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VfGH vom 15.10.2016, E880/2016

VfGH vom 15.10.2016, E880/2016

Leitsatz

Verletzung im Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens durch Abweisung des Antrags auf Änderung des Familiennamens in den früher von der Familie gebrauchten Namen "Zebra"

Spruch

I. Der Beschwerdeführer ist durch das angefochtene Erkenntnis im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens verletzt worden.

Das Erkenntnis wird aufgehoben.

II. Der Bund (Bundesminister für Inneres) ist schuldig, dem Beschwerdeführer zuhanden seines Rechtsvertreters die mit € 2.856,– bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Entscheidungsgründe

I. Sachverhalt, Beschwerde und Vorverfahren

1. Der Beschwerdeführer, ein österreichischer Staatsbürger, beantragte die Änderung seines Familiennamens von "*****" auf "Zebra", den ursprünglichen Familiennamen seines Vaters, den der Beschwerdeführer wieder annehmen wolle.

2. Mit Bescheid vom wies der Magistrat der Stadt Wien diesen Antrag gemäß "§3 (1) Ziffer 2 des Bundesgesetzes vom , BGBl Nr 195/19[88] über die Änderung von Familiennamen und Vornamen (Namensänderungsgesetz – NÄG) in der geltenden Fassung" im Kern mit der Begründung ab, dass der beantragte Familienname im Inland zur Kennzeichnung von Personen völlig ungebräuchlich sei, weil, wie Recherchen in den verfügbaren österreichischen Registern ergeben hätten, keine in Österreich derzeit lebende Person so heiße. Der Ausdruck bezeichne vielmehr ein "in den Savannen Afrikas lebende[s] Pferd[…]".

3. Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Verwaltungsgericht Wien ab und begründet dies – der Sache nach auf § 3 Abs 1 Z 2 Bundesgesetz vom über die Änderung von Familiennamen und Vornamen (Namensänderungsgesetz – NÄG), BGBl 195/1988, idF BGBl I 161/2013 (im Folgenden: NÄG), iVm § 28 Abs 1 VwGVG gestützt – damit, dass ein Familienname "Zebra" weder in der Personendatenbank der Stadt Wien noch im Zentralmelderegister oder beim Verband der österreichischen Sozialversicherungsträger aufscheine und damit im Inland nicht für die Kennzeichnung von Personen gebräuchlich iSd § 3 Abs 1 Z 2 NÄG sei. Der Gesetzgeber habe mit diesem Versagungsgrund des § 3 Abs 1 Z 2 NÄG eine Verwendung von willkürlichen Begriffen als Familiennamen, also gleichsam eine Eigenkreation von Familiennamen, ausschließen wollen. Der vom Beschwerdeführer gewünschte Familienname stelle gerade eine solche Eigenkreation dar. Demgegenüber würden ähnliche Begriffe wie "Fuchs", "Biber" oder "Strauß" deshalb zulässige Familiennamen darstellen, weil sie im Inland bereits als Familiennamen vorhanden seien. Daran ändere auch nichts, dass bereits der Vater des Beschwerdeführers "Zebra" hieß, zumal dessen Vater (also der Großvater des Beschwerdeführers) gerade auf Grund der Zweideutigkeit dieses Namens sich, seine Ehefrau und sein Kind, den Vater des Beschwerdeführers, umbenennen ließ.

4. Gegen diese Entscheidung richtet sich die vorliegende, auf Art 144 B VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung in verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten, insbesondere im Recht auf Privat- und Familienleben, sowie in Rechten wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Erkenntnisses, in eventu die Abtretung der Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof beantragt wird.

Begründend wird im Wesentlichen ausgeführt, dass – wie beigelegte Dokumente nachweisen würden – im Inland wohnhafte Vorfahren des Beschwerdeführers schon seit Generationen den Familiennamen "Zebra" geführt hätten, so etwa noch Großvater und Vater des Beschwerdeführers bis zu der vom Großvater initiierten Namensänderung. Die letzte diesen Namen führende Person, der Großonkel des Beschwerdeführers, sei im Jahr 1991 verstorben. Der Name "Zebra" habe also eine lange Tradition, möge er auch selten geworden sein.

