinischen/erbbiologischen Sachverhaltsfragen zu klären, ist es unumgänglich, einen gerichtlichen Sachverständigen zu bestellen. Bloß informelle Auskünfte (ON 35) können das notwendige Sachverständigengutachten nicht ersetzen.

5.1. Nach Art 8 Abs 1 EMRK hat jedermann Anspruch auf Achtung seines Familienlebens. Zur Entwicklung der Person gehört auch das Recht, notwendige Informationen über wesentliche Aspekte der eigenen Identität und der ihrer Eltern zu erhalten. Jedermann hat ein geschütztes Interesse daran, Auskünfte zu erhalten, die notwendig sind, die Kindheit und frühe Entwicklung zu verstehen. Dazu gehört auch die Möglichkeit der Gewinnung von Informationen über die Identität der Eltern (3 Ob 2/12h mwN; EGMR Bsw 42326/98, Odièvre/Frankreich;EGMR Bsw 58757/00, Jäggi/Schweiz; EGMR Bsw 57813/00 Rz 83 = ÖJZ 2010/5 [686]; RIS-Justiz RS0127252).

5.2. Beschränkungen des grundrechtlich geschützten Anspruchs müssen nach Art 8 Abs 2 EMRK gerechtfertigt werden; zur Prüfung ihrer Notwendigkeit ist eine umfassende Interessenabwägung nötig (3 Ob 2/12h mwN). Dabei müssen auch die Interessen Dritter berücksichtigt werden. In den Gesetzesmaterialien (ErläutRV 224 BlgNR 22. GP 66) wird mehrfach auf die dem § 85 AußStrG zugrunde liegende grundrechtliche Abwägung Bezug genommen und auch darauf hingewiesen, dass die Feststellung der Abstammung ein elementares Grundrecht jedes Menschen ist, weshalb sie nicht an der ungerechtfertigten Weigerung beteiligter Personen scheitern darf.

5.3. Nach § 85 Abs 2 AußStrG besteht die Pflicht zur Mitwirkung iSd § 85 Abs 1 AußStrG dann nicht, soweit diese mit einer ernsten oder dauernden Gefahr für Leben oder Gesundheit verbunden wäre. Dies ist hier nicht der Fall. Es bleibt daher vorrangig zu klären, ob die von der Antragstellerin beantragten Maßnahmen zur Feststellung der Abstammung erforderlich sind. Vor dieser Klärung ist eine grundsätzliche Abwägung der Interessen der Parteien nicht zielführend.

Dem Revisionsrekurs der Antragstellerin ist daher im Sinne des hilfsweise gestellten Aufhebungsantrags Folge zu geben.

Da mit diesem Aufhebungsbeschluss die Rechtssache nicht iSd § 78 Abs 1 Satz 2 AußStrG erledigt wird, kommt der Ausspruch einer Kostenersatzpflicht nicht in Betracht, sondern ist ein Kostenvorbehalt auszusprechen (Obermaier in Gitschthaler/Höllwerth, § 78 AußStrG Rz 47; vgl RISJustiz RS0123011).

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ECLI:AT:OGH0002:2017:0090OB00003.17G.0324.000
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