§3 Abs 1 Z 2 NÄG greife in die von Art 8 EMRK geschützte Namenswahl ein, indem er die Möglichkeit der Namensänderung beschränke. Für den Beschwerdeführer stelle sich folglich die Frage, ob die Versagung bzw. der Versagungsgrund aus den in Art 8 Abs 2 EMRK genannten Gründen notwendig sei. Im vorliegenden Fall hätte es einer Abwägung im Einzelfall bedurft, um die Versagung der Namensänderung verfassungsrechtlich zu rechtfertigen. Das Verwaltungsgericht hätte zu berücksichtigen gehabt, dass der Familienname "Zebra" – wie dargelegt – bis in die jüngere Vergangenheit jedenfalls zur Kennzeichnung von Personen gebräuchlich war. Die Versagung der beantragten Namensänderung sei deshalb durch kein öffentliches Interesse gedeckt und unverhältnismäßig, zumal im Übrigen niemand ernsthaft zB den Familiennamen von "Ernst Fuchs" oder "Günther Mader" in erster Linie mit einem Tiernamen in Verbindung bringen würde; diese ursprüngliche Bedeutung trete regelmäßig zurück.

Deshalb liege dem Erkenntnis eine verfassungswidrige Interpretation bzw. Rechtsgrundlage zugrunde. Die Wortfolge "oder für die Kennzeichnung von Personen im Inland nicht gebräuchlich" in § 3 Abs 1 Z 2 NÄG sei, wie der vorliegende Fall zeige, unverhältnismäßig, wenn sie jegliche Namensänderung ohne Differenzierung bloß wegen Ungebräuchlichkeit des Namens zur Personenkennzeichnung im Inland verbiete.

5. Das Verwaltungsgericht hat die Verwaltungs- und Gerichtsakten vorgelegt, von der Erstattung einer Gegenschrift aber abgesehen.

II. Rechtslage

Die im vorliegenden Fall maßgebliche Rechtslage stellt sich wie folgt dar:

Das Bundesgesetz vom über die Änderung von Familiennamen und Vornamen (Namensänderungsgesetz – NÄG), BGBl 195/1988, idF BGBl I 161/2013, lautet auszugsweise:

"Antrag auf Namensänderung

§1. (1) Eine Änderung des Familiennamens oder Vornamens ist auf Antrag zu bewilligen, wenn ein Grund im Sinn des § 2 vorliegt, § 3 der Bewilligung nicht entgegensteht und die Namensänderung betrifft

1. einen österreichischen Staatsbürger;

[…]

Voraussetzungen der Bewilligung

§2. (1) Ein Grund für die Änderung des Familiennamens liegt vor, wenn

1.-5. […]

6. die Vor- und Familiennamen sowie der Tag der Geburt des Antragstellers mit den entsprechenden Daten einer anderen Person derart übereinstimmen, daß es zu Verwechslungen der Personen kommen kann;

7. […]

8. der Antragsteller nach bereits erfolgter Namensbestimmung (§157 Abs 1 ABGB) einen Familiennamen nach § 155 ABGB erhalten will;

9.-10. […]

11. der Antragsteller aus sonstigen Gründen einen anderen Familiennamen wünscht.

[…]

Versagung der Bewilligung

§3. (1) Die Änderung des Familiennamens oder Vornamens darf nicht bewilligt werden, wenn

1. […]

2. der beantragte Familienname lächerlich, anstößig oder für die Kennzeichnung von Personen im Inland nicht gebräuchlich ist;

[…]

Ermittlungen

§5. Die Behörde kann zur Ermittlung von Personen mit gleichen oder verwechslungsfähigen Familiennamen, Vornamen und Tagen der Geburt sowie von Parteien nach § 8 Abs 1 Z 2 Anfragen an den Hauptverband der österreichischen Sozialversicherungsträger richten und auch die Bekanntgabe jener Daten verlangen, die die Behörde zur Kontaktaufnahme mit den betreffenden Personen benötigt. Der Hauptverband der österreichischen Sozialversicherungsträger ist zur Auskunftserteilung aus den bei ihm vorhandenen Daten verpflichtet und hat allenfalls die Stellen bekanntzugeben, bei denen weitere Daten vorhanden sein könnten. Diese Stellen sind ebenfalls zur Auskunftserteilung verpflichtet."

III. Erwägungen

Die – zulässige – Beschwerde ist begründet.

1. § 1 NÄG ermöglicht u.a. österreichischen Staatsbürgern eine Namensänderung. Ein entsprechender Antrag ist zu bewilligen, wenn dafür ein Grund iSd § 2 NÄG und kein Versagungsgrund nach § 3 NÄG vorliegt. Nach dem als Auffangtatbestand fungierenden § 2 Abs 1 Z 11 NÄG kann eine Namensänderung bereits aus nicht näher qualifizierten "sonstigen Gründen" erfolgen (die Begründung zu IA 4/A 19. GP, 30, spricht von "Wunschnamen"). § 3 Abs 1 Z 2 NÄG schließt aber die Bewilligung einer gewünschten Namensänderung u.a. aus, wenn der gewählte Familienname "für die Kennzeichnung von Personen im Inland nicht gebräuchlich" ist.

2. Ein Eingriff in das durch Art 8 EMRK verfassungsgesetzlich garantierte – unter Gesetzesvorbehalt stehende – Recht ist dann verfassungswidrig, wenn die ihn verfügende verwaltungsgerichtliche Entscheidung ohne jede Rechtsgrundlage ergangen ist, auf einer dem Art 8 EMRK widersprechenden Rechtsvorschrift beruht oder wenn das Verwaltungsgericht bei Erlassung der Entscheidung eine verfassungsrechtlich unbedenkliche Rechtsgrundlage in denkunmöglicher Weise angewendet hat; ein solcher Fall liegt nur vor, wenn das Verwaltungsgericht einen so schweren Fehler begangen hat, dass dieser mit Gesetzlosigkeit auf eine Stufe zu stellen wäre, oder wenn es der angewendeten Rechtsvorschrift fälschlicherweise einen verfassungswidrigen, insbesondere einen dem Art 8 Abs 1 EMRK widersprechenden und durch Art 8 Abs 2 EMRK nicht gedeckten Inhalt unterstellt hat (vgl. VfSlg 11.638/1988, 15.051/1997, 15.400/1999, 16.657/2002).

3. Ein solcher Fehler ist dem Verwaltungsgericht Wien unterlaufen:

3.1. Art 8 EMRK stellt die menschliche Persönlichkeit in ihrer Identität, Individualität und Integrität unter Schutz und ist dabei auch auf den Schutz der unterschiedlichen Ausdrucksformen dieser menschlichen Persönlichkeit gerichtet (VfSlg 19.662/2012, 19.665/2012; vgl. auch EGMR , Fall Guillot , Appl. 22.500/93 [Z21 f.]; , Fall Mikulić, Appl. 53.176/99 [Z53 f.]; , Fall Goodwin , Appl. 28.957/95 [Z90]; , Fall Van Kück , Appl. 35.968/97 [Z69]). Namen dienen der persönlichen Identifizierung und Zuordnung. Als Bestandteil der Identität zählen sie zum grundrechtlich geschützten Privat- und Familienleben (vgl. zB EGMR , Fall Burghartz, Appl. 16.213/90 [Z24]; , Fall Stjerna, Appl. 18.131/91 [Z37]; siehe auch ).

Unbestritten kann der Gesetzgeber vorsehen, Namensänderungen aus Gründen öffentlicher Interessen rechtlich zu beschränken (vgl. zB EGMR, Fall Stjerna, Z 39; , Fall Johansson, Appl. 10.163/02 [Z35 ff.]). Ein damit verbundener Eingriff in Art 8 EMRK ist gemäß dessen Abs 2 aber nur statthaft, insoweit die gesetzliche Maßnahme zur Erreichung eines legitimen Zieles geeignet und verhältnismäßig ist (siehe statt vieler VfSlg 19.904/2014 mit Hinweis auf die Vorjudikatur).

3.2. Der Gesetzgeber anerkennt in § 2 Abs 1 Z 11 NÄG zwar zunächst ausdrücklich, dass eine Änderung des Familiennamens nicht nur aus besonderen, sondern auch aus "sonstigen Gründen" möglich ist, wenn jemand "einen anderen Familiennamen wünscht". Auch in diesem Fall dürfen der Namensänderung aber bestimmte, in § 3 Abs 1 NÄG als Versagungsgründe angeführte öffentliche Interessen nicht entgegenstehen. Diese Versagungsgründe und ihre Auslegung müssen den aus Art 8 Abs 2 EMRK folgenden Anforderungen genügen (zur gebotenen Interessenabwägung vgl. zuletzt EGMR , Fall Henry Kismoun, Appl. 32.265/10 [Z30 und 35 ff.]; vgl. auch Grabenwarter/Pabel , Europäische Menschenrechtskonvention 6 , 2016, § 22 Rz 44).

3.3. Nun ist dem Gesetzgeber zunächst nicht entgegenzutreten, wenn er mit dem dritten Tatbestand des § 3 Abs 1 Z 2 NÄG – der beantragte Familienname ist für die Kennzeichnung von Personen im Inland nicht gebräuchlich – darauf abstellt, dass Familiennamen einen realen Bezugspunkt in der gesellschaftlichen Entwicklung der Namen in Österreich haben müssen und nicht frei erfunden werden dürfen. Indem der Gesetzgeber aber darauf abstellt, ob sich ein bestimmter Begriff als Familienname in der Gesellschaft herausgebildet hat, stellt er notwendig auf Entwicklungen in einer Gesellschaft ab (so führen insbesondere Migrationsbewegungen dazu, dass sich die in Österreich "gebräuchlichen" Familiennamen verändern). Insoweit haben Familiennamen, weil sie sich in aller Regel von Vorfahren ableiten, immer auch eine historische Dimension.

Diese verkennt das Verwaltungsgericht Wien, wenn es für die Ermittlung, ob der vom Beschwerdeführer gewünschte Familienname "Zebra" für die Kennzeichnung von Personen im Inland gebräuchlich ist, ausschließlich darauf abstellt, ob sich im Zeitpunkt der gewünschten Namensänderung ein solcher Name als Familienname in Österreich nachweisen lässt. Es ist aber unbestritten, dass jedenfalls zu Lebzeiten des Großvaters des Beschwerdeführers, also in einem überschaubaren zeitlichen Zusammenhang, der vom Beschwerdeführer gewünschte Familienname gerade auch nach den vom Verwaltungsgericht Wien angelegten Maßstäben gebräuchlich war. Das Verwaltungsgericht tut diesen Umstand mit dem Hinweis ab, dass der Großvater den Namen eben auch für seine Nachkommen geändert habe. Damit übersieht das Verwaltungsgericht Wien aber, dass es auf die Namenswahl des Beschwerdeführers und seine diesbezügliche Vorstellung von seiner namensbezogenen Identität gemäß Art 8 EMRK ankommt. Es ist kein einschlägiger Versagungstatbestand im NÄG ersichtlich, der es dem Beschwerdeführer verwehren würde, von der von seinem Großvater gewünschten Namensänderung wieder zu Gunsten des in früheren Generationen von der Familie geführten Familiennamens abzugehen. Wenn der Beschwerdeführer seine Identität mit jenem Namen verbinden will, den seine Familie früher geführt hat, so steht dem insbesondere § 3 Abs 1 Z 2 3. Tatbestand NÄG nicht entgegen, weil der Beschwerdeführer damit gerade nicht eine, wie es das Verwaltungsgericht Wien ausdrückt, "Eigenkreation", sondern einen früher von der Familie des Beschwerdeführers in Österreich gebrauchten Namen als Familiennamen wählen will.

Das Verwaltungsgericht Wien hat damit den für den Namen als Bestandteil der Identität des Beschwerdeführers im vorliegenden Fall wesentlichen Zusammenhang mit dem historischen Namen der Familie des Beschwerdeführers verkannt und mit seiner Auslegung § 3 Abs 1 Z 2 NÄG einen mit Art 8 Abs 2 EMRK nicht zu vereinbarenden Inhalt unterstellt.

IV. Ergebnis

1. Der Beschwerdeführer ist somit durch die angefochtene Entscheidung in seinem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Privat- und Familienleben gemäß Art 8 EMRK verletzt worden.

2. Das Erkenntnis ist daher aufzuheben, ohne dass auf das weitere Beschwerdevorbringen einzugehen ist.

3. Diese Entscheidung konnte gemäß § 19 Abs 4 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in Höhe von € 436,– sowie der Ersatz der Eingabengebühr in Höhe von € 240,– enthalten.

European Case Law Identifier

ECLI:AT:VFGH:2016:E880.2016